Urteil des VG Düsseldorf vom 08.12.2004

VG Düsseldorf: aufschiebende wirkung, eigentümer, mangel, verwaltungsverfahren, amtshandlung, verwaltungsakt, anschrift, nichtigkeit, adresse, gebäude

Datum:
Gericht:
Spruchkörper:
Entscheidungsart:
Tenor:
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Aktenzeichen:
Verwaltungsgericht Düsseldorf, 4 L 3091/04
08.12.2004
Verwaltungsgericht Düsseldorf
4. Kammer
Beschluss
4 L 3091/04
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 866,52 Euro festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Antragsgegner erhielt von der Antragstellerin am 15. November 1993 den Auftrag zur
Einmessung der damals kurz zuvor neu errichteten Gebäude auf den Grundstücken G1 und
G2 in N. Der Antragsgegner ließ den Vermessungsantrag annähernd zehn Jahre lang
unbearbeitet, bis er im Juni 2003 nach entsprechenden Geschäftsprüfungen durch die
Bezirksregierung E zur Erledigung dieser und anderer rückständiger Angelegenheiten
schriftlich angewiesen wurde. Die Grundstücke gehörten ursprünglich der Antragstellerin.
Sie hatte sie als Bauträgerin bebaut und im September 1994 (G1) bzw. Januar 1995 (G2)
veräußert.
Mit Schreiben vom 24. Oktober 2003 an die Adresse ​B-Straße 00, 00000 N" erläuterte der
Antragsgegner der Antragstellerin die Situation, bat um Entschuldigung und fragte an, ob
sie den Auftrag aus 1993 telefonisch bestätigen könne; tue sie das nicht, wolle er sich an
das Katasteramt wenden, das dann die derzeitigen Eigentümer zur Durchführung der
Gebäudeeinmessungen verpflichten werde.
Die Antragstellerin und der Antragsgegner besprachen die Angelegenheit im Oktober 2003
fernmündlich. Der Inhalt der Äußerungen der Antragstellerin in diesem Gespräch ist
zwischen den Beteiligten streitig. Die Antragstellerin behauptet, sie habe erklärt, keine
Genehmigung zur Einmessung erteilt, den Auftrag nicht bestätigt und ihrer Empörung über
die Vorgehensweise des Antragsgegners Ausdruck gegeben zu haben. Der Antragsgegner
behauptet, die Antragstellerin sei zwar empört gewesen und habe erklärt, sie sei längst
nicht mehr Eigentümerin der Grundstücke, sie habe den Vermessungsauftrag aus 1993
aber nicht zurückgezogen.
Der Antragsgegner führte die Gebäudeeinmessungen unter Bezugnahme auf den Auftrag
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der Antragstellerin vom 15. November 1993 durch und zog sie mit Gebührenbescheid vom
1. Dezember 2003 (Nr. 00000.0) zu Vermessungsgebühren über 784,76 Euro heran. Der
Bescheid war wiederum an eine Wohnung der Antragstellerin ​B-Straße 00 in N" adressiert.
Zahlungen gingen bei dem Antragsgegner nicht ein. Er mahnte zwei Mal, wies unter dem
27. Januar 2004 auf die Einleitung der Zwangsvollstreckung hin und stellte unter dem 9.
Februar 2004 einen ersten Vollstreckungsantrag bei der Stadtkasse N. Von dort wurde er
unter dem 4. Mai 2004 darüber informiert, dass die Anschrift der Antragstellerin ​T-Str. 0a,
00000 O" laute. Der Antragsgegner mahnte die Antragstellerin unter dieser Anschrift unter
dem 5. Mai 2004 erneut und beauftragte unter dem 13. Mai 2004 die Stadtkasse O mit der
Zwangsbeitreibung über einen Betrag von jetzt 866,52 Euro (Gebührenforderung plus
Mahngebühren, Säumniszuschlägen und Schreibauslagen).
Die Antragstellerin hat am 13. Oktober 2004 das Gericht um vorläufigen Rechtsschutz
ersucht. Am 1. Dezember 2004 hat sie Widerspruch gegen den Gebührenbescheid Nr.
00000.0 vom 1. Dezember 2003 erhoben. Sie behauptet, den Gebührenbescheid vorher
nicht erhalten zu haben, wohl allerdings die nachfolgenden Zahlungserinnerungen.
Die Antragstellerin beantragt,
die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Gebührenbescheid des
Antragsgegners vom 1. Dezember 2003 anzuordnen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten verwiesen.
II.
Der Antrag ist unbegründet. Nach der im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes nur
möglichen summarischen Prüfung ist der angefochtene Gebührenbescheid wahrscheinlich
bestandskräftig und damit vollstreckbar.
1. Die Antragstellerin hat den ihr zugegangenen Gebührenbescheid des Antragsgegners
vom 1. Dezember 2003 nicht innerhalb der Widerspruchsfrist von einem Monat nach
Bekanntgabe (vgl. § 70 VwGO), sondern erst unter dem 1. Dezember 2004 mit dem
Widerspruch angegriffen. Es ist nicht glaubhaft gemacht, dass sie den Gebührenbescheid
zuvor nicht erhalten hatte. Zwar hat der Antragsgegner ihn, wie auch die ersten
Mahnungen, an eine nicht mehr zutreffende Adresse geschickt. Die Antragstellerin will
jedoch die Mahnungen bekommen haben, wie sie auf ausdrückliche Anfrage durch das
Gericht erklärt. Es wäre ungewöhnlich, wenn sie gerade den Gebührenbescheid nicht in
gleicher Weise erhalten hätte. Hätte sie ihn nicht bekommen, wäre zu erwarten gewesen,
dass sie schon bei Erhalt der ersten Mahnung oder spätestens bei der
Vollstreckungsankündigung protestierte und darauf hinwies, dass sie über die darin in
Bezug genommene Heranziehung zu Vermessungsgebühren keinen Bescheid erhalten
habe. Davon ist aber nicht die Rede. Zudem hat die Antragstellerin offenbar die
Einmessungsbestätigung des Antragsgegners vom 1. Dezember 2003 erhalten, weil sie
diese in einem Schreiben vom 8. Juni 2004 erwähnt. Der Antragsgegner behauptet, den
Gebührenbescheid stets mit der Einmessungsbestätigung zu versenden. Das ist plausibel,
weil mit der Einmessungsbestätigung die gebührenpflichtige Amtshandlung beendet und
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die Gebührenschuld damit auch der Höhe nach entstanden ist (§ 11 GebG NRW) und also
veranlagt werden kann. Danach muss davon ausgegangen werden, dass die
Antragstellerin den Gebührenbescheid jedenfalls im Juni 2004 in Händen gehabt hat. Er ist
mit einer ordnungsgemäßen Rechtsmittelbelehrung versehen. Widerspruch musste
längstens bis Ende Juli 2004 erhoben worden sein. Der Widerspruch vom 1. Dezember
2004 kam zu spät. Eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist kommt nicht in Betracht.
Der Antragstellerin war durch den gerichtlichen Hinweis vom 18. Oktober 2004 klar, dass
gegen den Heranziehungsbescheid vom 1. Dezember 2003 Widerspruch einzulegen war.
Mit dem Nachholen des versäumten Rechtsmittels hat die Antragstellerin weit über zwei
Wochen (vgl. § 32 Abs. 2 VwVfG) zugewartet. Der Widerspruch datiert erst vom 1.
Dezember 2004.
2. Auf den wahrscheinlich bestandskräftigen Gebührenbescheid vom 1. Dezember 2003
hat die Antragstellerin trotz des in der Hauptsache noch offenen Rechtsmittels zu zahlen.
Das entspricht der gesetzlichen Regel, die die Aussetzung von öffentlichen Abgaben und
Kosten nur bei ernsthaften Zweifeln an der Rechtmäßigkeit der Veranlagung vorsieht.
3. Der Gebührenbescheid des Antragsgegners ist, trotz möglicherweise fehlenden
Vollstreckungsauftrags durch die Antragstellerin, wahrscheinlich nicht nichtig, sondern nur
anfechtbar gewesen, so dass er bestandskräftig werden konnte.
3.1 Es spricht viel dafür, dass der Antragsgegner bei der Einmessung keinen
Vermessungsauftrag von der Antragstellerin hatte. Nach dem Vortrag des Antragsgegners
und seinem Schreiben vom 24. Oktober 2003 sollte die Antragstellerin den Auftrag
ausdrücklich bestätigen, also praktisch neu erteilen. Ob die Antragstellerin das getan hat,
ist zweifelhaft. Selbst der Antragsgegner behauptet nur, die Antragstellerin habe in dem
Telefongespräch mit ihm im Oktober 2003 den Antrag nicht ​zurückgezogen". Das steht der
ausdrücklichen Bestätigung nicht gleich. Die Nichtrücknahme des alten Antrags aus 1993
reichte möglicherweise als die Gebührenpflicht auslösende zurechenbare Verursachung
(vgl. § 13 Abs. 1 Nr. 1 GebG NRW) nicht (mehr) aus. Der Antragsgegner handelte
ermessensfehlerhaft, wenn er ohne ausdrücklichen erneuten Antrag ein mit Gebühren
verbundenes, annähernd zehn Jahre altes Verwaltungsverfahren (Gebäudeeinmessung)
durchführte, obwohl er wusste, dass sich die Sachlage durch Veräußerung der
Grundstücke entscheidend verändert hatte (vgl. § 22 VwVfG). Nur ein ausdrücklicher
Neuantrag war geeignet, das Verwaltungsverfahren in Gang zu setzen.
3.2 Das mögliche Fehlen eines Antrags (Vermessungsauftrags) führt aber nicht
automatisch zur Nichtigkeit der Gebührenveranlagung. Ein Verwaltungsakt, der ohne den
erforderlichen Antrag erlassen wird, ist regelmäßig nur anfechtbar (vgl. § 44, § 45 Abs. 1 Nr.
1 VwVfG). Das gilt wohl erst recht für einen Verwaltungsakt, der selbst nicht
antragsgebunden ist (Gebührenbescheid), wenn er auf einem antragsgebundenen
Verwaltungsverfahren beruht. Ob im Falle der Antragstellerin ausnahmsweise ein schwerer
und offenkundiger Mangel vorlag, muss im Hauptsacheverfahren geklärt werden. Das
hängt davon ab, was genau Inhalt der telefonischen Unterredung der Beteiligten im Oktober
2003 war, insbesondere davon, wie deutlich und damit für die Beteiligten offenkundig die
Antragstellerin ihren Unwillen bekundet hat, den Antragsgegner zu ihren Lasten
Vermessungsarbeiten durchführen zu lassen.
4. Fehlt ein Auftrag der Antragstellerin und war dies lediglich ein einfacher, kein zur
Nichtigkeit führender schwerer und offenkundiger Mangel der Gebührenveranlagung, war
diese rechtswidrig. Denn die Antragstellerin hatte die Amtshandlung
(Gebäudeeinmessung) weder zurechenbar verursacht noch ist sie zu ihren Gunsten
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vorgenommen worden (§ 13 Abs. 1 Nr. 1, 2. Fall GebG NRW). Letzterem steht entgegen,
dass sie das Grundstück vor Jahr und Tag veräußert hatte. Die Pflicht zur
Gebäudeeinmessung trifft den jeweiligen Eigentümer des Grundstücks (§ 14 Abs. 2
VermKatG). Nach dem Wortlaut des Gesetzes (​jeweiliger Eigentümer") geht die noch nicht
erfüllte Pflicht im Falle des Eigentumsübergangs auf den neuen Eigentümer über (vgl.
Gerichtsbescheid des Einzelrichters der 4. Kammer vom 8. März 2000, 4 K 6746/99).
Einmessungspflichtig ist der Eigentümer zur Zeit der Durchführung dieser Amtshandlung.
Der frühere Eigentümer wird frei, so dass die nachträgliche Vermessung ihm keinen die
Gebührenpflicht auslösenden Vorteil mehr bietet. Die übrigen Haftungstatbestände des §
13 GebG sind offensichtlich nicht erfüllt.
5. Die materielle Rechtswidrigkeit ändert an der Vollstreckbarkeit eines wegen
Fristversäumnis bestandskräftig gewordenen Verwaltungsaktes nichts.
6. Über die Frage der Folgen des möglicherweise fehlenden Antrags (schwerer und
offenkundiger Mangel) und über Möglichkeiten zum vollständigen oder teilweisen
Gebührenerlass mindestens der Nebenforderungen aus Billigkeitsgründen kann im
Hauptsacheverfahren entschieden werden. Einstweilen hat die Antragstellerin zu zahlen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 52 Abs. 3, 53 Abs. 3 GKG n.F. Der Streitwert
entspricht der zuletzt von dem Antragsgegner zur Beitreibung angemeldeten Summe
(Gebührenschuld zuzüglich Auslagen, Mahngebühren und Säumniszuschlägen).