Urteil des VG Düsseldorf vom 22.04.2009

VG Düsseldorf (schwimmunterricht, wichtiger grund, aus wichtigen gründen, befreiung, restriktive auslegung, schüler, schule, körper, sport, grund)

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 18 K 7793/08
Datum:
22.04.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
18. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
18 K 7793/08
Schlagworte:
Schwimmunterricht Befreiung koedukativ Muslimin Islam Bekleidung
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Die Berufung gegen dieses Urteil wird zugelassen.
Tatbestand:
1
Die Klägerin ist Schülerin der G Schule in T und befindet sich im Schuljahr 2008/2009 in
der 6. Klasse.
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Die Eltern der Klägerin stellten für die Klägerin einen Antrag auf Befreiung vom
Schwimmunterricht. Mit Bescheid vom 19.08.2008 lehnte die Beklagte den Antrag der
Klägerin ab und trug dabei vor, der Schwimmunterricht sei fester Bestandteil des
Regelunterrichts und gehöre zum Bildungsauftrag der Schule. Er sei für alle
Schülerinnen und Schüler verbindlich. Die Klägerin könne in einer besonderen
Badebekleidung (z.B. Leggins und T-Shirt) am Schwimmunterricht teilnehmen.
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Gegen diese Ablehnung legte die Klägerin mit Schreiben vom 15.09.2008 am
17.09.2008 Widerspruch ein. Diesen begründete sie damit, dass eine Befreiung vom
Schwimmunterricht aus wichtigen Gründen nach § 43 Abs. 3 SchulG NRW erfolgen
müsse. Ein solcher wichtiger Grund liege in religiösen Gründen. Sie könne aus diesen
Gründen nicht am koedukativen Schwimmunterricht teilnehmen. Auch eine spezielle
Badekleidung würde den Gewissenkonflikt nicht lösen, da der durchnässte Stoff einer
besonderen Badebekleidung wie Leggins und T-Shirt so am Körper hafte, dass es zu
einer starken Körperbetonung komme und dadurch ihr Schamgefühl verletzt werde.
Auch führe der Anblick von Jungen mit zweckentsprechend geschnitten Badehosen zur
Verletzung islamischer Regeln. Darüber hinaus gehöre auch unter Frauen der Bereich
zwischen dem Bauchnabel und dem Knie zu dem Bereich, dessen Anblick nicht erlaubt
sei. Ferner seien im Schwimmbecken körperliche Berührungen mit Jungen
unvermeidbar. Sie hätte auch in den Sammelduschen und Umkleidekabinen keine
Möglichkeit, sich umzuziehen und zu duschen, ohne dass sie den Blicken Anderer
ausgesetzt sei. Es komme nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
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nur dann eine Teilnahme am Schwimmunterreicht in Betracht, wenn bestimmte
Bekleidungsvorschriften eingehalten würden. Außerdem müsste der Schwimmunterricht
nach Geschlechtern getrennt von einer der Geschlechtergruppe entsprechenden
Lehrkraft erteilt werden, die Räumlichkeiten müssten so verschlossen sein, dass auf
keinen Fall das jeweils andere Geschlecht Zutritt bzw. Einblick in die Räumlichkeiten
des anderen Geschlechts haben könne, gemeinsames Duschen sei weder für Mädchen
noch für Jungen erlaubt und es müssten getrennte Duschkabinen vorhanden sein.
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.10.2008 wies die Bezirksregierung Düsseldorf den
Widerspruch der Klägerin gegen den ablehnenden Bescheid der Beklagten zurück.
Dabei führte sie im Einzelnen aus, dass ein nach Geschlechtern getrennter
Schwimmunterricht aus organisatorischen Gründen bei der Beklagten nicht möglich sei.
Das Tragen geeigneter Schwimmkleidung genüge aber den allgemeinen
Glaubensvorschriften des Islam. Geeignete Kleidung wäre z.B. das Tragen einer
Badehaube an Stelle des Kopftuches in Verbindung mit langer Badebekleidung wie sie
ein Neoprenanzug, Schwimmbekleidung für Rettungs-Kleiderschwimmen oder spezielle
Wassersportbekleidung wie die sog. "Burkini" oder "Haschema" es darstellten. Die
letztgenannte Bekleidung zeichne sich vor allem dadurch aus, dass sei im nassen
Zustand weder am Körper klebe noch die Körperformen übermäßig deutlich zur Schau
stelle. Die öffentliche Begegnung mit gleichaltrigen Jungen in allen Gesellschaft
üblichen Bekleidungsformen sei für die in einer westlich-abendländischen
Kulturgesellschaft unvermeidlich und müsse daher zumutbar sein. Auch körperliche
Berührungen gehörten zum alltäglichem Umgang junger Menschen untereinander.
Darüber hinaus bestehe die Möglichkeit, dass die Klägerin eine Einzelumkleidekabine
und eine uneinsehbarere Dusche benutze. Die Klägerin habe daher den koedukativen
Schwimmunterreicht zu besuchen, weil in Abwägung der betroffenen Grundrecht
festzustellen sei, dass es ihr trotz ihrer religiösen Überzeugung zuzumuten sei, am
Schwimmunterricht teilzunehmen. Der stattliche Bildungs- und Erziehungsauftrag
überwiege hier die geltend gemachten Vorbehalte.
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Mit ihrer am 13.11.2008 erhobenen Klage begehrt die Klägerin weiterhin die Befreiung
vom koedukativ erteilten Schwimmunterricht. Zur Begründung trägt sie im Einzelnen vor,
dass nur ein nach Geschlechtern getrennter Schwimmunterricht mit den Bekleidungs-
und Glaubensvorschriften des Islam zu vereinbaren sei Bei nicht nach Geschlechtern
getrenntem Unterricht besteh das Problem, dass die übrigen Mitschwimmer nicht
entsprechend gekleidet seien. Es sei bereits bei Jungen untereinander eine lockere
Badehose, die vom Nabel bis zum Knie reiche, erforderlich und bei Mädchen
untereinander eine Bekleidung, die den Bereich zwischen Nabel und Knie bedecke.
Das Tragen eines "Burkinis" oder einer "Haschema" sei nicht ausreichend, da auch das
Anschauen von männlichen Mitschülern in Badehosen sowie das Anschauen von
weiblichen Mitschülern im Bereich vom Bauchnabel bis zum Knie nicht mit ihrem
Glauben vereinbar sei. Außerdem würde sie sich im "Burkini" oder in der "Haschema"
wie ein Hampelmann fühlen. Die Teilnahme am koedukativen Schwimmunterricht sei ihr
unzumutbar. Die Verpflichtung verletze ihre Glaubensfreiheit aus Art. 4 Abs. 2 GG und
ihre Gewissensfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 GG.
6
Die Klägerin beantragt,
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den Bescheid der Beklagten vom 19.08.2008 in der Fassung des
Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung Düsseldorf vom 09.10.2008
aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr für das Schuljahr 2008/2009
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die Befreiung vom koedukativ erteilten Schwimmunterricht zu erteilen,
Die Beklagte beantragt schriftlich,
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die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung beruft sie sich auf die Ausführungen in dem Widerspruchsbescheid und
weist noch mal darauf hin, dass ein nach Geschlechtern getrennter Schwimmunterricht
organisatorisch nicht möglich sei
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Das Gericht konnte trotz Ausbleibens der Beklagten im Termin zur mündlichen
Verhandlung verhandeln und zur Sache entscheiden, da die Beklagte darauf in der
Ladung hingewiesen wurde, § 102 Abs. 2 VwGO.
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Die Klage ist nicht begründet.
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Die Ablehnung der beantragten Befreiung vom koedukativ erteilten Schwimmunterricht
im Schuljahr 2008/2009 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten;
die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Erteilung einer
entsprechenden Befreiung (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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Nach § 43 Abs. 3 Satz 1 SchulG kann die Schulleiterin oder der Schulleiter
Schülerinnen und Schüler auf Antrag der Eltern aus wichtigem Grund bis zur Dauer
eines Schuljahres vom Unterricht beurlauben oder von der Teilnahme an einzelnen
Unterrichts- oder Schulveranstaltungen befreien. Diese Vorschrift findet auf alle
Unterrichtsfächer, also auch auf das Fach Sport Anwendung. Das Fach Sport ist für
Schüler der 5./6. Klasse der Realschule ein gemäß § 3 Abs. 1 der Ausbildungs- und
Prüfungsordnung Sekundarstufe I (APO-SI) in Verbindung mit Anlage 2 zur APO-SI ein
der allgemeinen Schulpflicht nach Artikel 8 Abs. 2 der Verfassung des Landes
Nordrhein-Westfalen (LVerf NRW) in Verbindung mit § 29 SchulG unterliegendes
Pflichtfach.
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Ein Anspruch der Klägerin auf Befreiung vom koedukativ erteilten Schwimmunterricht
besteht hier nicht, weil in Würdigung der Umstände des Einzelfalles, wie sie von der
Klägerin vorgetragen worden sind, kein wichtiger Grund im Sinne der zuvor genannten
Vorschrift vorliegt. Dieser unbestimmte Rechtsbegriff des wichtigen Grundes erlaubt
eine Ausnahme von der dem staatlichen Bildungsauftrag aus Art. 7 Abs. 1 Grundgesetz
(GG) entsprechenden allgemeinen Schulpflicht. Jedoch ist angesichts der besonderen
Bedeutung des staatlichen Bildungsauftrags für die Gesellschaft sowie insbesondere für
die Verwirklichung der vom Grundgesetz allen Bürgern gleichermaßen eingeräumten
Grundrechte und dem Ziel des Schulwesens, allen jungen Bürgern gemäß ihren
Fähigkeiten die dem heutigen gesellschaftlichen Leben entsprechenden
Bildungsmöglichkeiten zu eröffnen,
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vgl. hierzu BVerfG, Urteil vom 6. Dezember 1972 – 1 BvR 230/70, 95/71 , BVerfGE 34,
165, 181 ff., 186 ff.; BVerwG, Urteil vom 25. August 1993, 6 C 30/02 -,
19
eine restriktive Auslegung geboten,
20
vgl. OVG NRW, Urteil vom 12. Juli 1991 - 19 A 1706/90 -.
21
Danach ist ein wichtiger Grund jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Durchsetzung
der Teilnahmepflicht an einem bestimmten Fach oder einer bestimmten schulischen
Veranstaltung eine grundrechtlich geschützte Position des Kindes und/oder seiner
Eltern unzumutbar verletzen würde,
22
vgl. OVG NRW, a.a.O.; Urteil vom 5. September 2007 – 19 A 4074/06 -, NWVBl. 2008,
S. 152 zu § 39 Abs. 3 S. 1 SchulG.
23
Das ist hier nicht der Fall. Im Fall der Klägerin muss das Recht der Glaubens- und
Religionsausübungsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) hinter dem in Art. 7 Abs. 1 GG
normierten staatlichen Erziehungsauftrag zurücktreten.
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Bei der gebotenen Abwägung der widerstreitenden Grundrechtspositionen gilt im
einzelnen Folgendes: Durch Art. 4 Abs. 1 und 2 GG ist das Recht der Klägerin gewahrt,
ihr gesamtes Verhalten – wozu auch die Beachtung von Bekleidungsvorschriften, die
vielfach einen nicht unwesentlichen Bestandteil der Lebensführung von Religions- oder
Weltanschauungsgemeinschaften bilden – an den Lehren des Glaubens auszurichten.
Danach ist der Wunsch der Klägerin, nicht an einer Schulveranstaltung teilzunehmen,
die sie zwingt, sich für sich als verbindlich erachteten religiösen Bekleidungs- oder
Verhaltensvorschriften zuwider zu verhalten, grundsätzlich durch die genannten
Grundrechtspositionen geschützt. Auch ist es dem Staat und dem staatlichen Gericht
verwehrt, eine Bewertung der vorgebrachten Glaubenshaltung oder eine Überprüfung
ihrer theologischen Richtigkeit vorzunehmen,
25
vgl. OVG NRW, Urteil vom 12. Juli 1991 - 19 A 1706/90 -.
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Allerdings trifft denjenigen, der unter Berufung auf seine Grundrechte Art. 4 Abs. 1 und 2
GG die Befreiung von einer vom Staat durch Gesetz allen auferlegten Pflicht – hier von
der allgemeinen Schulpflicht hinsichtlich des Sportunterrichts – begehrt, die
Darlegungslast dafür, dass er durch verbindliche Ge- oder Verbote seines Glaubens
gehindert ist, der gesetzlichen Pflicht zu genügen, und dass er in einen
Gewissenskonflikt gestürzt würde, wenn er entgegen dieser Ge- oder Verbote die
gesetzliche Pflicht erfüllen müsste. Erst die konkrete, substantiierte und hinsichtlich des
Inhalts des als verpflichtend dargestellten religiösen oder weltanschaulichen Gebots
ausreichend objektivierbare Darlegung eines Gewissenskonflikts als Konsequenz aus
dem Zwang, der eigenen Glaubensüberzeugung zuwiderzuhandeln, ist geeignet, einen
möglichen Anspruch auf Befreiung von einer konkret entgegenstehenden, grundsätzlich
für alle geltenden Pflicht unter der Voraussetzung zu begründen, dass der Zwang zu
Befolgung dieser Pflicht die Glaubensfreiheit verletzen würde.
27
Vgl. BVerwG, Urteil vom 25. August 1993 -6 C 30/92 - Urteil vom 12. Dezember 1972
1 C 30/69 -.
28
Ausgehend hiervon hegt das Gericht keine Zweifel daran, dass die von der Klägerin
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vorgetragenen Gründe für die Weigerung, am koedukativ geführten Schwimmunterricht
teilzunehmen, auch auf von ihr als verbindlich erachteten Ge- oder Verboten des Islam
basieren. Das Gericht geht zu Gunsten der Klägerin davon aus, dass es nach ihren
religiösen Wertvorstellungen nicht erlaubt ist, mit einer eng anliegenden
Badebekleidung am Schwimmunterricht teilzunehmen. Denn eine Bewertung dieser
konkret vorgebrachten Glaubenshaltung oder eine Überprüfung ihrer theologischen
Richtigkeit ist, wie oben schon angegeben, dem Staat und dem staatlichen Gericht
verwehrt.
Die Annahme einer als verbindlich erachteten Glaubenshaltung durch die Klägerin führt
aber nicht zwangsläufig zu der Annahme eines wichtigen Grundes im Sinne des § 43
Abs. 3 Satz 1 SchulG und damit zu einer Befreiung vom Schwimmunterricht. Das
Rechte aus Artikel 4 Abs. 1 und 2 GG ist zwar vorbehaltlos gewährleistet. Sie gelten
aber nicht schrankenlos. Kollidierende Grundrechte Dritter und andere mit
Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte sind mit Rücksicht auf die Einheit der
Verfassung und die von ihr geschützte gesamte Wertordnung imstande, sie zu
begrenzen. Auftretende Konflikte sind dann über die Herstellung praktischer
Konkordanz im Einzelfall zu lösen,
30
vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 26. Mai 1970 – 1 BvR 83/69, 244/69 –, BVerfGE 28,
243 (261).
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Dementsprechend kann der staatliche Bildungs- und Erziehungsauftrag aus Artikel 7
Abs. 1 GG, bei dem es sich um einen mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechtswert
handelt, das Recht auf freie Religionsausübung aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG
beschränken,
32
vgl. OVG NRW, Urteil vom 5. September 2007 – 19 A 4074/06 –, NWVBl. 2008, 153.
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Gemessen hieran kommt dem – hier in der Form des Schwimmunterrichts
durchgeführten – Sportunterricht im Rahmen des staatlichen Bildungskonzepts eine
bedeutsame Funktion zu.
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Der Sportunterricht hat positive Auswirkungen auf die Gesundheit der Schüler und die
Entwicklung ihrer sportlichen Fähigkeiten, die Einübung sozialen Verhaltens und das
gerade auch beim Schwimmunterricht bedeutsame Erlernen der Einhaltung von Regeln
und Vorschriften hin. Damit trägt der Sportunterricht in besonderer Weise zur Erfüllung
wichtiger überfachlicher Erziehungsaufgaben der Schule (Gesundheitsförderung,
soziales Lernen, Regelbeachtung etc.) bei. Das gilt insbesondere angesichts der
zunehmenden motorischen Defizite und körperlichen Leistungsschwächen bei
Schulkindern. In diesem Bereich bietet der Schulsport erhebliche Potenziale zur
sozialen Prävention und Intervention. Er kann auch pädagogische Beiträge zur
Koedukation, zur interkulturellen Erziehung und auch zur Gewaltprävention leisten (vgl.
nur Beschluss der Kultusministerkonferenz vom 16. September 2004, S. 9,
www.kmk.org). Gerade das Erlernen von Fähigkeiten in einem Handlungsraum, der
Spontanität genauso erfordert wie planerisches Denken, Durchsetzungsvermögen wie
Sensibilität, Leistungsstärke des Einzelnen wie Solidarität mit Schwächeren, ermöglicht,
dass durch Sport negatives Sozialverhalten verringert und jene Spannungen positiv
wirksam werden, die aus unterschiedlichen Begabungen, Neigungen und
Temperamenten resultieren. Bei dem Schwimmunterricht kommt für die Schülerinnen
und Schüler die Erfahrung hinzu, dass das Medium Wasser einen besonderen Reiz
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ausübt, die normalen menschlichen Fähigkeiten jedoch unzureichend sind und
lebensbedrohlich sein können. Dem durch den Schwimmunterricht vermittelten
Gefahrenbewusstsein, dem Ziel, das Schwimmen zu erlernen, und der hierdurch
erfahrenen realistischen Einschätzung der eigenen körperlichen Leistungsfähigkeit
kommt daher eine für die gesamte Lebensführung der Kinder wichtige und der
Vermeidung späterer lebensbedrohlicher Situationen dienliche Bedeutung zu.
Angesichts dieser Fülle von Bildungs- und Erziehungszielen kommt dem Umstand, dass
die Klägerin – nach ihren Angaben – schon schwimmen kann, keine maßgebliche
Bedeutung zu.
Der wie vor definierte staatliche Erziehungsauftrag lässt sich zunächst nicht dadurch mit
den widerstreitenden Rechtspositionen der Klägerin in einen schonenden Ausgleich
bringen, dass der Schwimmunterricht nicht koedukativ, sondern nach Geschlechtern
getrennt durchgeführt wird. Hierzu hat die Beklagte auf die dem durchgreifend
entgegenstehenden, ohne weiteres nachvollziehbaren Organisationsschwierigkeiten
und Hindernisse hingewiesen. Im Übrigen wäre zweifelhaft, ob der Klägerin ein
Anspruch auf einen nach Geschlechtern getrennten Schwimmunterricht zustünde, selbst
wenn das schulorganisatorisch möglich wäre. Denn dieser Anspruch kollidierte
möglicherweise mit dem Anspruch anderer Eltern und Schüler bzw. Schülerinnen, die
zum Erlernen wichtiger sozialer Werte, die gerade im Sport- bzw. Schwimmunterricht
vermittelt werden, auf einen koedukativ durchgeführten Schwimmunterricht Wert legen.
Insofern, d.h. bei einem nach Geschlechtern getrennten Schwimmunterricht, läge gerade
kein "schonender Ausgleich" widerstreitender Grundrechte vor, sondern allein die
kompromisslose Durchsetzung eines Einzelinteresses gegenüber den Belangen des
staatlichen Bildungs- und Erziehungsauftrages.
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Anders als in dem vom Bundesverwaltungsgericht,
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Urteil vom 25. August 1993 – 6 C 8/91 –, NVwZ 1994, 578,
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entschiedenen Fall sieht das erkennende Gericht hier nach den Gegebenheiten und
Möglichkeiten des Einzelfalls auch nicht die rechtliche Notwendigkeit, wegen der
organisatorischen Schwierigkeiten, einen nach Geschlechtern getrennten
Schwimmunterricht anzubieten, zu Zwecken der Herbeiführung eines schonenden
Ausgleichs die Klägerin vom Schwimmunterricht zu befreien.
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Dieser schonende Ausgleich kann nämlich in der Weise beigeführt werden, dass die
Klägerin unter weitgehender Beachtung der von ihr als verbindlich erachteten
Bekleidungsvorschriften am Schwimmunterricht teilnimmt. So gibt es heute durchaus
Badebekleidung, die bis auf das Gesicht und die Hände vollständig den Körper bedeckt
und die wegen der Eigenart des Textils oder ihres Stoffes ein enges Anliegen an den
Körper ausschließt wie z.B. einen sog. "Burkini" oder eine "Haschema". Die Haare
können durch das Tragen einer Badekappe verdeckt werden. Auch ist es für das
erkennende Gericht maßgebend, dass der zeitlich größte Teil des Schwimmunterrichts
im Wasser stattfindet, wo die Konturen des Körpers aufgrund der physikalischen
Gegebenheiten nur unscharf und daher nicht beeinträchtigend wahrgenommen werden
können. Sollte theoretischer Unterricht außerhalb des Wassers stattfinden, ist es der
Klägerin möglich, ihren Körper mit einem entsprechend weiten Bademantel zu
verhüllen. Soweit beim Einstieg in das Wasser und dem Ausstieg aus dem Wasser eine
enger liegende Badebekleidung der Klägerin gesehen werden mag – was die Klägerin
durch Tragen eines "Burkinis" oder einer "Haschema" vermeiden könnte - , erfolgt die
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dadurch verursachte Beeinträchtigung ihrer religiösen Glaubensüberzeugung nur in
einem zeitlich geringen Moment und ist von ihr gegenüber den zuvor genannten Werten
der staatlichen Bildungs- und Erziehungsarbeit, die auch und gerade im
Schwimmunterricht vermittelt werden, hinzunehmen. Dabei wird die Schule sämtliche
pädagogischen und organisatorischen Möglichkeiten ausnützen können und müssen,
um sowohl einer möglichen Außenseiterrolle der Klägerin entgegenzuwirken als auch
ihr die Möglichkeit zu geben, sich ihren Glaubensüberzeugungen entsprechend um-
bzw. wieder ankleiden zu können, etwa durch Vorhaltung einer Einzelkabine oder durch
Zulassung der Möglichkeit eines zeitversetzten Um- bzw. Ankleidens. Insoweit wird die
Schule auch gehalten sein, etwa bestehende organisatorische Schwierigkeiten zu
überwinden. Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass Leistungsdefizite der Klägerin, die
auf die Eigenart ihrer Badebekleidung zurückzuführen sind, bei der Notenvergabe in der
Weise berücksichtigt werden müssen, dass ihr dadurch keine Nachteile entstehen.
Soweit die Klägerin vorträgt, sie dürfe Jungen mit zweckentsprechend geschnittener
oder eng anliegender Sportbekleidung bei ihren Übungen nicht zusehen, ist zu
beachten, dass Schule nicht im isolierten Raum stattfindet, sondern eingebunden ist in
die Vielschichtigkeit und das soziale Gefüge der in Deutschland gelebten
Gesellschaftsform. Diese zeichnet sich durch von Konventionen und Normen
weitgehend losgelöste Verhaltensweisen aus, die auch ausgelebt werden. Das
bedeutet, dass im alltäglichen Zusammenleben überall und jederzeit Situationen
anzutreffen sind, in denen muslimische Glaubensangehörige mit anderen
Wertvorstellungen konfrontiert werden, mit denen sie umgehen müssen. Nichts anderes
gilt für staatlichen Schwimmunterricht, bei dem – wie zuvor ausgeführt – die
pädagogische Aufgabe der Lehrpersonen besteht, Spannungen abzumildern. Das gilt
auch hinsichtlich der geäußerten Befürchtung, eine körperliche Berührung von Jungen
sei in einem gemeinsamen Schwimmunterricht nicht zu vermeiden. Auch dem kann
organisatorisch und pädagogisch begegnet werden.
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Durch die vorgenannten Aspekte ist der Eingriff in die Religionsfreiheit soweit
abgemildert, dass die Zumutbarkeitsgrenze in der Gesamtschau - jedenfalls hinsichtlich
einer Schülerin der 6. Klasse – nicht überschritten wird.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Zulassung der Berufung folgt aus § 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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