Urteil des VG Düsseldorf vom 19.12.2003

VG Düsseldorf: politische verfolgung, bundesamt, anerkennung, veranstaltung, asylbewerber, auskunft, botschaft, aufruf, ausreise, propaganda

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 26 K 5188/03.A
Datum:
19.12.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
26. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
26 K 5188/03.A
Tenor:
Die Klage wird auf Kosten des Klägers abgewiesen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar; der Kläger darf
die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe
des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor
der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Der am 0. März 0000 in Kiratli (Provinz Bayburt) geborene Kläger ist türkischer
Staatsangehöriger türkischer Volkszugehörigkeit und alevitischer
Religionszugehörigkeit . Der Kläger reiste mit gefälschtem Pass nach eigener Angabe
auf dem Luftweg mit der Fluggesellschaft Condor Air am 13. Dezember 2002 - später
berichtigt in den 6. Dezember 2002 - aus Antalya/Türkei aus und gelangte am selben
Tag in die Bundesrepublik Deutschland nach Hannover.
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Am 19. Dezember 2002 beantragte der Kläger hier die Anerkennung als
Asylberechtigter. Bei seiner Anhörung beim Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) gab er zur Begründung an: Seine
Personalpapiere seien in der Türkei. Bis zum 1. Juni 2002 habe er in Maltepe/Istanbul
gelebt. Vom 1. Juni 2002 bis zum 13. Dezember 2002 habe er sich in Antalya
aufgehalten, um auf seine Gerichtsverhandlung zu warten. Seine Ehefrau und sein
Sohn seien noch in Istanbul. Er habe von 1980 bis 1990 das Gymnasium besucht. Von
1990 bis 1993 habe er als Fahrer bei seinem Bruder gearbeitet und für die Zeitung „K" (
Dorfbewohner) Aktivitäten ausgeübt. Von 1993 bis 1994 habe er Militärdienst geleistet.
Nach seiner Eheschließung im Jahre 1995 sei am 1. Mai 1996 seine Schwester
verhaftet und ohne Gerichtsurteil ins Gefängnis gesteckt worden. Das habe ihn
ideologisch sehr betroffen. Er habe für den Verlag „V" zu schreiben begonnen und sage
offen seine Meinung. Am 1. März 2002 und am 29. März 2002 seien Artikel von ihm mit
der Überschrift: „Die Verhaftungen, die Folterung und die Vergewaltigungen in der
Türkei" in der Zeitung „K" veröffentlicht worden. Deshalb sei er in Istanbul vor dem
Staatssicherheitsgericht angeklagt worden, im Medienwege für den Separatismus
Propaganda betrieben und einer bewaffneten Organisation Hilfe geleistet zu haben. Zu
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den Verhandlungen sei er nicht persönlich gegangen, weil er Angst gehabt habe, in
Gewahrsam genommen zu werden. Er sei Sympathisant der TKP/ML-TIKKO und wegen
des Vorwurfs, die Leute dieser Partei zu unterstützen, im Juni 1999 festgenommen und
für 15 Tage inhaftiert worden. Aus gesundheitlichen Gründen sei damals keine Anklage
gegen ihn erhoben worden. Am 10. September 2002 habe er vor dem Notar in Istanbul
zwei eidesstattliche Versicherungen abgegeben, dass er der Verfasser der zwei Artikel
sei.
Der Kläger legte Fotokopie zweier Anklageschriften der Oberstaatsanwaltschaft des
Staatssicherheitsgerichts Istanbul vom 8. April und 15. April 2002 gegen den
Eigentümer und Chefredakteur der Zeitschrift „Devrim Yolunda Isci Köylü", Herrn B, vor.
Auf Nachfrage teilte das Auswärtige Amt unter dem 25. Juni 2003 dem Bundesamt mit,
dass die Anklageschriften echt seien und zu Verurteilungen des Herrn B durch die 1.
Strafkammer des Staatssicherheitsgerichts Istanbul geführt hätten. Gegen die beiden
Urteile sei Revision eingelegt worden. Die Fälle seien seit dem 30. Januar 2003 beim
Kassationsgericht in Ankara. Gegen den Kläger sei wegen der
Selbstbezichtigungserklärungen kein Verfahren anhängig und nach ihm werde auch
nicht gefahndet.
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Mit Bescheid vom 15. Juli 2003 lehnte das Bundesamt den Antrag des Klägers auf
Anerkennung als Asylberechtigter als offensichtlich unbegründet ab, stellte fest, dass
die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG offensichtlich nicht und
Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen, forderte den Kläger zur
Ausreise auf und drohte ihm die Abschiebung in die Türkei an.
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Gegen diesen ihm am 30. Juli 2003 zugestellten Bescheid hat der Kläger am 6. August
2003 Klage erhoben. Zur Begründung trägt er vor: Zwar habe das Auswärtige Amt
mitgeteilt, dass nach ihm nicht gefahndet werde, aber das bedeute nicht, dass er bei
einer Rückkehr in die Türkei keiner asylrechtlich relevanter Verfolgung ausgesetzt sei.
Das Verfahren gegen den verantwortlichen Redakteur sei noch nicht rechtskräftig
abgeschlossen, es könne sein, dass die Strafverfolgungsbehörden erst den Ausgang
dieses Verfahrens abwarten, um erst dann gegen ihn - den Kläger - ein Verfahren
einzuleiten. Vor der unstreitigen Tatsache, dass den türkischen Behörden die
Urheberschaft an den Artikeln bekannt sei, könne eine offensichtliche Unbegründetheit
seines Asylantrages nicht bejaht werden. Er sei exilpolitisch aktiv. Als Vertreter der
Zeitschrift „K" nehme er an politischen Veranstaltungen und Demonstrationen teil. Vor
dem Rathaus in E1 bei einer Großveranstaltung am 1. Mai 2003 und an der
Großveranstaltung am 24. Mai 2003 in X, die anlässlich des 30. Jahrestages des Todes
von Ibrahim Kaypakkaya durchgeführt worden sei, habe er eine Grußbotschaft der
Zeitschrift vorgetragen. Die Veranstaltung sei das zentrale Ereignis für die Anhänger
und Sympathisanten der TKP/ML und genieße hohes Ansehen. Die Veranstaltung vom
25. Mai 2002 werde im Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen für
das Jahr 2002 ausdrücklich erwähnt. Dies werde auch im Jahr 2003 der Fall sein. Er sei
Mitglied eines Komitees, das in L und Y Publikationen der Föderation der Arbeiter aus
der Türkei in Deutschland (ATIF) verteile. Auf dem Plakat gegen die „Agenda 2010" der
Bundesregierung sei er als Teilnehmer einer Demonstration deutlich zu sehen.
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Der Kläger reichte die von ihm vorgetragene Grußbotschaft vom 24. Mai 2003 zu den
Gerichtsakten. In ihr wird der Faschismus in der Türkei angeprangert.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge vom 15. Juli 2003 zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten
anzuerkennen und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG
vorliegen, hilfsweise, die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass die
Voraussetzungen des § 53 AuslG vorliegen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Mit Beschluss vom 18. August 2003 hat das Verwaltungsgericht den Rechtsstreit der
Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen.
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Die Asylanträge der Ehefrau des Klägers, F1, und seines Sohnes F2, wurden mit
Bescheid des Bundesamtes vom 14. Februar 2003 abgelehnt. Ihre vor dem
erkennenden Gericht erhobene Klage 17 K 1441/03.A nahmen sie im Termin zur
mündlichen Verhandlung am 11. April 2003 zurück.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
Gerichtsakten - insbesondere das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 19.
Dezember 2003 -, sowie den vom Bundesamt vorgelegten Verwaltungsvorgang und die
vom Kreis L vorgelegten Ausländerakten Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Einzelrichterin ist für die Entscheidung zuständig, nachdem der Rechtsstreit durch
Beschluss der Kammer vom 18. August 2003 gemäß § 76 Abs. 1 Asylverfahrensgesetz
(AsylVfG) der Berichterstatterin als Einzelrichterin zur Entscheidung übertragen worden
ist.
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Die Klage hat keinen Erfolg.
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Der angegriffene Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen
Rechten (§ 113 Abs. 1 und Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung [VwGO]).
18
Der Kläger hat nach der gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 Asylverfahrensgesetz (AsylVfG)
maßgeblichen Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung keinen
Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigter.
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Gemäß Art. 16 a Abs. 1 Grundgesetz (GG) genießen politisch Verfolgte Asylrecht.
Politische Verfolgung in diesem Sinne ist anzunehmen, wenn dem Einzelnen durch den
Staat in Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale, d.h. an seine politische Überzeugung,
seine religiöse Grundentscheidung oder an andere Merkmale, die für ihn unverfügbar
sind und die sein Anderssein prägen, gezielt Rechtsverletzungen zugefügt werden, die
ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Einheit
ausgrenzen. Asylerhebliche Intensität hat die Rechtsverletzung, wenn sie sich -
gemessen an der humanitären Intention des Grundrechts - als ausgrenzende Verfolgung
darstellt, die den Asylbewerber in eine nicht anders als durch Ausreise zu bewältigende
("ausweglose") Lage versetzt.
20
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. -, BVerfGE
80, 315 (334 f.); Beschluss vom 23. Januar 1991 - 2 BvR 902/85 -, BVerfGE 83, 216
(230); Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 20. November 1990 - 9 C 74.90 -, InfAuslR
1991, 145 (146).
21
Das Grundrecht des Art. 16 a Abs. 1 GG ist ein Individualgrundrecht. Nur derjenige kann
es in Anspruch nehmen, der selbst - in eigener Person - politische Verfolgung erlitten
hat oder dem asylerhebliche Zwangsmaßnahmen unmittelbar drohen.
22
Grundsätzlich setzt die Asylanerkennung voraus, dass der Asylsuchende bei der
Rückkehr in sein Heimatland der Gefahr politischer Verfolgung ausgesetzt wäre, wobei
auf den Sachstand im Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung
abzustellen ist. Die vom Gericht anzustellenden Prognoseerwägungen haben sich
dabei an unterschiedlichen Tatbeständen zu orientieren, da für die Beurteilung der
Frage, ob ein Asylsuchender politisch verfolgt im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG ist,
unterschiedliche Maßstäbe gelten je nachdem, ob der Asylsuchende seinen
Heimatstaat auf der Flucht vor eingetretener oder unmittelbar drohender politischer
Verfolgung verlassen hat oder ob er unverfolgt in die Bundesrepublik Deutschland
gekommen ist.
23
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 10. Juli 1989 - 2 BvR 502/86 u.a. - BVerfGE
80, 315 (344); Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 15. Mai 1990 - 9 C 17.89 -,
BVerwGE 85, 139 (140); Urteil vom 20. November 1990 - 9 C 74.90 -, InfAuslR 1991,
145 (146).
24
Grundsätzlich müssen die asylbegründenden Tatsachen zur Überzeugung des Gerichts
nachgewiesen werden, wobei für den Nachweis derjenigen Fluchtgründe, die ihren
Ursprung im Heimatland des Asylbewerbers haben, in der Regel allerdings die
Glaubhaftmachung genügt.
25
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 12. November 1985 - 9 C 27.85 -, InfAuslR 1986,
79 (80), sowie Beschluss vom 21. Juli 1989 - 9 B 239/89 -, NVwZ 1990, 171.
26
Insoweit kommt naturgemäß dem persönlichen Vorbringen des Asylbewerbers
besondere Bedeutung zu. Der Asylbewerber ist gehalten, seine Gründe für das
Vorliegen einer politischen Verfolgung unter Angabe genauer Einzelheiten und in sich
stimmig zu schildern.
27
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 10. Mai 1994 - 9 C 434.93 -, InfAuslR 1994, 375
(376).
28
Hierzu gehört, dass der Asylbewerber zu den Ereignissen, die in seine eigene Sphäre
fallen, insbesondere zu seinen persönlichen Erlebnissen, eine substantiierte, im
Wesentlichen widerspruchsfreie und nicht wechselnde Schilderung gibt, die geeignet
ist, den behaupteten Asylanspruch zu tragen.
29
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 22. März 1983 - 9 C 68.81 -, Buchholz 402.24 §
28 AuslG, Nr. 44; Beschluss vom 26. Oktober 1989 - 9 B 405/89 -, NVwZ- RR 1990, 379
(380).
30
Für die Annahme einer dem Asylantragsteller drohenden individuellen Verfolgung muss
31
das Gericht von der Wahrheit - und nicht nur der Wahrscheinlichkeit - des vom
Asylantragsteller behaupteten individuellen Verfolgungsschicksals die volle
Überzeugung gewinnen. Es darf jedoch insbesondere hinsichtlich asylbegründender
Vorgänge im Verfolgerland keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine
unumstößliche Gewissheit verlangen, sondern muss sich in tatsächlich zweifelhaften
Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen.
Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. April 1985 - 9 C 109.84 -, BVerwGE 71, 180 (181 f.).
32
Die demnach für die Überzeugungsbildung des Gerichts zentrale Glaubhaftigkeit
erfordert ein in sich schlüssiges und auch in den Einzelheiten widerspruchsfreies
Vorbringen, in dem die Gründe für die Verfolgungsfurcht unter Angabe genauer
Einzelheiten darzulegen sind und dessen Schilderungen zumindest einleuchtend sein
müssen und über ganz allgemein gehaltene, lediglich an bekannte Vorgänge
anknüpfende Angaben hinausgehen sowie eine hinlängliche Individualisierung im
Hinblick auf den jeweiligen Asylbewerber aufweisen. Widersprüchliches oder im
Verfahren sich steigerndes Vorbringen genügt diesen Anforderungen in der Regel nicht,
es sei denn, dass die Unstimmigkeiten überzeugend aufgelöst werden.
33
Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 1983 - 9 C 473.82 -, EZAR 630 Nr. 8, Beschluss
vom 20. August 1974 - 1 B 15.74 -, Buchholz 402.24 § 28 AuslG a.F. Nr. 6, Urteil vom
18. Oktober 1984 - 9 C 864,80 -, InfAuslR 1984, 129 f., Beschluss vom 19. März 1991 - 9
B 56.91 -.
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Nach diesen Maßstäben sind im Falle des Klägers die Voraussetzungen nicht gegeben.
35
Es bedarf keiner abschließenden Klärung, ob der Kläger tatsächlich auf dem Luftweg in
die Bundesrepublik Deutschland gelangt ist. Denn selbst bei Einreise mit dem Flugzeug
stünde ihm kein Asylanspruch zu. In Anbetracht der widersprüchlichen Angaben des
Klägers zu den Zeitungsartikeln und den Anklagen des Staatssicherheitsgerichtes ist es
bereits zweifelhaft, ob der Kläger überhaupt der Verfasser der Artikel ist, für die er die
Verantwortung als Verfasser übernommen hat. Auch wenn vom Kläger eine genaue
Kenntnis des Ablaufs von Verfahren vor den Staatssicherheitsgerichten nicht erwartet
werden kann, so wäre bei dem Bildungsstand des Klägers zumindest das Wissen
vorhanden, ob er denn nun persönlich bereits angeklagt ist oder ob es noch darum geht,
seine Verfassereigenschaft zu offenbaren, damit der Chefredakteur der Zeitschrift nur
eine Geldstrafe erhält. Auch wenn der Kläger - nach seinen Angaben - vor dem
Bundesamt nicht die Möglichkeit hatte, den Sachverhalt zusammenhängend
darzustellen, so sind seine vor dem Bundesamt in diesem Zusammenhang gemachten
Aussagen nicht damit erklärbar. Der Kläger hat mehrmals bei seiner Anhörung vor dem
Bundesamt behauptet, ein Verfahren sei bereits gegen ihn eingeleitet worden und er
habe auf das Urteil des Staatssicherheitsgerichts gewartet (Seiten 4, 7 und 8 des
Anhörungsprotokolls). Auch die Überschriften und die Anzahl der Zeitungsartikel
differieren. Während eine Überschrift nach Angaben des Klägers beim Bundesamt
lauten sollte: „Die Verhaftungen, die Folterung und die Vergewaltigungen in der Türkei"
hat der Kläger in seinen Versicherungen vom 10. September 2002 Artikel mit den
Überschriften „Drei Guerillas sind in Ünye gefallen", „Euren Kampf führt der Genosse
fort", „Noch ein Protest auf der Sicherheitsbehörde Tokat" und „Die Lösung der
Kurdenfrage des nationalen Sicherheitsrates oder eine Operation zur Versklavung des
kurdischen Volkes" verfasst und dafür die Verantwortung übernommen. Darüberhinaus
hat sich der Kläger bis heute nicht in der Lage gesehen, eine Übersetzung der zwei
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beim Bundesamt genannten Zeitungsartikel zu den Gerichtsakten zu überreichen. Einer
abschließenden Klärung bedarf es allerdings nicht, denn - selbst bei tatsächlicher
Verfassereigenschaft des Klägers von solchen Artikeln - könnte er bei seiner Rückkehr
in die Türkei dafür nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden. Die Vergehen nach
dem Türkischen Pressegesetz sind spätestens im Dezember 2003 verjährt. Mit der
Nennung des Namens des Autors - nach Angaben des Klägers in der mündlichen
Verhandlung vom 19. Dezember 2003 im September 2002 - beginnt gemäß Art. 16 Abs.
1, 35 Abs. 1 und Abs. 2 des Türkischen PresseG (Gesetz Nr. 5680) die presserechtliche
Verjährungsfrist zu laufen, die längstens ein Jahr beträgt.
Zur presserechtlichen Verjährung vgl. Auskunft Dr. Silvia Tellenbach an das VG
Gelsenkirchen vom 5. Februar 1999; Kaya an das VG Düsseldorf vom 19. Juni 1999
sowie Kaya an das VG Gelsenkirchen vom 10. Februar 2003.
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Das bedeutet, dass der Kläger wegen einer Autorenschaft für Artikel in der Zeitung „K"
jetzt nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden kann, was immer der Inhalt der
Artikel und die Art der Beteiligung des Klägers an den Artikeln war. Da ausweislich der
Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 25. Juni 2003 gegen den Kläger wegen der
Selbstbezichtigungserklärungen kein Verfahren anhängig ist und nach ihm auch nicht
gefahndet wird und da wegen eingetretener Verjährung auch kein Verfahren mehr
anhängig gemacht werden kann, ist der Fall nicht vergleichbar mit dem in der vom
Kläger überreichten Auskunft Kaya an das VG Magdeburg vom 20. März 2001. Denn
dort war gegen jene Person bereits ein Urteil ergangen, das später vom
Berufungsgericht aufgehoben worden ist, und aus diesem Grund stand jene Person
weiterhin unter Beobachtung der staatlichen Sicherheitskräfte.
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Die vom Kläger vor dem Bundesamt gemachten Ausführungen zu seiner Festnahme im
Juni 1999 sind von dem Kläger selbst nicht als fluchtauslösendes Ereignis gewertet
worden.
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Ferner besteht auch nicht die erforderliche beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass
dem Kläger in der Türkei wegen etwaiger exilpolitischer Aktivitäten im Bundesgebiet
politische Verfolgung droht.
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Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-
Westfalen ist es angesichts der Vielzahl der Ereignisse und beteiligten Personen nicht
beachtlich wahrscheinlich, dass die einfache Mitgliedschaft in einem exilpolitischen
Verein oder die Teilnahme an Demonstrationen, Hungerstreiks oder
Informationsveranstaltungen oder das Verteilen von Flugblättern den zuständigen
türkischen Stellen überhaupt bekannt werden oder dass derartige Aktivitäten niedrigen
Profils im Falle ihres Bekanntwerdens bei der Rückkehr des Betreffenden in die Türkei
asylrelevante Verfolgungsmaßnahmen auslösen. Vielmehr beschränkt sich das
Interesse türkischer Stellen auf die an exponierter Stelle auftretenden und agierenden
Wortführer staatsfeindlicher Gruppen und sonst in der Öffentlichkeit bekannt gewordene
Kritiker der Verhältnisse in der Türkei (z.B. Leiter von - größeren und
öffentlichkeitswirksamen - Demonstrationen und Protestaktionen und die Redner auf
solchen Veranstaltungen, ferner die Vorstandsmitglieder bestimmter eingetragener
Exilvereine);
41
vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen Urteile vom 11. März
1996 - 25 A 5801/94.A -, vom 3. Juni 1997 - 25 A 3631/95.A und 25 A 3632/95.A -, vom
42
28. Oktober 1998 - 25 A 1284/96.A - und vom 25. Januar 2000 - 8 A 1292/96.A -.
Nach derselben Rechtsprechung ist auch nicht davon auszugehen, dass exilpolitische
Aktivitäten niedrig profilierter Art nach den Vorschriften des türkischen
Antiterrorgesetzes oder des türkischen Strafgesetzbuches strafbar sind. Jedenfalls ist
eine Strafverfolgung wegen separatistischer Propaganda im Ausland - von besonders
gelagerten Einzelfällen abgesehen - nicht bekannt geworden. Die vom Kläger in dem zu
den Gerichtsakten gereichten Plakat und Flugblatt dargelegten Aktionen der ATIF
gegen die Politik in Deutschland und Europa sind asylrechtlich unerheblich. Durch den
Vortrag von Grußbotschaften auf einer Großveranstaltung als einer unter zahlreichen
Rednern hat sich der Kläger nicht politisch exponiert; darüberhinaus enthält die
Grußbotschaft keinen Aufruf zum Separatismus, sondern einen Aufruf zur Brüderlichkeit
aller Völker.
43
Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die Feststellung der Voraussetzungen des §
51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich des Herkunftslandes Türkei.
44
Nach § 51 Abs. 1 AuslG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in
dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit,
seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen seiner
politischen Überzeugung bedroht ist.
45
Das Verbot des § 51 Abs. 1 AuslG schützt damit - ebenso wie Art. 16 a GG - den
Personenkreis der politisch Verfolgten. Dementsprechend ist die Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts und der Verwaltungsgerichtsbarkeit, die den unbestimmten
Rechtsbegriff des "politisch Verfolgten" im Sinne des Art. 16 a Abs. 1 GG (Art. 16 Abs. 2
Satz 2 GG a.F.) ausgefüllt hat, auch für die Anwendung des § 51 Abs. 1 AuslG
heranzuziehen. Dessen Voraussetzungen sind mit den Voraussetzungen für eine
Anerkennung als Asylberechtigter nach Art. 16 a GG insoweit deckungsgleich, als es
um die Verfolgungshandlung, das geschützte Rechtsgut und den politischen Charakter
der Verfolgung geht.
46
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 26. Oktober 1993 - 9 C 50.92 -, NVwZ 1994, 500
(503); Thüringer Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 5. Dezember 1996 - 3 KO 847/96 -;
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz, Urteil vom 19. Dezember 1996 - 1 A
12657/96.OVG -.
47
Auch gilt für die Feststellung der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG derselbe
Prognosemaßstab wie hinsichtlich des Art. 16 a Abs. 1 GG.
48
Bundesverwaltungsgericht, Urteile vom 3. November 1992 - 9 C 21.92 -, BVerwGE 91,
150 (154), vom 26. Oktober 1993 - 9 C 50.92 -, NVwZ 1994, 500 (503), und vom 5. Juli
1994 - 9 C 1.94 -, InfAuslR 1995, 24 (26); Oberverwaltungsgericht für das Land
Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26. August 1996 - 23 A 296/95.A -.
49
Nach diesen Maßstäben sind im Falle des Klägers die Voraussetzungen des § 51 Abs.
1 AuslG nicht gegeben. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
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Aus denselben Gründen bestehen auch keine Anhaltspunkte für das Vorliegen von
Abschiebungshindernissen nach § 53 AuslG; auch die Ausreiseaufforderung und
Abschiebungsandrohung im angefochtenen Bescheid des Bundesamtes ist demgemäß
51
rechtlich nicht zu beanstanden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidung über ihre
vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO, § 708 Nr. 11, § 711 Zivilprozessordnung
(ZPO).
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Das Verfahren ist nach § 83 b Abs. 1 AsylVfG gerichtskostenfrei; wegen des
Gegenstandswertes wird auf § 83 b Abs. 2 AsylVfG hingewiesen.
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