Urteil des VG Düsseldorf vom 12.08.2003

VG Düsseldorf: aufschiebende wirkung, treu und glauben, urkunde, sozialhilfe, scheidung, rückabtretung, widerspruchsverfahren, anhörung, erlass, rechtsgrundlage

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 13 K 4695/01
Datum:
12.08.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
13. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
13 K 4695/01
Tenor:
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung
von Rechtsanwältin I aus S wird abgelehnt.
Gründe:
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Der Antrag der Klägerin,
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ihr für das Verfahren erster Instanz Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von
Rechtsanwältin I aus S zu bewilligen,
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ist abzulehnen, weil die beabsichtigte Rechtsverfolgung mit dem sinngemäßen
Begehren,
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den Bescheid des Beklagten vom 20.09.2000 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 11.07.2001 aufzuheben,
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keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO).
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Die angefochtenen Bescheide sind nach derzeitiger Einschätzung der Kammer
rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1
VwGO.
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Rechtsgrundlage der angefochtenen Bescheide, durch die der Klägerin die
Überleitungsanzeige gegenüber Herrn Q1 vom 20. September 2000 zur Kenntnis
gebracht wurde, ist § 90 Abs. 1 BSHG. Hat ein Hilfeempfänger für die Zeit, für die Hilfe
gewährt wird, einen Anspruch gegen einen anderen, der kein Leistungsträger im Sinne
des § 12 SGB I ist, kann der Träger der Sozialhilfe durch schriftliche Anzeige an den
anderen bewirken, dass dieser Anspruch bis zur Höhe seiner Aufwendungen auf ihn
übergeht (Abs. 1 Satz 1). Er kann den Übergang dieses Anspruchs auch wegen seiner
Aufwendungen für diejenige Hilfe zum Lebensunterhalt bewirken, die er gleichzeitig mit
der Hilfe für den in Satz 1 genannten Hilfeempfänger dessen nicht getrennt lebendem
Ehegatten und dessen minderjährigen unverheirateten Kindern gewährt (Abs. 1 Satz 2).
Der Übergang des Anspruchs darf nur insoweit bewirkt werden, als bei rechtzeitiger
Leistung des anderen die Hilfe nicht gewährt worden wäre oder in den Fällen des § 11
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Abs. 2, des § 29 und des § 43 Abs. 1 BSHG Aufwendungsersatz oder ein Kostenbeitrag
zu leisten wäre (Abs. 1 Satz 3). Der Übergang ist nicht dadurch ausgeschlossen, dass
der Anspruch nicht übertragen, verpfändet oder gepfändet werden kann (Satz 4). Diese
Voraussetzungen liegen hier vor.
Der Beklagte hat der Klägerin sowie ihren bei ihr wohnenden unverheirateten
minderjährigen Kindern Q2 (* 00.0.1989) und Q3 (* 00.00.1990) in der Zeit vom 11.
November 1999 bis zum 30. April 2002 Sozialhilfeleistungen (laufende Hilfe zum
Lebensunterhalt) gewährt. Soweit ersichtlich hat er das auch unter Beachtung der
einschlägigen gesetzlichen Vorschriften getan. Es war hierbei auch zulässig, die den
Kindern der Klägerin gewährte Hilfe in die Überleitung einzubeziehen, § 90 Abs. 1 Satz
2 BSHG. Die Klägerin sieht das nicht anders. Im Übrigen kommt es darauf, ob die
Sozialhilfe zu Recht oder zu Unrecht gewährt worden ist, im Rahmen von § 90 BSHG in
aller Regel auch nicht an.
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Vgl. BVerwG, Urteil vom 4. Juni 1992 - 5 C 57.88 -, FEVS 43, 99 (101 - 103); BVerwG,
Urteil v. 17. Mai 1973 - V C 108.72 -, BVerwGE 42, 198 (201 - 203).
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Die Klägerin hatte für die Zeit der Hilfegewährung einen Anspruch gegen einen
anderen, nämlich gegen Herrn Q1, ihren vormaligen Ehemann.
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Nach ständiger Rechtsprechung ist die Rechtmäßigkeit der Überleitung nicht davon
abhängig, dass der übergeleitete Anspruch tatsächlich besteht und - wenn ja - welchen
Umfang er hat. Nur wenn der übergeleitete Anspruch offensichtlich ausgeschlossen ist
(Fall der sog. Negativevidenz), könnte eine dennoch erlassene, erkennbar sinnlose
Überleitungsanzeige rechtswidrig sein.
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Vgl. BVerwG, Beschluss vom 15. April 1996 - 5 B 12.96 -, Buchholz Nr. 463.0 § 90 Nr.
24; Urteil vom 4. Juni 1992, a. a. O., S. 101; BVerwG, Urteil v. 17. Mai 1973, a. a. O., S.
204.
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Die Klägerin erwarb den übergeleiteten Anspruch nach dem 28. Februar 1989 und vor
dem 11. November 1999 durch die (undatierte) schriftliche Abtretungsvereinbarung
zwischen ihr und Herrn I1 aus S, ihrem Vater. Der so übertragene Anspruch ergab sich
aus der Urkunde Nr. 000/1989 des Notars B aus I2 vom 28. Februar 1989. In dieser
Urkunde wurde eine Vereinbarung zwischen Herrn Q1 und dem Vater der Klägerin
beurkundet. Nach Ziff. I der Urkunde hatte Herr Q1 von Herrn I1, seinem vormaligen
Schwiegervater, 25.000 DM erhalten. Nach Ziff. II der Urkunde verpflichtete sich Herr Q1
für den Fall der Scheidung seiner Ehe mit der Klägerin zur Rückzahlung der 25.000 DM
innerhalb eines Jahres ab Rechtskraft der Scheidung.
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An dem Bestehen dieses Anspruchs der Klägerin gegen Herrn Q1 in Höhe von 25.000
DM hat die Kammer nach derzeitigem Erkenntnisstand trotz des Fehlens eines Datums
auf der schriftlichen Abtretungsvereinbarung keine Zweifel.
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Vgl. hierzu das Urteil des LG B1 v. 15. Januar 2002 - 0 O 000/01 -, welches der
Vollstreckungsgegenklage des Herrn Q1 gegen die Vollstreckung des Herrn I1 aus der
Urkunde v. 28. Februar 1989 stattgab, S. 4f.
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Die Rückabtretung der Forderung an ihren Vater vom 19. März 2001 ist für den Bestand
der Forderung zum Zeitpunkt der Überleitung unschädlich, da der Klägerin die
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Forderung gegen Herrn Q1 als Gegenstand der Rückabtretung zu diesem Zeitpunkt auf
Grund der erfolgten Überleitung nach § 90 Abs. 1 Satz 1 BSHG nicht mehr zustand. Der
Wirksamkeit der Überleitung, die der Klägerin die Verfügungsbefugnis über die
Forderung entzog, steht auch nicht eine aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der
Klägerin vom 29. September 2000 entgegen, da Widerspruch und Anfechtungsklage
gegen eine Überleitung nach § 90 Abs. 3 BSHG keine aufschiebende Wirkung haben.
In verfahrensmäßiger Hinsicht gibt die angefochtene Überleitung keinen Anlass zu
Zweifeln. Dass die Klägerin vor Erlass der Überleitungsanzeige nicht nach § 24 Abs. 1
SGB X angehört wurde, ist unschädlich, da - unabhängig davon, ob von der Anhörung
nach § 24 Abs. 2 Nr. 1 SGB X im öffentlichen Interesse abgesehen werden konnte - ein
etwaiger Anhörungsmangel jedenfalls durch die von der Klägerin auch
wahrgenommene Gelegenheit zur Äußerung im Widerspruchsverfahren nach § 41 Abs.
1 Nr. 3 SGB X geheilt worden ist.
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Diejenigen Einwände der Klägerin gegenüber der Überleitungsanzeige, die sich auf
unterschiedlich begründete Abtretungsverbote stützen, gleich ob diese aus einer
behaupteten Vereinbarung mit ihrem Vater, dem Zweck der notariellen Vereinbarung
vom 28. Februar 1989 oder Treu und Glauben hergeleitet werden, greifen nicht durch.
Dies ergibt sich unmittelbar aus § 90 Abs. 1 Satz 4 BSHG, wonach der Übergang des
übergeleiteten Anspruchs nicht dadurch ausgeschlossen ist, dass der Anspruch nicht
übertragen, verpfändet oder gepfändet werden kann.
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Soweit die Klägerin der Auffassung ist, die Überleitung sei deshalb rechtswidrig, weil
der Beklagte keine entsprechenden Forderungen mehr gegen Herrn Q1 habe, ist dem
nicht zu folgen. Dem Verwaltungsvorgang des Beklagten zu entnehmende
Gesprächsnotizen, aus denen hervorgeht, dass zum 30. September 2001 lediglich ein
Unterhaltsrückstand von 3773,96 DM bestanden haben soll, können für die Frage von
Bedeutung sein, in welcher Höhe dem Beklagten nach § 91 BSHG übergegangene
Unterhaltsansprüche der Klägerin und ihrer Kinder zustehen. Für die Rechtmäßigkeit
der streitgegenständlichen Überleitung nach § 90 BSHG ist dies jedoch ohne Belang.
Aus diesem Grunde gehen auch sonstige von der Klägerin angeführte aus § 91 BSHG
begründete Bedenken gegenüber der Überleitung an dem in diesem Verfahren zu
entscheidenden Streitgegenstand vorbei.
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Die Überleitung ist auch nicht deshalb rechtswidrig, weil - wie die Klägerin meint - eine
Forderung in Höhe von 25.000 DM übergeleitet worden ist, der nur eine Forderung des
Beklagten gegenüber Herrn Q1 von 3773,96 DM (der Unterhaltsrückstand des Herrn Q1
auf dem Stand 30. September 2001) gegenübersteht. Denn zum einen war Zweck der
Überleitung vom 20. September 2000 nicht die „Sicherung" der Unterhaltsansprüche der
Klägerin und ihrer Kinder, sondern die Herstellung des Nachranges der der Klägerin
und ihren Kindern geleisteten Sozialhilfe. Bis zur Einstellung der Leistungen an die
Klägerin und ihre Kinder zum 30. April 2002 erbrachte der Beklagte
Sozialhilfeleistungen in Höhe von insgesamt 44.823,79 DM. Dem stehen auf den
Beklagten übergegangene Unterhaltsansprüche der Klägerin und ihrer Kinder gegen
Herrn Q1 in Höhe von 12.113,08 DM gegenüber. Tatsächlich erbracht hat Herr Q1
gegenüber dem Beklagten auf die Unterhaltsansprüche bis April 2002 einen Betrag von
4503,95 DM und auf die übergeleitete Forderung 3850,-- DM. Es verbleibt danach ein
Betrag von ca. 28.000 DM.
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Zum anderen führen die Erwägungen der Klägerin zur Höhe der übergeleiteten
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Forderung im Verhältnis zur Höhe der dieser gegenüberstehenden Ansprüche gegen
Herrn Q1 die Klage aus einem weiteren Grund nicht zum Erfolg. Die Überleitung sollte
in Übereinstimmung mit § 90 Abs. 1 Satz 1 BSHG nach dem ausdrücklichen Wortlaut
der Überleitungsanzeige nur „begrenzt auf die tatsächlich gewährten
Sozialhilfeleistungen für die Zeit, für die Sozialhilfe ohne Unterbrechung gezahlt wird,"
gelten. Eine Überleitung der Forderung in die Sozialhilfegewährung übersteigender
Höhe wurde hierdurch nach dem klaren Regelungsgehalt ausgeschlossen.
Eine von der Klägerin gesehene Verrechnung der Zahlungen des Herrn Q1 auf die
übergeleitete Forderung mit den berechtigten Unterhaltsansprüchen der Klägerin und
ihrer Kinder, die zu einem Freiwerden des Unterhaltsschuldners von seinen
Unterhaltsverpflichtungen führen soll, ist nicht gegeben. Zahlungen des Herrn Q1
erfolgten stets entweder auf übergegangene Unterhaltsansprüche oder auf die
übergeleitete Forderung. Die Personenkontenübersichten des Beklagten und die im
Verfahren vorgelegten Übersichten ordnen jede Zahlung insofern eindeutig und jeweils
nur einfach zu.
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Der weitere Einwand, der Klägerin sowie ihrem Vater werde zu Unrecht die
eigenständige Realisierung der Forderung gegenüber Herrn Q1 genommen, hat auf das
Ergebnis keine Auswirkung, da dies die vom Gesetzgeber gewollte Konsequenz einer
Überleitung nach § 90 BSHG ist.
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Die übrigen gesetzlichen Voraussetzungen für eine rechtmäßige Überleitungsanzeige
sind gegeben. Insbesondere hat der Beklagte das ihm zustehende Ermessen fehlerfrei
ausgeübt (§ 39 Abs. 1 Satz 1 SGB I).
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Da es bereits an hinreichenden Erfolgsaussichten der Klage fehlt, kommt es nicht mehr
darauf an, ob die wirtschaftlichen Voraussetzungen der Gewährung der
Prozesskostenhilfe vorliegen.
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