Urteil des VG Düsseldorf vom 03.01.2001

VG Düsseldorf: entlassung aus der haft, örtliche zuständigkeit, gerichtshof für menschenrechte, aufschiebende wirkung, verteidigung der ordnung, öffentliche sicherheit, abschiebung, ausreise, eugh

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 24 L 3738/00
Datum:
03.01.2001
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
24. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
24 L 3738/00
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsteller.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 4.000,- DM festgesetzt.
Gründe:
1
I.
2
Der Antragsteller ist türkischer Staatsangehöriger, wurde am xxxxxxxxxxx 1970 in
Malatya geboren und reiste 1980 im Rahmen der Familienzusammenführung ins
Bundesgebiet ein. Nach dem verlassen der Hauptschule hat er eine Berufsausbildung
nicht erfahren. Soweit er erwerbstätig war, handelte es sich um Aushilfstätigkeiten als
ungelernte Kraft; über Strecken war der Antragsteller auch arbeitslos.
3
Seine letzte Aufenthaltserlaubnis war gültig bis zum 8. Januar 1998; eine Vorsprache
bei der Ausländerbehörde xxxx am 3. September 1999 führte zur Ausstellung einer
Bescheinigung nach § 69 Abs. 3 AuslG, sodass davon ausgegangen werden soll, der
Antragsteller habe um die „Verlängerung" seiner Aufenthaltsgenehmigung nachgesucht.
4
Der Antragsteller ist schon seit Ende der 80er-Jahre mit erheblichen Straftaten in
Erscheinung getreten und hat deswegen auch Untersuchungs- und Strafhaft erfahren. Er
selbst räumt ein, seit Anfang der 90er-Jahre regelmäßig Heroin zu konsumieren (1 bis 2
gr tägl.).
5
Zuletzt verhängte das Amtsgericht xxxxxxxxx im November 1997 eine Freiheitsstrafe
von 3 Jahren und 6 Monaten wegen unerlaubter Einfuhr und unerlaubten Handels mit
Betäubungsmitteln. Der Antragsteller hatte am xxxxxxxx 1997 mit zwei Mittätern eine
größere Mengen Heroingemisch aus den Niederlanden eingeführt, um sie hier zu
veräußern.
6
Aus der Haft wurde der Antragsteller Mitte August 1999 in eine Maßnahme nach § 35
BtmG entlassen, die er jedoch abbrach. Er tauchte dann im März 2000 erneut in xxxx auf
und suchte die Hilfe der ambulanten Drogenberatung, die ihm auch eine Unterkunft
verschaffte. Bei einer Vorsprache auf der Ausländerbehörde xxxx am 18. Mai 2000
wurde der Antragsteller erneut festgenommen, er war dabei im Besitz von Haschisch.
Seit Ende April 2000 verbüßt der Antragsteller die Freiheitsstrafe in der
Justizvollzugsanstalt xxxxxxxxx.
7
Der Antragsgegner hörte den Antragsteller wegen der beabsichtigen Ausweisung,
aufenthaltsbeendender Maßnahmen und der Versagung weiterer
Aufenthaltsgenehmigungen an. Der Antragsteller legte dar, aus welchen Gründen er die
im Herbst 1999 aufgenommene Therapie abgebrochen habe und dass er weiterhin um
eine stationäre Therapie bemüht sei, für die sich jedoch ein Kostenträger nicht zuletzt
wegen der unklaren Aufenthaltsstatus nicht finde.
8
Unter dem 12. September 2000 erließ der Antragsgegner die hier angegriffene
Ordnungsverfügung, wonach er den Antragsteller unter Bezugnahme auf § 47 Abs. 1 Nr.
1 AuslG aus dem Gebiet der Bundesrepublik auswies und die sofortige Vollziehbarkeit
dieser Verfügung anordnete. Desweiteren ordnete er die Abschiebung des
Antragstellers in die Türkei aus der Haft heraus an und setzte ihm für den Fall vorzeitiger
Entlassung aus der Haft eine Frist zur freiwilligen Ausreise von 2 Wochen ab
Entlassung, nach deren Ablauf er den Antragsteller abzuschieben androhte. Die
Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit begründete der Antragsgegner damit, bei der
Vorgeschichte des Antragstellers könne nicht erwartet werden, er werde dies Mal nach
einer Haftentlassung ein straffreies Leben führen.
9
Über den dagegen am 18. September 2000 eingelegten Widerspruch ist noch nicht
entschieden.
10
Mit am 6. Dezember 2000 bei Gericht eingegangener Schrift begehrt der Antragsteller
einstweiligen Rechtsschutz. Er macht geltend, der Antragsgegner sei in Anbetracht der
engen familiären Bindungen des Antragstellers an xxxx nicht örtlich zuständig; die
Ausländerbehörde xxxx stehe den Bemühungen de Antragstellers um eine Therapie
sehr viel aufgeschlossener gegenüber. Zudem habe der Antragsgegner verkannt, dass
§ 47 AuslG auf unter dem Schutz des ARB stehende türkische Staatsangehörige nach
neuester Rechtsprechung des EuGH keine Anwendung finde; für die mithin allein zu
Gebote stehende Ausweisung nach § 45 AuslG fehle es an der erforderlichen Ausübung
des danach eingeräumten Ermessens. Die Straffälligkeit des Antragstellers resultiere
allein aus seiner Betäubungsmittelabhängigkeit, an deren Bekämpfung der Antragsteller
selbst das größte Interesse habe. Er beantragt sinngemäß,
11
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 18. September 2000 gegen die
Ordnungsverfügung des Antragsgegners vom 12. September 2000 hinsichtlich der für
sofort vollziehbar erklärten Ausweisung wiederherzustellen und hinsichtlich der
Abschiebungsregelung anzuordnen.
12
Der Antragsgegner beantragt unter Verweis auf seine Verfügung,
13
den Antrag abzulehnen.
14
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
15
Gerichtsakte sowie den der dazu beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug
genommen.
II.
16
Der Antrag hat keinen Erfolg.
17
Das Gericht sieht hier Veranlassung, auf den Antrag des Antragstellers hin die
Rechtmäßigkeit auch der Ausweisung summarisch zu prüfen, obwohl der Antragsteller
an sich allein wegen der verspäteten Stellung seines Antrages auf "Verlängerung"
seiner Aufenthaltsgenehmigung vollziehbar ausreisepflichtig ist. Ein im Lichte des
Gebotes, effektiven Rechtsschutz zu gewähren, legitimes Interesse, die Rechtmäßigkeit
einer Ausweisung im einstweiligen Rechtsschutz zumindest summarisch zu prüfen,
besteht immer dann, wenn die Ausländerbehörde die beabsichtigte tatsächliche
Beendigung des Aufenthaltes des Betroffenen tragend auf die Ausweisung stützt,
18
sei es, weil die Behörde diese Absicht allein schon mit der - im Falle gleichzeitig
bestehender anderweitiger vollziehbarer Ausreisepflicht wegen der §§ 72 Abs. 2 Satz 1
und 8 Abs. 2 Satz 2 AuslG anders nicht begründbaren
19
vgl. dazu Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 17.
Juli 1997 - 18 B 3351/95 -; Beschluss vom 5. Juni 1998 - 18 B 461/97 -; Hessischer
Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 17. März 1997 - 3 TG 3656/96 - NVwZ-Beilage
8/97 = S. 57; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 4. September 1998 -
10 CS 98/2114 - NVwZ 1998, 96, 97 -; Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar,
Loseblatt, Stand Mai 1998, § 8 Rdnr. 35, 36
20
- ausdrücklichen Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Ausweisung
dokumentiert,
21
sei es, weil sie eine Versagung der Aufenthaltsgenehmigung allein auf die Ausweisung
- nicht etwa nur auf die damit einhergehende Erfüllung eines Ausweisungsgrundes -
stützt.
22
Vgl. dazu Beschlüsse des Gerichts vom 11. August 1997 - 24 L 2086/97 -; vom 15.
November 2000 - 24 L 2341/00 -.
23
Hier liegt
24
in Anbetracht des Umstandes, dass der Antragsgegner entgegen der noch bei der
Anhörung des Antragstellers geäußerten Absicht über den „Antrag" auf
Aufenthaltsgenehmigung nicht entschieden hat
25
nur der erste Fall vor.
26
Dass der „Antrag" auf Aufenthaltsgenehmigung mithin noch unbeschieden ist, steht der
Verfügung einer Ausweisung hier nicht entgegen, weil der Antrag als solcher jedenfalls
keine Wirkungen nach § 69 AuslG gezeitigt hatte. Dass die Ausländerbehörde xxxx
Bescheinigungen nach § 69 Abs. 3 AuslG ausgestellt hat, ist unbeachtlich, kann
jedenfalls die gewünschten rechtlichen Wirkungen allein und gegen das Gesetz nicht
auslösen.
27
1. Hinsichtlich der Ausweisung kann die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs im
Ergebnis nicht wiederhergestellt werden (§ 80 Abs. 5 Satz 1 2. HS VwGO). Die
Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit ist formell nicht zu beanstanden (a)). Die
angegriffene Ausweisung dürfte im Einklang mit den Vorschriften des
Ausländergesetzes sowie den einschlägigen völkervertragsrechtlichen Bestimmungen
stehen, sodass eine das besondere öffentliche Interesse an ihrer sofortigen
Vollziehbarkeit ausschließende offensichtliche Rechtswidrigkeit nicht anzunehmen ist
(b)). Bei der demnach möglichen und von dem Gericht als eigene Ermessensausübung
28
vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen, Beschluss vom 2. April
1998 - 18 B 828/96 -,
29
zu leistenden Abwägung des individuellen Aufschubinteresses mit dem öffentlichen
Interesse an einer sofortigen Vollziehbarkeit überwiegt hier jedoch das
Vollzugsinteresse (c)).
30
a) Die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Ausweisung durch den
Antragsgegner gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO ist in formeller Hinsicht im
Ergebnis nicht zu beanstanden. Der Antragsgegner hat darin nämlich neben den für den
Erlass der Verfügung als solcher sprechenden Aspekten auch erwähnt, dass im Falle
des Antragstellers die Gefahr bestehe, er könne die sonst durch den Suspensiveffekt
eintretende zeitliche Verzögerung in der tatsächlichen Durchsetzbarkeit seiner
Ausreisepflicht dazu nutzen, weil nicht zu erwarten sie, er werde diesmal nach einer
Entlassung aus der Haft straffrei bleiben.
31
Das genügt - ungeachtet seiner tatsächlichen Richtigkeit
32
dies ausdrücklich betonend: Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen,
Beschluss vom 22. Februar 2000 - 18 B 206/00 -; -
33
den Anforderungen an eine den Charakter als Einzelfallentscheidung ausdrückende
Begründung i.S.v. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Denn dadurch wird ein
einzelfallspezifischer und über das hinter dem Erlass der Ausweisungsverfügung als
solcher stehende Interesse hinausragender Aspekt zur tragenden Erwägung gemacht;
34
vgl. zu diesen Erfordernissen Baden-Württembergischer Verwaltungsgerichtshof,
Beschluss vom 19. Juni 1991 - 11 S 1229/91-, InfAuslR 1992, S. 6, 7 m.w.N; ebenso
Ziffer 45.0.7.1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Ausländergesetz mit den
Maßgabeänderungen des Bundesrates nach dem Beschluss vom 9. Juli 1999 -
Drucksache 350/99 (im Folgenden AuslG-VV); ähnlich Bayerischer
Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 16. Februar 2000 - 10 CS 99.3290 -; NVwZ Beil
I 6/2000, S: 67, 68. An diesen Anforderungen hält das Gericht trotz des Hinweises des
18. Senates des Oberverwaltungsgerichtes für das Land Nordrhein-Westfalen in dessen
Beschluss vom 19. Oktober 1993 (18 B 1102/93), der Senat verlange derartige
Anforderungen in Fällen offensichtlicher Rechtmäßigkeit der Ausweisung nicht, fest,
weil sie für Gegenteiliges eine Stütze im Gesetz nicht sieht. In dem Beschluss vom 14.
Mai 1999 - 18 B 969/98 - führt der 18. Senat aus, es genüge „jede schriftliche
Begründung den Anforderungen des § 80 Abs. 3 VwGO, die - sei sie sprachlich oder
gedanklich auch noch so unvollkommen - zu erkennen gibt, dass die Behörde aus
Gründen des zu entscheidenden Einzelfalles eine sofortige Vollziehung
35
ausnahmsweise für geboten hält"; in diesem Sinne auch der Beschluss vom 22. Februar
2000 - 18 B 206/00 -. Auch das Bundesverfassungsgericht betont, dass das
erforderliche besondere öffentliche Interesse über das hinausgehen muss, das den
Verwaltungsakt selbst rechtfertigt; Beschluss vom 12. September 1995 - 2 BvR 1179/95
-; InfAuslR 1995, S. 397, 401; vgl. dazu auch Kaltenborn, DVBl 1999, S. 828, 832.
b) Die Ausweisung dürfte im Einklang mit den Vorschriften des Ausländergesetzes
sowie den einschlägigen völkervertragsrechtlichen Bestimmungen stehen.
36
Der Antragsgegner verfügt insbesondere und entgegen der Ansicht des Antragstellers
auch über die erforderliche örtliche Zuständigkeit, weil der Antragsteller im
maßgeblichen Zeitpunkt der Bekanntgabe der Ordnungsverfügung in seinem Bezirk in
Haft saß.
37
Nach geläuterter Auffassung
38
Beschluss des Gerichts vom 15. April 1997 - 24 L 2262/97 - ; zustimmend
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen, Beschluss vom 10. Juli
1997 - 18 B 1853/96 -,
39
beurteilt sich die örtliche Zuständigkeit nach § 4 Abs. 1 OBG NW, auf den
zurückzugreifen die Ausländerbehörde nach § 1 Abs. 2 Satz 2 OBG deshalb befugt, weil
es sich beim Ausländerrecht um Gefahrenabwehrrecht handelt;
40
speziell für die Ausweisung: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 31. März 1998 - 1 C
28.97 -; Urteil vom 16. November 1999 - 1 C 11/99 - NVwZ-RR 2000, Heft 5, S: 320.
41
Zuständig ist danach die Ausländerbehörde, in deren Bezirk die zu schützenden
Interessen verletzt oder gefährdet werden. Das kann neben der Behörde des Haftortes
(Haftortbehörde) auch diejenige sein, in deren Bezirk der Ausländer voraussichtlich
nach einer Entlassung zurückkehren würde (Rückkehrbehörde).
42
In solchem Fall ist also von einer parallelen Zuständigkeit sowohl der Haft- als auch der
Rückkehrbehörde auszugehen.
43
Dieser Zustand paralleler Zuständigkeit zweier Ausländerbehörden ist rechtlich
unschädlich: Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 5. Mai 1998 - 1 C 17.97 -, InfAuslR
1997, S. 383, 384.
44
Dass der Erlass des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen vom 19. Juni
1996 (I B 2/43.50) bei einer solchen Sachlage nur die örtliche Zuständigkeit der
Rückkehrbehörde für gegeben zu halten scheint, ist aus der Sicht des Gerichts rechtlich
unschädlich.
45
Beschluss des Gerichts vom 15. April 1997 - 24 L 2262/97 - ; zustimmend
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen, Beschluss vom 10. Juli
1997 - 18 B 1853/96 -; ferner Beschluss des Gerichts vom 14. August 2000 - 24 L
1401/00 - .
46
Die seitens des Antragstellers dagegen angeführten engen familiären Bindungen an
xxxx vermöchten allenfalls also eine parallele Zuständigkeit auch der Ausländerbehörde
47
xxxx zu begründen, schlössen die des Antragsgegners dabei aber nicht aus;
Deshalb kann es auf sich beruhen, wann der Antragsteller die Beziehungen zu seiner
Familie abgebrochen und in welchem Umfange er sie nach dem Abbruch der
Therapiemaßnahme aus dem Herbst 1999 vor seiner neuerlichen Verhaftung wider in
welchem Umfange aufgenommen hatte.
48
Die nach § 28 Abs. 1 VwVfG NW grundsätzlich vor Erlass der Ausweisung als
belastendem Verwaltungsakt durchzuführende Anhörung des Antragstellers ist hier
erfolgt; der Antragsteller hat die ihm eingeräumte Möglichkeit auch genutzt.
49
Die materielle Rechtmäßigkeit der Ausweisung erfordert, dass der Antragsteller einen
Ausweisungsgrund verwirklicht und der Antragsgegner die sich aus dem einschlägigen
Ausweisungsschutz sowie den gesetzlichen Vorgaben zur Rechtsfolge ergebenden
Maßstäbe erkannt und beachtet sowie alle erheblichen Aspekte berücksichtigt hat.
50
Im Hinblick auf die materiellrechtlichen Rechtmäßigkeitsanforderungen kommt es vor
Ergehen des Widerspruchsbescheides auf den Zeitpunkt der gerichtlichen
Entscheidung an.
51
Vgl. dazu Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29. September 1998 - 1 C 8.96 -
InfAuslR 1999, S. 54, 55 m.w.N..
52
Deshalb hat das Gericht hier das Ausländergesetz vom 9. Juli 1990 (BGBl I 1354) in der
Fassung des Gesetzes vom 25. Mai 2000 (BGBl I 742 - im Folgenden AuslG) zu Grunde
zu legen.
53
aa) Der dazu zunächst erforderliche Ausweisungsgrund ergibt sich hier aus § 47 Abs. 1
Nr. 2 AuslG, den der Antragsteller mit der angeführten Verurteilung zu einer
Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten wegen einer Tat nach dem BtmG
verwirklicht.
54
Die Anwendbarkeit dieser Norm auf den Antragsteller ist entgegen dessen Ansicht auch
nicht etwa ausgeschlossen, wenn man zu seinen Gunsten annähme, er unterfiele Art 6
oder 7 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei
55
Amtliche Nachrichten der Bundesanstalt für Arbeit - ANBA 1981, 4 -; im Folgenden ARB
56
Das erkennende Gericht teilt nämlich nicht die Auffassung des Bayerischen
Verwaltungsgerichtshofes
57
vgl. Urteil vom 11. Juli 2000 -10 B 99-1889, InfAuslR 2000, S. 425,
58
der entschieden hat, dass die Vorschriften in § 47 AuslG über die Ist-Ausweisung und
die Regelausweisung auf türkische Staatsangehörige nicht anwendbar seien, weil sie
gegen das Verschlechterungsverbot des Art. 41 Abs. l des Zusatzprotokolls zum
Assoziationsvertrag EWG-Türkei verstießen. Für türkische Staatsangehörige würden
deshalb nur die Vorschriften über die Ermessensausweisung nach §§ 45, 46 AuslG
gelten.
59
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof stützt sich dabei auf das Urteil des
60
Europäischen Gerichtshofes
EuGH vom 11. Mai 2000 - Rechtssache C-37/98 - Savas - InfAuslR 2000, S. 326 f.;
61
zu Art 41 Abs. l des Zusatzprotokolls vom 23. November 1970 zum
Assoziationsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der
Türkei vom 12. September 1963.
62
Art 41 Abs. l dieses Zusatzprotokolls enthält ein Verschlechterungsverbot für türkische
Staatsangehörige („Stand-Still-Klausel") und entfaltet nach Auffassung des EuGH in den
Mitgliedsstaaten unmittelbare Wirkung. Es besagt, dass die Vertragsparteien
untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien
Dienstleistungsverkehrs einführen. Den Mitgliedstaaten ist es danach verwehrt, neue
Maßnahmen zu erlassen, die den Zweck oder die Folge haben, dass die Niederlassung
und damit verbunden der Aufenthalt eines türkischen Staatsangehörigen in diesem
Mitgliedstaat strengeren Bedingungen als denjenigen unterworfen werden, die zum
Zeitpunkt des Inkrafttretens dieses Zusatzprotokolls gegenüber den betreffenden
Mitgliedstaaten galten.
63
Daraus folgt jedoch kein allgemeines Anwendungsverbot bezüglich des § 47 Abs. 1
oder Abs. 2 AuslG 1990, auch wenn danach bei Vorliegen der Voraussetzungen die
Ausweisung zwingend bzw. in der Regel zu erfolgen hat, während über sie nach dem im
Zeitpunkt des Inkrafttretens des Zusatzprotokolls geltenden § 10 Abs. 1 AuslG 1965
nach Ermessen zu entscheiden war.
64
Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat nämlich nicht berücksichtigt,
65
vgl. auch Rittstieg, InfAuslR 2000, 428,
66
dass Art 41 des in Deutschland am 19. Mai 1972 in Kraft getretenen Zusatzprotokolls an
den die Niederlassungsfreiheit regelnden Art 13 und den den freien
Dienstleistungsverkehr erfassenden Art 14 des Assoziationsabkommens anknüpft.
Beide Artikel nehmen wiederum auf die entsprechenden Parallelvorschriften in Art 52 f.
bzw. Art 55 f. des EWG- Vertrages Bezug. Demgegenüber ist die
Arbeitnehmerfreizügigkeit ausschließlich in Art 12 des insoweit an Art 48 f. des EWG-
Vertrages anknüpfenden Assoziationsabkommens geregelt. Auf der Grundlage des Art.
12 des Assoziationsabkommens ist Art 36 des Zusatzprotokolls und darauf beruhend
der ARB 1/ 80 ergangen.
67
Das bedeutet, dass die „Stand-Still-Klausel" des Art 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls nur
die Niederlassungsfreiheit (sowie den freien Dienstleistungsverkehr) und damit
ausschließlich selbstständig Tätige, nicht aber Arbeitnehmer betrifft,
68
ebenso: Gutmann, Stand-Still im Assoziationsrecht, InfAuslR 2000, S. 318.
69
Deshalb ist jedenfalls die Anwendung des § 47 Abs. 1 und Abs. 2 AuslG auf nicht
selbstständig Tätige, zu denen auch der Antragsteller gehört, durch das EuGH-Urteil
vom 11. Mai 2000 nicht ausgeschlossen.
70
bb) Der Antragsgegner hat den dem Antragsteller zukommenden Ausweisungsschutz
beachtet.
71
Mit dem Antragsgegner vermag auch das Gericht nicht auszumachen, woraus sich
besondere Ausweisungsschutz für den Antragsteller ergeben sollte:
72
Inwiefern er die Voraussetzungen des Art 6 ARB erfüllen sollte, ist mangels
nachgewiesener Erwerbstätigkeit nicht ersichtlich; für Art 7 ARB fehlt für Satz 2 an der
Berufsausbildung des Antragstellers und Satz 1 am ordnungsgemäßen Wohnsitz, weil
der Antragsteller seit Ablauf der letzten Aufenthaltserlaubnis im Januar 1998 vollziehbar
ausreisepflichtig ist.
73
Aus dem gleichen Grunde entfallen die Absätze 1 bis 3 des § 48 Abs. 1 Satz 1 AuslG;
für eine Lebensgemeinschaft mit einem Deutschen (Nr. 4) trägt der Antragsteller nichts
vor. Für § 48 Abs. 2 AuslG ist der Antragsteller zu alt.
74
Dem Antragsteller steht auch kein erhöhter Ausweisungsschutz aus dem Europäischen
Niederlassungsabkommen
75
vom 13. Dezember 1955, verkündet mit Gesetz vom 30. September 1959 - BGBl II S.
997 - im Folgenden ENA;
76
für die Türkei gemäß Art 34 Abs. 1 und 3 in Kraft getreten durch Hinterlegung der
Ratifikationsurkunde beim Generalsekretär des Europarates am 20. März 1990;
77
zu, weil er seit Ablauf seiner letzten Aufenthaltsgenehmigung im Januar 1998 jedenfalls
nicht mehr über den in Art 3 Abs. 1 wie Abs. 3 ENA geforderten "ordnungsgemäßen"
Aufenthalt verfügt;
78
dazu, dass auch schon eine nur kurzfristige Lücke in der Kette der erforderlichen
Aufenthaltsgenehmigungen die Ordnungsgemäßheit des Aufenthaltes beseitigt, vgl.:
Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 19. August 1993 - 1 B 49.93 -, InfAuslR
1994, S. 98 Urteil vom 17. Juni 1998 - 1 C 27.96 -.
79
Soweit sich der Antragsteller mit dem Hinweis darauf, seine ganze nähere Familie lebe
in xxxx, auf Art 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten
80
vom 4. November 1950; verkündet mit Gesetz vom 7. August 1952 - BGBl II S. 685 -; im
Folgenden EMRK
81
beruft, kann dahinstehen, ob er dieser Bestimmung tatbestandlich unterfällt. Denn sie
lässt sich zwar der gedanklichen Ebene des Ausweisungsschutzes zuordnen,
82
vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17. Juni 1998 - 1 C 27.96 -,
83
steht einer Einzelausweisung aber keineswegs generell entgegen
84
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27. Januar 1998 - 1 C 28.96 -, NVwZ 1998, S.
745, 748;
85
Auch hegt das Gericht
86
Beschlüsse vom 14. August 2000 - 24 L 1401/00 -; vom 12. September 2000 - 24 L
87
1895/00 -; vom 17. Oktober 2000 - 24 L 1895/00 -; Gerichtsbescheid vom 30. Juni 1999 -
24 K 2848/99 -,
keine Zweifel, dass die Bestimmungen der §§ 45 ff AuslG in ihrer Differenziertheit
hinsichtlich Anlass und Rechtsfolge einer Ausweisung sowie wegen der nach § 45 Abs.
2 AuslG ausdrücklich zu berücksichtigenden persönlichen Aspekte den formellen und
inhaltlichen Anforderungen genügen, die der Europäische Gerichtshof für
Menschenrechte
88
in seinen Urteilen vom 13. Juli 1995 - Nr. 18/1994/465/564 - InfAuslR 1996, S. 1 ff; und
vom 9. August 1996 - Nr. 35/1995/541/627 - InfAuslR 1997, S. 185, 186
89
aufgestellt hat;
90
so auch Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17. Juni 1998 - 1 C 27.96 -.
91
Insbesondere hat auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte nicht etwa
bezweifelt, dass eine Ausweisung zur Prävention vor der Begehung weiterer Straftaten
eine Maßnahme ist, die mit den Vorbehalten des Art 8 Abs. 2 EMRK unter dem Aspekt
der dort genannten „Verteidigung der Ordnung" ein legitimes Mittel darstellt.
92
EuGH MR, Urteil vom 13. Juli 1995 - Nr. 18/1994/465/564 - InfAuslR 1996, S. 1 , Nr. 37.
93
So auch Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 27. Januar 1998 - 1 C 28.96 -, NVwZ
1998, S. 745, 748.
94
Deshalb kann auf sich beruhen, inwiefern die als einfaches Bundesgesetz umgesetzte
EMRK mit ihrem dem AuslG gleichen Rang letztere trotz ihres Alters modifizieren
könnte;
95
vgl. zu diesbezüglichen Bedenken auch Hamburgisches Oberverwaltungsgericht,
Beschluss vom 11. August 1997 - OVG Bs VI 21/97 -; ebenso offen gelassen im
Gerichtsbescheid des Gerichts vom 3. Februar 1998 - 24 K 9408/97 -; und in den
Beschlüssen vom 14. August 2000 - 24 L 1401/00 - vom 12. September 2000 - 24 L
1895/00 -.
96
Mithin ist auch nicht ersichtlich, dass der Antragsgegner dem Wortlaut des AuslG nach
auf spezialpräventive Erwägungen beschränkt gewesen wäre, sodass es unschädlich
ist, wenn er die in solchem Fall zu verlangenden Aufklärungsmaßnahmen insbesondere
in Gestalt der Beziehung der Strafakten nicht ergriffen hat.
97
cc) Der Antragsgegner hat die sich aus dem einschlägigen Ausweisungsschutz sowie
den gesetzlichen Vorgaben zur Rechtsfolge ergebenden Maßstäbe erkannt und ist
davon auch nicht zum Nachteil des Antragstellers abgewichen. Ferner hat er alle
erheblichen Aspekte berücksichtigt.
98
(1) Nach den vorstehenden Darlegungen zum Ausweisungsgrund und
Ausweisungsschutz war die Ausweisung als solche in § 47 Abs. 1 AuslG als zwingende
Rechtsfolge vorgesehen.
99
Es ist freilich nicht zu beanstanden, wenn der Antragsgegner darüber hinaus
100
ausdrücklich spezialpräventive Erwägungen angestellt und seine Entscheidung tragend
auch auf die individuelle Wiederholungsgefahr in der Person des Antragstellers gestützt
hat.
Ausgangspunkt der Überlegungen ist insoweit, dass die Anforderungen an die
Wahrscheinlichkeit neuerlicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit nach gesicherter
gefahrenabwehrrechtlicher Betrachtungsweise umso niedriger sind, je höher das
Schutzbedürfnis des gefährdeten Rechtsgutes anzusiedeln ist;
101
vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen, Urteil vom 17. März
1998 - 18 A 4002/96 -; Beschluss vom 12. Juni 1998 - 18 B 81/98 -; Beschluss vom 14.
Mai 1999 - 18 B 969/98 -.
102
Gemessen daran sind an die individuelle Wiederholungsgefahr in der Person des
Antragstellers keine allzu hohen Anforderungen zustellen, stehen doch hinter der
Strafbarkeit der Einfuhr von Heroin mit Leib und Leben besonders bedeutsame
Schutzgüter. Demgegenüber ist nicht dargetan, warum der Antragsteller im Falle einer
Haftentlassung in Zukunft mit der erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit straffrei leben
sollte: Er räumt selbst ein, dass seine erhebliche Straffälligkeit im letzten Jahrzehnt mit
seiner ebenso langen Betäubungsmittelabhängigkeit zusammenhängt, die er zu
überwinden selbst allenfalls eine Chance sähe, wenn er eine stationäre Therapie
durchliefe. Eine solche hat er - aus welchen Gründe auch immer - im ersten Anlauf
abgebrochen; wann genau er aus der Einrichtung „geflohen" ist, ist nicht vorgetragen;
die stattdessen vorgetragenen Gründe erscheinen nicht auf Anhieb überzeugend, ist es
doch nicht allzu verwunderlich, dass eine Therapieeinrichtung auf sehr strenge
Disziplinierungsmaßnahme angewiesen ist und erscheinen ausgedehnte Arbeitszeiten
nicht von vornherein ungeeignet, um Langzeitabhängige an einen anderen,
gesellschaftskonformeren Alltag zu gewöhnen; jedenfalls ist der Antragsteller nach
seinem Ausscheiden aus der Einrichtung offenbar alsbald wieder rückfällig geworden.
Dass er dann alsbald auch wider die Hilfe der ambulanten Suchtberatung in xxxx
gesucht hat, ist löblich, war aber offenbar allein nicht hinreichend, wurde er doch im Mai
2000 auf der Ausländerbehörde mit Haschisch festgenommen. Zudem ist nicht
dargetan, dass der Antragsteller Aussicht darauf hätte, eine stationäre Therapie der von
ihm gewünschten Qualität fände eine Kostenträger. Des Weiteren verfügt der
Antragsteller nach wie vor über keinerlei Qualifikation für einen echten Beruf, sodass -
von der Vorbestraftheit sowie der Entwöhnung von regelmäßiger Arbeit einmal
abgesehen - es kaum aussichtsreich erscheint, für ihn einen Arbeitsplatz zu finden.
Deshalb liegt es nicht fern zu befürchten, der Antragsteller werde erneut (wie zuletzt
Anfang 2000) in die Betäubungsmittelszene abgleiten und dort erneut straffällig werden.
103
(2) Ferner hat der Antragsgegner die in § 45 Abs. 2 AuslG genannten Aspekte im
Umfange ihrer tatsächlichen Einschlägigkeit berücksichtigt und zutreffend gewürdigt.
104
Eine nach § 45 Abs. 2 Nr. 1 AuslG zu schützende
105
vgl. Meyer NVwZ 1984, S. 13, 20 m.w.N. aus der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts.
106
selbst geschaffene Lebensgrundlage hat der Antragsteller nicht vorzuweisen.
107
Im Hinblick auf die Gesichtspunkte nach § 45 Abs. 2 Nr. 2 oder 3 AuslG hat der
108
Antragsgegner mangels konkreten Anlasses zutreffend keine weiteren Überlegungen
angestellt.
c) Die gebotene Interessenabwägung
109
vgl. dazu, dass auch bei summarischer Rechtmäßigkeit der Ausweisung das Gericht
gehalten ist, das im Gesetz geforderte besondere öffentliche Interesse an der sofortigen
Vollziehbarkeit zu prüfen, Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. September
1995 - 2 BvR 1179/95 -; InfAuslR 1995, S. 397, 402;
110
geht in Anbetracht der dargelegten erheblichen spezialpräventiven Gründe zu Lasten
des Antragstellers aus.
111
2. Auch hinsichtlich der Abschiebungsanordnung
112
- mit diesem Ausdruck bezeichnet das Gericht die Anordnung einer Abschiebung aus
der Haft nach den §§ 49 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1, 50 Abs. 5 AuslG ohne Belassung
einer Frist zur freiwilligen Ausreise; die gleiche Terminologie verwendet der Bayerische
Verwaltungsgerichtshof in seinem Beschluss vom 4. September 1998 - 10 CS 98/2114 -
NVwZ 1998, 96, 97 -; vgl. auch die §§ 34 und 34a AsylVfG - dazu
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25.
September 2000 - 18 B 1783/99 -;
113
ist der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs statthaft;
114
zur VA-Qualität der Abschiebungsanordnung: Hamburgisches Oberverwaltungsgericht,
Beschluss vom 15. April 1996 - Bs VI 71/96 -; EZAR 042 Nr. 1, S. 4; Renner,
Ausländerrecht, Kommentar, 7. Aufl. 1999, § 49 Rdnr. 14; ebenso das Gericht in seinen
Beschlüssen vom 23. April 1997 - 24 L 1899/97 -; vom 15. November 2000 - 254 L
2341/00 -; vom 16. November 2000 - 2655/00 -; vom 21. Dezember 2000 - 24 L 2950/00
-,
115
dazu, dass nach Ansicht des Gerichts auch eine Abschiebungsanordnung nach den
Regeln für die Vollziehbarkeit vollstreckungsrechtlicher Maßnahmen kraft Gesetzes
sofort vollziehbar ist, vgl.: Beschlüsse des Gerichts vom 6. Oktober 1997 - 24 L 3798/97 -
; vom 15. November 2000 - 254 L 2341/00 -; vom 16. November 2000 - 2655/00 - ; vom
21. Dezember 2000 - 24 L 2950/00 -.
116
Der mithin zulässige Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des
Widerspruchs gegen die Abschiebungsanordnung ist aber unbegründet, weil nicht
ersichtlich ist, warum die Anordnung rechtswidrig sein sollte. Vielmehr sind die
gesetzlichen Voraussetzungen für die angeordnete Abschiebung aus der Haft erfüllt:
117
Vgl. dazu, dass die gesetzlichen Voraussetzungen der Abschiebungsanordnung mit
denen der eigentlichen Abschiebung identisch sind: Bundesverwaltungsgericht,
Beschluss vom 22. August 1986 - 1 C 34/83 -, NVwZ 1987, S. 57 LS 1.
118
Dass der Antragsteller vollziehbar ausreisepflichtig ist, ergibt sich (auch) aus der sofort
vollziehbaren Ausweisung. Dass er auf richterliche Anordnung in Haft ist, ist bei einer
noch andauernden Strafhaft nicht zweifelhaft.
119
Vgl. dazu Renner, § 49 Rdnr. 5.
120
Dass der Antragsgegner dem Antragsteller zunächst keine Ausreisefrist gesetzt hat,
steht mit § 50 Abs. 5 Satz 1 AuslG in Einklang. Der Belassung einer Frist zu einer nach
dem Willen von Gesetz und Behörde noch möglichen und an sich gewollten freiwilligen
Ausreise, wie sie § 50 Abs. 1 Satz 1 AuslG vorsieht,
121
zur begrifflichen Identität der „Ausreisefrist" in § 42 Abs. 3 Satz 1 und 2 AuslG einerseits
und § 50 Abs. 1 AuslG andererseits sowie dazu, dass es Wesen dieser „Ausreisefrist"
ist, einer Abschiebung durch eine freiwillige Ausreise zuvorkommen zu können, vgl.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 22. Dezember 1997 - 1 C 14.96 -; InfAuslR 1998,
S. 217, 218; Richter, NVwZ 1999, S. 726, 731; Beschluss des Gerichts vom 28. Juli
1999 - 24 L 2393/99 -; Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 11. Oktober 1999 - VG 34 F
14.98 -,
122
bedarf es in Fällen der vorliegenden Art nicht, weil das Gesetz mit § 49 Abs. 2 Satz 1
AuslG davon ausgeht, dem Betroffenen dürfe wegen der Überwachungsbedürftigkeit
seiner tatsächlichen Entfernung aus dem Bundesgebiet gar nicht die Möglichkeit
eingeräumt werden, binnen einer Frist seiner Ausreisepflicht freiwillig nachzukommen.
123
Das Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 25. September 1997 - 1 C 3.97 - InfAuslR
1997, Seite 12, spricht im Zusammenhang mit § 49 Abs. 1 AuslG von der
„Abschiebeverpflichtung" der Ausländerbehörde; das Verwaltungsgericht Sigmaringen
Urteil vom 7. September 1998 - A 7 K 11404/98 - NVwZ Beilage 1/1999, S. 5, 7, geht
davon aus, im Falle des § 49 AuslG habe die Ausländerbehörde kein Ermessen.
124
Dass die tatsächliche Entfernung des Antragstellers aus dem Bundesgebiet nicht nur
wegen des Umstandes, dass er in Haft sitzt, sondern auch aus gleichsam inhaltlichen
Gründen der Überwachung bedarf,
125
vgl. zu diesem Erfordernis: Beschlüsse des Gerichts vom 6. Oktober 1997 - 24 L
3798/97 -; vom 15. November 2000 - 24 L 2341/00 -; vom 16. November 2000 - 24 L
2655/00 -; vom 21. Dezember 2000 - 24 L 2950/00 -; Baden-Württembergischer
Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 14. November 1991 - 13 S 2481/91 -, EZAR
044 Nr. 1 -, S. 4; Hailbronner, a.a.O., § 50 Rdnr. 21.
126
ergibt sich hier aus der bereits erwähnten individuellen Gefährlichkeit des
Antragstellers.
127
Vor einer tatsächlichen Abschiebung wird der Antragsgegner der Ankündigungspflicht
nach § 50 Abs. 5 Satz 2 AuslG zu genügen haben.
128
Dazu, dass diese Abschiebungsankündigung funktionell hinsichtlich der Möglichkeit für
den Betroffenen, seine persönlichen Dinge zu regeln, und hinsichtlich der Möglichkeit,
um Rechtsschutz nachsuchen zu können, mit der - allerdings um die Möglichkeit der
freiwilligen Ausreise weiter gehenden - Ausreisefrist identisch ist, vgl.
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 22. Dezember 1997 - 1 C 14.96 -; InfAuslR 1998,
S. 217, 218; Richter, NVwZ 1999, S. 726, 731.
129
Schließlich bleibt der Antrag auch hinsichtlich der hilfsweise verfügten Androhung der
Abschiebung ohne Erfolg. Es kann dahinstehen, ob für eine solche Regelung neben
130
oder nach einer Abschiebungsanordnung Anlass und Raum ist. Denn falls der
Antragsteller tatsächlich wie angeordnet aus der Haft heraus abgeschoben wird,
entfaltet die Abschiebungsandrohung gar keine Wirkung. Gelangt der Antragsteller
entgegen der Intention des Antragsgegners doch noch im Bundesgebiet auf freien Fuß,
sodass die Abschiebungsandrohung überhaupt zum Zuge kommt, bestehen gegen ihre
Vollziehbarkeit in der Sache keine Bedenken, weil sie sich bei summarischer Prüfung
als rechtmäßig erweist. In Anbetracht dessen bestand für das Gericht keine
Veranlassung, trotz der Vorbewertung des Gesetzgebers in den §§ 80 Abs. 2 Satz 2
VwGO, 8 Satz 1 AG VwGO NW kein Überwiegen des öffentlichen Vollzugsinteresses
anzunehmen, zumal der Antragsteller keine Umstände dargetan hat, die dies in seinem
Falle als besondere persönliche Härte erscheinen lassen (vgl. § 80 Abs. 4 Satz 3
VwGO).
Die Abschiebungsandrohung ist in der gebotenen Schriftform ergangen und zu Recht
mit der Ausweisung verbunden worden (vgl. § 50 Abs. 1 AuslG). Die dem Antragsteller
belassene Frist zur freiwilligen Ausreise (vgl. § 50 Abs. 1 Satz 1 AuslG) von 3 Tagen ab
Entlassung ist denkbar knapp, erscheint jedoch in Anbetracht der Gefährlichkeit des
Antragstellers noch angemessen.
131
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ist
nach den §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 20 Abs. 3 GKG erfolgt. Dabei hat das Gericht der mit der
Ausweisung ausgesprochenen Abschiebungsandrohung als einem Annex zu jener
keine eigene Relevanz im Hinblick auf den Streitwert beigemessen.
132
133