Urteil des VG Düsseldorf vom 08.07.2008

VG Düsseldorf: zuschlagserteilung, gemeinde, entziehen, eigentum, stadt, vergabeverfahren, bekanntmachung, konzept, werk, kauf

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 1 L 1114/08
Datum:
08.07.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
1 L 1114/08
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens als
Gesamtschuldner.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,-- Euro festgesetzt.
Gründe:
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Der am 4. Juli 2008 sinngemäß gestellte Antrag,
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den Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, das am
16.06.2008 eingereichte Bürgerbegehren „Unsere Stadtwerke: Kein Verkauf!" mit der
Fragestellung „Sollen die Stadtwerke I2 vollständig im Eigentum der Stadt I2 bleiben?"
vorläufig für zulässig zu erklären,
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hilfsweise,
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dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, über die Frage
der Zuschlagserteilung im Rahmen des Europäischen Vergabeverfahrens zur
Teilprivatisierung der Stadtwerke I2 GmbH solange nicht zu beschließen, bis eine
rechtskräftige Feststellung über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens „Unsere
Stadtwerke: Kein Verkauf !" vorliegt,
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hat keinen Erfolg.
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Sowohl die mit dem Hauptantrag verfolgte Regelungsanordnung nach § 123 Abs. 1 Satz
2 VwGO als auch die mit dem Hilfsantrag begehrte Sicherungsanordnung nach § 123
Abs. 1 Satz 1 VwGO setzen voraus, dass der zu Grunde liegende materielle Anspruch,
der Anordnungsanspruch, und die Notwendigkeit einer vorläufigen Regelung, der
Anordnungsgrund, glaubhaft gemacht sind (§ 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §§
294, 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]).
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Diese Voraussetzungen liegen hier hinsichtlich des Hauptantrages nicht vor.
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Die Antragsteller haben nicht glaubhaft gemacht, einen Anspruch auf Feststellung der
Zulässigkeit des von ihnen vertretenen Bürgerbegehrens durch den Antragsgegner
gemäß § 26 Abs. 6 Satz 1 GO NRW zu haben. Einem solchen Anspruch steht die
Regelung des § 26 Abs. 3 GO NRW entgegen, wonach ein gegen einen Ratsbeschluss
gerichtetes Bürgerbegehren innerhalb von sechs Wochen nach der Bekanntmachung
des Beschlusses eingereicht sein muss (Satz 1). Gegen einen Beschluss, der nicht der
Bekanntmachung bedarf, beträgt die Frist drei Monate nach Sitzungstag (Satz 2).
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Danach ist das am 16.06.2008 eingereichte Bürgerbegehren verfristet. Das
Bürgerbegehren richtet sich gegen den Beschluss des Antragsgegners vom 13.02.2008
und hätte daher bis spätestens zum 13.05.2008 eingereicht werden müssen.
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In seinem Beschluss vom 13.02.2008 hat der Antragsgegner festgelegt, unter im
einzelnen benannten Voraussetzungen (vgl. hierzu Seite 4 des von den Antragstellern
als Anlage 4 vorgelegten Gutachtens) den Teilnahmewettbewerb zur Suche nach einem
strategischen Partner für 49,9 % an den Stadtwerken I2 GmbH fortzusetzen.
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Dieser Beschluss ist im Zusammenhang mit der bereits am 20.12.2007 erfolgten
Entscheidung des Aufsichtsrates der Stadtwerke I2 GmbH zu sehen, ein förmliches
Vergabeverfahren zur Veräußerung von 49,9 % der Geschäftsanteile an der Stadtwerke
I2 GmbH einzuleiten. Durch ihn wird das bereits vom Aufsichtsrat angestoßene
Vergabeverfahren fortgeführt und zugleich zum Ausdruck gebracht, dass es dem
mehrheitlichen Willen der Vertretung entspricht, den Verkauf von 49,9 % der Anteile an
der Stadtwerke I2 GmbH unter den im Beschluss formulierten Voraussetzungen zu
prüfen (und bei entsprechenden Angeboten auch vorzunehmen).
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Gegen diesen Beschluss richtet sich das Bürgerbegehren, weil es mit seiner
Fragestellung „Sollen die Stadtwerke I2 vollständig im Eigentum der Stadt I2 bleiben?"
gerade darauf abhebt, das Ziel des aufgrund des Beschlusses des Antragsgegners vom
13.02.2008 fortgeführten Vergabeverfahrens zu verhindern, denn grundsätzlich sind
Zuschlagserteilung und Kontrahierung Ziel eines Vergabeverfahrens, auch wenn ein
öffentlicher Auftraggeber eine Ausschreibung auch außerhalb der vergaberechtlichen
Bestimmungen bei Vorliegen eines dies als ultima ratio erscheinen lassenden
sachlichen Grundes aufheben darf.
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Vgl. hierzu OLG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 13.10.2006 - 1 Verg 7/06 - sowie
Beschluss der Kammer vom 12.12.2007 - 1 L 2054/07 -.
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Kennzeichnend für das fristgebundene, sog. „kassatorische" Bürgerbegehren ist, dass
es anders als initiierende Bürgerbegehren, die den Regelungen von Ratsbeschlüssen
nicht widersprechen, kein „noch unbestelltes Feld" bearbeitet und damit ausschließlich
gemeindliche Aktivitäten anstößt, sondern in die „auf einem Feld" vom Rat getroffenen
Regelungen eingreift, sei es, dass es sich in dem Aufheben der getroffenen Regelungen
erschöpft, sei es, dass die durch Ratsbeschluss getroffenen Regelungen durch andere
ersetzt werden sollen. Maßgebend ist, ob das Bürgerbegehren bei einer verständigen
Würdigung ein vom Rat beschlossenes Regelungsprogramm aufheben oder ändern
will, jedenfalls dann, wenn die Aufhebung oder Änderung nicht nur ein völlig
nebensächliches Detail betrifft, von dem anzunehmen ist, dass es im Kontext der durch
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das Bürgerbegehren zur Entscheidung gestellten Frage von bisherigen
Ratsbeschlüssen nicht erfasst sein sollte. Unerheblich hierbei ist, ob nach dem Text des
Bürgerbegehrens Ratsbeschlüsse ausdrücklich aufgehoben werden sollen.
Vgl. OVG NRW, Urteil vom 28.01.2003 - 15 A 203/02 -, NWVBl 2003, S. 312 ff..
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Gemessen hieran hat das Bürgerbegehren kassatorischen Charakter, denn es verfolgt
das gegenüber dem oben geschilderten Ziel des Ratsbeschlusses vom 13.02.2008
konträre Ziel, die Stadtwerke I2 vollständig im Eigentum der Stadt I2 zu belassen. Für
den kassatorischen Charakter des Bürgerbegehrens kommt es entgegen der Ansicht der
Antragsteller nicht darauf an, dass nicht bereits durch die Fortführung des
Vergabeverfahrens, sondern letztlich erst durch die Eingehung vertraglicher Bindungen
der Gemeinde im Außenverhältnis zu Bietern irreversible Tatsachen geschaffen würden.
Denn die Fortführung des Vergabeverfahrens ist Teil des aufgrund des
Ratsbeschlusses vom 13.02.2008 bereits umgesetzten Regelungsprogramms. Durch
die Fristgebundenheit des kassatorischen Bürgerbegehrens wollte der Gesetzgeber im
Interesse der Stabilität und Verlässlichkeit gemeindlicher Willensbildung verhindern,
dass ein sachliches Regelungsprogramm des Rates beliebig lange durch ein
Bürgerbegehren in Frage gestellt werden kann, und damit bewirken, dass es nach den
im Gesetz genannten Fristen als sichere Planungsgrundlage dienen kann.
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Vgl. die amtliche Begründung des Gesetzentwurfs der Landesregierung, LT-Drs.
11/4983, S. 8).
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Dieser Schutzzweck ist bereits berührt, wenn aufgrund eines Ratsbeschlusses
hinsichtlich einer konkreten Entscheidungsfrage in eine bestimmte Richtung agiert wird;
dass der eingeschlagene Weg erst durch weitere (künftige) Ratsbeschlüsse irreversibel
festgelegt würde, ist unbeachtlich. Ein Ratsbeschluss, dessen Wirkungen ohnehin nicht
mehr einholbar sind, bedürfte gerade keiner Absicherung nach § 26 Abs. 3 GO NRW.
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Unabhängig davon haben die Antragsteller hinsichtlich ihres Hauptantrages auch
keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Es ist ihnen nicht unzumutbar, die Klärung
der Frage der Zulässigkeit des Bürgerbegehrens im Hauptsacheverfahren abzuwarten,
denn es sind keine Umstände dargetan, die die spätere Durchführung des
Bürgerentscheids vereiteln, über Gebühr erschweren oder dem beabsichtigten
Bürgerentscheid sonst die Grundlage entziehen würden. Insbesondere sind keine
objektivierbaren Anhaltspunkte dafür dargelegt oder sonst ersichtlich, dass die
Umsetzung der von den Antragstellern zu verhindern gesuchten Teilprivatisierung der
Stadtwerke I2 durch die (letztlich erst irreversible) Eingehung von vertraglichen
Vereinbarungen mit Dritten / Bietern unmittelbar bevorstünde.
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Aus den vorstehenden Ausführungen folgt zugleich, dass auch der hilfsweise gestellte
Antrag keinen Erfolg hat.
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Die Antragsteller haben keinen Anspruch auf Unterlassung der nach ihrer Ansicht die
spätere Durchführung eines Bürgerentscheids gefährdende Beschlussfassung über die
Zuschlagserteilung im Rahmen des Vergabeverfahrens glaubhaft gemacht.
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Nach § 26 Abs. 6 Satz 6 GO NRW kommt einem Bürgerbegehren, dessen „Zulässigkeit
festgestellt" ist, „Sperrwirkung" zu. Dies bedeutet nach der genannten Vorschrift, dass
bis zur Feststellung des Ergebnisses des Bürgerentscheids eine dem Begehren
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entgegenstehende Entscheidung der Gemeindeorgane nicht mehr getroffen oder mit
dem Vollzug einer derartigen Entscheidung nicht mehr begonnen werden darf, es sei
denn, zu diesem Zeitpunkt haben rechtliche Verpflichtungen der Gemeinde hierzu
bestanden. Um diese Wirkung eintreten zu lassen, bedarf es nach dem eindeutigen
Gesetzeswortlaut der förmlichen Feststellung. Die möglicherweise umstrittene und bis
zur rechtskräftigen Klärung in der Schwebe bleibende materielle Zulässigkeit reicht
hierfür nicht. Bei einem anderen Verständnis würde die Vorschrift ihrem Zweck, eine
praktikable Handlungsanweisung für die Gemeindeorgane zu geben, nicht gerecht.
Rechtsschutzlücken für Bürgerbegehren bzw. deren Vertreter entstehen bei einem dem
Wortlaut folgenden Verständnis nicht. Denn der Rat kann nötigenfalls durch einstweilige
Anordnung zu der erforderlichen Zulässigkeitsfeststellung angehalten werden. Hier hat
weder der Antragsgegner die Zulässigkeit festgestellt noch erfolgt nach den obigen
Ausführungen eine entsprechende gerichtliche einstweilige Anordnung.
Damit ist derzeit noch keine Sperrwirkung eingetreten. Der Antragsgegner kann mithin
nur unter dem als äußerste Grenze zu verstehenden Gesichtspunkt der Organtreue,
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vgl. hierzu OVG NRW, Beschluss vom 06.12.2007 - 15 B 1744/07 -,
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verpflichtet sein, von Entscheidungen abzusehen, die dem Bürgerbegehren die
Grundlage entziehen oder ihm zuwider laufen. Diese Treuepflicht ist allerdings kein alle
konkreten gesetzlichen Maßgaben - namentlich die des § 26 Abs. 6 Satz 6 GO NRW -
überspielendes Prinzip. Sie ist nicht schon dann verletzt, wenn die Entscheidung des
Gemeindeorgans vor Eintritt der möglichen Sperrwirkung dem Bürgerbegehren
entgegenläuft.
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Das repräsentativ-demokratische System ist durch die Einführung des
Bürgerentscheides als Element der unmittelbaren Demokratie ergänzt, nicht überlagert
worden. Die beiden Entscheidungsformen sind gleichwertig, so dass ein
Sicherungsanspruch zu Gunsten des Bürgerbegehrens selbst dann nicht besteht, wenn
im Einzelfall eine Entscheidung der Gemeinde einen faktischen Vorrang erhält, weil
diese Entscheidung wegen der Schwerfälligkeit des Verfahrens zur Herbeiführung eines
Bürgerentscheides schon vor dessen Abschluss in die Tat umgesetzt werden kann.
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Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 06.12.2007, aaO., Bl. 9 BA.
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So lange die Zulässigkeit des Begehrens in der Schwebe ist, dürfen die
Gemeindeorgane daher ein bereits eingeleitetes Konzept fortsetzen. Sie müssen dabei
allerdings in Kauf nehmen, dass bereits ins Werk gesetzte Aufwendungen vergeblich
sind, wenn der Entscheid Erfolg hat. Die äußerste Grenze ist nur überschritten, wenn
das Handeln des Gemeindeorgans - sei es in der Sache selbst oder hinsichtlich des
gewählten Zeitpunktes - bei objektiver Betrachtung nicht durch einen sachlichen Grund
gerechtfertigt ist, sondern allein dem Zweck dient, dem Bürgerbegehren die Grundlage
zu entziehen und damit eine Willensbildung auf direkt-demokratischem Weg zu
verhindern,
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OVG NRW, Beschluss vom 06.12.2007 - 15 B 1744/07 -.
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Diese Voraussetzungen liegen hier ersichtlich nicht vor. Vielmehr entspricht die für die
Ratssitzung am 9.07.2008 unter TOP 9 vorgesehene Beschlussfassung über die
Zuschlagserteilung dem schon vor Einreichung des Bürgerbegehrens geplanten
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zeitlichen Procedere - die diesbezügliche Beschlussfassung war ausweislich der als
Anlage 2 von den Antragstellern vorgelegten Beschlussvorlage bereits für die
Ratssitzung am 18.06.2008 vorgesehen, wurde dann allerdings mit Rücksicht auf das
kurz zuvor am 16.06.2008 eingereichte Bürgerbegehren verschoben. Die Fortsetzung
der schon vor Einreichung des Bürgerbegehrens begonnenen Maßnahmen ist schon
objektiv nicht mit dem Verdacht behaftet, durch sachunangemessene Beschleunigung
vollendete Tatsachen schaffen zu wollen.
Hinsichtlich der Glaubhaftmachung eines Anordnungsgrundes gelten die
diesbezüglichen obigen Ausführungen zum Hauptantrag entsprechend.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO. Die
Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 1, § 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG iVm. Ziffer 22.6 des
Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004 (NVwZ 2004, S. 1327 - 1332)
und berücksichtigt, dass der Hauptantrag faktisch auf eine Vorwegnahme der
Hauptsache gerichtet ist.
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