Urteil des VG Düsseldorf vom 10.09.2009

VG Düsseldorf (entstehung des anspruchs, einreise, antragsteller, schengen, aufschiebende wirkung, egv, aufenthaltserlaubnis, visum, eugh, europäischer gerichtshof)

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 27 L 2043/08
Datum:
10.09.2009
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
27. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
27 L 2043/08
Schlagworte:
Dänemarkehe Freizügigkeit Unionsbürger Schengen-Visum
Normen:
Art 18 EGV, Art 49 EGV, FreizügG/EU, § 39 Nr 3 AufenthV
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens als
Gesamtschuldner.
Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe:
1
Der Antrag,
2
die aufschiebende Wirkung der Klage 27 K 8945/08 gegen die Versagungsverfügung
und Abschiebungsandrohung des Antragsgegners vom 24. November 2008
anzuordnen,
3
hat keinen Erfolg.
4
I. Der Antrag ist nach § 80 Abs. 5 VwGO zulässig.
5
Dies gilt nicht nur in Hinsicht auf die begehrte Anordnung der aufschiebenden Wirkung
der Klage gegen die Abschiebungsandrohung, sondern auch für die Versagung der
Erteilung der Aufenthaltserlaubnis. Der von der mit einem bis zum 26. September 2008
gültigen Schengen-Visum eingereisten Antragstellerin zu 1. am 12. September 2008
gestellte Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis hat die Erlaubnisfiktion des §
81 Abs. 4 AufenthG ausgelöst. In diese Rechtsposition wird durch die
Versagungsverfügung vom 24. November 2008 eingegriffen.
6
Unzulässig wäre dieser Antrag hingegen für den Fall, dass der Antragstellerin zu 1. ein
von dem Antragsteller zu 2. als Unionsbürger abgeleitetes Aufenthaltsrecht aus den
Freizügigkeitsrechten des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft
(EGV) zustünde. Dem Antrag würde es an dem erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis
mangeln, denn durch die Versagung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis würde in
keine Rechtsposition der Antragstellerin zu 1. eingegriffen, da sich das Aufenthaltsrecht
7
unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht ergibt und keiner Zuerkennung durch einen
Rechtsakt bedarf. Ein solches aus den Freizügigkeitsrechten des EGV abgeleitetes
Aufenthaltsrecht des EGV dürfte die Antragstellerin zu 1. nicht haben.
Nach den Regelungen der in der Bundesrepublik Deutschland durch das FreizügG/EU
umgesetzten Richtlinie 2004/38/EG sowie den Freizügigkeitsrechten des EGV und der
Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs,
8
vgl. EuGH, Urteil vom 7. Juli 1992 - C-370/90 - [Singh], Slg. 1992, I - 4265; Urteil vom
11. Juli 2002 - C-60/00 - [Carpenter], Slg. 2002, I-6279; Urteil vom 25. Juli 2002 - C-
459/99 - [MRAX]. Slg. 2002, I - 6591; Urteil vom 23. September 2003 - C-109/01 -
[Akrich], Slg. 2003, I - 9607; Urteil vom 19. Oktober 2004 - C-200/02 - [Zhu und Chen] -,
Slg. 2004, I-9925; Urteil vom 25. Juli 2008 - C-127/08 - [Metock], NVwZ 2008, 1097,
9
hat der drittstaatsangehörige Ehegatte eines von seinen Freizügigkeitsrechten
Gebrauch machenden Unionsbürgers ein Aufenthaltsrecht im Gemeinschaftsgebiet. Das
Aufenthaltsrecht ergibt sich unmittelbar aus dem Gemeinschaftsrecht und wird im Kern
an keine weitergehenden Voraussetzungen als die Ehe und den Nachweis der Identität
geknüpft. Speziell bedarf es weder der Einholung eines Visums vor der Einreise in das
Bundesgebiet noch des Nachweises von Sprachkenntnissen.
10
Vgl. Europäischer Gerichtshof (EuGH), Urteil vom 25. Juli 2002 - C-459/99 - [MRAX].
Slg. 2002, I - 6591; Urteil vom 25. Juli 2008 - C-127/08 - [Metock], NVwZ 2008, 1097;
Epe, Fritz / Vormeier, Gemeinschaftskommentar zum Aufenthaltsgesetz, Loseblattwerk
(Stand Juni 2009), FreizügG/EU (IX) § 2 Rdnr. 137, m. w. N.
11
Nach § 1 FreizügG/EU findet das FreizügG/EU zwar auf Familienagehörige Deutscher
keine Anwendung. In gemeinschaftsrechtskonformer Auslegung dürfte der
Anwendungsbereich des FreizügG/EU jedoch auf drittstaatangehörige
Familienangehörige Deutscher – soweit diese von den Freizügigkeitsrechten Gebrauch
machen – auszudehnen sein.
12
Vgl. Hailbronner, Ausländerrecht, Loseblattwerk (Stand Juni 2009), FreizügG/EU (D 1) §
1 Rdnr. 2.
13
Zumindest kann – wird eine Ausdehnung des Anwendungsbereichs des FreizügG/EU
im Wege der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung ausgeschlossen – unmittelbar
auf die Freizügigkeitsrechte und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs
zurückgegriffen werden,
14
vgl. VG Aachen, Urteil vom 24. November 2005 - 8 K 2788/04 -; Epe, a. a. O.,
FreizügG/EU (IX) § 2 Rdnr. 24 ff.; Fischer-Lescano, ZAR 2005, 288 (294),
15
was in der Sache im Ergebnis zu keinen abweichenden Bewertungen führen dürfte.
16
Im Kern hat nach den Vorschriften der Richtlinie 2004/38/EG und des FreizügG/EU
sowie den zu den Freizügigkeitsrechten vom Europäischen Gerichtshof aufgestellten
Grundsätzen der drittstaatsangehörige Ehegatte eines Unionsbürgers ein abgeleitetes
Aufenthaltsrecht in dem Herkunftsmitgliedstaat des Unionsbürgers, wenn dieser von
seinen Freizügigkeitsrechten Gebrauch gemacht hat und in seinen Herkunftsstaat
zurückkehrt.
17
Vgl. EuGH, Urteil vom 7. Juli 1992 - C-370/90 - [Singh], a. a. O.; Urteil vom 11. Juli 2002
- C-60/00 - [Carpenter], a. a. O.; Urteil vom 23. September 2003 - C-109/01 - [Akrich],
a. a. O.
18
Unter welchen Voraussetzungen im Einzelnen ein die Anwendbarkeit des
Gemeinschaftsrechts eröffnendes Gebrauchmachen von den Unionsbürgerrechten
gegeben ist, ist auch in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs noch nicht
geklärt. Unzweifelhaft auf das Gemeinschaftsrecht berufen kann sich der Ehegatte,
wenn sich der Unionsbürger in Ausübung der Dienstleistungsfreiheit (Art. 49 EGV),
Niederlassungsfreiheit (Art. 43 EGV) oder Arbeitnehmerfreizügigkeit (Art. 39 EGV) in
einem Mitgliedstaat längere Zeit aufgehalten hat und in seinen Heimatmitgliedstaat
zurückkehrt (Rückkehrerfälle). Gleiches gilt ausgehend von der Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Carpenter,
19
vgl. EuGH, Urteil vom 11. Juli 2002 - C-60/00 - [Carpenter], a. a. O.,
20
wenn der Unionsbürger durch die Erbringung von grenzüberschreitenden
Dienstleistungen von seinem Heimatmitgliedstaat aus von der Dienstleistungsfreiheit
Gebrauch macht. Auch hat der Europäische Gerichtshof in der Rechtssache Zhu und
Chen,
21
Vgl. EuGH, Urteil vom 19. Oktober 2004 - C-200/02 - [Zhu und Chen] -, a. a. O.,
22
festgestellt, dass sich das Aufenthaltsrecht eines Familienangehörigen eines
Unionsbürgers auf Art. 18 EGV stützen kann.
23
Vgl. hierzu Kugelmann, in: Schulze / Zuleeg, Europarecht, 1. Auflage (2006), § 41 Rdnr.
96.
24
In Abgrenzung dazu finden die Grundsätze nach der vorzitierten Rechtsprechung des
Europäischen Gerichtshofs ebenso unzweifelhaft keine Anwendung auf Sachverhalte,
die keinerlei Anknüpfungspunkt zu irgendeinem vom Gemeinschaftsrecht erfassten
Sachverhalt aufweisen, welchen es also an einem gemeinschaftsrechtlichen Bezug
mangelt.
25
Als offen bewertet hat die Kammer die Frage nach einem die Anwendbarkeit des
Gemeinschaftsrechts eröffnenden Gebrauchmachen von den Unionsbürgerrechten in
einem Fall, in dem eine Deutsche einen sich seit Jahren – wohl unerlaubt – in Italien
aufhältigen Drittstaatsangehörigen in Italien geheiratet hat, nachdem sie ihn zuvor dort
wiederholt besucht und vor der Heirat unter Beibehaltung ihres Wohnsitzes in
Deutschland in Italien einen weiteren Wohnsitz angemeldet hatte.
26
Vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 17. August 2009 - 27 L 1559/08 -.
27
Der hier gegebene Sachverhalt weist zwar ebenfalls einen gemeinschaftsrechtlichen
Bezug auf: Der Antragsteller zu 2. ist gemeinsam mit der Antragstellerin zu 1. von
Deutschland aus nach Dänemark gereist, hat diese dort geheiratet und ist sodann mit ihr
nach Deutschland zurückgekehrt. Er dürfte damit von dem Recht auf Freizügigkeit aus
Art. 18 EGV und (wohl) auch der Dienstleistungsempfangsfreiheit,
28
vgl. EuGH, Urteil vom 31. Januar 1984 - C-286/82 und C-26/83 - (Luisi und Carbone),
Slg. 1984, 377; Kluth, in: Calliess / Ruffert, EUV / EGV, 3. Auflage (2007), Art. 49 und 50
EGV Rdnr. 27 und 28, m. w. N.
29
des Art. 49 EGV Gebrauch gemacht haben. Dieser gemeinschaftsrechtliche Bezug
dürfte indes zur Begründung eines gemeinschaftsrechtlichen Aufenthaltsrechtes der
Antragstellerin zu 1. nicht geeignet sein.
30
Würde jegliche Form des Gebrauchmachens von dem Recht auf Freizügigkeit oder der
Dienstleistungsempfangsfreiheit, sei es auch vorübergehend aus touristischen oder
sonstigen Zwecken – so z. B. im Fall der gemeinsamen Einreise eines Ehepaares nach
Eheschließung in einem Drittstaat über einen Mitgliedstaat – zur Anwendbarkeit des
Gemeinschaftsrechts führen, liefe im Ergebnis das Recht der Nationalstaaten auf
Regelung von Einreise und Aufenthalt im Falle des Ehegattennachzugs weitgehend
leer. Erforderlich ist vielmehr eine bestimmte Qualität des Gebrauchmachens von den
Unionsbürgerrechten. Auch der Europäische Gerichtshof erkennt in seiner
Rechtssprechung das Erfordernis einer wertenden Betrachtung an, wenn er ausführt,
dass die Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit nicht auf Tätigkeiten anwendbar
sind, die keine Berührung mit irgendeinem der Sachverhalte aufweisen, auf die das
Gemeinschaftsrecht abstellt, und die mit keinem relevanten Element über die Grenzen
eines Mitgliedstaats hinausweisen.
31
Vgl. EuGH, Urteil vom 25. Juli 2008 - C-127/08 - [Metock], a. a, O., Rdnr. 77; Urteil vom
26. Januar 1999, C-18/95 [F. C. Terhoeve], Slg. 1999, I-345, Rdnr. 26, m. w. N.; Urteil
vom 1. April 2008 - C-212/06 - [Communauté française und Gouvernement wallon ./.
Gouvernement flamand] ; 2008 S. I-1683, Rdnr. 33.
32
Soweit der Europäische Gerichtshof in dem Urteil in der Rechtssache Metock in der
Randnummer 73 weiter ausgeführt hat, dass nur diejenigen Drittstaatsangehörigen aus
der Richtlinie 2004/38 das Recht ableiten können, in einen Mitgliedstaat einzureisen
und sich dort aufzuhalten, die im Sinne von Art. 2 Nr. 2 dieser Richtlinie
Familienangehörige eines Unionsbürgers sind, der sein Recht auf Freizügigkeit
ausgeübt hat, indem er sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem, dessen
Staatsangehörigkeit er besitzt, niedergelassen hat, mag dahingestellt bleiben, ob und
bejahendenfalls in welchem Umfang der Europäische Gerichtshof dies als
Einschränkung seiner bisherigen Rechtsprechung – wie z. B. in der Rechtsache
Carpenter – verstanden wissen will.
33
In gleicher Weise wird in Teilen der Rechtsprechung und des Schrifttums – wenn auch
ohne weitergehende Begründung – davon ausgegangen, dass ein nur vorübergehender
Aufenthalt in einem anderen Mitgliedstaat nicht ausreichend ist.
34
Vgl. Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG BB), Urteil vom 16. Juli 2009 - 2
B 19.08 -, Juris; VG Aachen, Urteil vom 24. November 2005 - 8 K 2788/04 -; VG
Saarland, Beschluss vom 18. März 2009 - 2 L 62/09 -, Juris; Hailbronner, a. a. O.,
FreizügG/EU (D 1) § 1 Rdnr. 17. A. A. VG Freiburg, Beschluss vom 20. Januar 2009 - 1
K 2349/08 -. Ausdrücklich für die "Dänemarkehe" offengelassen Verwaltungsgerichtshof
Baden-Württemberg (VGH BW), Beschluss vom 8. Juli 2008 - 11 S 1041/08 -, InfAuslR
2008, 444.
35
Nach diesem Maßstab weist das von dem Antragsteller zu 2. gezeigte Gebrauchmachen
36
von seinem Unionsbürgerrecht nicht eine solche Qualität auf, die die Anwendbarkeit des
Gemeinschaftsrechts zugunsten der Antragstellerin zu 1. rechtfertigt. Die Ausreise der
Antragsteller nach Dänemark erfolgte unstreitig ausschließlich zu dem Zweck der
Eheschließung. Die Antragsteller haben sich nur kurzzeitig in Dänemark aufgehalten
und es ist weder dargelegt noch sonst ersichtlich, dass sie irgendeinen Bezug zu
Dänemark hatten oder haben, der sie bewogen haben könnte, dort zu heiraten.
Insbesondere kann unter diesen Umständen auch nicht festgestellt werden, dass der
Antragsteller zu 2. – oder ein Deutscher in vergleichbarer Situation – ohne Anwendung
des Gemeinschaftsrechts gehindert würde, in Zukunft von seinem Freizügigkeitsrecht
oder seinen Grundfreiheiten Gebrauch zu machen, was der Europäische Gerichtshof in
diesen Fällen als grundlegende Erwägung für die Anwendbarkeit des
Gemeinschaftsrechts ansieht.
37
Vgl. EuGH, Urteil vom 11. Juli 2002 - C-60/00 - [Carpenter], a. a. O.; Urteil vom 23.
September 2003 - C-109/01 - [Akrich], a. a. O.
38
Mangels eines Aufenthaltsrechts der Antragstellerin zu 1. aus den Freizügigkeitsrechten
des EGV finden die Regelungen des Aufenthaltsgesetzes Anwendung.
39
II. Der Antrag ist jedoch unbegründet.
40
Im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung der
Klage anordnen, wenn das Individualinteresse des Antragstellers an der Anordnung der
aufschiebenden Wirkung seiner Klage das – in Hinsicht auf die für die Versagung der
Aufenthaltserlaubnis durch § 84 Abs. 1 AufenthG und in Hinsicht auf die
Abschiebungsandrohung durch § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i. V. m. § 8 AG VwGO NRW –
gesetzlich angeordnete öffentliche Interesse an der sofortigen Durchsetzbarkeit des
Verwaltungsaktes überwiegt. Die hiernach vorzunehmende Interessenabwägung geht
zu Lasten der Antragsteller aus. Es spricht Überwiegendes für die Rechtmäßigkeit der
angegriffenen Versagungsverfügung und Abschiebungsandrohung und auch im
Übrigen überwiegt das Aufschubinteresse der Antragsteller das Vollzugsinteresse nicht.
41
1. Bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und
gebotenen summarischen Prüfung erweisen sich die Versagungsverfügung und
Abschiebungsandrohung als rechtmäßig.
42
a) Die Antragstellerin zu 1. dürfte keinen Anspruch auf Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG haben.
43
Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG ist dem ausländischen Ehegatten eines
Deutschen die Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn der Deutsche seinen
gewöhnlichen Aufenthalt im Bundesgebiet hat und sich der ausländische Ehegatte
zumindest auf einfache Art in deutscher Sprache verständigen kann (§ 28 Abs. 1 Satz 5
i. V. m. § 30 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AufenthG). Diese Voraussetzungen sind
zwischenzeitlich nach Vorlage des Nachweises des erfolgreichen Abschlusses des
Deutschkurses der Stufe A 1 vom 1. Dezember 2008 erfüllt. Es mangelt einem Anspruch
der Antragstellerin zu 1. jedoch an der Erfüllung der Erteilungsvoraussetzung des § 5
Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG. Nach dieser Vorschrift setzt die Erteilung einer
Aufenthaltserlaubnis voraus, dass der Ausländer mit dem erforderlichen Visum
eingereist ist. Für den von der Antragstellerin zu 1. beabsichtigten Daueraufenthalt reicht
44
das ihr am 12. August 2008 erteilte Schengen-Visum i. S. d. § 6 Abs. 1 Satz 2 AufenthG
nicht aus. Vielmehr bedarf es eines nationalen Visums i. S. d. § 6 Abs. 4 AufenthG.
Maßgebend ist der aktuell angestrebte Aufenthaltszweck.
Vgl. OVG BB, Urteil vom 16. Juli 2009 - 2 B 19.08 -, a. a. O.; Niedersächsisches
Oberverwaltungsgericht (OVG Niedersachsen), Beschluss vom 28. August 2008 - 13
ME 131/08 -, Juris, m. w. N.; VG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Juni 2009 - 24 L 711/09
-.
45
Die Regelung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG wird vorliegend auch nicht durch
den auf der Grundlage der Verordnungsermächtigung des § 99 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG
erlassenen § 39 Aufenthaltsverordnung (AufenthV) verdrängt. Zwar gehen die §§ 39 - 42
AufenthV dem § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AufenthG vor.
46
Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21. Dezember 2007 - 18 B 1535/07 -, InfAuslR 2008,
129; OVG BB, Urteil vom 16. Juli 2009 - 2 B 19.08 -, a. a. O.
47
Jedoch erfüllt die Antragstellerin zu 1. die Voraussetzungen der allein in Betracht
kommenden Vorschrift des § 39 Nr. 3 Alt. 2 AufenthV nicht. Danach kann ein Ausländer
über die im Aufenthaltsgesetz geregelten Fälle hinaus dann einen Aufenthaltstitel im
Bundesgebiet einholen oder verlängern lassen, wenn er ein gültiges Schengen-Visum
für kurzfristige Aufenthalte (§ 6 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG) besitzt, sofern die
Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der
Einreise entstanden sind.
48
§ 39 Nr. 3 Alt. 2 AufenthV setzt nicht nur voraus, dass der Antragsteller zum Zeitpunkt
der Antragstellung im Besitz eines (noch) gültigen Schengen-Visums ist und die
Voraussetzungen eines Anspruches auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach der
Einreise entstanden sind, sondern auch, dass der Anspruch während der Geltungsdauer
des Schengen-Visums entstanden ist.
49
Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz (OVG RP), Beschluss vom 20. April 2009 - 7 B
10037/09 -, Juris; Hessischer Verwaltungsgerichtshof (VGH Hessen), Beschluss vom
22. September 2008 - 1 B 1628/08 -, InfAuslR 2009, 14; OVG Niedersachsen, Beschluss
vom 27. Juli 2009 - 11 ME 171/09 -, Juris; VG Düsseldorf, Beschluss vom 23. Juni 2009
- 24 L 711/09 -.
50
Die Antragstellerin zu 1. war zum Zeitpunkt der Beantragung der Aufenthaltserlaubnis
im Besitz eines gültigen Schengen-Visums. Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf
Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sind jedoch nicht nach der Einreise entstanden.
Dabei legt die Kammer der Rechtsprechung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs,
51
VGH Hessen, Beschluss vom 22. September 2008 - 1 B 1628/08 -, a. a. O.,
52
folgend zugrunde, dass im Hinblick auf den Wortlaut der Vorschrift ("Voraussetzungen")
sowie deren Sinn und Zweck regelmäßig sämtliche Anspruchsvoraussetzungen erst
nach der Einreise entstanden sein dürfen, weil bei einem Abstellen allein auf das letzte,
bislang noch fehlende Tatbestandsmerkmal für Manipulationen ein weiter Raum eröffnet
würde. Dies zeigt gerade das Merkmal der einfachen deutschen Sprachkenntnisse
deutlich. Würde man nämlich zulassen, dass allein der Erwerb der Sprachkenntnisse
nach der Einreise erfolgt ist, während sämtliche übrigen Voraussetzungen von § 28 oder
53
§ 30 AufenthG bereits früher erfüllt sind, so könnte ein mit einem/r Deutschen oder
einem in Deutschland lebenden fremden Staatsangehörigen verheirateter Ausländer
ohne Weiteres mit einem kurzfristigen Schengen-Visum einreisen, die
Deutschkenntnisse während der Geltungsdauer des Schengenvisums in Deutschland
erwerben und dann mit Aussicht auf Erfolg unter Berufung auf § 39 AufenthV einen
Antrag auf Aufenthaltserlaubnis stellen, obwohl das nach dem Aufenthaltsgesetz
vorgesehene Visumverfahren als Integrationsvoraussetzung den Erwerb der
Sprachkenntnisse bereits im Heimatland vorsieht.
Angesichts dieser Erwägungen vermag die Kammer der gegenteiligen Auffassung des
Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg,
54
vgl. VGH BW, Beschluss vom 8. Juli 2008 - 11 S 1041/08 -, a. a. O.
55
wonach es darauf ankommen soll, dass der Anspruch insgesamt nach der Einreise
entstanden ist, wobei es ausreichen soll, wenn nur die letzte noch fehlende
Anspruchsvoraussetzung – z.B. die Sprachkenntnisse – nach der Einreise erfüllt wird,
nicht zu folgen.
56
Als Einreise im Sinne von § 39 Nr. 3 AufenthV ist nach überwiegender obergerichtlicher
Rechtsprechung – welcher sich die Kammer anschließt – die letzte Einreise in das
Bundesgebiet vor der Antragstellung zu verstehen und nicht die (vorausgegangene)
Einreise in den Schengen-Raum.
57
Vgl. OVG BB, Urteil vom 16. Juli 2009 - 2 B 19.08 -, a. a. O.; VGH BW, Beschluss vom
8. Juli 2008 - 11 S 1041/08 -, a. a. O., Bayerischer Verwaltungsgerichtshof (VGH
Bayern), Beschluss vom 18. Mai 2009 - 10 CS 09.853 -, AuAS 2009, 147 ; VGH Hessen,
Beschluss vom 22. September 2008 - 1 B 1628/08 -, a. a. O.; OVG Niedersachsen,
Beschlüsse vom 28. August 2008 - 13 ME 131/08 - und 27. Juli 2009 - 11 ME 171/09 -.
58
Zum Zeitpunkt der letzten Einreise in das Bundesgebiet war die Antragstellerin zu 1.
bereits mit dem Antragsteller zu 2. verheiratet.
59
Der Anspruch der Antragstellerin zu 1. ist überdies nicht während der Geltungsdauer
des Schengen-Visums entstanden. Dieses Erfordernis folgt nicht nur aus dem Wortlaut
"wenn er (…) ein gültiges Schengen-Visum für kurzfristige Aufenthalte (§ 6 Abs. 1 Nr. 2
des Aufenthaltsgesetzes) besitzt", in dem mit der Verwendung der Gegenwartsform
nahe gelegt wird, dass der Ausländer bei Entstehung des Anspruchs nach der Einreise
noch im Besitz eines gültigen Schengen-Visums sein muss. Vor allem aber sprechen
Sinn und Zweck der Regelung für ein solches Verständnis. Anzuführen ist insoweit
zunächst die Begründung des Gesetzentwurfs zum Richtlinienumsetzungsgesetz vom
19. August 2007 (vgl. BT-Drs. 16/5065, S. 240), mit dem § 39 Nr. 3 AufenthV dahin
gehend geändert wurde, dass das Wort "erfüllt" durch die Wörter "nach der Einreise
entstanden" ersetzt wurde. Hieraus wird deutlich, dass mit der Änderung des § 39 Nr. 3
AufenthV im Jahre 2007 bezweckt ist, einen von vornherein beabsichtigten Wechsel des
angegebenen Aufenthaltszwecks auszuschließen, da ansonsten über ein Schengen-
Visum ein Daueraufenthaltsrecht trotz unrichtiger Angaben hinsichtlich des
Aufenthaltszwecks erlangt werden kann. Aber auch die ansonsten eröffnete
Missbrauchsmöglichkeit gebietet eine vom Wortlaut der Bestimmung jedenfalls
gedeckte Auslegung dahin, dass der Ausländer im Zeitpunkt der Entstehung des
Anspruchs noch im Besitz eines gültigen Schengen-Visums sein muss. Insoweit
60
schließt sich die Kammer den Ausführungen des OVG Rheinland-Pfalz in dem
vorzitierten Beschluss vom 20. April 2009 an, auf dessen Ausführungen im Einzelnen
verwiesen wird.
Hier war das der Antragstellerin zu 1. am 12. August 2008 erteilte Schengen-Visum
nach der Einreise am 27. August 2008 bis zum 26. September 2008 gültig. Die
Eheschließung mit dem Antragsteller zu 2. und die Beantragung der
Aufenthaltserlaubnis erfolgten zwar noch vor dem Ablauf des Schengen-Visums.
Ausreichende Deutschkenntnisse konnte die Antragstellerin zu 1. jedoch erst nach
Abschluss des Deutschkurses der Stufe A 1 im Dezember 2008 nachweisen. Zu diesen
Zeitpunkt war die Antragstellerin zu 1. seit mehreren Wochen nicht mehr im Besitz eines
gültigen Schengen-Visums.
61
Die Antragsteller haben auch keinen Anspruch darauf, dass nach § 5 Abs. 2 Satz 2
AufenthG ausnahmsweise von der Einhaltung der Visumspflicht des § 5 Abs. 2 Satz 1
AufenthG abgesehen wird. Nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG kann von den
Erteilungsvoraussetzungen des § 5 Abs. 2 Satz 1 AufenthG abgesehen werden, wenn
die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Erteilung erfüllt sind oder es auf Grund
besondere Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, das Visumsverfahren
nachzuholen.
62
Die Antragsteller haben weder Gesichtspunkte dargetan noch sind solche sonst
ersichtlich, welche die Nachholung des Visumsverfahrens als unzumutbar erscheinen
ließen (§ 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 AufenthG). Nicht von einer Unzumutbarkeit ausgegangen
werden kann aus dem Verweis der Antragstellerin zu 1. auf durch einen Abort im
November 2008 hervorgerufene physische und psychische Erkrankungen. Die
Erkrankungen sind durch das vorgelegte Attest der Klinik L vom 26. Februar 2009 weder
ausreichend dargetan noch ist ersichtlich, warum diese eine (kurzzeitige) Trennung der
Antragsteller zur Nachholung des Visumsverfahrens unangemessen erscheinen lassen
sollen. Eine Unzumutbarkeit ergibt sich aufgrund der kurzen Dauer des Aufenthalts der
Antragstellerin zu 1. in der Bundesrepublik und der Ehe auch weder aus Art. 6 GG noch
aus und Art. 8 EMRK.
63
Im Übrigen (§ 5 Abs. 2 Satz 2 Alt. 1 AufenthG) hat der Antragsgegner das ihm durch § 5
Abs. 2 Satz 2 AufenthG eingeräumte Ermessen ausweislich der Begründung der
Ordnungsverfügung vom 24. November 2008 erkannt und von diesem durch die
Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis ohne Einhaltung der Visumspflicht
fehlerfrei Gebrauch gemacht (§ 114 Satz 1 VwGO).
64
Im Rahmen ihrer Entscheidung nach § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG hat die
Ausländerbehörde bezüglich beider dort aufgeführten Sonderfälle im Wege des
Ermessens zu beurteilen, ob eine Ausnahme von der Einhaltung der Visumsregeln
vertretbar und angemessen ist. Dabei ist zunächst zu berücksichtigen, dass die
Regelung als Ausnahmebestimmung prinzipiell eng auszulegen ist. Die Durchführung
des Visumverfahrens soll nach der amtlichen Begründung des § 5 Abs. 2 AufenthG
sowohl bei Vorliegen eines Anspruchs auf Erteilung eines Aufenthaltstitels als auch in
allen anderen Fällen die Regel bleiben. Auf diese Weise wird einerseits sichergestellt,
dass die Steuerungsmechanismen des Aufenthaltsgesetzes nicht lahmgelegt und die
dort vorgesehenen Zugangskontrollen hinsichtlich eines Aufenthalts in der
Bundesrepublik nicht unterlaufen werden. Andererseits wird durch die Regelung
deutlich, dass die Einhaltung der Visumsregeln kein Selbstzweck sein soll. Erforderlich
65
ist demnach eine Güterabwägung unter Beachtung des Grundsatzes der
Verhältnismäßigkeit, bei der zu berücksichtigen ist, dass die Einhaltung des
Visumsverfahrens der Regelfall bleiben soll und dass allein die Verpflichtung, zur
Herstellung einer ehelichen Lebensgemeinschaft in Deutschland vor der Einreise ein
Visum einzuholen, nicht Art. 6 Abs. 1 GG verletzt. Dies erfordert, die legitimen Interessen
des Ausländers (z. B. wirtschaftliche Interessen, Familieneinheit) gegen das öffentliche
Interesse an der Einhaltung des Visumsverfahrens abzuwägen. Dabei ist zu beachten,
dass die Nachholung des Visumverfahrens stets mit allgemein bekannten und deshalb
auch vom Gesetzgeber in den Regelungen des AufenthG berücksichtigten
Unannehmlichkeiten verbunden ist. Vor allem aber gilt es, dem Eindruck bei anderen
Ausländern entgegenzuwirken, man könne durch eine Einreise stets vollendete
Tatsachen schaffen. Die Grenze liegt dort, wo das Beharren auf die Einhaltung des
Visumsverfahrens objektiv als unangemessen empfunden werden müsste.
Vgl. OVG NRW, 5. Oktober 2006 - 18 B 1767/06 -, InfAuslR 2007, 56.
66
Gemessen daran ist die Ermessensentscheidung des Antragsgegners nicht zu
beanstanden. Der Antragsgegner hat unter Hinweis auf die vorgenannten
Wertungsmaßstäbe davon abgesehen, eine Ausnahme von Einhaltung der
Visumsregeln zu machen. Die durch Art. 6 GG und Art. 8 EMRK gesetzten Grenzen sind
– wie ausgeführt – gewahrt. Im Übrigen kann der Antragsgegner sein Ermessen noch im
Verwaltungsstreitverfahren ergänzen (§ 114 Satz 2 VwGO).
67
Da es schon an der Erfüllung der Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
AufenthG mangelt, kann offen gelassen werden, ob die Antragstellerin zu 1. aufgrund
ihrer Angaben gegenüber der Botschaft in Moskau die Ausweisungstatbestände des §
55 Abs. 2 Nr. 1 Buchstabe a) und Nr. 2 AufenthG verwirklicht hat und es aus diesem
Grund zudem an der Erteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG mangelt.
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b) In Bezug auf die Abschiebungsandrohung besteht kein Anlass, vom Regelvorrang
des Vollziehungsinteresses nach § 80 Abs. 2 Satz 2 VwGO i. v. m. § 8 Satz 1
AG VwGO NRW abzuweichen. An der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung
ergeben sich keine Zweifel. Die Antragstellerin ist nach § 50 Abs. 1 AufenthG
ausreisepflichtig, weil sie keinen Aufenthaltstitel (mehr) besitzt. Es bedarf weder der –
vorliegend nach § 58 Abs. 2 Satz 2 AufenthG aufgrund der Vollziehbarkeit der
Versagung der Aufenthaltserlaubnis (§ 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG) gegebenen –
Vollziehbarkeit der Ausreisepflicht,
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vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20. Februar 2009 - 18 A 2620/08 -, NRWE,
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noch wird die Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung durch Duldungsgründe
nach § 60 a AufenthG,
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vgl. OVG NRW, Beschluss vom 6. Januar 2005 - 18 B 2801/04 -, NRWE,
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oder das Vorliegen von Abschiebeverboten nach § 60 AufenthG – für welches nichts
ersichtlich ist – berührt (§ 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG). Im Übrigen genügt die
Abschiebungsandrohung den Anforderungen des § 59 AufenthG.
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2. In gleicher Weise geht die im Übrigen vorzunehmende Interessenabwägung zu
Lasten der Antragsteller aus. Das Individualinteresse der Antragsteller an der
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Anordnung der aufschiebenden Wirkung überwiegt das Vollzugsinteresse auch unter
Berücksichtigung von Art. 6 GG und Art. 8 EMRK nicht. Die Nachholung des
Visumsverfahrens ist keine unzumutbare oder unangemessene Belastung. Es wird
insoweit auf die vorstehenden Ausführungen zu § 5 Abs. 2 Satz 2 AufenthG verwiesen.
III. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO. Die
Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG. Sie ist an Ziffer 8.1
des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2004 (NVwZ 2004, 1327 =
DVBl. 2004, 1525) orientiert. Der sich im Hauptsacheverfahren ergebende Wert von
5.000,00 Euro wird im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nach Ziffer 1.5
Streitwertkatalog 2004 zu ½ angesetzt.
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