Urteil des VG Düsseldorf vom 15.07.2002

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Verwaltungsgericht Düsseldorf, 21 L 2618/02.A
Datum:
15.07.2002
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
21. Kammer
Entscheidungsart:
Beschluss
Aktenzeichen:
21 L 2618/02.A
Tenor:
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das
Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Gründe:
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Der am 9. Juli 2002 bei Gericht eingegangene Antrag, der darauf gerichtet ist,
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den Beschluss vom 2. Juli 2002 - 21 L 2379/02.A - abzuändern und die aufschiebende
Wirkung der Klage anzuordnen,
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hat keinen Erfolg.
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Es kann dahinstehen, ob es sich bei dem von der Antragstellerin übersandten Urteil des
VG Ansbach vom 13. Februar 2002 - AN 12 K 01.31195 - um veränderte oder im
ursprünglichen Verfahren ohne Verschulden nicht geltend gemachte Umstände i.S.v. §
80 Abs. 7 VwGO handelt. Das Gericht lehnt eine Abänderung seines Beschlusses vom
2. Juli 2002 - 21 L 2379/02.A - jedenfalls deshalb ab, weil der Antragstellerin
Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG auch unter Berücksichtigung der
Entscheidungsgründe des Urteils des VG Ansbach vom 13. Februar 2002 nicht
zustehen.
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§ 53 Abs. 4 AuslG i.V.m. Art. 3 EMRK verbietet die Abschiebung eines Ausländers in
einen Staat, in dem er Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Strafe
oder Behandlung durch den Staat oder eine staatsähnliche Organisation unterworfen zu
werden,
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vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 15. April 1997 - 9 C 38/96 -, BVerwGE 104,
Seite 265 ff..
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Der Begriff der Behandlung setzt ein geplantes, vorsätzliches, auf eine bestimmte
Person gerichtetes Handeln voraus. Deshalb schützt Art. 3 EMRK ebenso wie das
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Asylrecht nicht vor den allgemeinen Folgen von Naturkatastrophen, Bürgerkriegen oder
anderen bewaffneten Konflikten,
vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 17. Oktober 1995 - 9 C 15/95 -, NVwZ 1996,
Seite 476 ff..
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Bei den vorgenannten Risiken handelt es sich vielmehr um Gefahren, denen die
Bevölkerung oder die Bevölkerungsgruppe, der der Ausländer angehört, in dem
betreffenden Herkunftsland allgemein ausgesetzt ist, § 53 Abs. 6 Satz 2 AuslG. Die
allgemeine Gefahr, Opfer eines Bürgerkrieges zu werden, ist deshalb nicht im Rahmen
einer auf den einzelnen Ausländer bezogenen Entscheidung des Bundesamtes nach §
53 AuslG zu würdigen, sondern im Rahmen einer alle Angehörigen dieses Staates
betreffenden Entscheidung nach § 54 AuslG. Eine Entscheidung der obersten
Landesbehörde, die Abschiebung von Palästinensern nach Israel aus völkerrechtlichen
oder humanitären Gründen vorläufig auszusetzen, liegt jedoch nicht vor.
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Hat die oberste Landesbehörde trotz einer extremen allgemeinen Gefahrenlage, in der
jeder einzelne Ausländer sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten
Verletzungen überantwortet wäre, von ihrer Ermessensentscheidung nach § 54 AuslG
keinen Gebrauch macht, so ist aus verfassungsrechtlichen Gründen ausnahmsweise
eine Schutzgewährung nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG geboten,
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vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 29. März 1996 - 9 C 116/95 -, NVwZ-Beilage
1996, Seite 57 f..
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Es ist jedoch nicht feststellbar, dass die Antragstellerin bei einer Rückkehr nach Israel
im Sinne der vorstehenden Grundsätze sehenden Auges dem sicheren Tod oder
schwersten Verletzungen ausgesetzt würde.
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Ob die Antragstellerin bei einer Rückkehr nach Israel überhaupt in den Gaza- Streifen
gelangen könnte, ist nach der Auskunftslage der Kammer fraglich. Denn die israelischen
Behörden erlauben eine Rückkehr in den Gaza-Streifen nur solchen Palästinensern, die
über den Status eines „Permanent Resident" in Gaza verfügen, also eines dauerhaften
Einwohners,
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vgl. Deutsches Orient-Institut, Auskunft an das VG Ansbach vom 3. Januar 2002.
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Nach dem Vortrag der Antragstellerin stammen sie und ihre Familie aber nicht aus dem
Gaza-Streifen. Sie hielten sich dort nur als Flüchtlinge auf. Demzufolge verfügte die
Antragstellerin auch nicht über einen palästinensischen Pass, sondern nur über einen
UNO-Flüchtlingsausweis. Vor diesem Hintergrund steht nicht nur die Möglichkeit einer
Rückkehr der Antragstellerin in den Gaza-Streifen in Frage, es ist außerdem unklar, ob
Israel der Antragstellerin die Wiedereinreise erlauben würde.
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Bei Wahrunterstellung einer Rückkehrmöglichkeit lässt sich nicht feststellen, dass die
Verhältnisse im Gaza-Streifen oder im West-Jordanland das Risiko einer sicheren
Todes- oder schweren Verletzungsgefahr für jeden Palästinenser bergen, der sich dort
aufhält. Eine solche Gefahrenlage ist auch nicht den Erkenntnissen zu entnehmen, auf
die sich das VG Ansbach zur Begründung seiner Entscheidung vom 13. Februar 2002
beruft,
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vgl. insbesondere Deutsches Orient-Institut, Auskunft an das VG Ansbach vom 3. Januar
2002.
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Opfer des militärischen Eingreifens der israelischen Sicherheitskräfte werden
vorwiegend solche Personen, die den palästinensischen Gruppierungen angehören,
aus deren Reihen Selbstmordanschläge in den von den Israelis bewohnten Gebieten
begangen werden. Auch das familiäre Umfeld dieser Personen ist betroffen. Die
Antragstellerin hat aber von solchen Aktivitäten innerhalb ihrer Familie nichts berichtet.
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Das außerdem bestehende Risiko, als Unbeteiligter Opfer militärischen Eingreifens zu
werden, schätzt die Kammer bei der derzeitigen Lage in Israel als bei weitem noch nicht
hoch genug ein, um davon ausgehen zu können, dass die Antragstellerin gleichsam
zwangsläufig zu Tode kommen oder schwerste Verletzungen erleiden würde. Das
Deutsche Orient-Institut (Auskunft an das VG Ansbach vom 3. Januar 2002) meint:
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„Tötungen im Rahmen der bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen
Palästinensern und Israelis sind dort an der Tagesordnung, wobei niemand sicher sein
kann, nicht Opfer zu werden, die Al-Aksa-Intifada hat die Todesopfer in den besetzten
Gebieten innerhalb eines Jahres auf 1.000 anwachsen lassen, wobei, das wird gern
übersehen, das Verhältnis der Todesopfer zwischen Israel und Palästinensern ungefähr
1:50 beträgt, aber nur die spektakulären Anschläge der islamistischen Gewalttäter
dementsprechende Aufmerksamkeit erregen."
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Berücksichtigt man demgegenüber, dass die Zahl der allein im Gaza-Streifen lebenden
Palästinenser in der gleichen Auskunft des Deutschen Orient-Institutes mit 1,2 Millionen
beziffert wird, so verdeutlicht dies, dass zwar ein greifbares Risiko besteht, Opfer der
bewaffneten Auseinandersetzungen zu werden. Die von der Rechtsprechung geforderte
hohe Schwelle eines „sicheren Todes" wird nicht überschritten.
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Die Risiken für Leib oder Leben, die aus der angespannten Versorgungslage in den
besetzten Gebieten herrühren, bewertet das Gericht ebenfalls als noch nicht gravierend
genug, um von einem generellen Abschiebungshindernis für alle Palästinenser nach §
53 Abs. 6 Satz 1 AuslG ausgehen zu können. Das Deutsche Orient-Institut (Auskunft an
das VG Ansbach vom 3. Januar 2002) meint zur Versorgungslage im Gaza-Streifen:
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„Es hat zwar bislang nach den uns vorliegenden Informationen das Ausbrechen von
Hungersnöten verhindert werden können, weil die Israelis immer dann, wenn es soweit
ist, die Einfuhrbeschränkungen wieder lockern, aber was die wirtschaftliche Lage betrifft,
ist der Gaza-Streifen heute auf dem Stand ärmerer Länder in Afrika, und die Situation
hat sich seit den „Friedensverträgen", die eigentlich eine Besserung der Lage hatten
erhoffen lassen, stetig verschlechtert. Die Grundversorgung der Bevölkerung wird über
die UNRWA sichergestellt, diese unterhält auch ein bescheidenes Angebot an
Bildungs- und Arbeitsmöglichkeiten, ansonsten sind wirtschaftlichen Aktivitäten wegen
der Enge und der Nichtindustrialisierung dieser Gebiete enge Grenzen gesetzt."
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Obwohl in der deutschen Presse und im Fernsehen täglich ausführlich über die
Situation in Israel berichtet wird, gibt es keine Erkenntnisse über Hungersnöte oder die
Verbreitung von Seuchen mit der Folge massenhafter Todesfälle innerhalb der
palästinensischen Bevölkerung. Die Antragstellerin hat - dies bestätigend - vor dem
Bundesamt berichtet, ihre Familie habe durch die Hilfe der UNO überleben können. Die
Antragstellerin verfügte sogar über ein Beschäftigungsverhältnis bei der UNO. Sie hat
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erklärt, Hauptgrund für ihre Ausreise sei es gewesen, ihrem Ehegatten in das
Bundesgebiet zu folgen. Bei dieser Sachlage würde die Antragstellerin bei einer
Rückkehr nach Israel nicht sehenden Auges in den sicheren Tod geschickt.
Das VG Ansbach legt seiner Entscheidung vom 13. Februar 2002 ein Verständnis von §
53 AuslG zu Grunde, das mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht
vereinbar ist. Aus der Erkenntnislage zu den Verhältnissen in Israel zieht der
Einzelrichter außerdem andere Schlüsse als das VG Ansbach. Der Abänderungsantrag
kann mithin keinen Erfolg haben.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 83 b Abs. 1 AsylVfG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 80 AsylVfG.
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