Urteil des VG Düsseldorf vom 15.08.2007

VG Düsseldorf: politische verfolgung, bundesamt für migration, aufschiebende wirkung, verzicht, asylverfahren, eltern, abschiebung, rücknahme, anzeige, ausnahmecharakter

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 1 K 2036/07.A
Datum:
15.08.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
1. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
1 K 2036/07.A
Schlagworte:
Antragsfiktion Verzicht Abschiebungsandrohung Ausreisefrist
Normen:
AsylVfG § 14a Abs 2 AsylVfG § 14a Abs 3 AsylVfG § 38 Abs 2 AsylVfG
§ 38 Abs 1
Tenor:
Nr. 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
vom 11.05.2007 wird aufgehoben, soweit dem Kläger damit die
Abschiebung unter Setzung einer Ausreisefrist von einer Woche
angedroht wird.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben
werden, trägt die Beklagte.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagten kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe
des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Klä-ger vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
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Der am 00.00.2003 in I geborene Kläger ist nach Angaben seiner Eltern nigerianischer
Staatsangehöriger. Die Asylverfahren der Eltern sind unanfechtbar negativ
abgeschlossen.
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Unter dem 05.04.2007 zeigte die Ausländerbehörde der Stadt E dem Bundesamt für
Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) die Geburt des Klägers unter Hinweis auf § 14a
Abs. 2 des Asylverfahrensgesetzes (AsylVfG) an. Mit Schreiben vom 12.04.2007 wies
das Bundesamt die Eltern des Klägers darauf hin, dass mit der Anzeige der
Ausländerbehörde gemäß § 14a Abs. 2 AsylVfG ein Asylantrag für den Kläger als
gestellt gelte. Es gab den Eltern die Möglichkeit, sich innerhalb eines Monats zu den
Asylgründen des Klägers schriftlich zu äußern, und wies auf die Möglichkeit des
Verzichts auf die Durchführung eines Asylverfahrens nach § 14a Abs. 3 AsylVfG hin. Mit
Schriftsatz vom 25.04.2007 bestellten sich die Prozessbevollmächtigten des Klägers
und erklärten, dass auf die Durchführung eines Asylverfahrens verzichtet werde, weil
dem Kläger keine politische Verfolgung drohe.
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Mit Bescheid vom 11.05.2007 stellte das Bundesamt das Asylverfahren des Klägers ein
und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG nicht
vorliegen. Gleichzeitig forderte das Bundesamt den Kläger unter Androhung der
Abschiebung nach Nigeria auf, das Gebiet der Bundesrepublik innerhalb einer Woche
nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen.
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Am 16.05.2007 hat der Kläger Klage erhoben und gleichzeitig einen Antrag auf
einstweiligen Rechtsschutz gestellt. Mit Beschluss vom 24.05.2007 hat das erkennende
Gericht festgestellt, dass die Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes vom
11.05.2007 aufschiebende Wirkung hat (1 L 777/07.A).
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Der Kläger trägt vor, dass die in Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes gesetzte
Ausreisefrist von einer Woche rechtswidrig sei.
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Der Kläger beantragt schriftlich,
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Ziffer 3 des Bescheides des Bundesamtes vom 11.05.2007 aufzuheben, soweit
darin eine Ausreisefrist von einer Woche festgesetzt ist.
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Die Beklagte beantragt schriftlich,
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die Klage abzuweisen.
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Die Beteiligten haben ihr Einverständnis zur Entscheidung ohne mündliche
Verhandlung erteilt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Verwaltungs- und Gerichtsakten sowie auf die Auskünfte, auf die die Klägerin
hingewiesen worden ist, verwiesen.
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Entscheidungsgründe:
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Das Gericht durfte mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung
entscheiden, § 101 Abs. 2 VwGO.
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Die zulässige Klage ist begründet.
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Soweit die Beklagte in Ziffer 3 des Bescheides vom 11.05.2007 eine Ausreisefrist von
einer Woche gesetzt hat, ist der Bescheid rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen
Rechten.
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Die Ausreisefrist beträgt einen Monat. § 38 Abs. 1 AsylVfG regelt die Dauer der
Ausreisefrist von einem Monat für alle Fälle, in denen der Ausländer nicht als
Asylberechtigter anerkannt wird und keine der eine kürzere Ausreisefrist auslösenden
Sonderregelungen eingreift. Dies ist hier der Fall.
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Für den Kläger, der als Sohn zweier abgelehnter Asylbewerber am 00.0.2003 in E
geboren wurde, ist auf die Anzeige der zuständigen Ausländerbehörde nach § 14a Abs.
2 AsylVfG ein Asylverfahren eingeleitet worden. Unter dem 25.04.2007 hat der Kläger
durch seine Bevollmächtigten nach § 14a Abs. 3 AsylVfG erklären lassen, dass er auf
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die Durchführung eines Asylverfahrens verzichte, da ihm keine politische Verfolgung
drohe. Dementsprechend hat das Bundesamt mit dem angegriffenen Bescheid gemäß
§ 32 Satz 1 2. Alt. AsylVfG das Asylverfahren eingestellt und über das Vorliegen von
Abschiebeverboten nach § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG entschieden. Darüber hinaus hat
es gemäß § 34 AsylVfG eine Abschiebungsandrohung erlassen, weil der Kläger nicht
als Asylberechtigter anerkannt worden ist. Auf diese Verfahrenskonstellation ist für die
darüber hinaus zu treffende Entscheidung, innerhalb welcher Frist der Kläger
auszureisen hat, um eine Abschiebung abzuwenden, keine der den § 38 Abs. 1 AsylVfG
verdrängende Sonderregelung anwendbar. Offensichtlich nicht einschlägig sind die
§§ 36 Abs. 1 (Fälle der Unbeachtlichkeit und offensichtlichen Unbegründetheit) und § 39
Abs. 1 Satz 2 AsylVfG (Abschiebungsandrohung nach unanfechtbarer Aufhebung der
Anerkennung). Auch § 38 Abs. 2 AsylVfG (Ausreisefrist bei Rücknahme des
Asylantrages) ist auf den Fall des Verzichts auf die Durchführung des Asylverfahrens
nach § 14a Abs. 3 AsylVfG nicht anwendbar.
Vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 02.11.2005 - 13 L 1913/05.A -; Beschluss vom
22.12.2005 - 1 L 2219/05.A -, InfAuslR 06, 163; Urteil vom 23.01.2006 - 1 K 5138/05.A -;
Urteil vom 18.06.2006 - 18 K 1736/06.A -; a.A. VG Düsseldorf, Beschluss vom
01.02.2006 - 16 L 100/06.A -.
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Eine unmittelbare Anwendung des § 38 Abs. 2 AsylVfG auf Fälle des Verzichts nach
§ 14a Abs. 3 AsylVfG scheitert am Wortlaut der Regelung, denn sie spricht nur von dem
Fall der Rücknahme des Asylantrages und erwähnt den des Verzichts auf die
Durchführung des Asylverfahrens nach § 14a Abs. 3 AsylVfG nicht. Da das
Asylverfahrensgesetz in seinen Regelungen im Übrigen die Fälle der Beendigung des
Asylverfahrens durch Verzicht ausdrücklich neben denen der Antragsrücknahme
benennt (§§ 32, 71 Abs. 1 AsylVfG), scheidet eine Subsumtion der
Verfahrenskonstellation des Verzichts auf die Durchführung eines Asylverfahrens nach
§ 14a Abs. 3 AsylVfG unter den Begriff "Rücknahme des Asylantrages" in § 38 Abs. 2
AsylVfG aus.
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§ 38 Abs. 2 AsylVfG kann auch nicht analog auf die Fälle des Verzichts nach § 14a
Abs. 3 AsylVfG angewandt werden.
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Gegen eine analoge Anwendung des § 38 Abs. 2 AsylVfG spricht schon der
Ausnahmecharakter dieser Vorschrift. Nach § 38 Abs. 1 AsylVfG beträgt die
Ausreisefrist für Asylbewerber, die nicht als Asylberechtigte anerkannt werden, einen
Monat; etwas anderes gilt nur für die Fälle, für die das Gesetz – wie in § 38 Abs. 2
AsylVfG - eine abweichende Regelung trifft. Der Ausnahmecharakter der von § 38 Abs.
1 AsylVfG abweichenden Regelungen ergibt sich auch aus § 75 AsylVfG. Danach löst
eine von § 38 Abs. 1 AsylVfG abweichende Regelung der Ausreisefrist zugleich den
Ausnahmefall des Entfallens der aufschiebenden Wirkung der Klage aus. Als
Ausnahmeregelung ist § 38 Abs. 2 AsylVfG einer analogen und damit erweiternden
Auslegung grundsätzlich nicht zugänglich.
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Für eine analoge Anwendung des § 38 Abs. 2 AsylVfG auf die Fälle des Verzichts nach
§ 14a Abs. 3 AsylVfG fehlt es zudem an der erforderlichen unbeabsichtigten
Regelungslücke. Gegen die Annahme einer solchen spricht schon die Existenz einer
‚Auffangvorschrift‘ in § 38 Abs. 1 AsylVfG ("In den sonstigen Fällen..."). Außerdem
spricht die Regelungssystematik gegen ein gesetzgeberisches Redaktionsversehen.
Der Gesetzgeber hat durch das Zuwanderungsgesetz vom 30.07.2004 mit § 14a
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AsylVfG eine neue Regelung über die Familieneinheit in das Asylverfahrensgesetz
eingefügt. Darin hat er korrespondierend zu der Fiktion des Asylantrages (Absätze 1 und
2) in Absatz 3 den neuen Beendigungstatbestand des Verzichts auf die Durchführung
eines Asylverfahrens geschaffen. Durch Folgeregelungen in §§ 32 und 71 Abs. 1
AsylVfG hat er diese neue Verfahrensvariante in die bisherige Verfahrenssystematik
eingegliedert. Hinsichtlich des Entscheidungsprogramms des Bundesamtes sieht er in §
32 AsylVfG ausdrücklich eine einheitliche Regelung für die Fälle der Antragsrücknahme
und die des Verzichts auf die Verfahrensdurchführung vor. In § 71 Abs. 1 AsylVfG hat er
in Satz 2 in Anlehnung an dessen bisherigen, auf § 32a Abs. 1 Satz 4 AuslG bezogenen
Regelungsinhalt ausdrücklich klargestellt, dass der Verzicht auf die Durchführung eines
Asylverfahrens nach § 14a Abs. 3 AsylVfG im Hinblick auf einen späteren Asylantrag
dieselben verfahrensrechtlichen Konsequenzen nach sich zieht wie die sonstigen, ohne
Asylanerkennung eingetretenen Verfahrensbeendigungen. Lassen diese Regelungen
erkennen, dass der Gesetzgeber ausdrückliche und eindeutige Entscheidungen über
die Einordnung der Verfahrensbeendigung durch Verzicht nach § 14a Abs. 3 AsylVfG in
die asylrechtliche Verfahrenssystematik getroffen hat, spricht nichts dafür, dass der
Gesetzgeber die Frage, welche Ausreisefrist bei dieser Form von Verfahrensabschluss
gelten soll, übersehen hat.
Schließlich lässt auch die hinter der Schaffung einer verfahrensrechtlichen
Sonderregelung für Familienverbände erkennbare Zielrichtung des Gesetzgebers
keinen Schluss darauf zu, das Eingreifen der Auffangregelung des § 38 Abs. 1 AsylVfG
mit der Folge einer einmonatigen Ausreisefrist und der aufschiebenden Wirkung einer
Klage gegen die Abschiebungsandrohung nach § 75 AsylVfG sei keinesfalls gewollt
gewesen. Zwar gehört die allgemeine Verfahrensbeschleunigung auch zu den Zielen
des Zuwanderungsgesetzes,
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vgl. Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, BT-Drs. 15/249, S. 61, 65,
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jedoch nimmt die Gesetzesbegründung insoweit nicht Bezug auf die neugeschaffene
Verfahrensregelung des § 14a AsylVfG. Vielmehr soll mit dieser Vorschrift die
sukzessive Asylantragstellung der Familienmitglieder zum Zwecke der Verlängerung
der Aufenthaltszeiten für sämtliche Mitglieder des Familienverbandes verhindert
werden.
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Vgl. BT-Drs. 15/249, S. 108, zu Nummer 10.
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Dieses Ziel wird durch die Antragsfiktion in § 14a Abs. 1 und 2 AsylVfG und die
Gleichsetzung eines Verfahrensverzichts nach § 14a Abs. 3 AsylVfG mit einem negativ
abgeschlossenen Asylerstverfahrens in § 71 Abs. 1 AsylVfG erreicht. Dass das nach
§ 14a Abs. 1 oder 2 AsylVfG automatisch in Gang gesetzte, durch Verzicht nach § 14a
Abs. 3 AsylVfG beendete Asylverfahren darüber hinaus den erschwerten Bedingungen
einer verkürzten Ausreisefrist und einer sofortigen Vollziehbarkeit der
Abschiebungsandrohung unterworfen sein soll, lässt sich den Gesetzesmaterialien nicht
entnehmen.
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Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11
ZPO.
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