Urteil des VG Düsseldorf vom 03.02.2010

VG Düsseldorf (juristische person, eigenes interesse, probe, wert, lebensmittel, nachweis, lagerung, grund, verbraucher, irreführung)

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 16 K 1799/09
Datum:
03.02.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
16. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
16 K 1799/09
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe
des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor
der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Die Klägerin, ein von der N GmbH (im Folgenden: N) beherrschtes Unternehmen,
vertreibt das Erzeugnis "H Bio Distelöl, kaltgepresst, aus 1. Pressung, cholesterinfrei".
Dieses von der C GmbH (im Folgenden: C) bezogene Produkt wird mit der Angabe
"hergestellt für B mbH, Tstraße 5, D-E" in Verkehr gebracht.
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Am 19. Februar 2008 wurde im "F"-Markt in der T1 Straße 38 in C1 eine Probe dieses
Produktes mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum 06.08 (L5C) entnommen und durch das
Institut für Lebensmittel, Arzneimittel und Tierseuchen C1 untersucht. Laut Gutachten
vom 8. April 2008 sei nach dem Ergebnis der chemisch-analytischen Untersuchung ein
Gehalt an di- und polymeren Triglyceriden von 0,25% ermittelt worden; bei
kaltgepressten Speiseölen pflanzlicher Herkunft betrage der Gehalt diesbezüglich zum
Nachweis der Erhitzung höchstens 0,10%; das untersuchte Speiseöl weise somit
deutliche Anzeichen einer thermischen Behandlung auf.
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Daraufhin forderte der Beklagte die N mit Verfügung vom 6. Mai 2008 auf Grund der
beurteilten Irreführung (§ 11 Abs. 1 LFBG i.V.m. Art. 16 VO (EG) 178/2002) auf, diese
Charge und die nachfolgenden Chargen aus dem Verkauf zu nehmen, bis die
entsprechende Verkehrsfähigkeit dieses Produktes nachgewiesen worden sei. Ferner
bat er um Vorlage der Rückrufdokumentation, Benennung des Herstellers und ggfs. der
Vorlieferanten, Nachweis der Eigenkontrolle vorangegangener Chargen, dass dieses
Produkt den ausgelobten Anforderungen (kaltgepresst) entspreche und Angaben zur
Menge der verkauften Chargen (MHD 06.08 (L5C)).
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Ebenfalls am 6. Mai 2008 wurde im "F"-Markt in der Vstraße 299 in E eine Probe dieses
Produktes, Mindesthaltbarkeitsdatum 10.08 (L2E), entnommen und anschließend durch
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das Chemische Untersuchungsamt der Stadt I untersucht. Das Gutachten vom 28. Mai
2008 kam zu dem Ergebnis, dass nach dem analytischen Befund der Anteil an di- und
oligomeren Triglyceriden 0,33g/100g betrage und das Distelöl auf Grund der
chemischen Analyse als "raffiniert" bzw. nicht als kaltgepresst einzustufen sei.
Daraufhin forderte der Beklagte die N mit Verfügung vom 2. Juni 2008 auf Grund der
beurteilten Irreführung (§ 11 Abs. 1 LFBG i.V.m. Art. 16 VO (EG) 178/2002) auf,
sämtliche Chargen, soweit noch nicht geschehen, für den Verbraucher nicht mehr
erreichbar aus dem Verkauf zu nehmen, bis ihm die entsprechende Verkehrsfähigkeit
dieses Produktes nachgewiesen worden sei. Ferner bat er um Vorlage der
Rückrufdokumentation, sowie um Mitteilung, ob die Gegenproben der vom Bezirksamt
N1-I1 in C1 entnommenen Probe und der Probenentnahme vom 6. Mai 2008 untersucht
worden seien, welche Eigenkontrollmaßnahmen seit dem 25. Januar 2007 durchgeführt
worden seien, welche Mengen des Artikels seit dem Prüfbericht der F1 GmbH vom
25. Januar 2007 von der C abgenommen worden seien und welche Größe die jeweilige
Charge gehabt habe.
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Weiterhin nahm der Beklagte diesen Sachverhalt zum Anlass, gegen die
Geschäftsführer der Klägerin Bußgeldverfahren einzuleiten. Am 1. Dezember 2008
erließ der Beklagte gegen den damaligen Geschäftsführer der Klägerin P einen
Bußgeldbescheid, gegen den dieser Einspruch einlegte. Das zuständige Amtsgericht
setzte das Verfahren im Hinblick auf eine verwaltungsgerichtliche Feststellungsklage
der Klägerin aus.
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Die Klägerin hat am 9. März 2009 Klage erhoben. Sie macht geltend: Eine Irreführung
der Verbraucher sei ausgeschlossen, da es sich bei dem in Rede stehenden Distelöl
tatsächlich um kaltgepresstes, aus 1. Pressung stammendes Öl gehandelt habe. Eine
bloße Überschreitung des Wertes von 0,1% an polymeren Triglyceriden ohne weitere
Überprüfungen rechtfertige nicht den erhobenen Vorwurf eines rechtswidrigen
Handelns. Das bloße Abstellen auf den Wert von 0,1% an di- und polymeren
Diglyceriden für den Nachweis einer Wärmebehandlung von Öl sei nicht sachgerecht.
Der Wert von 0,1% sei nicht verbindlich festgelegt sondern lediglich in einem Entwurf
zur Änderung der Leitsätze enthalten. Er werde auch nur als ein Parameter zum
Nachweis einer Erhitzung genannt. Weiterer Indikator sei die Summe der trans-Isomere
von C 18:1, C 18:2 und C 18:3, zu der sich in keinem der Untersuchungsbefunde eine
Aussage befinde. Auf Grund der im Distelöl ablaufenden technologischen Prozesse
während der Lagerung bildeten sich polymere Triglyceride über den Wert von 0,1%
hinaus, dies werde von mehreren Sachverständigen bestätigt. Zu dem für die
Kennzeichnung maßgeblichen Zeitpunkt der Herstellung bzw. Abfüllung hätten keine
Anhaltspunkte dafür vorgelegen, dass das Öl einer thermischen Behandlung unterzogen
worden sei. Dazu sei auf die große Zahl der Eigenuntersuchungen hinzuweisen. Der
Untersuchungsbefund von F1 vom 25. Januar 2007 betreffe dasselbe
Mindesthaltbarkeitsdatum wie die erste amtliche Probe. Wäre das Distelöl tatsächlich
einer thermischen Behandlung unterzogen worden, hätte schon bei der damaligen
Untersuchung der Wert für polymeres Triglycerid über dem vermeintlichen Grenzwert
liegen müssen. Natürliche Veränderungen während der mehrmonatigen Lagerung lägen
außerhalb des Verantwortungsbereichs des Lebensmittelunternehmers.
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Die Klägerin beantragt,
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festzustellen, dass die Bezeichnung "Bio Distelöl, kaltgepresst, aus 1.
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Pressung" für das Erzeugnis, das Gegenstand des Bußgeldbescheides des
Beklagten vom 1. Dezember 2008 ist, in objektiver Hinsicht nicht gegen § 11
Abs. 1 Satz 1 und 2 Nr. 1 LFGB verstößt.
Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er macht geltend: Die Klage sei unzulässig, das schon eingeleitete Bußgeldverfahren
biete hinreichend Raum, die Rechtsansicht der Klägerin zu überprüfen. Einer
nochmaligen Befassung eines weiteren Gerichts mit der Frage der irreführenden
Kennzeichnung des von der Klägerin vertriebenen Produktes bedürfe es nicht. Die
Klage wäre jedoch auch unbegründet. Ein Anstieg der dimeren Triglyceride in dem hier
festgestellten Maße könne nicht durch eine längere Lagerung bei Raumtemperatur
entstehen sondern lasse nur den Schluss zu, dass bereits zu einem früheren Zeitpunkt
eine solche Veränderung stattgefunden haben müsse. Bei nur lagerungs- und
temperaturbedingten Änderungen hätte es zu einer Ranzigkeit kommen müssen, also
einer erheblichen sensorischen Abweichung, die das Distelöl für den Verzehr
ungeeignet gemacht hätte. Werde eine Eigenschaft eines Lebensmittels auf der
Fertigpackung ausgelobt, so sei dies ein Anhaltspunkt dafür, dass die Eigenschaft für
das betreffende Lebensmittel auch spezifisch sei. Denn die Auslobung solle gerade den
Käufer veranlassen, das Lebensmittel wegen dieser ausgelobten Eigenschaften zu
kaufen. Die Kennzeichnung des in Rede stehenden Distelöls mit den Begriffen
"kaltgepresst, aus 1. Pressung" stelle somit eine spezifische Eigenschaft dar, die bis
zum Ablauf des Mindesthaltbarkeitsdatums erhalten bleiben müsse.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den
Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge des Beklagten zum vorliegenden
Verfahren sowie zu dem dieselben Beanstandungen betreffenden Verfahren 16 K
3142/09 Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage ist zwar zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
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Gemäß § 43 Abs. 1 VwGO kann durch Klage die Feststellung des Bestehens oder
Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses begehrt werden, wenn der Kläger ein
berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Eine solche Feststellungsklage
kann statthafterweise nur zur Klärung eines konkreten Rechtsverhältnisses, d.h. nur
unter der Voraussetzung erhoben werden, dass die Anwendung einer Rechtsnorm auf
einen bestimmten, bereits übersehbaren Sachverhalt streitig ist. Die Parteien streiten
hier in Bezug auf das von der Klägerin in Verkehr gebrachte Distelöl darüber, ob ein
Verstoß gegen § 11 Abs. 1 LFGB vorliegt. Dieser Streit hat sich in der für die
Feststellungsklage erforderlichen Weise konkretisiert, weil der Beklagte ein
Bußgeldverfahren eingeleitet hat. Zwar richtet sich letzteres Verfahren gegen einen
ehemaligen Geschäftsführer der Klägerin, dies steht der Anerkennung eines
hinreichend konkreten Rechtsverhältnisses aber nicht entgegen. Wird ein
verantwortlicher Mitarbeiter für ein auch der hinter ihm stehenden juristischen Person
zurechenbares Vorgehen mit einem Bußgeld bedroht, muss sich auch die hinter ihm
stehende juristische Person rechtliche Klarheit über die Berechtigung der
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Beanstandung verschaffen können. Auch die jeweilige juristische Person, hier die
Klägerin, hat ein eigenes Interesse an der Klärung der streitigen Rechtslage, denn sie
ist auf gesicherte Rechtsverhältnisse angewiesen, um ihre Dispositionen darauf
einstellen zu können. Die Klägerin hat ein wesentliches Interesse daran, möglichst noch
vor einer Entscheidung im Bußgeldverfahren eine verwaltungsgerichtliche Klärung zu
bekommen, um jedenfalls künftig zu verhindern, dass ihre Mitarbeiter gleichsam für sie
als Unternehmerin die Klärung einer verwaltungsrechtlichen Streitfrage "auf der
Anklagebank" erleben müssen. Somit, besteht auch das erforderliche alsbaldige
Feststellungsinteresse im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO,
vgl. OVG NRW, Urteile vom 21. Februar 1994 - 13 A 4016/92 - ZLR 1995, 217 und
vom 27. Juni 1996 - 13 A 4024/94 -.
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Die Klage ist jedoch unbegründet.
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Der Vertrieb des Produktes verstieß gegen § 11 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Nr. 1 LFGB.
Nach diesen Vorschriften ist es unter anderem verboten, Lebensmittel unter
irreführender Bezeichnung, Angabe oder Aufmachung gewerbsmäßig in den Verkehr zu
bringen, was insbesondere der Fall ist, wenn bei einem Lebensmittel zur Täuschung
geeignete Bezeichnungen, Angaben, Aufmachungen, Darstellungen oder sonstige
Aussagen über Eigenschaften, insbesondere über Art, Beschaffenheit,
Zusammensetzung, Menge, Haltbarkeit, Ursprung, Herkunft oder Art der Herstellung
verwendet werden.
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Die im vorliegenden Fall für das Distelöl zusätzlich verwendete Bezeichnung
"kaltgepresst, aus 1. Pressung" ist bzw. war in Bezug auf die am 19. Februar 2008 und
6. Mai 2008 entnommenen Proben zur Täuschung der Verbraucher geeignet. Jedenfalls
begründeten die Feststellungen des Beklagten den hinreichenden Verdacht eines
solchen Verstoßes gegen das Irreführungsverbot.
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Ausweislich der Untersuchungsbefunde enthielten die untersuchten Proben Anteile an
di- und oligomeren Triglyceriden, die in einem kaltgepressten Öl nicht enthalten sein
können. Dies ist in der dem Beklagten gegenüber abgegebenen gutachterlichen
Stellungnahme des H1 vom Chemischen Untersuchungsamt der Stadt I vom 1. April
2009 nachvollziehbar und überzeugend dargelegt worden. Der Gutachter nimmt dabei
auch zu der von der Klägerin angeführten Möglichkeit eines lagerungsbedingten
Anstiegs der polymeren Triglyceride Stellung. Er berichtet, dass bei Versuchen, bei
denen Öl 4 Wochen lang der Sonne bei 28° C ausgesetzt worden sei, ein Anstieg des
dimeren Gehaltes von 0,03 auf 0,13% beobachtet worden sei, diese Öle aber alle nicht
mehr genusstauglich gewesen seien, da sie eine extreme Ranzigkeit aufgewiesen
hätten. Die als Gegenbeweis genannten Lagerungsversuche, die der Sachverständige
N2 durchgeführt habe, seien laut telefonischer Auskunft desselben 60 Tage lang bei
60° C durchgeführt worden; eine sensorische Prüfung sei nicht vorgenommen worden.
Da derartige Versuchsbedingungen nicht mit einer normalen Lagerung vergleichbar
sind, vermögen sie einen lagerungsbedingten Anstieg der di- und oligomeren
Triglyceride von einem unter 0,1% liegenden Ausgangswert für kaltgepresste Öle auf
0,25% bzw. sogar 0,33% ohne Auffälligkeiten bei der sensorischen Prüfung nicht zu
erklären. Der in der mündlichen Verhandlung als sachverständiger Beistand für die
Klägerin anwesende A hat die festgestellten Werte ebenfalls als auffällig hoch
eingeschätzt. Angesichts dessen begegnet es keinen Bedenken, dass zusätzliche
Untersuchungsbefunde auf andere Indikatoren für eine Wärmebehandlung nicht
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erhoben worden sind. Die genaue Ursachenfeststellung obliegt gegebenenfalls der
Klägerin bzw. ihren Vertragspartnern.
Auch der Prüfbericht der F1 vom 25. Januar 2007 ist nicht geeignet, das
Untersuchungsergebnis in Frage zu stellen. Dort wird das Ergebnis der physikalisch-
chemischen Untersuchung vom 23. bis 25.01.2007 eines Distelöl kbA mit der Los-Nr.
919 AUS für polymeres Triglycerid ein Wert von <0,05% angegeben. Dass dieses
Untersuchungsergebnis die Charge betrifft, zu der auch die am 19. Februar 2008
entnommene Probe des Öls mit dem Mindesthaltbarkeitsdatum 06.08 und der
Chargennummer L5C gehört, ist für das Gericht nicht nachvollziehbar. Zwar enthält der
von den Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Parallelverfahren 16 K 3142/09 als
Anlage 7 zur Klageschrift in Kopie vorgelegte Prüfbericht den mitkopierten
handschriftlichen Zusatz "H MHD: 06 08 L5C". Dies reicht allerdings nicht als Beleg
dafür aus, dass dieser Prüfbericht sich tatsächlich auf das später beanstandete Öl mit
dem Mindesthaltbarkeitsdatum 06.08 und der Chargennummer L5C bezieht, denn
dieser handschriftliche Zusatz war auf einer nach der Beanstandung des Öls von der C
an die N am 7. Mai 2008 übersandten Kopie des Prüfberichts (Beiakte Heft 1 zu
16 K 3142/09) noch nicht enthalten, muss also zu einem späteren Zeitpunkt angebracht
worden sein.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung zur
vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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Gründe für eine Zulassung der Berufung nach §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr.
4 VwGO liegen nicht vor.
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