Urteil des VG Düsseldorf vom 13.02.2003

VG Düsseldorf: reaktive depression, aufschiebende wirkung, politische verfolgung, anerkennung, epilepsie, auskunft, abschiebung, serbien, papiere, ausreise

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 24 K 3121/02.A
Datum:
13.02.2003
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
24. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
24 K 3121/02.A
Tenor:
Die Beklagte wird unter insoweitiger Aufhebung des Bescheides
(2572178-138) des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge vom 2. Mai 2002 verpflichtet festzustellen, dass in der
Person des Klägers zu 1) die Abschiebungshindernisse im Sinne des §
53 Abs. 6 Satz 1 AuslG bezogen auf die Bundesrepublik Jugoslawien
vorliegen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben
werden, tragen die Kläger zu sieben Achteln, die Beklagte zu einem
Achtel.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige
Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden,
wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung
Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
1
Die Kläger gehören dem Volke der Roma an. Die Kläger zu 1) und 2) reisten um die
Jahreswende 1993/94 ins Bundesgebiet ein und durchliefen ein erstes Asylverfahren,
das im Wesentlichen gestützt war darauf, dass der Kläger zu 1) vom Militärdienst
desertiert sei und deswegen Bestrafung befürchte. Die Klage gegen den diesen
Asylantrag als offensichtlich unbegründet ablehnenden Bescheid (A 1814540-138) des
Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 12. Januar 1994
nahmen die Kläger in der mündlichen Verhandlung auf den Hinweis des Gerichts, es sei
eine Amnestie wegen dieser eventuellen Straftat eingetreten, zurück.
2
Im Juni 2000 beantragten die Kläger zu 1) und 2) für sich die Durchführung eines
weiteren Verfahrens und für die beiden im Bundesgebiet geborenen Kinder die
erstmalige Anerkennung als Asylberechtigte. Die Begründung dieser Anträge stützte
sich dann im Wesentlichen auf die inzwischen eingetretene Erkrankung des Klägers zu
3
1): Dieser leide ausweislich beigebrachter fachärztlicher Stellungnahmen
Atteste Dr. T vom 19. Februar 2001: Epilepsie; Therapie mit Ergenyl 500 chrono;
4
Atteste Dr. P vom 28. März 2001: PTBS , reaktive Depression und Epilepsie; vom 14.
März 2002: PTBS , reaktive Depression und Epilepsie,
5
sowohl seit ca. 1997 an einer unter medikamentöser Überwachung stehenden Epilepsie
als auch an einem posttraumatischen Belastungssyndrom und einer reaktiven
Depression.
6
Auf das so begründete Begehren hin erließ das Bundesamt für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge unter dem 2. Mai 2002 die tags darauf zur Post gegebenen
Bescheide (2572178-138 für die Kläger zu 1) und 2) und 2572227-138 für die Kläger zu
3) und 4)) vom 2. Mai 2002. Im Falle der Eltern lehnte es die Durchführung eines
weiteren Asylverfahrens sowie die Änderung der früheren Feststellungen zum
Nichtbestehen eines Abschiebungshindernisses im Sinne des § 53 AuslG ab. Im Falle
der Kinder lehnte es die Asylanträge als offensichtlich unbegründet ab und versagte
Abschiebungsschutz nach den §§ 51 AuslG (insoweit auch offensichtlich) und 53 AuslG.
Alle Kläger wurden zur freiwilligen Ausreise binnen 1 Woche ab Bekanntgabe
aufgefordert und ihnen für den Fall nicht fristgerecht freiwilliger Ausreise die
zwangsweise Abschiebung in die Bundesrepublik Jugoslawien (Belgrad) angedroht.
7
Die Kläger haben am Montag, den 13. Mai 2002 Klage erhoben und um einstweiligen
Rechtsschutz nachgesucht. Dazu wird ein weiteres Attest vorgelegt,
8
Attest Dr. P vom 16. Mai 2002
9
wonach bei dem Antragsteller zu 1) wegen der bekannten Erkrankungen
10
posttraumatische Belastungsstörung und behandlungsbedürftige, aber nicht behandelte
reaktive Depression; derzeit nurmehr subdepressive Lage
11
zwar eine Besserung seit der Erstvorstellung im März 2001 zu verzeichnen sei; trotzdem
sei aus psychiatrischer Sicht die weitere psychiatrische und psychologische
Behandlung des Klägers zu 1) dringend notwendig. Unter dem 11. Juni 2002
bescheinigt Dr. T, der Kläger zu 1) sei für die Therapie der Epilepsie auf die
kontinuierliche Einnahme des Präparates Ergenyl 500 angewiesen. Nach der
Behauptung der Kläger wird dies Präparat in der Bundesrepublik Jugoslawien nicht in
den staatlichen Apotheken angeboten, sondern kann allenfalls privat erworben werden,
wofür dem Kläger zu 1) freilich die finanziellen Mittel fehlten.
12
Das Gericht hat die aufschiebende Wirkung der Klage mit Beschluss vom 27. Mai 2002
im Verfahren 24 L 1800/02.A angeordnet.
13
Die Kläger beantragen,
14
die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide (2572178-138 und 2572227-138) des
Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 2. Mai 2002 zu
verpflichten die Kläger als Asylberechtigte anzuerkennen und festzustellen, dass die
Voraussetzungen der §§ 51 oder 53 AuslG vorliegen.
15
Die Beklagte beantragt,
16
die Klage abzuweisen.
17
Sie verweist auf eine Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 8. Juli 2002, wonach
Ergenyl zwar nicht in den staatlichen aber in privaten Apotheken zum Preise von 10
Euro für 30 Tabletten à 500 mg Wirkstoff erhältlich seien. Zudem sei es nach dem
Lagebericht unwahrscheinlich, dass der Kläger zu 1) als Roma in der Bundesrepublik
Jugoslawien nicht adäquat behandelt werden könne.
18
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen
auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten zum vorliegenden
sowie dem voraufgegangenen Asylverfahren der Klägerin sowie die Ausländerakte der
Stadt N und die Auskünfte und Erkenntnisse, auf die die Klägerseite mit der versandten
Liste hingewiesen worden ist oder die ausdrücklich zum Gegenstand der mündlichen
Verhandlung gemacht worden sind.
19
Entscheidungsgründe:
20
Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfange begründet.
21
1. Soweit die Kläger eine Anerkennung als Asylberechtigte oder die Gewährung von
Abschiebungsschutz nach § 51 AuslG begehren, ist die Klage unbegründet, weil die
Beklagte diese Ansinnen zu Recht abgelehnt hat; § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
22
Die ins Zentrum des Vorbringens gerückte Frage der Gruppenverfolgung wegen der
ethnischen Zugehörigkeit der Kläger führt nach der gefestigten Rechtsprechung des
Oberverwaltungsgerichtes für das Land Nordrhein-Westfalen
23
Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. Juli 2001
- 5 A 2735/01.A -
24
der sich das Gericht angeschlossen hat
25
Beschlüsse des Gerichts vom 7. Februar 2002 - 24 L 312/02.A -; vom 12. März 2002 - 24
L 730/02.A -, vom 27. Mai 2002 - 24 L 1905/02.A -; vom 19. Juni 2002 - 24 L 2111/02.A -;
vom 6. September 2002 - 24 L 3435/02.A;
26
Gerichtsbescheide des Gerichts vom 18. Juni 2002 - 24 K 2927/02.A -; vom 19. Juni
2002 - 24 K 3288/02.A -; vom 2. Oktober 2002 - 24 K 5892/02.A; vom 19. Dezember
2002 - 24 K 8037/02.A -,
27
für Roma in/aus Serbien nicht auf eine politische Verfolgung im Sinne der Art 16a GG
oder § 51 Abs. 1 AuslG.
28
2. Was den Abschiebungsschutz nach § 53 Abs. 6 AuslG anbelangt, so war die Klage
der Kläger zu 2) bis 4) auch insoweit abzulehnen. Denn auch hier wurde allein der
Umstand der ethnischen Zugehörigkeit angeführt, der als solcher nach der vorzitierten
Rechtsprechung auch keine Gefahren im Sinne des § 53 Abs. 6 AuslG nach sich zieht.
29
3. Begründet ist die Klage hingegen hinsichtlich Abschiebungsschutzes nach § 53 Abs.
6 Satz 1 AuslG für den Kläger zu 1) bezogen auf die Bundesrepublik Jugoslawien.
30
a) Dabei lässt das Gericht dahinstehen, ob dies begründet werden könnte mit der von
Dr. P allein festgestellten, von niemanden therapierten und offenbar auch von dem
Kläger nicht als behandlungswürdig leidvoll empfundenen posttraumatischen
Belastungsstörung, weil es darauf angesichts des Folgenden derzeit nicht ankommt.
31
b) Denn das Gericht geht unter maßgeblicher Bezugnahme auf das Gutachten des
Neurologen Dr. M vom 27. August 2002 davon aus, der Kläger zu 1) leide an Epilepsie
mit Grand Mal Anfällen, die je nach seiner seelischen Belastung in Abständen von 1 bis
2 Wochen oder auch 1 bis 2 Monaten auftreten und dann mit der Gefahr schwerer
Verletzungen bis hin zur Todesfolge und zunehmender hirnorganischer psychischer
Veränderung verbunden seien. Zur Reduzierung der Anfallshäufigkeit ist der Kläger -
vorbehaltlich einer Umstellung auf andere Präparate - auf die regelmäßige Einnahme
des Medikamentes Ergenyl angewiesen.
32
aa) Dem Gericht erscheint es nach der allgemeinen Auskunsftslage schon nicht sicher,
ob der Kläger zu 1) in Serbien eine eventuell erforderliche (Notfall)Behandlung erlangen
könnte.
33
Wenn die Beklagte es für „unwahrscheinlich" hält, dass dies nicht der Fall sei, so kann
dies angesichts der Dimension der dem Kläger drohenden gesundheitlichen Gefahren
nicht hinreichen.
34
Denn diese ist nach dem Bericht des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge über die medizinische Versorgung im Kosovo und in Serbien/Montenegro
vom August 2002 (S. 19/20) kostenlos zugänglich nur für „gemeldete Arbeitslose und
Sozialhilfeempfänger"; nur diese Menschen sind gesetzlich pflichtversichert. Die
Registrierung ist aber nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 16. Oktober
2002 (S. 16) offensichtlich nicht etwa ohne weiteres möglich und auch nicht sicher für
jeden Rückkehrer erreichbar.
35
Erforderlich ist die Registrierung mit „einem ständigen Wohnsitz, was wiederum
voraussetzt, dass Papiere wie Geburtsurkunden vorhanden sind". Nach Lage der
Verwaltungsvorgänge der Ausländerbehörde verfügt der Kläger zu 1) seit geraumer Zeit
nicht mehr über gültige Papiere, etwa einen Nationalpass. Der letzte Nationalpass der
SFRJ ist am 17. November 194 abgelaufen; dass die ausländerbehördlich einmalige
Aufforderung vom November 1996, sich um gültige Papiere zu bemühen, Erfolge
gezeitigt hätte, lässt sich den Verwaltungsvorgängen nicht entnehmen.
36
Es ist mithin nicht auszuschließen, dass der Kläger zu 1) möglicherweise sogar
mangels Krankenversicherungsschutzes notwendige Behandlungen nicht erhalten
würde, weil er sie nicht privat finanzieren kann.
37
bb) Jedenfalls ist aber
38
mit der Auskunft des Auswärtigen Amtes (508-516.80/39794) vom 8. Juli 2002 an das
Verwaltungsgericht Düsseldorf (Asylis-Nr.: JUG23304001)
39
davon auszugehen, dass der Kläger zu 1) das Präparat Ergenyl 500 in der
40
Bundesrepublik Jugoslawien selbst mit Krankenversicherungsschutz nur bei Kauf in
einer privaten Apotheke erhalten würde.
Das steht auch nicht etwa in Widerspruch zu der Auskunft, die die Ausländerbehörde im
April 2002 bei der Deutschen Botschaft in Belgrad eingeholt hat, wonach Ergenyl in der
Bundesrepublik Jugoslawien „erhältlich" sei, denn diese Auskunft verhält sich nicht
dazu, in was für Apotheken und zu welchen wirtschaftlichen Bedingungen dies sein soll.
41
Bei dem - nach Einschätzung von Dr. M so sogar noch zu gering bemessenen -
Mindestbedarf des Klägers zu 1) von inzwischen 1750 mg Wirkstoff täglich erforderte
dies nach der Auskunftslage allein einen Betrag von 105 Tabletten à 500 mg monatlich,
was mit Kosten in Höhe von 35 Euro verbunden wäre. Es ist nicht ersichtlich,
geschweige denn gewährleistet, dass der Kläger zu 1) diesen Betrag jeden Monat -
neben den Aufwendungen für den Lebensunterhalt der ganzen Familie - zur Verfügung
hätte. Eine Abschiebung in eine solch ungewisse Lage geht nicht an; erforderlich ist
vielmehr angesichts der erheblichen Gefahren infolge epileptischer Anfälle bei dem
Kläger zu 1), dass schlichtweg sichergestellt ist, dass er stets sicher und kostenlos mit
dem erforderlichen Präparat versorgt wird.
42
Allerdings geht auch das Gericht nicht davon aus, dieser Umstand alleine rechtfertigte
gleichsam auf Dauer, den Kläger zu 1) nicht in das Land seiner Staatsangehörigkeit
zurückzuführen. Vielmehr wird zu klären sein, welche der im Gutachten von Dr. M
angeführten anderen Präparate in den staatlichen Apotheken für den Kläger ohne
Zuzahlung sicher erreichbar sind. Eine Umstellung des Klägers auf derartige andere
Präparate ist nach der Einschätzung von Dr. M möglich, wenn sie im Rahmen einer
ärztlich überwachten überlappenden Substitution erfolgt, für die freilich ein Zeitraum von
3 Monaten anzusetzen ist, für den eine Abschiebung des Klägers zu 1) aus den
vorstehenden Erwägungen auszuschließen war.
43
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die über die vorläufige
Vollstreckbarkeit auf § 167 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
44
Nach § 83b Abs. 1 AsylVfG ist das Verfahren gerichtskostenfrei. Der Gegenstandswert
bestimmt sich nach § 83b Abs. 2 AsylVfG.
45
46