Urteil des VG Düsseldorf vom 09.07.2008

VG Düsseldorf: unternehmer, behörde, unternehmen, amtshandlung, rückruf, lebensmittel, gebühr, kontrolle, verschulden, verordnung

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 16 K 5442/07
Datum:
09.07.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
16. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
16 K 5442/07
Tenor:
Der Gebührenbescheid des Beklagten vom 6. November 2007 wird
aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe
des jeweils beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die
Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe
leistet.
Tatbestand:
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Am 16. April 2007 erhielt der Beklagte vom Landesamt für Natur, Umwelt und
Verbraucherschutz NRW (LANUV) in Form einer sog. Schnellwarnung die Mitteilung,
dass in den von der Firma S in T vertriebenen Produkten "M Curry-Paste grün" und "M
Curry-Paste rot" unzulässig hohe Weichmachergehalte festgestellt worden seien und
dass die Firma den Rückruf der betreffenden Produkte veranlasst habe. Daraufhin führte
der Beklagte am selben Tag in der Zeit von 11:00 Uhr bis 11:30 Uhr eine
Betriebskontrolle des klägerischen Betriebs in L, der zu den Abnehmern dieser Produkte
gehörte, durch. Ausweislich der Niederschrift über die Betriebskontrolle gab es keine
Beanstandung; die Rückführung der genannten Produkte sei bereits am 4. April 2007
durchgeführt worden.
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Mit Bescheid vom 6. November 2007 setzte der Beklagte gegenüber der Klägerin eine
Gebühr in Höhe von 100,-- Euro für die Überwachung des Rückrufes der beanstandeten
Lebensmittel fest. Er führte hierzu aus, dass es sich um die Mindestgebühr handele, die
gemäß §§ 14 und 24 in Verbindung mit § 2 Abs. 2 des Gebührengesetzes des Landes
NRW in Verbindung mit der Tarifstelle 23.10.2 des Gebührentarifs der Allgemeinen
Verwaltungsgebührenordnung des Landes NRW für Abhilfemaßnahmen zur
Beseitigung eines festgestellten Verstoßes i.S.v. Artikel 54 der Verordnung (EG) Nr.
882/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über
amtliche Kontrollen zur Überprüfung der Einhaltung des Lebensmittel- und
Futtermittelrechts sowie der Bestimmungen über Tiergesundheit und Tierschutz (VO
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(EG) Nr. 882/2004) zu erheben sei.
Die Klägerin hat am 27. November 2007 Klage erhoben. Sie macht geltend: Sie habe zu
der Amtshandlung keinen Anlass gegeben, da weder ein Verschulden noch ein Verstoß
gegen eine lebensmittelrechtliche Vorschrift vorgelegen habe. Sie betreibe 700 Filialen
in der Bundesrepublik Deutschland. Sollten andere Behörden genauso vorgehen wie
der Beklagte, kämen erhebliche Kosten auf sie zu, ohne dass ein Verschulden vorliegen
würde. Die Tatbestandsvoraussetzungen des
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Art. 54 VO (EG) Nr. 882/2004 seien nicht erfüllt. Weder habe der Beklagte einen Verstoß
festgestellt noch habe er Maßnahmen angeordnet, die er habe überwachen müssen.
Die betreffenden Produkte seien bereits mehrere Tage zuvor aus dem Verkauf
genommen worden. Art. 54 VO (EG) Nr. 882/2004 betreffe eindeutig nur die Fälle, in
denen eine Behörde einen Rückruf angeordnet habe. Dies sei im vorliegenden Fall
nicht gegeben. Der Beklagte sei lediglich einem Hinweis in den Schnellwarnungen des
LANUV nachgegangen. Art. 28 VO (EG) Nr. 882/2004 regele die Kostenübernahme
aufgrund zusätzlicher amtlicher Kontrollen, die über die normale Kontrolltätigkeit der
zuständigen Behörde hinausgingen. Darin sei festgelegt, dass nicht jede Feststellung
eines Verstoßes einen Kostenerstattungsanspruch auslösen solle. Zusätzliche
Kontrollen im Sinne dieser Vorschrift habe der Beklagte nicht durchgeführt.
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Die Klägerin beantragt,
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den Gebührenbescheid des Beklagten vom 6. November 2007 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er führt aus: Es habe sich bei der Kontrolle um eine Maßnahme gehandelt, die
erforderlich gewesen sei, um sicherzustellen, dass der Unternehmer Abhilfe schaffe.
Alle infolge der Durchführung des Art. 54 Abs. 2 lit c) VO (EG) Nr. 882/2004 anfallenden
Kosten seien gemäß Art. 54 Abs. 5 von dem betreffenden Futtermittel- und
Lebensmittelunternehmer zu tragen. Bei der Feststellung des Verstoßes komme es nicht
darauf an, ob die zuständige Behörde selbst im Rahmen der Überwachung oder erst
nach Erkennen und Mitteilung durch den Lebensmittelunternehmer den Verstoß
festgestellt habe. Zu den im Rahmen der Durchführung des Art. 54 anfallenden Kosten
gehörten auch die Kosten für die Überwachung eines freiwilligen Rückrufes. Dies sei
aus der Formulierung des Abs. 2 lit c) des Art. 54 klar ersichtlich. Die ggfs. erforderliche
Anordnung eines Rückrufes sei eine selbständige Maßnahme. Der betreffende
Lebensmittelunternehmer im Sinne dieser Vorschrift sei der Lebensmittelunternehmer,
bei dem die Überwachung des Rückrufes durchgeführt werde. Auf die Frage des
Verschuldens komme es im Gebührenrecht nicht an. Vielmehr sei zur Zahlung der
Kosten für die Amtshandlung verpflichtet, wer die Amtshandlung zurechenbar verursacht
habe. Dies könne nur der Lebensmittelunternehmer sein, bei dem die Überwachung des
Rückrufes durchgeführt werde. Dem Lebensmittelunternehmer stehe es frei, für die ihm
entstandenen Unkosten seine zivilrechtlichen Vertragspartner in Anspruch zu nehmen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den
Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage hat Erfolg.
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Der angefochtene Gebührenbescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren
Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO. Der Beklagte ist nicht berechtigt, für seine am 16.
April 2007 im Betrieb der Klägerin durchgeführte Überwachungstätigkeit eine Gebühr
nach Tarifstelle 23.10.2 des Allgemeinen Gebührentarifs zur Allgemeinen
Verwaltungsgebührenordnung des Landes NRW zu erheben.
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Nach dieser Tarifstelle beträgt die Gebühr für Abhilfemaßnahmen zur Beseitigung eines
festgestellten Verstoßes i.S.v. Art. 54 der Verordnung (EG) Nr. 882/2004 vom
29. April 2004 in der jeweils geltenden Fassung zwischen 100,-- und 10.000,-- Euro.
Dieser Gebührentatbestand ist nicht erfüllt. Bei der mit dem angefochtenen Bescheid
abgerechneten Amtshandlung handelte es sich nicht um eine derartige
Abhilfemaßnahme.
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Gemäß Art. 54 Abs. 1 Satz 1 VO (EG) Nr. 882/2004 trifft die zuständige Behörde, wenn
sie einen Verstoß u.a. gegen lebensmittelrechtliche Vorschriften feststellt, die
erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass der Unternehmer Abhilfe schafft.
Dazu können gemäß Abs. 2 lit. c) die Überwachung und, falls erforderlich, Anordnung
der Rücknahme, des Rückrufs und/oder der Vernichtung der Lebensmittel gehören.
Diese Vorschrift bezieht sich nach ihrem Wortlaut ausschließlich auf
Überwachungsmaßnahmen gegenüber dem Unternehmer, der zur Abhilfe verpflichtet
ist. Dies wird auch aus Abs. 3 deutlich, der vorschreibt, dass die Behörde den
betreffenden Unternehmer oder einen Vertreter über ihre Entscheidung nach Abs. 1 und
die Gründe hierfür unterrichtet. Der betreffende zur Abhilfe verpflichtete Unternehmer
kann nach dem Sinnzusammenhang nur der Unternehmer sein, dem der Verstoß
zuzurechnen ist, da nur dieser Unternehmer in der Lage ist, unmittelbar Abhilfe zu
schaffen. Folglich ist auch er derjenige, der wegen des Verstoßes mögliche
Amtshandlungen der Behörde zurechenbar veranlasst. Dass die behördlichen
Maßnahmen nach Art. 54 VO (EG) Nr. 882/2004, die gemäß Abs. 5 zur
Gebührenerhebung berechtigen, diejenigen sind, die gegen den verantwortlichen
Unternehmer zu richten sind, ergibt sich auch aus Art. 54 Abs. 1 Satz 2 VO (EG) Nr.
882/2004. Hiernach hat die Behörde bei den zu treffenden Maßnahmen die Art des
Verstoßes und das bisherige Verhalten des betreffenden Unternehmers mit Blick auf
Verstöße zu berücksichtigen. Der hier im Zusammenhang mit dem Verstoß genannte
"betreffende Unternehmer" kann aber nur derjenige sein, bei dem der Verstoß
festgestellt wurde, andernfalls wäre diese Regelung überflüssig.
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Vorliegend wurde nicht ein der Klägerin zurechenbarer Verstoß gegen
lebensmittelrechtliche Vorschriften festgestellt, vielmehr lag ein solcher bei einem die
Klägerin mit Lebensmitteln beliefernden Unternehmen vor. Dieses Unternehmen war zur
Abhilfe verpflichtet, die durch die Aufforderung an ihre Vertragspartner, die
beanstandeten Produkte aus dem Verkauf zu nehmen und zurückzugeben, eingeleitet
wurde.
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Die vom Beklagten durchgeführte Kontrollmaßnahme betraf aber nicht unmittelbar
dieses Unternehmen sondern das einer der Abnehmer. Soweit sich die Überprüfung des
klägerischen Betriebes darauf bezog festzustellen, ob der von dem zur Abhilfe
verpflichteten Unternehmen eingeleitete Rückruf dessen Abnehmer tatsächlich erreicht
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hat, war dies keine Überwachung des klägerischen Betriebs sondern eine
Amtshandlung, die sich auf das zur Abhilfe verpflichtete Unternehmen bezog und nicht
der Klägerin als Veranlasserin zugerechnet werden kann. Soweit die Kontrolle im
klägerischen Betrieb der Feststellung diente, ob die Klägerin als Abnehmerin der
beanstandeten Produkte der Aufforderung, die beanstandeten Produkte aus dem
Verkauf zu nehmen und zurückzugeben, nachgekommen ist, war dies keine Maßnahme
i.S.d. Art. 54 VO (EG) Nr. 882/2004. Denn die im klägerischen Betrieb durchgeführte
Kontrolle stellte insoweit weder eine Überwachung der durch den betreffenden
Unternehmer veranlassten Abhilfemaßnahme dar noch eine durch die Behörde selbst
angeordnete Maßnahme zur Beseitigung eines festgestellten Verstoßes. Vielmehr
handelte es sich in diesem Fall um eine zusätzliche sonstige Überwachungstätigkeit mit
dem Ziel festzustellen, ob ein neuer Verstoß (durch einen den Rückruf missachtenden
Unternehmer) erfolgte.
Die Klägerin ist folglich nicht der betreffende Lebensmittelunternehmer, der gemäß Art.
54 Abs. 5 VO (EG) Nr. 882/2004 alle infolge der Durchführung dieses Artikels
anfallenden Kosten zu tragen hat.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11,
711 ZPO.
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Gründe für die Zulassung der Berufung nach §§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4
VwGO liegen nicht vor.
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