Urteil des VG Düsseldorf vom 09.05.2008

VG Düsseldorf: bundesamt für migration, straftat, unbestimmter rechtsbegriff, aufenthaltserlaubnis, verbrechen, vollstreckung, strafgericht, rechtssicherheit, aussetzung, persönlichkeit

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 24 K 866/08
Datum:
09.05.2008
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
24. Kammer
Entscheidungsart:
Gerichtsbescheid
Aktenzeichen:
24 K 866/08
Tenor:
Der Beklagten wird unter Aufhebung seiner Ordnungsverfügung vom 13.
Mai 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der
Bezirksregierung E vom 21. Dezember 2007 verpflichtet, dem Kläger
eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen zu erteilen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der
Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden,
wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit
in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
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Die Beteiligten streiten über die Berechtigung des Beklagten, dem Kläger eine
Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen zu erteilen.
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Der Kläger ist ein iranischer Staatsangehöriger, der im Dezember 2000 zum Zwecke der
Asylantragstellung ins Bundesgebiet einreiste. Nach anfänglicher Erfolglosigkeit dieses
Begehrens stellte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge auf gerichtliche
Verpflichtung (18 K 5723/01.A) durch bestandskräftigen Bescheid vom 14. Juli 2004
fest, dass in der Person des Klägers das Abschiebungshindernis des § 53 Abs. 4 AuslG
vorliegt. Der Kläger wird seither geduldet.
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Am 2. August 2005 verurteilte das Amtsgericht N den Kläger wegen unerlaubten
Erwerbs und Handeltreibens mit Opium in 23 Fällen nach den §§ 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1,
Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und 29a Abs. 1 Nr. 2 BtmG zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren,
deren Vollstreckung es zu Bewährung aussetzte. Die Bewährungszeit ist am 3. Februar
2008 abgelaufen.
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Den Antrag des Klägers vom November 2006 auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis
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aus humanitären Gründen lehnte der Beklagte mit der hier angefochtenen
Ordnungsverfügung vom 13. Mai 2007 ab: Wegen der vollziehbaren Ausreisepflicht des
Klägers komme nur der 5. Abschnitt des AufenthG in Betracht; einschlägig sie insoweit
angesichts der Feststellungen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge § 25 Abs.
5 AufenthG. Weil es sich bei der abgeurteilten Tat um eine Straftat von erheblicher
Bedeutung im Sinne von § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG handele, sei die Erteilung jedoch
zwingend ausgeschlossen. Die erhebliche Bedeutung der Straftat ergebe sich schon
daraus, dass es sich um ein Verbrechen gehandelt habe. Zudem sei Opium ein
besonders gefährliches Betäubungsmittel; der Umgang mit den Folgen seines Konsums
sei für die Gesellschaft besonders aufwendig. Auch nach § 25 Abs. 5 AufenthG könne
nicht erteilt werden, weil der Kläger seinen Lebensunterhalt nicht sichern könne und
einen Ausweisungsgrund verwirkliche, so dass es an den allgemeinen
Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 1 AufenthG fehle.
Den Widerspruch wies die Bezirksregierung E mit - der Prozessbevollmächtigten des
Klägers am 2. Januar 2008 zugestelltem - Bescheid vom 21. Dezember 2007 zurück.
Auch sie betonte, die erhebliche Bedeutung de Straftat spiegele sich schon in ihrer
gesetzlichen Einstufung als Verbrechen; zudem sei der Handle mit Betäubungsmitteln
stets erheblich und habe das Amtsgericht dem Kläger eine hohe kriminelle Energie
bescheinigt.
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Der Kläger hat am 2. Februar 2008 Klage erhoben und trägt vor, der Beklagte habe nicht
gebührend berücksichtigt, dass bei dem Kläger keine individuelle Wiederholungsgefahr
gegeben sei; sie habe ihr Ermessen fehlerhaft ausgeübt; immerhin sei die
Bewährungszeit abgelaufen, ohne dass der Kläger Anlass zu neuerlichen
Beanstandungen gegeben habe. Der Kläger beantragt sinngemäß,
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den Beklagten unter Aufhebung seiner Ordnungsverfügung vom 13. Mai 2007 in der
Gestalt des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung E vom 21. Dezember 2007
zu verpflichten, ihm eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen zu erteilen.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er betont, im Anwendungsfalle des § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG sei ihm ein Ermessen
nicht eingeräumt; zur Unterstreichung dessen, dass schon die gesetzliche Einstufung
als Verbrechen eine Straftat als solche von erheblicher Bedeutung qualifiziere, verweist
er auf eine Legaldefinition im allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht des Landes
Berlin sowie Bestimmungen über besondere Befugnisse zur Datenerhebung nach der
StPO.
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Einen seitens des Gerichts mit Beschluss vom 10. April 2008 unterbreiteten
Vergleichsvorschlag hat der Beklagte nicht angenommen.
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Die Beteiligten sind zu der Möglichkeit einer Entscheidung ohne mündliche
Verhandlung durch Gerichtsbescheid mit Verfügung des Gerichts vom 7. Februar 2008
angehört worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie den der dazu beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten
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und der Widerspruchsbehörde Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
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Das Gericht kann gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch
Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten
tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten
zu der Möglichkeit einer solchen Entscheidung gehört worden sind.
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Die zulässige Verpflichtungsklage ist begründet, weil die Versagungsverfügung des
Beklagten vom 13. Mai 2007 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der
Bezirksregierung E vom 21. Dezember 2007 rechtswidrig ist, die gesetzlichen
Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage vorliegen und dem Beklagten kein noch
auszuübendes Ermessen eingeräumt ist; § 113 Abs. 5 Satz 1 und 2 VwGO.
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Die Voraussetzungen der Erteilungsermächtigung des § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG sind
gegeben. Für den Kläger sind die Abschiebungshindernisse im Sinne des dem § 60
Abs. 5 AufenthG entsprechenden § 53 Abs. 4 AuslG verbindlich festgestellt. Von den
allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen der Absätze 1 und 2 des § 5 AufenthG ist nach
dessen Absatz 3 1. Halbsatz abzusehen. Umstände, die ein Abweichen von dem Soll
der gesetzlichen Rechtsfolgenvorgabe rechtfertigen würden, sind nicht ersichtlich.
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In seiner die gegenteilige Bescheidung tragenden Annahme, der Erteilung der
Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 25 Abs. 3 AufenthG stehe das
Urteil des Amtsgericht N vom August 2005 entgegen, weil der Kläger dadurch wegen
eines Verbrechens nach dem BtmG verurteilt worden sei, geht der Beklagte fehl.
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Der Begriff der „Straftat von erheblicher Bedeutung" in § 25 Abs. 3 Satz 2 lit. b) AufenthG
ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, der in vollem Umfange der gerichtlichen Kontrolle
unterliegt und der Behörde nicht etwa einen Beurteilungsspielraum einräumt.
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Die Auslegung dieses Begriffes hat sich in erster Linie an dem AufenthG, seiner
Systematik und seinen Sinn und Zweck zu orientieren. Verweise auf Vorschriften im
allgemeinen Polizei- und Ordnungsrecht sind zwar wegen des
gefahrenabwehrechtlichen Charakters des Ausländerrechts nicht von vornherein
ausgeschlossen; sie müssten sich jedoch beziehen auf das Recht des Landes
Nordrhein-Westfalen. Dem für ihn hier subsidiär bindenden nordrhein- westfälischen
OBG ist eine der seitens des Beklagten zitierten Vorschriften des ASOG Berlin
vergleichbare Norm fremd. Vergleiche mit dem repressiven Recht, in Sonderheit den
Eingriffsbefugnissen nach der StPO, sind schon wegen der unterschiedlichen
Zielsetzung der Regelungsbereiche wenig aussagekräftig.
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Straftaten von erheblicher Bedeutung sind nach grammatischer Auslegung solche, die
den Rechtsfrieden empfindlich stören oder geeignet sind, das Gefühl der
Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Entsprechend wird man
ein Delikt der mindestens mittleren Kriminalität verlangen müssen. Eine
Beeinträchtigung des Rechtsfriedens oder der Rechtssicherheit kann sich aus der
Bedeutung des verletzten Schutzgutes ergeben.
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Eine „Straftat von erheblicher Bedeutung" im Sinne des § 25 Abs. 3 Satz 2 lit. b)
AufenthG muss nach teleologischer Auslegung ein Gewicht aufweisen, das es
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gerechtfertigt erscheinen lässt, den gesetzgeberischen Zweck der Legalisierung des
Aufenthaltes zurücktreten zu lassen. Die Straftat muss hinsichtlich des begangenen
Unrechts und vor allem mit Blick auf die aufgewandte kriminelle Energie so
schwerwiegend sein, dass das Vertrauen in die Rechtsordnung unter der Vorstellung
leiden würde, diesem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen. Es geht mithin
um einen Ausgleich von Legalisierungsinteresse und Gerechtigkeitsempfinden nach
Maßgabe der Verhältnismäßigkeit.
Vgl. Verwaltungsgericht Stuttgart, Urteil vom 7. Oktober 2005 - 9 K 2107/04 -.
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In systematischer Auslegung des § 25 Abs. 3 Satz 2 lit. b) AufenthG ist zunächst
festzustellen, dass der Gesetzgeber keine starre Bezugnahme auf etwa die
(ausländerrechtlichen) Abstufungen der §§ 53 und 54 AufenthG vorgesehen und auch
eine Gleichsetzung mit der allgemein strafrechtlichen Kategorisierung der Taten als
Verbrechen oder Vergehen nicht gewollt hat. Ferner zeigt ein Vergleich mit den übrigen
Tatbeständen der lit. a), c) und d), was für ein Gewicht der Tat zukommen muss, um als -
immerhin zwingender ! - Ausschlussgrund fungieren zu können.
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Vielmehr soll es nicht auf den Charakter des verwirklichten Straftatbestandes, sondern
auf den konkreten Einzelfall ankommen.
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So auch Verwaltungsgericht Stuttgart, Urteil vom 7. Oktober 2005 - 9 K 2107/04 -.
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Die individuelle Wiederholungsgefahr ist in diesem Kontext von allenfalls
untergeordneter Bedeutung. Dieses Kriterium ist maßgeblich für eine etwaige
Ausweisung, also die Kappung der Legalität eines Aufenthaltes in der Absicht, mit Hilfe
aufenthaltsbeendender Maßnahmen diesen Ausländer als Gefahrenquelle für die
Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit aus dem Bundesgebiet zu entfernen. Darum
geht es vorliegend nicht. Der fragliche Ausländer bleibt angesichts der verbindlichen
Feststellung von Abschiebungsverboten ohnehin im Bundesgebiet, und es geht nur um
die rechtliche Ausgestaltung dieses tatsächlich ohnehin platzgreifenden Aufenthaltes
vor dem Hintergrund seiner formellen Legalisierung.
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Ausschlaggebend sind mithin Art und Schwere der konkreten Tat in Abwägung mit der
Legalisierung des (ohnehin nicht beendbaren) Aufenthaltes. Es kommt also auf das Maß
des verwirklichten Unrechts an.
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Gemessen an diesen Kriterien ist dem Beklagten zuzugestehen, dass die Einordnung
der Tat(en) des Klägers als Verbrechen
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der auf den Kläger angewandte § 29a Abs. 1 Nr. 1 BtmG sieht Freiheitsstrafe nicht unter
einem Jahr vor, ist also ungeachtet der - hier angewandten - Milderungsmöglichkeit
nach seinem Absatz 3 nach § 12 Abs. 1 und Abs. 3 StGB ein Verbrechen
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sie ihrer Art nach in den Bereich der mittleren Kriminalität zu heben geeignet ist.
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Hinsichtlich des Maßes des verwirklichten Unrechts und der dem Kläger vorwerfbaren
Schuld, also der Schwere der Tat, ist aber wegen dessen Sachnähe und Fachkunde
einschließlich seines Überblicks über den einschlägigen Deliktsbereich sowie der
eingehenden Beschäftigung mit der Persönlichkeit des Täters vor allem mit Blick auf die
ihm zu unterstellende kriminelle Energie in der dortigen mündlichen Verhandlung in
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erster Linie an die Einschätzung des aburteilenden Strafgerichts anzuknüpfen. Dieses
hat hier die Aussetzung der Vollstreckung zur Bewährung für angemessen gehalten.
Eine solche Entscheidung verlangt von dem Strafgericht eine genaue Würdigung eben
des konkreten Einzelfalles. Nach § 56 Abs. 1 Satz 2 StGB hat es die Persönlichkeit des
Verurteilten, sein Vorleben, die Umstände seiner Tat, sein Verhalten nach der Tat, seine
Lebensverhältnisse und der Wirkungen, die von der Aussetzung zu erwarten sind, zu
berücksichtigen. Bei der Aussetzung einer Freiheitsstrafe der gegen den Kläger
verhängten Höhe musste das Amtsgericht nach § 56 Abs. 2 Satz 1 StGB darüber hinaus
besondere Umstände annehmen, die die Aussetzung rechtfertigen. All dies ist in
rechtskräftiger Form durch ein Strafgericht erfolgt und hätte schwerlich erfolgen können,
wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigten, die konkrete Tat des
Klägers störe den Rechtsfrieden empfindlich oder sei geeignet, das Gefühl der
Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Dem entgegen als
Ausländerbehörde „schwerwiegende Gründe" zu bejahen, die „die Annahme
rechtfertigten", der Kläger habe „eine Straftat von erheblicher Bedeutung" im Sinne des
§ 25 Abs. 3 Satz 2 lit. b) AufenthG begangen, ist angesichts der dargelegten
Einzelfallbezogenheit und mit Blick auf die unterschiedlichen Zielsetzungen des
Strafrechts und des § 25 Abs. 3 AufenthG wohl nicht von vornherein ausgeschlossen; es
erfordert jedoch eine eingehende Darlegung der - vom Strafgericht vielleicht nicht oder
nicht gebührend gewürdigten - Umstände, die eine gegenteilige Bewertung rechtfertigen
sollen. Insbesondere wenn das Strafgericht hier wegen der Höhe der Freiheitsstrafe
nach § 56 Abs. 2 StGB gehalten war, seinerseits „nach der Gesamtwürdigung von Tat
und Persönlichkeit des Verurteilten besondere Umstände" anzunehmen, um den
Verurteilten gleichwohl auf freiem Fuß zu belassen, liegt die Annahme einer Störung
von Rechtsfrieden oder Rechtssicherheit durch die Legalisierung des ohnehin nicht
verhinderbaren weiteren Aufenthaltes des Betroffenen zumal nach
beanstandungsfreiem Ablauf der Bewährungszeit fern. Dies wird besonders deutlich,
wenn man einen Vergleich mit den übrigen Buchstaben des § 25 Abs. 3 Satz 2
AufenthG anstellt: Wegen der dort genannten Tatbestände würde ein deswegen von
einem deutschen Gericht einschlägig Verurteilter schwerlich von der Vollstreckung
seiner Freiheitsstrafe verschont.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die über die vorläufige
Vollstreckbarkeit auf den §§ 84 Abs. 1 Satz 3, 167 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§
708 Nr. 11, 711 ZPO.
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