Urteil des VG Düsseldorf vom 03.12.2007

VG Düsseldorf: aufschiebende wirkung, vollziehung, börse, vorläufiger rechtsschutz, widerruf, markt, vollzug, hauptsache, anfechtungsklage, ermessen

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 20 L 1587/07
Datum:
03.12.2007
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
20. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
20 L 1587/07
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die nicht erstattungsfähig
sind.
Der Streitwert wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe:
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Der sinngemäße Antrag der Antragstellerin,
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die Aufhebung der Vollziehung des durch die Antragsgegnerin mit Wirkung zum 29. Juni
2007 erklärten Widerrufs der Zulassung der Aktien der Beigeladenen zum
Börsenhandel im amtlichen Markt der Börse E anzuordnen,
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ist zwar zulässig, jedoch unbegründet.
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Gemäß § 80 Abs. 5 S. 3 VwGO kann das Gericht, wenn der Verwaltungsakt im Zeitpunkt
der Entscheidung schon vollzogen ist, die Aufhebung der Vollziehung anordnen. Die
Vorschrift findet auch dann zumindest entsprechende Anwendung, wenn - wie hier
durch Beschluss der Kammer vom 29. August 2007 im Verfahren 20 L 1172/07
festgestellt worden ist - die aufschiebende Wirkung kraft Gesetzes eingetreten ist und
die Behörde oder Dritte bereits Vollzugsmaßnahmen getroffen haben, ohne dass die
Voraussetzungen für die sofortige Vollziehung vorlagen (faktischer Vollzug). Denn hier
besteht ebenfalls das Bedürfnis, vor einer Aushöhlung des Suspensiveffekts durch eine
Vollziehung verschont zu werden, sofern die Verwaltung nicht von sich aus die
Vollziehungsmaßnahmen (vorläufig) rückgängig macht. Wie der Wortlaut der Regelung
nahe legt, steht die Entscheidung über die Aufhebung der Vollziehung im Ermessen des
Gerichts,
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ebenso: OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 03.01.2007 - 2 M 354/06 - JURIS,
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m.w.N.; a.A. etwa VG München, Beschluss vom 11.09.2006 - M 5 S 06.2882 - JURIS,
m.w.N..
Dieses hat dabei in entsprechender Anwendung der für eine Entscheidung nach § 80
Abs. 5 S. 1 VwGO geltenden Grundsätze das öffentliche Interesse an dem Fortbestand
des Vollzugs gegen das Interesse des Antragstellers an der Aufhebung der Vollziehung
abzuwägen. Zwar wird das Ermessen in der Regel zu Gunsten des Antragstellers
auszuüben sein, ausnahmsweise kann das Gericht aber im Hinblick auf eine dort
andere Interessenlage dem öffentlichen Interesse am weiteren Bestand des Vollzugs
den Vorrang einräumen,
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OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 03.01.2007 a.a.O.
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Ob im Falle des faktischen Vollzugs bei der vorzunehmenden Interessenabwägung
auch die Erfolgsaussichten im Hauptsacheverfahren zu prüfen sind, unterliegt
erheblichen Bedenken. Denn die offensichtliche Rechtmäßigkeit eines Verwaltungsakts
kann die sofortige Vollziehung eines weder vom Gesetz noch durch besondere
behördliche Anordnung für sofort vollziehbar erklärten Verwaltungsakts nicht
rechtfertigen. Ansonsten würde § 80 Abs. 2 VwGO weitgehend bedeutungslos.
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Letztlich kann diese Frage hier aber offen bleiben, weil die Erfolgsaussichten in der
Hauptsache nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand offen sind. Dass der
Widerspruch der Antragstellerin gegen den Widerruf nicht offensichtlich unzulässig ist,
hat die Kammer in ihrem Beschluss vom 29.08.2007 - 20 L 1172/07 - ausgeführt. An den
dortigen Erwägungen hält die Kammer auch unter Berücksichtigung der im anhängigen
Beschwerdeverfahren und im vorliegenden erstinstanzlichen Verfahren geäußerten
Bedenken der Antragsgegnerin fest.
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Der angefochtene Widerruf ist auch weder offensichtlich rechtmäßig noch offensichtlich
rechtswidrig. Vielmehr müssen die Erfolgsaussichten als offen beurteilt werden und
bedürfen einer eingehenden Prüfung im Hauptsacheverfahren (20 K 3069/07), zumal
auch die Frage der Zulässigkeit der Klage angesichts der noch ausstehenden
Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts (im Beschwerdeverfahren 4 B 1569/07) als
offen bezeichnet werden muss. Sollte das Oberverwaltungsgericht der Auffassung der
Kammer folgen, dass auch bei einem partiellen Delisting der Widerspruch eines
einzelnen Anlegers nicht in jedem Fall und von vornherein ohne Berücksichtigung
seiner vorgebrachten Einwände und geltend gemachten Belange als unzulässig und
der Widerspruch der Antragstellerin mithin nicht als offensichtlich unzulässig betrachtet
werden kann, so wäre im Hauptsacheverfahren zunächst die Zulässigkeit der
Anfechtungsklage einer eingehenden Beurteilung zu unterziehen und sollte sie sich als
zulässig erweisen, müssten im Rahmen der Begründetheitsprüfung der Klage die
Fragen beantwortet werden, ob 1. die Belange der Anleger durch den weiter möglichen
Handel an einem inländischen oder ausländischenorganisierten Markt i.S.d. § 2 Abs. 5
WpHG hinreichend gewahrt sind und 2. ob und ggf. wie bei dieser Prüfung der Umstand
zu berücksichtigen ist, dass die Beigeladene bereits ihre Löschung aus dem
Handelsregister beantragt hat, diesbezüglich auch eine positive Entscheidung erwartet
und deshalb ein Widerruf an der Frankfurter Wertpapierbörse in absehbarer Zeit
zumindest möglich erscheint. Ferner würde sich im Hauptsacheverfahren die Frage
stellen, ob die Antragsgegnerin bei der von ihr nach § 38 Abs. 4 BörsG zu treffenden
Ermessensentscheidung die Interessen der Antragstellerin ausreichend berücksichtigt
hat.
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Sind die Erfolgsaussichten offen, ist also weder die Rechtmäßigkeit noch die
Rechtswidrigkeit des Widerrufs der Börsenzulassung sicher feststellbar, so muss im
vorliegenden vorläufigen Rechtsschutzverfahren eine umfassende Interessenabwägung
stattfinden, die von den Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens unabhängig ist.
Hierbei sind die drohenden Nachteile und Folgen für den Antragsteller bzw. die
Allgemeinheit und die Beigeladene im Hinblick auf Art und Bedeutung der betroffenen
Rechte und die Schwere und Tragweite des Eingriffs in diese Rechte unter
Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit gegeneinander abzuwägen.
Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass die Rückgängigmachung der Vollziehung da
ihre Grenze findet, wo sie tatsächlich oder unter zumutbaren Bedingungen nicht mehr
möglich ist, etwa bei Erledigung durch den Abriss eines Gebäudes, und dass die
Aufhebung der Vollziehung nur eine vorläufige Regelung darstellen soll.
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Vgl. Sodann/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 80 Rdnr. 163 f; Finkelnburg/Jank,
Vorläufiger Rechtsschutz im Verwaltungsstreitverfahren, 4. Aufl. 2005, Rdnr. 890.
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Nur in Ausnahmefällen, wenn es zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes erforderlich
ist, kann im Wege der Aufhebung der Vollziehung ein Wiederherstellungsanspruch
bestehen,
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VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 04.12.1973 - IV 1113/73 - DÖV 1974, 605;
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oder auch eine Maßnahme angeordnet werden, die nur schwer rückgängig zu machen
ist oder die Hauptsache vorwegnimmt,
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Sodann/Ziekow, VwGO, 2. Aufl. 2006, § 80 Rdnr. 163 f.
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Ausgehend von diesen Grundsätzen muss hier das Interesse der Antragstellerin an
einer Aufhebung der Vollziehung im gegenwärtigen Zeitpunkt zurückstehen.
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Eine Wiederherstellung der Zulassung am amtlichen Markt - auf welche Weise auch
immer - hätte - sozusagen spiegelbildlich zum faktischen Vollzug des Widerrufs - die
Vorwegnahme der Hauptsache zur Folge. Dem Gericht erschließt sich nicht ohne
weiteres, dass die Antragstellerin schwer und unerträglich getroffen wird, wenn die
Aktien der Beigeladenen nicht sofort oder jedenfalls unverzüglich wieder im amtlichen
Markt an der Eer Börse gehandelt werden können. Die Aktien können bei einem
entsprechenden Bedarf derzeit noch an den amtlichen Märkten in Frankfurt, Hannover
und Hamburg gehandelt werden, ferner im Freiverkehr.
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Es ist zudem nicht erkennbar, dass noch vor dem Widerruf und dessen Vollzug
nennenswerte Umsätze am amtlichen Markt der Börse E oder an anderen Börsen
getätigt wurden. Insoweit nimmt das Gericht auf den Schriftsatz der Beigeladenen im
Verfahren vor dem Landgericht Hamburg - 325 O 74/07 - vom 02.08.2007 Bezug,
wonach an der Börse Hamburg in der Zeit vom 15.01.2005 bis 02.07.2007 an keinem
Handelstag Umsätze in Restquoten der Beigeladenen stattgefunden haben, an der
Börse München während dieser Zeit nur an acht Börsentagen Umsätze in Restquoten
getätigt wurden und an der Börse Stuttgart und E nur an 20 bzw. 29 Tagen Umsätze in
Restquoten stattfanden. Schwerpunkt an Börsenumsätzen bildete hiernach die Börse
Frankfurt, wo im genannten Zeitraum an 210 Tagen Restquoten gehandelt wurden.
Dass sich die Sachlage insoweit wesentlich verändert hätte und nunmehr ein erheblich
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gesteigertes Bedürfnis für den Handel mit den Aktien der Beigeladenen gerade am
amtlichen Markt der Börse E bestünde, ist weder ersichtlich noch dargetan.
Demgegenüber werden die Interessen der Allgemeinheit nach Einschätzung des
Gerichts bei einer sofortigen Rückgängigmachung der Vollziehung stärker
beeinträchtigt. Auch wenn man davon ausgeht, dass die Rückgängigmachung der
Vollziehung kein erneutes Zulassungsverfahren nach § 30 BörsG erfordert, sondern die
Zulassung - ggf. durch entsprechende Veröffentlichung/Bekanntgabe in der
Börsenzeitung und im amtlichen Kursblatt der Börse E - wieder auflebt, ist zu bedenken,
dass noch eine Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts zur Frage des
Suspensiveffekts des Widerspruchs und der nachfolgenden Anfechtungsklage in der
hier gegebenen Fallgestaltung aussteht, mit anderen Worten eine Klärung der Frage in
zweiter Instanz, ob überhaupt ein Fall des faktischen Vollzugs gegeben ist, noch nicht
erfolgt ist. Auch wenn die Kammer ihre im Verfahren 20 L 1172/07 getroffene
Entscheidung weiterhin für richtig und sachgerecht hält, so lässt sich nicht
ausschließen, dass das Oberverwaltungsgericht bei der von ihm zu treffenden
Entscheidung zu einem anderen Ergebnis gelangt. Eine eventuelle Beschwerde der
Antragsgegnerin gegen eine sie zur Rückgängigmachung der Vollziehung
verpflichtende erstinstanzliche Entscheidung der Kammer hätte aber keine
aufschiebende Wirkung. § 149 Abs. 1 S. 2 VwGO, der dem erstinstanzlichen Gericht die
Befugnis eröffnet, die Vollziehung der angefochtenen Gerichtsentscheidung einstweilen
auszusetzen, kommt im vorläufigen Rechtsschutzverfahren wegen § 146 Abs. 4 VwGO
nicht zur Anwendung,
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vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 14. Aufl. 2005, § 80 Rdnr 44 und § 149 Rdnr. 1,
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mit der Folge, dass bei einer Änderung des Beschlusses der Kammer durch die
Beschwerdeentscheidung des Oberverwaltungsgerichts der (wegen der Vollziehbarkeit
der erstinstanzlichen Entscheidung bereits rückgängig gemachte) Widerruf wiederum
vollzogen werden dürfte. Eine solche Rechtsunsicherheit würde aber zu einer
erheblichen und nicht hinnehmbaren Verunsicherung der Kapitalmarktteilnehmer führen
und beeinträchtigt deshalb in erheblichem Maße die öffentlichen Interessen.
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Jedenfalls bis zur Rechtskraft der vorrangig zu treffenden Entscheidung, ob dem
Widerspruch/der Anfechtungsklage der Antragstellerin gegen den Widerruf ein
Suspensiveffekt zukommt, besteht kein gewichtiger Grund, die Vollziehung vorläufig
rückgängig zu machen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 162 Abs. 3 VwGO. Es entsprach
nicht der Billigkeit, die Kosten der Beigeladenen für erstattungsfähig zur erklären, denn
diese hat keinen Antrag gestellt und sich folglich auch nicht dem Kostenrisiko des § 154
Abs. 3 VwGO ausgesetzt.
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Die Festsetzung des Streitwertes ist nach § 52 Abs. 1 GKG i.d.F. des KostRMoG vom
05.05.2004 erfolgt. Im Hinblick auf die Vorläufigkeit der Entscheidung war nach
ständiger Spruchpraxis der Kammer nur die Hälfte des im Hauptsacheverfahren
festgesetzten Streitwertes in Ansatz zu bringen (vgl. auch Ziff. 1.5 des Streitwertkatalogs
für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. vom 07./08.07.2004).
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