Urteil des VG Düsseldorf vom 12.04.2002

VG Düsseldorf: verschlechterung des gesundheitszustandes, kosovo, bundesamt, serbien und montenegro, diagnose, gutachter, drohende gefahr, psychische störung, asylverfahren, medikamentöse behandlung

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 15 K 126/02.A
Datum:
12.04.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
15. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
15 K 126/02.A
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht
erhoben werden.
Tatbestand:
1
Der Kläger ist nach seiner Darstellung albanischer Volkszugehöriger aus dem Kosovo
und Staatsangehöriger der Bundesrepublik Jugoslawien (Serbien und Montenegro).
Anfang 1992 reiste er erstmals unter dem Namen xxxxxxxxxxxxxx, geboren am xxxxxxx
1972 in Kerpimeh, in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte am 16.
Januar 1992 die Anerkennung als Asylberechtigter. Zur Begründung gab er an, er habe
eine Einberufung zum regulären Militärdienst am 15. Dezember 1991 erhalten, welcher
er nicht Folge geleistet habe. Nach Rücknahme des Asylantrages am 26. Juli 1993
stellte das Bundesamt das Asylverfahren mit Bescheid vom 17. September 1993 -
xxxxxxxxxxxxx - ein, stellte fest, dass Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht
bestehen und forderte den Kläger unter Androhung der Abschiebung auf, das
Bundesgebiet innerhalb von einer Woche zu verlassen. Bereits vor der Rücknahme des
ersten Antrages hatte der Kläger am 3. März 1993 unter dem Namen xxxxxxxxxx,
geboren am xxxxxxx 1992 in Kerpimeh einen weiteren Asylantrag gestellt. Bei seiner
Anhörung durch das Bundesamt gab er an, am 15. Dezember 1992 eine Ladung zum
Militärdienst erhalten zu haben. Nach einer Mitteilung des damaligen Oberkreisdirektors
des Kreises xxxxx, dass sich der Kläger in der ihm zugewiesenen Unterkunft nicht mehr
aufhalte, forderte das Bundesamt ihn auf, sein Asylverfahren binnen Ablaufs eines
Monats ab Zugang der Verfügung weiter zu betreiben und wies ihn darauf hin, dass
andernfalls nach Fristablauf sein Asylantrag gemäß § 33 Satz 1 AsylVfG als
zurückgenommen gelte. Da der Kläger sich auf die Betreibensaufforderung nicht
meldete, stellte das Bundesamt mit Bescheid vom 22. Oktober 1993 - xxxxxxxxx xxx -
fest, dass der Asylantrag als zurückgenommen gelte und dass
Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorliegen und forderte den Kläger
unter Fristsetzung und Androhung der Abschiebung zur Ausreise auf.
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Am 23. Oktober 1995 stellte der Kläger nunmehr wieder unter dem Namen
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xxxxxxxxxxxxxx einen weiteren Asylantrag. Zur Begründung gab er an, er habe im
September 1993 die Bundesrepublik Deutschland freiwillig verlassen und sei am 21.
Oktober 1995 erneut mit dem Zug von Mailand aus ins Bundesgebiet eingereist. Zur
Begründung gab er an, lieber in Deutschland als in Italien leben zu wollen, weil er
schon einmal hier gewesen sei. Er habe gedacht, vielleicht in Deutschland arbeiten zu
können. Er müsse nämlich Gelder zurückzahlen, die sein Vater ihm geliehen habe.
Nach seinen Asylgründen befragt, gab er an, die letzte Zeit vor dem Verlassen der
Heimat im Januar 1995 hätten die jeden Tag seinen Vater geschlagen. Die hätten
nämlich Waffen gesucht. Nachdem er im Oktober 1993 im Gefängnis gewesen sei, habe
er sich nicht mehr zu Hause aufgehalten. Grund für seine Inhaftierung sei der
unberechtigte Vorwurf des Waffenbesitzes gewesen.
Mit Bescheid vom 16. November 1995 -xxxxxxxxxxxxxx - lehnte das Bundesamt es ab,
ein weiteres Asylverfahren durchzuführen. Zur Begründung führte es aus, das
Vorbringen des Klägers sei unsubstantiiert und widersprüchlich. Bei der
Ausländerbehörde habe er am 13. November 1995 erklärt, er sei während der
Verrichtung von Feldarbeit aus dem Gefängnis geflohen.
4
Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 22. November 2001 beantragte der
Kläger nunmehr unter dem Namen xxxxxxxxxxxxx, geboren am xxxxxxx 1973 in
Pakashtice, die Entscheidung über das Vorliegen von Abschiebungshindernissen nach
§ 53 AuslG wieder aufzugreifen. Zur Begründung trug der Bevollmächtigte vor, der
Kläger sei verheiratet und Vater zweier am xxxxxx 1999 und xxxxxxxxxxxxx 2001
geborener Kinder xxxxxxx und xxxxx. Er sei 1997 in das Kosovo zurückgereist und habe
in der Region Pakashtice die gesamten serbischen Massaker miterlebt. Aus der Familie
seien Leute verschleppt worden. Die Serben hätten ihr Haus mit Granaten beschossen.
Es sei vollständig zerstört. Seither werde der Kläger von massiven Leichenbildern
verfolgt. Er habe Leichen beerdigt, Brände gelöscht und sich während des gesamten
Krieges in die Wälder geflüchtet. Da die Traumabilder ihre Ursache im Kosovo hätten,
könnten sie dort nicht behandelt werden. Versuche, ärztliche Hilfe zu finden, seien
erfolglos geblieben. Im Übrigen sei die soziale Situation der Familie äußerst schlecht.
Frau und Kinder lebten bei dem Vater des Klägers in Pakashtice unter äußerst
ärmlichen Bedingungen.
5
Zum Beleg des Vortrages fügte er dem Antrag einen UNMIK-Ausweis, ausgestellt auf
xxxxxxxxxxxxx, zwei UNMIK-Bescheinigungen über eine Hauszerstörung sowie eine
Bescheinigung der Firma xxxxxxxxxxx aus xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx vom 15.
November 2001 bei, nach welcher die Firma zurzeit genügend Arbeit habe und bereit
sei, den Kläger für die Zeit seines Aufenthaltes in Deutschland einzustellen.
6
Nachdem der Kläger eine Aufforderung des Bundesamtes vom 27. November 2001,
innerhalb von 14 Tagen unter anderem zwecks Klärung seiner Identität vorzusprechen,
nicht Folge geleistet hatte, lehnte das Bundesamt es mit Bescheid vom 27. Dezember
2001 ab, den Bescheid vom 17. September 1993 bezüglich der Feststellung zu § 53
AuslG abzuändern.
7
Gegen den am 28. Dezember 2001 zur Post gegebenen Bescheid hat der Kläger am 7.
Januar 2002 Klage erhoben.
8
Ein Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes blieb erfolglos (Beschluss des
Einzelrichters vom 14. Januar 2002 - 15 L 39/02.A -); einen Antrag nach § 80 Abs. 7
9
VwGO, die vorläufige Rechtschutzentscheidung abzuändern, mit welchem er ein Attest
des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie sowie Psychotherapeutische
Medizin xxxxxxxxxx vom 23. Januar 2002 vorlegte, wegen dessen Inhalts auf die
Gerichtsakte verwiesen wird, hat der Einzelrichter mit Beschluss vom heutigen Tage (15
L 305/02.A ) abgelehnt.
Zur weiteren Begründung seines Klagebegehrens legte der Kläger im Folgenden einen
Entlassungsschein des Zentrums der Universitätsklinik, Neuropsychiatrische Klinik in
Prishtina ohne Datum vor, in welchem bestätigt wird, dass er in der Zeit vom 24. bis 31.
Juli 2000 dort wegen eines Insektenstiches behandelt worden ist. In dem
Entlassungsschein heißt es weiter wörtlich:
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„Erster Krankenhausaufenthalt in der Neuropsychiatischen Klinik. Er wurde in die Klinik
wegen Kopfschmerzen, Beschwerden und Erbrechens aufgenommen. Die
Beschwerden haben angefangen, als der Patient von einem Insekt (Biene) gestochen
wurde. Das Herz, Lunge und Bauch ohne Veränderungen... Während des
Krankenhausaufenthaltes wurde nur die vitaminöse Therapie angewandt, nach der sich
sein allgemeiner Zustand sofort verbessert hat. Wird aus der Klinik in verbessertem
Zustand entlassen."
11
Weiter überreichte er einen Bericht des Facharztes für Neuropsychiatrie Dr. xxxxxx
xxxxxxx der Polyklinik, Abteilung für Neuropsychiatrie, Nr. xxxx aus Podujeve vom 30.
Oktober 2001, welche wörtlich wie folgt lautet:
12
xxxxxxxxxxxxxxxxxxxxxx, geboren xxxxx.1973, Pakashtica
13
Diagnose: Post Traumatia Stress Disorder
14
Der Patient ist allein, ohne Begleitung, zur Kontrolle gekommen. Er klagt über
Kopfschmerzen, Schlaflosigkeit und Albträume während der Nacht.
15
Schlechte (arme) Mimik, verlorene Arbeits- und Lebenslust, depressive Stimmung.
16
Therapie Amitryptilin 25. 1+0+1. Loaran 1 mg 1+0+1
17
Individuelle Psychotherapie 2 x die Woche notwendig."
18
Im Termin zur mündlichen Verhandlung legte der Kläger die Originale der beiden
ärztlichen Bescheinigungen vor und behauptete, er habe diese aus dem Kosovo
mitgebracht. Im Weiteren wurde er durch den Einzelrichter ausführlich nach seiner
Person und seinen gesundheitlichen Beschwerden befragt. Wegen der Einzelheiten
wird auf die Sitzungsniederschrift vom 12. April 2002 verwiesen. Während seiner
Befragung überreichte der Prozessbevollmächtigte eine ärztliche Bescheinigung des
Dipl.-Psychologen Dr. xxxxxx xxxxxxx, Praxis für Psychotherapie, in xxxxxxxxxx vom 11.
April 2002 über eine Untersuchung des Klägers in der Zeit vom 4. bis 7. Februar 2002,
welche dem Kläger eine „Komplexe posttraumatische Belastungsstörung (ICD-10: F
43.1) mit schwerer depressiver Symptomatik" bescheinigt; wegen des weiteren Inhalts
wird auf die Gerichtsakten verwiesen.
19
Der Kläger beantragt,
20
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung
ausländischer Flüchtlinge vom 27. Dezember 2001 zu verpflichten festzustellen, dass
Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG hinsichtlich der Bundesrepublik
Jugoslawien vorliegen.
21
Die Beklagte beantragt,
22
die Klage abzuweisen.
23
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den
Inhalt der Gerichtsakten und der in diesem Verfahren beigezogenen
Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Ausländerbehörde sowie auf die
Auskünfte und Erkenntnisse Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen
Verhandlung waren.
24
Entscheidungsgründe:
25
Die Klage ist unbegründet. Der Bescheid des Bundesamtes ist rechtmäßig und verletzt
den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
26
Der Kläger hat nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung, § 77
Abs. 1 AsylVfG, keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten, ein
Abschiebungshindernis nach dem allein in Betracht kommenden § 53 Abs. 6 AuslG
wegen eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses in Form einer
posttraumatischen Belastungsstörung festzustellen.
27
Das Begehren ist zu Recht gegen die Beklagte gerichtet. Auch wenn das Begehren des
Klägers keinerlei tatsächliche und rechtliche Beziehungen zu seinem bereits 1995
abgeschlossenen Asylfolgeverfahren hat, ist sein Begehren nach Auffassung des
Bundesverwaltungsgerichts, der sich der Einzelrichter anschließt, doch gegen die
Bundesrepublik Deutschland und nicht gegen die zuständige Ausländerbehörde zu
richten. Der Grund hierfür liegt in der bestandskräftigen Entscheidung des Bundesamtes
vom 17. September 1993, nach welcher für die Ausländerbehörde bindend feststeht,
dass die Voraussetzungen eines Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht
vorliegen. Wenn und solange die Entscheidung des Bundesamtes wirksam ist, darf
deswegen die Ausländerbehörde nicht davon abweichend ein solches
Abschiebungshindernis bejahen und auf dieser Grundlage eine Duldung erteilen. Dies
gilt auch dann, wenn der Ausländer - wie im Falle des Klägers - die ihm nach seinem
Vorbringen drohende Gefahr nicht im Asylverfahren geltend gemacht hat, eine Prüfung
durch das Bundesamt demgemäß insoweit unterblieben ist; denn die Bindung der
Ausländerbehörde hängt nicht davon ab, mit welchen Umständen, die als
zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse in Betracht kommen, das Bundesamt sich
im Einzelnen befasst hat. Aus diesem Grunde geht auch nicht etwa die
Prüfungskompetenz auf die Ausländerbehörde über, wenn Umstände nicht geprüft
worden sind, weil sie mangels Vortrages dem Bundesamt unbekannt geblieben sind.
28
BVerwG, Urteil vom 7. September 1999 - 1 C 6/99 -, NVwZ 2000, 204. Vgl. im Übrigen
auch Gemeinschaftskommentar (GK) zum Ausländerrecht, Loseblatt, Stand: Dezember
2000, § 53 Rdnr. 30.2 m.w.N. auch zur Mindermeinung.
29
Das Bundesamt hat die Entscheidung über das Vorliegen von
30
Abschiebungshindernissen zur Recht von den Voraussetzungen des § 51 VwVfG
abhängig gemacht, auch soweit nach Unanfechtbarkeit seines Bescheides vom 17.
September 1993 entstandene Abschiebungshindernisse von dem Antragsteller geltend
gemacht werden.
BVerwG, Urteil vom 21. März 2000 - 9 C 41.99 -, BVerwGE 111, 77.
31
Ob im Gegensatz zum Zeitpunkt seiner Entscheidung und der Eilentscheidung des
Einzelrichters vom 14. Januar 2002 im Verfahren 15 L 39/02.A, zu welchen die
angebliche Traumatisierung des Klägers noch mit keinerlei ärztlichen Attesten belegt
war, im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung wegen der nunmehr
vorgelegten Gutachten des Facharztes xxxxxxxxxx und des Dr. xxxxxxx die
Voraussetzungen für ein Wiederaufgreifen wegen neuer Beweismittel im Sinne des § 51
Abs. 1 Nr. 2 VwVfG nicht doch erfüllt sind, kann offen bleiben, weil sich aus den
Gutachten ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1
AuslG nicht herleiten lässt. Offen bleiben kann auch, ob das Gutachten des Dr. xxxxxxx
nicht gemäß § 87 b Abs. 3 VwGO zurückgewiesen werden kann. Dass das Gutachten
erst unter dem 11. April 2002 abgesetzt worden ist, steht jedenfalls einer Anwendung
des § 87 b Abs. 3 VwGO nicht zwingend entgegen, wie der Prozessbevollmächtigte im
Termin zur mündlichen Verhandlung gemeint hat. Denn das Gutachten beruht auf einer
Exploration vom 7. bis zum 9. Februar 2002. Angesichts der auf den 13. März 2002 mit
der Ladung und entsprechenden Belehrung nach § 87 b Abs. 1, 2 VwGO gesetzten Frist
zur Vorlage neuer Beweismittel hätte es deshalb dem Prozessbevollmächtigten
oblegen, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mittel auf eine rechtzeitige Absetzung
des Attestes hinzuwirken. Dass er dies - erfolglos - versucht hat, ist weder dargetan
noch ersichtlich.
32
Das Gericht geht dem indes nicht weiter nach, weil die Zulassung des Attestes des Dr.
xxxxxxx die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögert, weil ihm ebenso wie
demjenigen des Facharztes xxxxxxxxxx ein zielstaatsbezogenes
Abschiebungshindernis mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht zu entnehmen ist.
33
Nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG kann von der Abschiebung eines Ausländers in einen
anderen Staat abgesehen, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche, konkrete
Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Der Begriff der Gefahr im Sinne dieser
Vorschrift ist im Ansatz kein anderer als der im asylrechtlichen Prognosemaßstab der
„beachtlichen Wahrscheinlichkeit" angelegte, wobei allerdings das Element der
„Konkretheit" der Gefahr für „diesen" Ausländer das zusätzliche Erfordernis einer
einzelfallbezogenen, individuell bestimmten und erheblichen Gefährdungssituation
statuiert.
34
BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 9.95 -, BVerwGE 99, 324, 330.
35
Erheblich ist die Gefahr, wenn der Umfang der Gefahrenrealisierung von bedeutendem
Gewicht ist. Dies ist der Fall, wenn sich durch die Rückkehr der Gesundheitszustand
des Betroffenen wegen der unzureichenden medizinischen Behandlungsmöglichkeiten
im Zielstaat wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern würde.
36
BVerwG, Urteil vom 25. November 1997 - 9 C 58.96 -, BVerwGE 115, 383.
37
Aufgabe des Schutzsuchenden ist es, dies durch ärztliche Atteste zu belegen, die
38
nachvollziehbare Aussagen zu Art und Umfang der Erkrankung, den erforderlichen
medizinischen Maßnahmen zu ihrer Behandlung sowie Aussagen dazu enthalten,
welche Auswirkungen sich für den Gesundheitszustand des Schutzsuchenden ergeben,
wenn er die für erforderlich gehaltene Behandlung in der Heimat nicht finden kann.
Den vom Kläger vorgelegten Attesten des Facharztes xxxxxxxxxx und des Dr. xxxxxxx
lässt sich mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht entnehmen, dass bei ihm eine
traumatische Erkrankung vorliegt, die wegen ungenügender Behandlungsmöglichkeiten
in der Heimat eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib und Leben, und damit ein
zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG begründet.
39
Es ist schon nicht beachtlich wahrscheinlich, dass beim Kläger überhaupt eine
posttraumatische Belastungsstörung vorliegt, sodass es auf die
Behandlungsmöglichkeiten im Kosovo nicht ankommt.
40
Bei der posttraumatischen Belastungsstörung handelt es sich um ein komplexes
psychisches Krankheitsbild. Nach den international anerkannten Qualitätsstandarts, wie
sie insbesondere im Standart ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation oder DSM
(Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders) der US-amerikanischen
Psychiatric Association festgelegt sind, entsteht die nach deutschem Sprachgebrauch
als posttraumatisches Belastungssyndrom „PTBS „bezeichnete Erkrankung als eine
verzögerte oder protrahierte Reaktion auf ein belastendes Ereignis oder eine Situation
außergewöhnlicher Belastung.
41
Vgl. Marx, InfAuslR 2000, 357 m.N. aus der medizinischen Fachliteratur.
42
Angesichts der Eigenart der PTBS als einer schweren psychischen Erkrankung ist sie
nicht allein auf Grund äußerlich feststellbarer objektiver Befundtatsachen zu
diagnostizieren. Als innerer seelischer Belastungszustand bedarf es vielmehr einer
qualifizierten diagnostischen Arbeit, die ein Höchstmaß an Zeit, Beharrlichkeit, Geduld
und Einfühlsamkeit voraussetzt
43
Marx, InfAuslR 2000, 357, 362,
44
und grundsätzlich nur Fachärzten möglich ist. Die Feststellung einer derartigen
Erkrankung ist den Gerichten regelmäßig mangels vorhandener eigener Sachkunde
verwehrt. Das bedeutet jedoch nicht, dass die gestellte ärztliche Diagnose einer
gerichtlichen Kontrolle gänzlich entzogen wäre. Zum Umfang der gerichtlichen Kontrolle
hat die Kammer in einem dem Prozessbevollmächtigten bekannten Beschluss vom 20.
März 2002 - 15 L 820/02.A - Folgendes wörtlich ausgeführt:
45
„Sie kann nur dann Grundlage der Rechtsanwendung sein, wenn ihre Richtigkeit nach
der freien, aus dem gesamten Verfahren gewonnenen Überzeugung des Gerichts
feststeht (vgl. §§ 120 Abs. 1, 108 Abs. 1 S. 1 VwGO). Mithin sind ärztliche Atteste mit
dem gerichtlichen Sachverstand auf ihre Plausibilität hin zu überprüfen. Dies gilt
insbesondere für die Diagnose solcher Krankheitsbilder, deren Symptome sich der
Natur der Sache nach nicht oder nur schwer objektiv verifizieren lassen und nicht immer
eindeutig auf eine bestimmte Erkrankung hinweisen. Sie eröffnen damit die Möglichkeit,
sich gegenüber Ärzten missbräuchlich sowohl auf bestimmte Ursachen für das geltend
gemachte psychische Beschwerdebild zu berufen, als auch auf das Vorhandensein
typischer Krankheitssymptome und damit auf die Existenz der aus ihnen ableitbaren
46
Erkrankung. Einer besonders engmaschigen Plausibilitätskontrolle ist mithin die
Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung zu unterziehen, weil gerade
ihre...Symptome, wie etwa wiederkehrende belastende Erinnerungen, Albträume,
Schlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten, erhöhte Schreckhaftigkeit zu
denjenigen gehören, deren behauptetes Vorliegen nebst den hierfür geltend gemachten
Gründen fachwissenschaftlich nur eingeschränkt objektivierbar sind."
In Anwendung dieser Grundsätze ist trotz der gegenteiligen fachärztlichen Diagnose
beim Kläger eine posttraumatische Belastungsstörung nicht hinreichend wahrscheinlich.
Auf Grund der Befragung des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung ist schon
nicht ersichtlich, dass zwischen ihm und den behandelnden Gutachtern xxxxxxxxxx und
Dr. xx xxxx eine sprachliche Verständigungsbasis bestand, welche Grundvoraussetzung
für die Feststellung psychischer Beschwerdebilder und ihrer Ursachen sind. Befragt
danach, wie er den der albanischen Sprache nicht mächtigen Ärzten seine
Beschwerden erläutert hat, hat der Kläger erklärt, er spreche ein wenig Deutsch. Auf die
Bitte des Gerichts, der Verhandlung vorübergehend in Deutsch zu folgen, um seine
Sprachfertigkeit zu demonstrieren, hat sich eine Verständigungsmöglichkeit mit dem
Kläger nicht ergeben. Über rudimentäre Sprachkenntnisse hinaus verfügt er offenbar
über keinerlei Kenntnisse der deutschen Sprache, die es ihm ermöglichen, auch bei
einer noch so behutsamen und beharrlichen Befragung so komplizierte innere
Vorgänge, wie sie Ursache und Folge einer PTBS sind, zu artikulieren. Schon aus
diesem Grunde ist es für das Gericht nicht nachvollziehbar, auf Grund welcher konkreten
Erkenntnisse die Gutachter xxxxxxxxxx und Dr. xxxxxxx zu ihrer Diagnose gelangt sind.
Bei dem Facharzt xxxxxxxxxx kommt hinzu, dass seine Diagnose auf einem nur
einmaligen Gespräch mit dem Kläger am 23. Januar 2002 beruht, das als
Momentaufnahme eine tragfähige Grundlage zur Feststellung einer Traumatisierung
grundsätzlich selbst bei fehlenden Verständigungsschwierigkeiten nicht geeignet ist.
47
Vgl. Marx, InfAuslR 2000, 357, 362.
48
Auch wenn das Gutachten von Dr. xxxxxxx auf einer wesentlich breiteren
Beurteilungsgrundlage von vier dreistündigen Sitzungen vom 4. bis 7. Februar 2002
beruht, sind die aus den allgemeinen Verständigungsschwierigkeiten ergebenden
Bedenken nicht ausgeräumt. Dass die Behandlung bzw. Diagnostik nach dem
Gutachten in verschiedenen Sprachen durchgeführt werden kann, erklärt nicht die
Antwort des Klägers bei Gericht auf die Frage der Sprache, in welcher er sich mit dem
Gutachter unterhalten habe, er spreche ein wenig deutsch. Auch wenn er nach einem
gerichtlichen Vorhalt der fehlenden Verständigungsmöglichkeiten mit dem Einzelrichter
in der deutschen Sprache ergänzt hat, bei der ersten Vorsprache sei zufällig ein
Bekannter anwesend gewesen, der für die hinreichende Verständigung habe sorgen
können, macht dies nicht plausibel, wie die Verständigung zwischen ihm und Dr.
xxxxxxx an den darauf folgenden Tagen, die als Basis einer tragfähigen Diagnose
unerlässlich ist, stattgefunden hat.
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Erweisen sich die Gutachten schon aus diesem Grunde als nicht plausibel, kommt
hinzu, dass sie auf einer nach Lage der Akten in tatsächlicher Hinsicht nicht
nachvollziehbaren Grundlage beruhen. Dies ist, ohne dass es weiterer Ausführungen
hierzu bedürfte, für das Gutachten des Facharztes xxxxxxxxxx offensichtlich, da es in
seiner Kürze keinerlei nachvollziehbare Ursachen für die diagnostizierte PTBS enthält.
Das in dieser Hinsicht sehr viel ausführlichere Gutachten des Dr. xxxxxxx rechtfertigt im
Ergebnis keine andere Würdigung, weil die von ihm wiedergegebenen Ursachen der
50
angeblichen PTBS sich aus dem gesamten Akteninhalt einschließlich der Erklärungen
des Klägers bei Gericht nicht nachvollziehen lassen. Sie beruhen allein auf dem
widersprüchlichen und ständig gesteigerten Vorbringen des Klägers, der sich aus
diesem Grunde als gänzlich unglaubwürdig erweist.
Schon die gestellte Fragestellung des Gutachtens des Dr. xxxxxxx „Es soll überprüft
werden, ob eine psychische Störung bei Herrn xxxxxxxx auf Grund seiner Verfolgung
und Folterung vorliegt und es soll die Reisefähigkeit des Patienten festgestellt werden"
lässt sich für das Gericht nicht nachvollziehen. Weder hat der Kläger nach dem
Gutachten des überweisenden Facharztes xxxxxxxxxx von einer „Verfolgung und
Folterung" berichtet, noch ergeben sich hierzu Anhaltspunkte aus seinen ersten
Asylverfahren, der schriftlichen Begründung seines Prozessbevollmächtigten vom 22.
November 2001 an das Bundesamt und dem in den gerichtlichen Verfahren
eingereichten Schriftsätzen sowie seiner Anhörung bei Gericht. Seine beiden ersten
Asylverfahren aus den Jahren 1992 und 1993 hat der Kläger mit einer Ladung zum
Militärdienst begründet, der er nicht habe Folge leisten wollen. In seinem dritten
Asylverfahren hat er auf die Frage nach dem konkreten Anlass für das Verlassen der
Heimat im Januar 1995 erklärt, die hätten in der letzten Zeit jeden Tag seinen Vater
geschlagen, die hätten nämlich Waffen gesucht, nachdem er im Oktober 1993 wegen
des Vorwurfs, ebenfalls Waffen zu besitzen, im Gefängnis gewesen sei, habe er sich
nicht mehr zu Hause aufgehalten. Dass ihn diese Vorfälle, die das Bundesamt in
seinem Bescheid vom 16. November 1995 wegen der fehlenden Substantiierung und
der Widersprüchlichkeit bereits zu Recht als unglaubhaft bezeichnet hat, und die
sonstigen im Gutachten des Dr. xxxxxxx auf Seite 2, 2. Absatz dargestellten angeblichen
serbischen Schikanen seelisch mit Krankheitswert belastet haben könnten, hat er in
seinem dritten Asylverfahren mit keinem Wort erwähnt. Dagegen spricht auch, dass er
offenbar weder seinem Prozessbevollmächtigten noch dem Gericht hiervon etwas
berichtet hat und dass er sich nach seiner neuesten, im Termin zur mündlichen
Verhandlung nochmals korrigierten Version bereits 1995 wieder nach Hause begeben,
dort bis Ende 2001 gelebt, geheiratet und eine Familie mit zwei Kindern gegründet
haben will. Soweit er Dr. xxxxxxx des Weiteren berichtet haben soll, bei seiner Rückkehr
sei er an der mazedonischen Grenze neun Tage brutal gefoltert, danach vor Gericht
gestellt, zu einer zweimonatigen Gefängnisstrafe verurteilt, im Gefängnis wie ein Sklave
mit niederen Arbeiten betraut und von den Wärtern misshandelt worden, glaubt der
Einzelrichter ihm dies ebenso wenig wie die Behauptung, nach der Haftentlassung sei
die Polizei 15 Tage später wieder gekommen und habe sie drei Stunden geschlagen
und gefoltert sowie den Vater vor den Augen der Kinder fast totgeschlagen. Denn es gibt
keinen nachvollziehbaren Grund dafür, dass der Kläger seinem
Prozessbevollmächtigten gegenüber, zu dem er ein Vertrauensverhältnis hat und mit
dem er sich - gerichtsbekannt - auch in seiner Heimatsprache verständigen kann, von
derart gravierenden individuellen Erlebnissen nichts berichtet hat und stattdessen allein
die allgemeinen serbischen Gräueltaten gegenüber der albanischen Bevölkerung, die
Anlass für die NATO-Luftangriffe im Jahre 1999 waren, und die Erlebnisse während des
Kosovo-Krieges als Ursache für seine psychischen Ängste geschildert hat, wie er dies
auch bei seiner ausführlichen Befragung durch das Gericht wiederholt hat. Wäre er
demgegenüber auch eigenes Opfer serbischer Folterungen gewesen, hätte er dies
zumindest dem Anwalt seines Vertrauens nach der Lebenserfahrung offenbart.
Demgegenüber hat er bei Gericht Dinge geschildert, über die er dem Gutachter in dieser
Weise offenbar nichts berichtet hat, in dem er z.B. von einer Frau erzählt hat, die mit
einem Kind auf dem Arm von einer Granate getroffen und dabei getötet worden sein soll,
wobei das Kind überlebt haben soll, und außerdem einen Bekannten erlebt haben will,
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der ohne Kopf, Arme und Beine herumgelegen habe, sowie von einem Dorfbewohner,
den man absichtlich so beerdigt habe, dass sein Kopf aus dem Erdboden
herausgeschaut habe. Hätte er derart schreckliche Einzelschicksale seinem Gutachter
als Grund für seine Ängste geschildert, wären diese angesichts der Sorgfältigkeit, mit
welcher der Gutachter auch Kleinigkeiten in seinem Gutachten wiedergegeben hat, mit
an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Gutachten aufgenommen worden.
Stattdessen hat der Gutachter nur allgemein ausgeführt, der Kläger habe serbische
Massaker miterlebt, viele Leute seien getötet worden, er habe Leichen gesehen. Soweit
der Kläger dem Gutachter gegenüber weiter angegeben hat, man habe einen Onkel
ohne Kopf und Hände tot wieder gefunden, steht dies im Übrigen im Widerspruch zu
seiner Erklärung bei Gericht, in welcher er allgemein nur von einem bekannten Mann
namens xxxxxxxxxxxx gesprochen hat.
Angesichts dieser nicht auflösbaren Widersprüche zwischen dem vom Gutachter Dr.
xxxxxxx unterstellten Kausalverlauf und dem Akteninhalt sowie den eigenen
Erklärungen des Klägers gegenüber seinem Prozessbevollmächtigten und dem Gericht
ist die ärztliche Diagnose einer posttraumatischen Belastungsstörung beim Kläger für
das Gericht insgesamt nicht plausibel. Dieser Eindruck wird dadurch bestätigt, dass der
Kläger offenbar erstmals 2 1/2 Jahre nach Beendigung des Kosovo-Krieges den
Facharzt für Neuropsychiatrie Dr. xxxxxxxxxxxxxx aufgesucht hat, und der Versuch, den
Entlassungsschein der Neuropsychiatrischen Klinik in Prishtina als weiteren Beleg für
seine psychischen Beschwerden in das Verfahren einzuführen, wie dem Attest
xxxxxxxxxx zu entnehmen ist, nach welchem sich der Kläger bereits im Jahre 2000 in
psychiatrischer Behandlung im Kosovo befunden habe, angesichts der
Einweisungsdiagnose eines „Iotus insecti" als haltlos erweist. Angesichts der Vielzahl
unauflösbarer Widersprüche und der Tatsache, dass der Kläger bereits mehrfach unter
Aliasnamen um Anerkennung als Asylberechtigter nachgesucht hat (vgl. § 30 Abs. 3 Nr.
2 AsylVfG), sei nur am Rande angemerkt, dass es seiner Glaubwürdigkeit letztlich auch
nicht zuträglich ist, wenn er bei Gericht behauptet hat, den Entlassungsschein der
Neuropsychiatrischen Klinik in Prishtina sowie den Bericht des Facharztes Dr. xxxxxxx
aus dem Kosovo mitgebracht zu haben. Wäre dies der Fall, hätte sein
Prozessbevollmächtigter sie mit Sicherheit bereits zusammen mit den sonstigen von ihm
vorgelegten Unterlagen mit seinem Antrag vom 22. November 2001 bereits dem
Bundesamt übermittelt und als Beleg für die Behauptung, dem Kläger habe im Kosovo
nicht geholfen werden können, dargestellt.
52
Bei dieser Sachlage war das Gericht schon mangels beachtlicher Wahrscheinlichkeit
einer Traumatisierung nicht gehalten, von Amts wegen weitere Nachforschungen durch
Einholung einer KIP-Anfrage im Kosovo nach der nunmehr behaupteten Identität des
Klägers, denen er sich trotz der entsprechenden Bemühungen des Bundesamtes bereits
durch Nichterscheinen zum Vorsprachetermin entzogen hat, anzustellen und bei einer
Bestätigung derselben von Amts wegen ein gerichtliches Sachverständigengutachten
zur Traumatisierung und zugleich zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Klägers
einzuholen, da keinerlei verifizierbare Umstände in der Persönlichkeitsstruktur des
Klägers erkennbar sind, die in erheblicher Weise von den Normalfällen fehlender
Glaubwürdigkeit abweichen.
53
Vgl.: BVerwG, Beschluss vom 18. Juli 2001 - 1 B 118.01 -, DVBl. 2002, 53.
54
Hinzu kommt, dass es nicht hinreichend wahrscheinlich ist, dass die konkrete
erhebliche Gefahr besteht, eine unterstellte Traumatisierung des Klägers werde sich
55
alsbald nach seiner Rückkehr in seinen Heimatstaat wegen unzureichender
Behandlungsmöglichkeiten wesentlich oder sogar lebensbedrohlich verschlechtern.
Zwar steht es nach dem der Kammer vorliegenden Erkenntnismaterial zur Überzeugung
des Einzelrichters fest, dass im Kosovo wegen der geringen Zahl gut ausgebildeter
Fachärzte und dem hohen Anteil kriegstraumatisierter Bewohner eine dem Stand der
medizinischen Wissenschaften in Ländern mit einem gut ausgebauten
Gesundheitssystem wie der Bundesrepublik Deutschland adäquate Behandlung von
psychischen Erkrankungen nicht möglich ist, soweit diese über eine medikamentöse
Behandlung hinaus einer individuellen, auf längere Zeit angelegten Gesprächstherapie
bedürfen, um eine Heilung der psychischen Beschwerden mittel- oder langfristig zu
ermöglichen.
Vgl.: Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, Information „Die
medizinische Versorgung im Kosovo", Stand: September 2000; UNHCR,
Stellungnahme vom 28. Juli 2000 an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht mit
Hinweisen zur medizinischen Versorgung und zu Behandlungsmöglichkeiten im
Kosovo; Schweizerische Flüchtlingshilfe, Lageübersicht - Oktober 1999 -, „Zur sozialen
und humanitären Situation im Sommer 2000", sowie „Zur medizinischen
Versorgungslage", Stand: Juli 2001.
56
Aufgabe des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG ist es jedoch nicht, Ausländern mit
gesundheitlichen Beschwerden welcher Art auch immer in der Bundesrepublik
Deutschland Heilungsmöglichkeiten zu eröffnen. Eine so weit gehende, aus
humanitären Gründen möglicherweise wünschenswerte Hilfe will und kann § 53 Abs. 6
Satz 1 AuslG nicht leisten. Er ermöglicht es allein, von der Abschiebung eines
Ausländers abzusehen, wenn die Gefahr besteht, dass sich die Krankheit eines
ausreisepflichtigen Ausländers in seinen Heimatstaat verschlimmert, weil die
Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind.
57
BVerwG, Urteil vom 25. November 1997 a.a.O..
58
Bestehen demgegenüber Behandlungsmöglichkeiten und sind diese ausreichend, der
Gefahr einer wesentlichen Verschlimmerung zu begegnen, muss sich der
ausreisepflichtige Ausländer in medizinischer und therapeutischer Hinsicht auf den im
Heimatstaat allgemein üblichen Standard verweisen lassen, auch wenn dieser zu einer
Heilung nicht ausreicht
59
OVG NRW, Beschluss vom 20. Oktober 2000 - 18 B 1520/00 -.
60
So liegt der Fall hier. Die für die Behandlung psychischer Beschwerden erforderlichen
Medikamente sind im Kosovo nach den vorstehend wiedergegebenen
Erkenntnisquellen ohne weiteres erhältlich und sollen auch dem Kläger, sollte es sich
bei dem Attest des Dr. xxxxxxx vom 30. Oktober 2001 nicht nur um ein Gefälligkeitsattest
handeln, zur Verfügung gestellt worden. Die Medikamente haben, folgt man der
Darstellung des Klägers, auch die gewünschte Wirkung einer Dämpfung der
Angstzustände bewirkt, wenn diese auch nur kurzfristig angehalten haben soll. Dass sie
beim Kläger, eine Traumatisierung unterstellt, wie auch bei der großen Anzahl der von
Kriegstraumata betroffenen Bevölkerung, die ausweislich der obigen Erkenntnisquellen
auf 25 % geschätzt wird, zu einer Heilung der seelischen Beschwerden nicht
beizutragen vermögen, ist in diesem Zusammenhang rechtlich unerheblich, da nichts
dafür dargetan noch sonst wie ersichtlich ist, dass durch die Verordnung einschlägiger
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Medikamente in der Regel nicht zumindest eine wesentliche oder gar
lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes Traumakranker zu
verhindern ist. Wäre diese Annahme unzutreffend, würden sich in den zahlreichen
Erkenntnismitteln über die medizinischen Behandlungsmöglichkeiten im Kosovo nach
der Lebenserfahrung zumindest in den Quellen von UNHCR und dem der
Menschenrechtsorganisationen gegenteilige Aussagen finden.
Geht man entgegen der vorstehenden Würdigung zu Gunsten des Klägers von der
beachtlichen Wahrscheinlichkeit einer Traumatisierung und der Gefahr einer
beträchtlichen Verschlechterung des Gesundheitszustandes wegen unzureichender
Behandlungsmöglichkeiten im Kosovo aus, könnte sich der Kläger schließlich
gleichwohl nicht auf § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG berufen, weil seine Erkrankung jedenfalls
als allgemeine Gefahr im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG zu qualifizieren wäre, die
die Anwendbarkeit des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG sperrt. Nach § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG
werden Gefahren im Abschiebezielstaat, denen die Bevölkerung oder die
Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, allgemein ausgesetzt ist, bei
Entscheidungen nach § 54 AuslG berücksichtigt. Mit dieser Regelung soll nach dem
Willen des Gesetzgebers erreicht werden, dass dann, wenn eine bestimmte Gefahr
einer Bevölkerungsgruppe, das heißt einer großen Zahl der im Abschiebezielstaat
lebenden Personen gleichermaßen droht, über deren Aufnahme oder Nichtaufnahme
nicht im Einzelfall durch das Bundesamt und eine Ermessensentscheidung der
Ausländerbehörde, sondern für die ganze Gruppe der potenziell Betroffenen einheitlich
durch eine politische Leitentscheidung des Innenministeriums befunden werden soll.
Trotz bestehender konkreter Gefahr ist die Anwendbarkeit des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG
im Verfahren des einzelnen Ausländergesetz deshalb gesperrt, wenn dieselbe Gefahr
zugleich einer Vielzahl weiterer Personen im Abschiebezielstaat droht
62
BVerwG, Urteil vom 27. April 1998 - 9 C 13.97 -, InfAuslR 1998, 409, 410.
63
Derartige allgemeine Gefahren können sich nicht nur aus einer Bürgerkriegssituation
ergeben. Auch Krankheiten wie Aids können allgemeine Gefahren im Sinne des § 53
Abs. 6 Satz 2 AuslG darstellen.
64
BVerwG, Urteil vom 27. April 1998 a.a.O..
65
Individuelle Gefährdungen des Ausländers, die sich aus einer allgemeinen Gefahr im
Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG ergeben, können auch dann nicht als
Abschiebungshindernis unmittelbar nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG berücksichtigt
werden, wenn sie auch durch Umstände in der Person oder in den Lebensverhältnissen
des Ausländers begründet oder verstärkt werden, aber nur typische Auswirkungen der
allgemeinen Gefahrenlage sind,
66
BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 1998 - 9 C 4.98 -, InfAuslR 1999, 266.
67
Dass sie den Ausländer konkret und in individualisierbarer Weise betreffen, steht der
Bejahung einer allgemeinen Gefahr nicht entgegen, weil nicht die geringere
Betroffenheit des Einzelnen die Anwendung des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG sperrt,
sondern die Tatsache, dass er sein Fluchtschicksal mit vielen Anderen teilt, über deren
Aufnahme oder Nichtaufnahme im Bundesgebiet eine politische Leitentscheidung nach
§ 54 AuslG befinden soll.
68
BVerwG, Urteil vom 18. März 1998 - 9 C 36/97 -.
69
Nach Überzeugung des Einzelrichters sind nicht nur organische Erkrankungen wie Aids
zur Auslösung der Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG geeignet, sondern auch
seelische Erkrankungen, wenn sie einer breiten Bevölkerungsgruppe ursächlich durch
gemeinsam erlittene Erlebnisse zugefügt worden sind.
70
Ebenso: OVG des Saarlandes, Entscheidung vom 20. September 1999 - 9 Q 286/98 -.
71
Eine derartige Gruppe bilden nach Auffassung des Einzelrichters die Bewohner des
Kosovo und dabei insbesondere die albanischen Volkszugehörigen, die traumatisiert
sind, weil sie die Gräueltaten der Serben vor und während des Kosovokrieges und das
durch die Bombardierung zugefügte Leid miterlebt haben, und die diese Erlebnisse
nicht zum Anlass einer sofortigen Flucht ins Ausland genommen haben, sondern in der
Heimat verblieben oder unmittelbar nach dem Ende der Bombardierungen in die Heimat
zurückgekehrt sind, die dortigen für eine Heilung unzureichenden
Behandlungsmöglichkeiten hingenommen haben und sich wie der Kläger erst mehr als
zwei Jahre nach Beendigung der kriegerischen Auseinandersetzungen zur Behandlung
ins Ausland begeben. Tatsächlich steht es - wie bereits gezeigt - fest, dass diese
Gruppe ca. 25 % aller während des Krieges im Kosovo verbliebenen Albaner umfasst.
Ob diese individuell abgrenzbare Bevölkerungsgruppe heute noch vom Ausland aus in
der Bundesrepublik Deutschland Zuflucht suchen kann, um sich der hier besseren
therapeutischen Behandlungsmöglichkeiten zu versichern, kann nicht vom Bundesamt
oder den Ausländerbehörden in Einzelfallentscheidungen entschieden werden, sondern
bedarf einer politischen Leitentscheidung im Rahmen der §§ 53 Abs. 6 Satz 2, 54
AuslG, die für Albaner und auch für Minderheiten aus dem Kosovo nicht existiert.
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Dem kann nach Auffassung des Einzelrichters nicht entgegen gehalten werden,
Personen, die als Folge von Kriegserlebnissen traumatisiert sind, könnten eine
Bevölkerungsgruppe im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 2 nicht bilden, weil die
Traumatisierung stets auf Grund individueller Kriegserlebnisse hervorgerufen worden
sei. Soweit für diese Auffassung eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts für
das Land Nordrhein-Westfalen
73
Beschluss vom 19. November 1999 - 19 B 1599/98 und 19 E 617/98 -
74
angeführt wird, wird übersehen, dass in dem dort entschiedenen Fall individuelle
Erlebnisse in Form schwerer Misshandlungen und Vergewaltigungen durch serbische
Soldaten in Frage standen. Dass derartige schwerste individuelle Einwirkungen auf
Bürgerkriegsflüchtlinge aus dem Kreis der allgemeinen Gefahren herausfallen mögen,
mag einleuchten. Nicht nachvollziehbar ist es dagegen, mit dem Leitsatz 3 der
vorgenannten Entscheidung, welcher lautet, „Personen, die als Folge individueller
Kriegserlebnisse traumatisiert sind, sind keine Bevölkerungsgruppe im Sinne des § 53
Abs. 6 Satz 2 AuslG", die Eigenschaft einer Bevölkerungsgruppe im Sinne des § 53
Abs. 6 Satz 2 AuslG allgemein in Abrede zu stellen. Denn es sind stets individuelle
Ereignisse, die dazu führen, dass ein Betroffener zum Mitglied einer
Bevölkerungsgruppe im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG wird. So wird zum Beispiel
ein Aidskranker nur durch individuelle Ansteckung Teil der abgrenzbaren Mehrheit
gefährdeter Personen. Aus welchem Grunde bei Kriegstraumatisierten individuelle
Erlebnisse, denen der Einzelne gemeinsam mit einer Vielzahl nach Ort, Zeit und Art der
Ereignisse Gleichbetroffener ausgesetzt gewesen ist, der Zugehörigkeit zu einer
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Bevölkerungsgruppe im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG entgegenstehen soll, ist
nicht einsichtig.
Als Teil einer Bevölkerungsgruppe im Sinne des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG muss dem
Kläger auch nicht ausnahmsweise mit Rücksicht auf Artikel 1, 2 des Grundgesetzes die
Berufung auf § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG eröffnet werden. Denn für eine
verfassungsmäßige Einengung der Sperrwirkung des § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG ist kein
Raum, weil weder dargetan noch sonst wie ersichtlich ist, dass der Kläger bei einer
Rückkehr in das Kosovo sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten
Verletzungen ausgesetzt sein würde.
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Soweit das Gutachten des Dr. xxxxxxx für den Kläger zurzeit eine Reiseunfähigkeit
attestiert, bedarf diese Diagnose im Verfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland
keiner weiteren Überprüfung, weil die Reisefähigkeit als inländisches
Vollstreckungshindernis von der Ausländerbehörde zu berücksichtigen ist. Eine
entsprechende amtsärztliche Überprüfung ist durch die Ausländerbehörde des Kreises
xxxxx eingeleitet. Bis zur Vorlage des amtsärztlichen Attestes ist eine Abschiebung des
Klägers ausgesetzt.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b Abs. 1 AsylVfG. Der Wert
des Verfahrensgegenstandes ergibt sich aus § 83 b Abs. 2 AsylVfG.
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