Urteil des VG Düsseldorf vom 30.08.2005

VG Düsseldorf: fraktion, debatte, initiativrecht, tagesordnung, verwaltung, zusammenarbeit, ermessen, beratung, gemeinde, mehrheit

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 1 K 5578/03
Datum:
30.08.2005
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 5578/03
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
1
Die in den beklagten Rat gewählten Mitglieder der T bilden - wie schon in der
vorangegangenen Wahlperiode - eine Fraktion. Mit Schreiben vom 11.3.2003 bat die T-
Fraktion, folgenden Antrag auf die Tagesordnung der nächsten Ratssitzung am
20.3.2003 zu nehmen:
2
„I. Der Rat der Stadt E bestätigt die Regelungen des § 10 (Übertragung von
Entscheidungsbefugnissen für den Bereich der Personalverwaltung) der Hauptsatzung
der Stadt E und bekräftigt, dass er seine Entscheidungsbefugnisse für den Bereich der
Personalverwaltung wie folgt auf den Personal- und Organisationsausschuss überträgt.
3
1. Der Personal- und Organisationsausschuss entscheidet über
4
1.1 die Einstellung (einschließlich der Versetzung von einem anderen Dienstherrn), die
Anstellung, Beförderung und Entlassung von Beamtinnen und Beamten,
5
1.2 die Begründung, Änderung und Beendigung der Arbeitsverhältnisse von
Angestellten,
6
wenn es sich um Personen handelt,
7
- denen (...) die Leitung oder stellvertretende Leitung eines Amtes oder Instituts, die
8
Leitung einer Bezirksverwaltungsstelle, eine mit BesGr A 15 bzw. VergGr I a oder höher
bewertete Aufgabe übertragen werden soll bzw. übertragen wurde,
- die als Angestellte eine über die höchste tarifliche Vergütungsgruppe hinausgehende
Vergütung erhalten sollen bzw. erhalten.
9
II Der Rat bestätigt seine Auffassung, dass für eine moderne Großstadtverwaltung die
sorgfältige Auswahl der Führungskräfte von großer Bedeutung ist. Ihre Auswahl muß
transparent und nach modernen Methoden der Personalauswahl erfolgen. Hierbei ist
besonders die soziale Kompetenz ein wichtiges Kriterium. Die Bestimmungen in den
Richtlinien zu Personalwirtschaft stellten dies grundsätzlich sicher und bildeten eine für
alle Seiten verlässliche Basis für die Personalwirtschaft. Die Verwaltung wird daher
beauftragt, umgehend neue Richtlinien zur Personalwirtschaft in Zusammenarbeit mit
dem Personalrat und dem Frauenbüro zu erarbeiten.
10
III Der Rat beauftragt den Oberbürgermeister, dem Rat in seiner nächsten Sitzung
schriftlich seine Rechtsauffassung zu folgenden Punkten dazulegen: a) Welche Rechte
haben Rat bzw. Personal- und Organisationsaus- schuss und O b e r b ü r g e r m e i s t
e r i n B e z u g a u f d i e u n t e r I g e n a n n t e n Personalangelegenheiten und
geltendes Stadtrecht? b) Wie sind die Zuständigkeiten für die grundsätzlichen
Regelungen der Personalwirtschaft und Personalentwicklung in Zusammenhang mit der
Hauptsatzung und der Zuständigkeitsordnung zu sehen?"
11
In der Sitzung des Beklagten vom 20.3.2003 konnte der Antrag aus Zeitgründen nicht
verhandelt werden. Er wurde sodann als TOP 7 a in der Ratssitzung vom 8.5.2003
aufgerufen und ein Mitglied der T-Fraktion, Ratsfrau Q, machte Ausführungen zur
Begründung des Antrages. Die Debatte verlief kontrovers und wurde mehrfach - u.a. zur
Einberufung des Ältestenrates - unterbrochen. Die Beratung hatte kein Sachergebnis,
weil die Beschlussunfähigkeit des Rates festgestellt wurde, nachdem die Mitglieder der
D1-Fraktion den Ratssaal verlassen hatten.
12
Der o.g. Antrag der T-Fraktion sollte sodann als TOP 6 a Gegenstand der Sitzung des
Beklagten vom 26.6.2003 sein. Zu TOP 1 jener Sitzung hatten die Ratsfraktionen der D1
und G beantragt, den TOP 6 a abzusetzen. Nach längerer Geschäftsordnungsdebatte
beschloss der Beklagte mit der Mehrheit von D1 und G u.a. gegen die Stimmen der
Mitglieder der T-Fraktion, den Tagesordnungspunkt 6 a abzusetzen.
13
Am 22.8.2003 hat die T-Fraktion Klage erhoben, die sie als Feststellungsklage im Sinne
des Kommunalverfassungsstreitverfahrens verstanden wissen will, und die zur
Verteidigung wehrfähiger Innenrechte zulässig sei. In der Sache sieht sie ihr
Initiativrecht verletzt. Nach § 48 Abs. 1 S. 2 GO NW habe sie nicht nur das Recht auf
Aufnahme ihres Antrages in die Tagesordnung. Vielmehr bestehe auch ein Anspruch
der Fraktion darauf, Anträge vor einer etwaigen Entscheidung über deren Absetzung in
angemessenem Umfang mündlich zu erläutern. Denn nur dann sei der Beklagte in der
Lage, eine Sachentscheidung darüber zu treffen, in welcher Weise er sich mit der
Angelegenheit befassen wolle. Lasse man zu, dass die Gemeinderatsmehrheit ohne
jegliche Auseinandersetzung zur weiteren Tagesordnung übergehe, laufe das
Initiativrecht leer. Die T-Fraktion habe die bisherige Debatte über ihren Antrag
keineswegs zu unsachlichen Angriffen gegen den Oberbürgermeister genutzt oder
nutzen wollen. Ihre Anträge seien auch nicht dadurch inhaltlich erledigt gewesen, dass
die Verwaltung bei anderer Gelegenheit Stellungnahmen abgegeben und sich der
14
Beklagte in anderem Zusammenhang mit dem Sachkomplex befasst habe. Vielmehr sei
ein erheblicher Beratungs- und Entscheidungsbedarf übriggeblieben.
Die Klägerin beantragt,
15
festzustellen, dass der Beschluss des Beklagten vom 26. Juni 2003, den TOP 6 a von
der Tagesordnung der Ratssitzung abzusetzen, Rechte der T-Fraktion verletzt hat.
16
Der Beklagte beantragt,
17
die Klage abzuweisen.
18
Der Beklagte widerspricht der Klageänderung, die in einem Eintritt der nach der
Kommunalwahl im Herbst 2004 erneut gebildeten T-Fraktion als Klägerin in den seit
2003 anhängigen Rechtsstreit liegen könnte. Er hält die Klage im übrigen deshalb für
unzulässig, weil es an einem besonderen Feststellungsinteresse fehle. Jedenfalls sei
die Klage unbegründet, da die T-Fraktion ausreichend Gelegenheit gehabt habe, ihr
Anliegen zu begründen. Bereits in der Ratssitzung vom 8. Mai 2003 habe Ratsfrau Q
ausreichend Gelegenheit gehabt, den Antrag zu begründen, jedoch ohne Sachbezug
den Oberbürgermeister angegriffen. Vor diesem Hintergrund sei ein weiteres Verlangen
nach einer Begründungsmöglichkeit rechtsmissbräuchlich gewesen. Ungeachtet
dessen habe auch in der Ratssitzung vom 26. Juni 2003 Gelegenheit bestanden, die
Gründe des Antrages vorzutragen. Sie sei u.a. durch den Ratsherrn X genutzt worden.
Zu einer weiteren Befassung habe auch deshalb kein Anlass bestanden, weil die Ziffern
II und III des Antrages bereits zu Beginn der Ratssitzung vom 26. Juni 2003 erledigt
gewesen seien. Nach Ziffer II habe die Verwaltung neue Richtlinien zur
Personalwirtschaft erarbeiten sollen, was der Oberbürgermeister im Personalausschuss
bereits angekündigt habe. Die unter Ziffer III nachgesuchte schriftliche Darlegung der
Rechtsauffassung des Oberbürgermeisters sei ebenfalls gegenüber den Fraktionen
bereits erfolgt. Die mit Ziffer I begehrte Bestätigung einer bereits bestehenden Regelung
sei dem Recht fremd. Unabhängig davon habe die TOP 5 eine Änderung der
Hauptsatzung vorgesehen, weshalb sich der Rat zwangsläufig mit der Norm habe
befassen müssen.
19
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten
Bezug genommen.
20
Entscheidungsgründe
21
I.
22
Die Klage ist entsprechend der ständigen Rechtsprechung des
Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen, der die Kammer folgt, als
Feststellungsbegehren statthaft. Zwischen den Beteiligten bestehen u.a. durch § 48 GO
NW verfasste wehrfähige innerorganschaftliche Beziehungen, die Gegenstand eines
Rechtsverhältnisses im Sinne von § 43 Abs. 1 VwGO sein können. Hingegen besteht für
eine der verwaltungsaktbezogenen Klagearten (§ 42 VwGO) kein Raum, weil die
umstrittenen Maßnahmen mangels Außenwirkung keine Verwaltungsakte sind.
23
An der nachgesuchten Feststellung hat die Klägerin auch ein berechtigtes Interesse.
Dies gilt unabhängig von der Frage, ob die nach der Kommunalwahl neugebildete T-
24
Fraktion, namens derer in der mündlichen Verhandlung vor der Kammer Sachanträge
gestellt worden sind, mit jener Fraktion identisch ist, namens derer die Klage
ursprünglich erhoben ist. Auch wenn man diese Frage - anders als bei den Organen
‚Rat' und ‚Bürgermeister' - mit dem Argument verneinen wollte, der freiwillige
Zusammenschluss von Ratsmitgliedern zu einer Fraktion sei nach seiner
Zweckbestimmung von vornherein auf die Dauer einer Wahlperiode beschränkt, wäre
die Klage zulässig. In diesem Fall wäre die neugebildete T-Fraktion im Wege eines
gewillkürten Parteiwechsels an die Stelle der früheren Fraktion getreten. Diese
subjektive Klageänderung wäre ungeachtet der fehlenden Einwilligung des Beklagten
nach § 91 Abs. 1 VwGO wegen Sachdienlichkeit zulässig. Denn der Streitstoff des
Verfahrens bleibt trotz Klägerwechsels im wesentlichen derselbe und das streitige
Rechtsverhältnis kann durch Fortführung des Verfahrens durch die neugebildete T-
Fraktion einer endgültigen Klärung zugeführt werden. Insoweit ist unschädlich, dass das
Ereignis, das Anlass zur Klage gegeben hat, in der vergangenen Wahlperiode
gegenüber der damals bestehenden T-Fraktion eingetreten ist. Denn das
Kommunalverfassungsstreitverfahren setzt nicht notwendig voraus, dass dem
klagenden Organ oder Organteil selbst eine Rechtsverletzung bereits zugefügt worden
ist. Das vom Gesetz lediglich geforderte Interesse an der Feststellung liegt vielmehr
auch dann vor, wenn zwischen den Beteiligten organschaftliche Rechte streitig sind und
zu erwarten ist, dass sich jener Streit alsbald in der täglichen Zusammenarbeit
konkretisieren wird.
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 27.03.1990 - 15 A 2666/86 -, NWVBl 1990, 265; VGH
Kassel, Urteil vom 03.09.1985 - 20 E 93/83 -, NVwZ 1986, 328.
25
Diese Voraussetzungen sind hier gegeben. Denn zwischen den Beteiligten ist weiterhin
umstritten, welches Recht der T-Fraktion zur Begründung ihrer Anträge gegenüber der
Ratsmehrheit zusteht.
26
Die Zulässigkeit der Klage scheitert auch nicht an deren Rechtsmissbräuchlichkeit.
Denn die zwischen den Beteiligten umstrittene Frage, ob das Verhalten der T-Fraktion
in der Sitzung selbst rechtsmissbräuchlich war oder hätte sein sollen, ist von der Frage
zu trennen, ob die Klägerin ein prozessuales Recht darauf hat, jene Fragen geklärt zu
wissen. Anhaltspunkte dafür, dass das gerichtliche Verfahren sachfremden Zwecken
dienen soll, bestehen aber nicht.
27
II.
28
Die Klage ist unbegründet, weil die umstrittene Verfahrensweise des Beklagten die T-
Fraktion nicht in organschaftlichen Rechten verletzt hat.
29
Gemäß § 48 Abs. 1 S. 2 GO NW hat der Bürgermeister in die Tagesordnung Vorschläge
aufzunehmen, die ihm von einer Fraktion vorgelegt werden.
30
Diese Norm trägt das Feststellungsbegehren weder von ihrem Wortlaut, noch von ihrem
Sinn.
31
Nach dem Wortlaut der Bestimmung ist ihr Adressat der Oberbürgermeister. Dagegen
sagt die Vorschrift grundsätzlich nichts darüber, welches weitere Schicksal der
Tagesordnungspunkt bei der Behandlung durch den Rat hat.
32
Diese vom Wortlaut vorgegebene Deutung entspricht dem Sinn der Bestimmung. Denn
das Initiativrecht nach § 48 Abs. 1 S. 2 GO NW regelt das Spannungsverhältnis
zwischen den beiden durch unmittelbare demokratische Wahl legitimierten
Gemeindeorganen Bürgermeister und Rat. Wird eine Initiative aus der
Vertretungskörperschaft von dem im Gesetz beschriebenen Quorum getragen, soll nur
die Vertretungskörperschaft selbst darüber entscheiden, ob sie sich mit der
Angelegenheit befassen will. Dem Bürgermeister kommt demgemäss selbst dann das
Recht zu einer Vorentscheidung nicht zu, wenn der Rat aus Rechtsgründen keine
Sachentscheidung treffen dürfte.
33
Vgl. etwa OVG NW, Urteil vom 16.12.1983 - 15 A 2027/83 -, DÖV 1984, 300.
34
Schützt § 48 Abs. 1 GO NW daher primär die Souveränität der Vertretungskörperschaft
gegenüber dem Bürgermeister, so folgt hieraus zugleich, dass sie den
Willensbildungsprozess innerhalb der Vertretung nicht unmittelbar im Blick hat.
Allerdings hat die Rechsprechung von jeher dem Initiativrecht auch Gesichtspunkte des
Minderheitenschutzes entnommen. Es soll gewährleisten, dass die politischen
Vorstellungen auch der kleinen Fraktionen vor den Rat gebracht werden können und
umfasst demgemäss die Befugnis, Vorschläge vor dem Rat in angemessenem Umfang
mündlich zu erläutern. Es schließt demgemäss aus, dass die Ratsmehrheit ohne
jegliche Auseinandersetzung mit dem von der Minderheit gestellten Antrag zur weiteren
Tagungsordnung übergeht ohne den Antragstellern die Chance zu geben, die Mehrheit
von der Notwendigkeit zu überzeugen, dass eine Befassung und eine Entscheidung für
den Gegenstand zulässig und geboten sei.
35
Vgl. OVG NW, Urteil vom 21.12.1988 - 15 A 951/87 -, DÖV 1989, 595.
36
Demgegenüber ist nicht weniger zu berücksichtigen, dass der Rat als
Selbstverwaltungsgremium eine der Geschäftsordnungsautonomie eine Parlamentes
entsprechende Befugnis zur Selbstgestaltung seiner inneren Angelegenheiten hat.
37
Vgl. etwa OVG Lüneburg, Urt. Vom 14.2.1984 - 5 A 217/89 -, Die Gemeinde 1984, 227.
38
Dies schließt aus, die Vertretungskörperschaft für verpflichtet zu halten, zu jedem Punkt
der Tagesordnung eine Debatte in der Sache zu ermöglichen. Dementsprechend kann
sich die Debatte im Rat auch auf die Frage beschränken, ob die Vertretungskörperschaft
das mit dem Antrag verbundene Anliegen aufgreifen und diskutieren oder auf eine
weitere Erörterung verzichten will. Gründe für eine Entscheidung im letzteren Sinne
können namentlich sein, dass die Gemeinde sich mit dem Gegenstand überhaupt nicht
befassen darf,
39
Vgl. OVG NW, Urteil vom 16.12.1983, aaO,
40
dass der Rat sich bereits unmittelbar zuvor in gegenteiliger Hinsicht festgelegt hatte,
weitere Entwicklungen abwarten will oder aus sonstigen Gründen eine Befassung mit
dem Gegenstand für sinnlos hält. Dem Initiativrecht ist in diesen Fällen genügt, wenn die
Antragsteller die Gelegenheit haben, die aus ihrer Sicht bestehende Notwendigkeit
einer Sacherörterung darzulegen. Allerdings hat die Debatte im Rat nicht ausschließlich
den Zweck, den Meinungsbildungsprozess innerhalb der Vertretungskörperschaft
herbeizuführen. Ihre grundsätzlich geforderte Öffentlichkeit (§ 48 Abs. 2 S. 1 GO NW)
dient auch dem aus dem Demokratieprinzip abzuleitenden Zweck, den politischen
41
Willensbildungsprozess für die Bürger transparent zu machen; die Kontrolle durch die
Öffentlichkeit bedeutet außerdem eine weitere Sicherung der Integrität des
Entscheidungsprozesses. Auch diesem Anliegen wird genügt, wenn der Rat über die
Frage der sachlichen Behandlung eines Antrages diskutiert, von einer materiellen
Beratung aber absieht. Denn auch mit dieser Debatte stellt sich die
Vertretungskörperschaft der Beurteilung durch die Wählerinnen und Wähler, ob das
Absehen von einer Sachdebatte als sachgerecht oder als Unterdrücken unliebsamer
Kritik bewertet wird.
Dementsprechend war in der Rechtsprechung von jeher unbestritten, dass der Rat allein
darüber befindet, ob und in welcher Weise er sich mit der jeweiligen Angelegenheit
befassen will.
42
Vgl. OVG NW, Urteil vom 21.12.1988, aaO; Urteil vom 30.03.2004 - 15 A 2360/02 -,
NWVBl. 2004, 378;
43
vgl. ferner zu sinnähnlichen Normen der GO SchlHolst: OVG Lüneburg, Urteil vom
14.02.1984, aaO; VG Schleswig, Urteil vom 8.8.1996 - 6 A 62/96 -; zur Befugnis des
Gesamtorganes Rat, darüber zu disponieren, welche Sachinformationen eingeholt
werden, vgl. ferner Urt. der erkennenden Kammer vom 17.09.2004 - 1 K 5435/01 -.
44
Das dem durch unmittelbare Wahl demokratisch legitimierten Beklagten hiernach
eingeräumte Ermessen, sich des Anliegens der T-Fraktion anzunehmen oder von einer
Erörterung abzusehen, ist vom Gericht nur in eingeschränktem Umfange überprüfbar.
Vor dem Hintergrund der vorgenannten Erwägungen und des Fehlens weiterer
normativer Vorgaben findet es seine Grenze nur am offenkundigen Missbrauch, d.h.
dem sinnwidrigen Gebrauch einer formalrechtlich zugeordneten Position. Daran kann
etwa gedacht werden, wenn sich die Erörterung einer Angelegenheit im Plenum wegen
ihres Gewichtes aufdrängen muss und ebenso auf der Hand liegt, dass ihre
Verhinderung auf dem Wunsch beruht, eine Debatte vor den Augen der Öffentlichkeit zu
verhindern.
45
Hiervon kann im vorliegenden Fall keine Rede sein.
46
In der Sitzung vom 26. Juni 2003 hat der Beklagte ausführlich über die Absetzung des
von der T-Fraktion benannten Tagesordnungspunktes beraten. Dabei haben Vertreter
der T-Fraktion, wie auch die Mitglieder anderer Fraktionen, ihren Standpunkt ausführlich
begründet. Insbesondere der der T-Fraktion angehörende Ratsherr X hat in diesem
Zusammenhang auch ausgeführt, welche inhaltlichen Gründe aus Sicht der T-Fraktion
weiterhin für eine Befassung des Rats mit der Kompetenzverteilung in
Personalangelegenheiten sprechen. Die Debatte ist auf mehr als zehn Seiten der
Niederschrift über die Ratssitzung festgehalten. Sie endete, nachdem der Beklagte
einem Geschäftsordnungsantrag auf Schluss der Rednerliste - ohne dass die T-Fraktion
gegen dieses Verfahrens geschäftsordnungsmäßige Einwendungen erhoben hätte -
entsprochen hatte und als einzig verbliebener Redner noch der zur T-Fraktion
gehörende Ratsherr L1 gesprochen hatte.
47
In diesem Zusammenhang ist ferner zu berücksichtigen, dass die Ratssitzung vom 8.
Mai 2003 zwar wegen der im Laufe der Sitzung eingetretenen Beschlussunfähigkeit des
Beklagten zu keinem Sachergebnis geführt hatte, Vertreter der T-Fraktion aber zuvor
ausführlich auch zur sachlichen Berechtigung ihres Anliegens hatten sprechen können.
48
Dementsprechend ist das aus dem Initiativrecht folgende Rederecht der T-Fraktion
schon nicht beeinträchtigt. Es tritt hinzu, dass Gesichtspunkte für eine missbräuchliche
Handhabung der Geschäftsordnung nicht ersichtlich sind. Denn der Beklagte hat
dargelegt, aus welchen Erwägungen die Ratsmehrheit davon abgesehen hat, das
Anliegen der T-Fraktion sachlich aufzugreifen. Diese Erwägungen sind vertretbar, mag
sie die Klägerin selbst auch nicht für überzeugend halten. Ihre Gewichtung liegt im
politischen Ermessen des Beklagten.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
49
50