Urteil des VG Düsseldorf vom 30.11.1999

VG Düsseldorf: bvo, beihilfe, anerkennung, ärztliche behandlung, stationäre behandlung, ärztliche verordnung, wissenschaft, fürsorgepflicht, belgien, heilbehandlung

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 26 K 6048/98
Datum:
30.11.1999
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
26. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
26 K 6048/98
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird
gestattet, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung
in Höhe des beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn nicht der
Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Der Kläger steht als Beamter im Dienst des Beklagten.
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Der am xxxxxxxxx 1994 geborene Sohn des Klägers leidet an cerebralen
Bewegungsstörungen und Wahrnehmungsstörungen. Dies führt dazu, daß seine
Feinmotorik und seine Sprache nicht altersentsprechend ausgebildet sind.
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Unter dem 2. Februar 1998 beantragte der Kläger bei dem Beklagten Beihilfe zu
Aufwendungen gemäß zwei Rechnungen des xxxxxxxxxxx xxxxxx in xxxx xxxxxxx,
Belgien vom 3. Februar 1997 über 28.800 Bfrs., umgerechnet 1.440,00 DM, und vom 14.
Februar 1997 über 27.160,00 Bfrs., umgerechnet 1.358,00 DM. Diese Rechnungen
betrafen die Behandlung des Sohnes des Klägers im Rahmen der sog. Tomatis-
Therapie.
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Mit Bescheid vom 9. Februar 1998 lehnte der Beklagte die Gewährung einer Beihilfe zu
diesen Aufwendungen ab. Zur Begründung verwies er darauf, daß es sich bei der
Tomatis- Therapie nicht um eine allgemein wissenschaftlich anerkannte
Behandlungsmethode handele.
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Am 9. März 1998 legte der Kläger gegen diesen Bescheid Widerspruch ein. Zur
Begründung seines Widerspruchs verwies er darauf, daß die Tomatis-Therapie in den
fünfziger Jahren von dem französischen Arzt Prof. Dr. Tomatis entwickelt und bei
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zehntausenden Patienten erfolgreich angewendet worden sei. Die Therapie sei auch im
Laufe der Zeit allgemein als wissenschaftlich zutreffend befunden worden. Im konkreten
Fall seines Sohnes habe die Tomatis-Therapie zu deutlichen Verbesserungen geführt.
Unter dem 17. März 1998 beantragte der Kläger bei dem Beklagten Beihilfe zu
Aufwendungen in Höhe von insgesamt 2.633,14 DM, darunter Aufwendungen in Höhe
von umgerechnet 935,00 DM für zwei weitere Rechnungen des xxxxxxxxxxxxxxxxxx
vom 19. und 21. März 1997 wiederum für die Behandlung des Sohnes des Klägers im
Rahmen der sog. Tomatis-Therapie.
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Mit Bescheid vom 18. März 1998 gewährte der Beklagte dem Kläger auf diesen Antrag
hin eine Beihilfe in Höhe von 336,23 DM. Nicht als beihilfefähig anerkannt wurden u.a.
wiederum die Aufwendungen des Klägers für die Behandlung seines Sohnes im
Rahmen der Tomatis-Therapie. Hiergegen legte der Kläger unter Hinweis auf den
vorangegangenen Widerspruch am 27. April 1998 ebenfalls Widerspruch ein.
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Unter dem 30. April 1998 beantragte der Kläger bei dem Beklagten Beihilfe zu
Aufwendungen in Höhe von insgesamt 1.038,98 DM, darunter Aufwendungen in Höhe
von umgerechnet 836,00 DM für zwei weitere Rechnungen des xxxxxxxxxxxxxxxxxx
vom 2. und 5. Mai 1997 wiederum für die Behandlung des Sohnes des Klägers im
Rahmen der sog. Tomatis-Therapie.
9
Mit Bescheid vom 7. Mai 1998 gewährte der Beklagte dem Kläger auf diesen Antrag hin
eine Beihilfe in Höhe von 161,98 DM. Nicht als beihilfefähig anerkannt wurden u.a.
wiederum die Aufwendungen des Klägers für die Behandlung seines Sohnes im
Rahmen der Tomatis-Therapie. Hiergegen legte der Kläger unter Hinweis auf die
vorangegangenen Widersprüche am 22. Mai 1998 ebenfalls Widerspruch ein.
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Mit Schreiben vom 17. Juni 1998 teilte das Gesundheitsamt des Beklagten auf
entsprechende Anfrage hin mit, daß die Tomatis-Therapie, die auch Audio-Psycho-
Phonologie genannt werde, zu den wissenschaftlich nicht anerkannten
Behandlungsmethoden gehöre. Klinische Studien, die Hinweise auf eine mögliche
Wirksamkeit der Tomatis-Therapie ergeben könnten, lägen nicht vor. Daraufhin wies der
Beklagte die Widersprüche des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 1998
als unbegründet zurück. Zur Begründung führte er aus, daß die Tomatis-Therapie nicht
allgemein wissenschaftlich anerkannt sei.
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Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 3. Juli 1998 zugestellt. Der Kläger hat
hiergegen am 15. Juli 1998 Klage erhoben.
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Zur Begründung seines Klagebegehrens verweist der Kläger zunächst auf seine
Ausführungen im Verwaltungsverfahren. Ergänzend trägt er vor, daß es sich bei der
Tomatis-Therapie jedenfalls um eine wissenschaftlich noch nicht anerkannte
Behandlungsmethode handele, so daß die diesbezüglichen Aufwendungen im
Einzelfall beihilfefähig sein könnten. Im übrigen käme es auf die Frage der
wissenschaftlichen Anerkennung einer Behandlungsmethode nicht an, wenn diese - wie
hier - erfolgreich gewesen sei. Zum Nachweis des Behandlungserfolges hat der Kläger
Stellungnahmen der Kinderärztin xxxxxxxx vom 27. Oktober 1998 und der
behandelnden Physiotherapeutin xxx vom 17. November 1998 vorgelegt, auf die wegen
der weiteren Einzelheiten verwiesen wird.
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Der Kläger beantragt,
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den Beklagten unter entsprechender Aufhebung der Bescheide vom 9. Februar 1998,
26. März 1998 und 7. Mai 1998 und unter Aufhebung des Widerspruchsbescheides vom
30. Juni 1998 zu verpflichten, ihm auf seinen Antrag vom 2. Februar 1998 Beihilfe in
Höhe von 2.238,40 DM zu gewähren, auf seinen Antrag vom 17. März 1998 hin weitere
Beihilfe in Höhe von 748,00 DM und auf seinen Antrag vom 30. April 1998 hin weitere
Beihilfe in Höhe von 669,20 DM.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wiederholt und vertieft er seine Ausführungen in den angefochtenen
Bescheiden.
18
Das Gericht hat zu der Frage der wissenschaftlichen Anerkennung der Tomatis-
Therapie Auskünfte des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 31.
Mai 1999 und des Arztes xxxxxxxxxxxxxxxxxx von der Universität xxxx vom 1. Juli 1999
eingeholt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf das jeweilige Schreiben
verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Der Einzelrichter ist für die Entscheidung zuständig, nachdem der Rechtsstreit durch
Beschluß der Kammer vom 6. Juli 1999 gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1
Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) dem Berichterstatter als Einzelrichter zur
Entscheidung übertragen worden ist.
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Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
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Die angefochtenen Beihilfebescheide des Beklagten vom 9. Februar 1998, 26. März
1998 und 7. Mai 1998 und dessen Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 1998 sind
rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 und 5
VwGO). Der Kläger hat keinen Anspruch auf Beihilfe zu seinen mit den Anträgen vom 2.
Februar 1998, 17. März 1998 und 30. April 1998 geltend gemachten Aufwendungen für
die Behandlung seines Sohnes im Rahmen der sog. Tomatis- Therapie.
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Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung über die Gewährung von Beihilfen in
Krankheits-, Geburts- und Todesfällen (Beihilfenverordnung - BVO) vom 27. März 1975
(GV. NW S. 332) in der insoweit maßgeblichen Fassung der 14. Verordnung zur
Änderung der Beihilfenverordnung vom 25. Juni 1997 (GV. NW S. 192) sind in
Krankheitsfällen beihilfefähig die zur Wiedererlangung der Gesundheit und zur
Besserung oder Linderung von Leiden notwendigen Aufwendungen in angemessenem
Umfange. Nach § 4 Nr. 1 Satz 1 BVO umfassen die beihilfefähigen Aufwendungen die
Kosten für die Untersuchung, Beratung und Verrichtung sowie Begutachtung durch
einen Arzt. Nach § 4 Nr. 1 Satz 2 BVO sind allerdings Aufwendungen für eine
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wissenschaftlich nicht anerkannte Heilbehandlung von der Beihilfefähigkeit
ausgeschlossen. Aufwendungen für wissenschaftlich noch nicht anerkannte
Heilbehandlungen können gemäß § 4 Nr. 1 Satz 3 BVO aufgrund des Gutachtens eines
Amts- oder Vertrauensarztes von der obersten Dienstbehörde für beihilfefähig erklärt
werden, wenn wissenschaftlich anerkannte Heilbehandlungen ohne Erfolg angewendet
worden sind.
Wissenschaftlich anerkannt ist eine Behandlungsmethode, wenn sie von den
Wissenschaftlern, die in dem durch die zu behandelnde Krankheit und die Art der
Behandlung gekennzeichneten Fachbereich tätig sind, aufgrund wissenschaftlicher
Erkenntnisse als für eine Behandlung der Krankheit wirksam angesehen wird. Die
Überzeugung von der Wirksamkeit muß allerdings nicht in jedem Falle in der Fachwelt
uneingeschränkt und einhellig geteilt werden. Das würde der Vielfalt wissenschaftlich
begründeter Standpunkte und Erkenntnisse und der darauf gestützten
Behandlungsmethoden nicht gerecht werden. Das Merkmal der wissenschaftlichen
Anerkennung setzt aber doch eine weitgehende Zustimmung der im Fachbereich tätigen
Wissenschaftler voraus und ist insbesondere dann nicht gegeben, wenn eine größere
Anzahl namhafter Autoren oder wichtige wissenschaftliche Gremien die
Behandlungsmethode aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse als nicht wirksam
ansehen. Wissenschaftlich anerkannt in diesem Sinne können durchaus verschiedene
Methoden und Mittel sein; dies gilt auch dann, wenn eine Methode oder ein Mittel
bevorzugt angewandt wird. Entscheidend kann in diesem Zusammenhang nur sein, ob
auch die Außenseitermethode von der herrschenden wissenschaftlichen Meinung als
wirksam und geeignet angesehen wird,
26
so Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen, Urteile vom 25. Mai 1994
- 6 A 2192/88 - und vom 23. März 1995 - 6 A 3871/93 - sowie Beschluß vom 17. Juli
1997 - 6 A 2796/97 -,
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oder wenn die Behandlungsmethode in Kreisen der Wissenschaftler zumindest von
einer gewichtigen Minderheit als therapiewirksam angesehen wird,
28
so Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein- Westfalen, Urteil vom 29. Juni 1994
- 12 A 1449/91 -; Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 12. Februar 1997 - 10 K
13113/94 -.
29
Der Begriff der "wissenschaftlich nicht anerkannten Heilbehandlung" im Sinne des § 4
Nr. 1 Satz 2 BVO erfaßt danach nicht nur Verfahren, deren Unwissenschaftlichkeit
gewissermaßen auf der Hand liegt, weil sie auf Aberglauben oder anderen neben der
Sache liegenden Überzeugungen beruhen, oder deren Unwirksamkeit nachgewiesen
ist; erfaßt werden auch Methoden, deren Geeignetheit lediglich von der unter
Wissenschaftlern herrschenden Auffassung mit der Folge in Zweifel gezogen wird, daß
sich die Befürworter dieser Methode in einer wissenschaftlichen Außenseiterposition
befinden und nicht einmal als gewichtige Mindermeinung angesehen werden können.
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So auch Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteil vom 12. Februar 1997 - 10 K 13113/94 -,
Urteil vom 30. Juni 1998 - 26 K 4828/96 -.
31
Diese Auslegung von § 4 Nr. 1 S. 2 BVO ergibt sich aus folgenden Erwägungen: Nach
dem Wortlaut der Vorschrift hängt die Beihilfefähigkeit einer bestimmte
Behandlungsmethode davon ab, ob diese die (positive) Voraussetzung erfüllt,
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wissenschaftlich anerkannt zu sein. Liegt diese Voraussetzung nicht vor, ist die
Behandlungsmethode also nicht wissenschaftlich anerkannt, sind die entsprechenden
Aufwendungen nicht beihilfefähig. Damit hat der Verordnungsgeber die Beihilfefähigkeit
nicht erst dann ausgeschlossen, wenn die Unwissenschaftlichkeit oder Unwirksamkeit
der Methode feststeht oder ihre (allgemeine) Ablehnung festgestellt ist, sondern bereits
dann, wenn ihre Anerkennung nicht festgestellt werden kann. Insoweit normiert die
Vorschrift kein Tatbestandsmerkmal für einen Ausschluß der Beihilfefähigkeit, sondern
ein Tatbestandsmerkmal für die Beihilfefähigkeit. Dementsprechend ist die
Beihilfefähigkeit schon dann nicht gegeben, wenn dieses Tatbestandsmerkmal nicht
erfüllt ist.
Weiter ist zu berücksichtigen, daß der unbestimmte Rechtsbegriff, den der
Verordnungsgeber in § 4 Nr. 1 Satz 2 BVO zur Abgrenzung der Beihilfefähigkeit
verwendet hat, auf einen außerrechtlichen Maßstab, nämlich das, was von "der
Wissenschaft" anerkannt worden ist, verweist. Das bedeutet nichts anderes, als daß auf
die unter den Wissenschaftlern herrschende Auffassung abzustellen ist, wobei hier
dahinstehen kann, in welchem Umfang diese herrschende Auffassung bestehen muß.
Für diese Auslegung spricht schließlich auch die Regelung über die Beihilfefähigkeit
der "noch nicht wissenschaftlich anerkannten" Heilbehandlungen (§ 4 Nr. 1 Satz 3
BVO), deren Beihilfefähigkeit ausnahmsweise - und unter bestimmten weiteren
Voraussetzungen - erklärt werden kann, wenn wissenschaftlich anerkannte
Heilbehandlungen ohne Erfolg angewendet worden sind. Diese Regelung wäre
überflüssig, wenn jedes Verfahren, welches überhaupt aus wissenschaftlichen
Erwägungen heraus als wirksam angesehen wird, bereits als "wissenschaftlich
anerkannt" zu gelten hätte.
33
Nach diesen Maßstäben ist die sog. Tomatis-Therapie als wissenschaftlich nicht
anerkannte Heilbehandlung zu qualifizieren. Es ist nicht ersichtlich, daß diese Therapie
von der herrschenden wissenschaftlichen Meinung oder auch nur einer gewichtigen
Minderheit als wirksam und geeignet angesehen würde. Die von dem Beklagten
eingeschaltete Amtsärztin hat in ihrer Stellungnahme vom 17. Juni 1998 ausgeführt, daß
die Tomatis-Therapie auf den Hypothesen von Prof. Tomatis basiere, die bis heute
wissenschaftlich nicht belegt seien; klinische Studien, die Hinweise auf eine mögliche
Wirksamkeit der Tomatis-Therapie geben könnten, lägen nicht vor. In Übereinstimmung
hiermit heißt es in dem Schreiben des Bundesausschusses der Ärzte und
Krankenkassen vom 31. Mai 1999 an das Gericht, eine Medline-Recherche in der
medizinisch-wissenschaftlichen Literatur zur Tomatis-Therapie, d.h. eine
computergestützte Recherche in der entsprechenden elektronischen Datenbank für
medizinisch-wissenschaftliche Veröffentlichungen, sei ergebnislos verlaufen. Ebenso
führt der Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie des
Kindes- und Jugendalters der Universität zu xxxxx Prof. Dr. xxxxxxxxx in seinem
Schreiben vom 1. Juli 1999 an das Gericht aus, daß ihm zur Zeit keine empirische
Untersuchung bzw. Evaluation der Tomatis-Therapie bekannt sei. Soweit der Arzt Dr.
xxxxxxx unter dem 5. März 1996 von einer Verlaufs-Untersuchung des italienischen
Psychiaters Dr. xxxxxxxxx im Jahre 1995 berichtet hat, handelt es sich hierbei
offenkundig um eine vereinzelt gebliebene Untersuchung, deren Einzelheiten zudem
nicht bekannt sind und bei der vor allem die sog. Tomatis-Therapie nur ein Element
neben anderen im Rahmen einer integrativen audio-vocalen Therapie bildete.
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Auch dem Vorbringen des Klägers sind keine substantiierten Hinweise auf klinische
Untersuchungen der Tomatis-Therapie oder gar auf Befürworter dieser Therapie in der
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Wissenschaft zu entnehmen. Die von ihm im Widerspruchsverfahren aufgestellte
Behauptung, die Tomatis-Therapie sei im Laufe der Zeit in allen Auffassungen als
allgemein wissenschaftlich zutreffend befunden worden, ist nicht weiter belegt. Der im
Klageverfahren vorgelegte Bericht zur Sitzung der Académie nationale de médecine
vom 4. Juni 1957 ist insoweit ebenfalls ohne Aussagekraft; zum einen behandelt er
lediglich die medizinisch-physikalischen Ansatzpunkte und nicht etwa die Eignung der
Tomatis-Therapie als Behandlungsmethode. Zum zweiten ergeben sich hieraus
keinerlei Hinweise auf die Rezeption der Erkenntnisse oder Hypothesen des Professors
Tomatis in der Wissenschaft. Insbesondere läßt sich aus diesem Bericht schon im
Hinblick auf den Zeitpunkt seiner Erstellung nicht entnehmen, daß die Tomatis-Therapie
heute von der Mehrheit der Wissenschaftler oder auch nur von einer gewichtigen
Minderheit anerkannt wäre.
Ohne Aussagekraft ist weiter die Behauptung des Klägers, die Wirksamkeit der Tomatis-
Therapie sei durch eine dreijährige Versuchsreihe in Belgien belegt. Es ist nicht
ersichtlich, daß diese Versuchsreihe irgendwelche Auswirkungen auf die Frage der
wissenschaftlichen Anerkennung dieser Therapie gehabt hätte.
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Die weiteren von dem Kläger vorgelegten Unterlagen belegen ebenfalls nicht, daß die
Tomatis-Therapie wissenschaftlich anerkannt ist. Aus ihnen ergibt sich vielmehr, daß
eine solche Anerkennung nicht vorliegt. So heißt es in der Stellungnahme des Arztes
Dr. xxxxxxxxxxxxxxx vom 1. April 1998, daß sich die Schulmedizin erst bemühe, die
Klangtherapien wissenschaftlich zu erforschen; aufgrund der reproduzierbaren und auch
objektivierten Erfolge sei die Therapie der Wissenschaft voraus. In dem undatierten
Gutachten der Ärztin Dr. xxxxxxx heißt es, daß die therapeutische Effektivität der
Tomatis- Therapie angezweifelt werde, weil umfassendere und statistisch gesicherte
wissenschaftlich-medizinische Arbeiten hierzu nicht vorlägen. Die meisten HNO-Ärzte in
Frankreich und Deutschland seien von der Effektivität der Tomatis-Therapie nicht
überzeugt und lehnten sie deshalb ab.
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Liegen nach alledem noch nicht einmal wissenschaftliche Studien zu der Tomatis-
Therapie vor, geschweige denn, daß sich Befürworter dieser Therapie in der
Wissenschaft ermitteln ließen, kann von einer wissenschaftlichen Anerkennung dieser
Therapie nicht die Rede sein. Auch Prof. Dr. xxxxxxxx führt dementsprechend in seinem
Schreiben vom 1. Juli 1999 aus, daß weder bei der Behandlung von autistischen
Kindern noch bei anderen Teilleistungsstörungen derzeit von einer wissenschaftlichen
Anerkennung dieser Behandlungsmethode auszugehen sei.
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Aus denselben Gründen handelt es sich bei der Tomatis- Therapie auch nicht um eine
"wissenschaftlich noch nicht anerkannte" Behandlungsmethode im Sinne des § 4 Nr. 1
S. 3 BVO.
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Im Hinblick auf die Frage, ob eine Behandlungsmethode als "wissenschaftlich noch
nicht anerkannt" in diesem Sinne zu qualifizieren ist, kommt es darauf an, ob nach dem
gegenwärtigen Stand der Wissenschaft und unter Abschätzung anhand praktischer
Vernunft (noch) Aussicht darauf besteht, daß die fragliche Behandlungsmethode in
Zukunft wissenschaftliche Anerkennung erwerben wird.
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Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 23. März 1995 - 6
A 3871/93 -; ebenso zur Qualifizierung eines "wissenschaftlich noch nicht anerkannten"
Mittels im Sinne des § 4 Nr. 7 S. 3 BVO auch Oberverwaltungsgericht für das Land
41
Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 6. Juli 1982 - 12 (6) A 1734/80 -; ebenso zur
Rechtslage nach den Beihilfevorschriften des Bundes Bundesverwaltungsgericht, Urteil
vom 18. Juni 1998 - 2 C 24/97 -, NJW 1998, 3436.
Insofern genügt es nicht, daß die Methode wissenschaftlich bislang nicht endgültig
verworfen worden ist und eine Anerkennung in Zukunft noch in Betracht kommen
könnte. Erforderlich ist vielmehr die begründete Erwartung der wissenschaftlichen
Anerkennung. Diese begründete Erwartung setzt ihrerseits voraus, daß bereits
wissenschaftliche, nicht auf Einzelfälle beschränkte Erkenntnisse vorliegen, die
attestieren, daß die Behandlungsmethode zur Heilung der Krankheit oder zur Linderung
von Leidensfolgen geeignet ist und wirksam eingesetzt werden kann.
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Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 18. Juni 1998 - 2 C 24/97 -, NJW 1998, 3436; im
Ergebnis auch Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 6.
Juli 1982 - 12 (6) A 1734/80 -; Verwaltungsgericht Düsseldorf, Urteile vom 25. Mai 1993
- 2 K 277/90 - und vom 21. September 1994 - 10 K 944/93 -.
43
Derartige wissenschaftliche Erkenntnisse liegen hinsichtlich der immerhin seit etwa
Ende der fünfziger Jahre in den Grundzügen bekannten Tomatis-Therapie, wie oben
ausgeführt, nicht vor und sind auch vom Kläger nicht substantiiert geltend gemacht
worden, so daß das Gericht eine begründete Erwartung der wissenschaftlichen
Anerkennung der Tomatis-Therapie nicht festzustellen vermag.
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Auch die Tatsache, daß im Falle des Sohnes des Klägers eine Besserung seiner
Erkrankung eingetreten und möglicherweise auch in anderen Fällen nach der Tomatis-
Therapie eine Gesundheitsverbesserung zu verzeichnen gewesen ist, vermag einen
Beihilfeanspruch des Klägers nicht zu begründen. Der Normgeber der
Beihilfenverordnung hat sich entschieden, für Behandlungsmethoden, die
wissenschaftlich nicht allgemein anerkannt sind, die Beihilfefähigkeit auszuschließen,
ohne eine Ausnahme etwa der Art zu normieren, daß Aufwendungen hierfür gleichwohl
beihilfefähig sind, wenn sie nachweislich einen Heilungserfolg herbeigeführt haben.
Dies ist rechtlich nicht bedenklich, sondern entspricht der Systematik des Beihilferechts.
Die Beihilfevorschriften legen generalisierend und pauschalierend die Beihilfefähigkeit
für bestimmte Aufwendungen fest, ohne die Beihilfe im Einzelfall daran zu knüpfen, ob
eine beihilfefähige Methode tatsächlich zu einem Heilungserfolg geführt hat. Dies ist
auch sachgerecht, denn ob ein Heilungserfolg eingetreten ist, läßt sich häufig erst einige
Zeit nach der Behandlung und oft nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand und ggf.
nur nach medizinischer Beratung feststellen. Daß ein solches Verfahren nicht nur in der
Praxis der Beihilfegewährung unpraktikabel ist und erhebliche Erschwernisse für
längerfristige, insbesondere unheilbar Erkrankte mit sich bringt, liegt auf der Hand und
bedarf keiner weiteren Erörterung. Aus dem gleichen Grund ist es daher sach- und
systemgerecht, bei Behandlungsmethoden, die als wissenschaftlich nicht allgemein
anerkannt eingestuft sind, nicht auf den (gleichwohl) behaupteten Heilungserfolg
abzustellen. Dies gilt schließlich auch im Hinblick darauf, daß es im Einzelfall äußerst
schwierig sein dürfte, zu differenzieren, ob der Heilungserfolg tatsächlich auf die
Behandlungsmethode, einen Placeboeffekt dieser Methode oder auf sonstige günstige
Einflüsse zurückzuführen sind. Aufgrund dessen ist daher auch in diesen Fällen ein
Abstellen auf den Heilungserfolg nicht möglich.
45
Ebenso zu den Beihilfevorschriften des Bundes Bayerischer Verwaltungsgerichtshof,
Urteil vom 5. Juli 1995 - 3 B 94.3879 -.
46
Im übrigen steht einer Beihilfegewährung zu den Aufwendungen des Klägers für die
Behandlung seines Sohnes im Rahmen der Tomatis-Therapie durch Herrn xxxxxxxx im
xxxxxxxxxxxxxxxxx in Belgien entgegen, daß es sich hierbei nicht um eine ärztliche
Behandlung im Sinne des § 4 Nr. 1 BVO handelte, da Herr xxxxxxxx ungeachtet seiner
Qualifikation im übrigen jedenfalls kein Arzt ist. Ferner handelt es sich nicht um eine
beihilfefähige Heilbehandlung nach § 4 Nr. 9 BVO, da eine vorherige schriftliche
ärztliche Verordnung, wie sie § 4 Nr. 9 S. 1 BVO für sonstige Heilbehandlungen fordert,
ebenfalls nicht vorliegt.
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Eine andere rechtliche Beurteilung des Begehrens des Klägers ergibt sich auch nicht
unter dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht des Dienstherrn, da der Ausschluß der
Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für wissenschaftlich nicht anerkannte
Heilbehandlungsmethoden mit der Fürsorgepflicht des Dienstherrn, wie sie für den
Bereich der Krankenvorsorge durch die Beihilfenverordnung konkretisiert wird,
grundsätzlich vereinbar ist.
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Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29. Juni 1995 - 2 C 15.94 -, NJW 1996, 801 (802)
= ZBR 1996, 48; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom
25. Mai 1994 - 6 A 2192/88 -.
49
Soweit in besonderen Fallgestaltungen bei einem Nichteingreifen der einschlägigen
Beihilfevorschriften der Anspruch des Beamten auf Hilfe ausnahmsweise auf die
allgemeinen Vorschriften über die Fürsorgepflicht gestützt werden kann, weil ansonsten
die Fürsorgepflicht in ihrem Wesenskern verletzt wäre,
50
vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 28. April 1988 - 2 C 58.85 -, Buchholz,
Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts,
270 § 7 BhV Nr. 1 S. 1 (4) m.w.N.,
51
sind Anhaltspunkte für eine solche Verletzung der Fürsorgepflicht in ihrem Wesenskern
im vorliegenden Fall auch in Ansehung der Höhe des streitigen Beihilfeanspruchs nicht
ersichtlich und auch von dem Kläger nicht vorgetragen worden.
52
Schließlich vermag auch der Verweis des Klägers auf die für die Leistungspflicht der
gesetzlichen Krankenkassen geltenden Vorschriften, insbesondere § 2 Abs. 1 S. 3 SGB
V, seinen Beihilfeanspruch nicht zu begründen. Angesichts der insoweit eindeutigen
Regelungen in § 4 Nr. 1 S. 2 und 3 BVO, die aus den genannten Gründen als solche
rechtlich nicht zu beanstanden sind, kommt ein Rückgriff auf die Regelungen im Recht
der gesetzlichen Krankenkassen nicht in Betracht. Im übrigen werden die Kosten für
eine Tomatis-Therapie ausweislich der Stellungnahme des Bundesausschusses der
Ärzte und Krankenkassen vom 31. Mai 1999 von den gesetzlichen Krankenkassen nicht
übernommen und wäre selbst eine unterschiedliche Handhabung im Recht der
gesetzlichen Krankenkassen und im Beihilfenrecht angesichts der grundsätzlichen
Unterschiede beider Sicherungssysteme keinen Bedenken aus übergeordnetem Recht
ausgesetzt.
53
Ebenso zu letzterem Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30. Mai 1996 - 2 C 5.95 -,
Buchholz, Sammel- und Nachschlagewerk der Rechtsprechung des
Bundesverwaltungsgerichts, 271 LBeihilfeR Nr. 16 S. 10 (12) m.w.N.
54
Aus den vorgenannten Ausführungen folgt schließlich, daß dem Kläger auch kein
Anspruch auf Beihilfe zu den Unterkunftskosten zusteht, die im Zusammenhang mit der
Behandlung seines Sohnes im xx xxxxxxxxxxxxxx in Belgien angefallen sind.
Ungeachtet der Frage, ob es sich bei dieser Behandlung des Sohnes des Klägers
überhaupt um eine stationäre Behandlung im Sinne des § 4 Nr. 2 BVO handelte, steht
einer Beihilfegewährung jedenfalls entgegen, daß schon die Aufwendungen des
Klägers für die Behandlung selbst nicht beihilfefähig sind. Für die insoweit
nachrangigen Unterkunftskosten gilt dann nichts anderes.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11,
711 Zivilprozeßordnung.
56
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