Urteil des VG Düsseldorf vom 07.02.2001

VG Düsseldorf: grundstück, satzung, gemeinde, beitragspflicht, kanal, rückwirkung, begriff, erfüllung, entstehung, gebäude

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 5 K 603/98
Datum:
07.02.2001
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
5. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
5 K 603/98
Tenor:
Der Kanalanschlussbeitragsbescheid des Beklagten vom 20. Dezember
1996 sowie dessen Widerspruchsbescheid vom 13. Januar 1998
werden aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die
Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des beizutreibenden
Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung
Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand:
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Der Kläger ist Eigentümer des mit einem Wohn- und Geschäftshaus bebauten
Flurstücks xxx der Flur x in der Gemarkung xxxxxxxxxxxx mit der postalischen Anschrift
xxxxxxxxxxxxxxxxx in xxxxxx xxxxxxxxxxxx.
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In den Jahren 1954 - 1956 ließ die damalige Gemeinde xxxxxxxxxxxx unter anderem in
dem hier maßgeblichen Bereich der xxxxxxxxxxxxx einen Mischwasserkanal errichten,
der auch heute noch der Entwässerung der angrenzenden Grundstücke dient. Wann
genau das Grundstück des Klägers an diese Abwasseranlage angeschlossen wurde,
lässt sich nicht zweifelsfrei feststellen. Im Rahmen einer Baubeschreibung zur
Errichtung eines Anbaus aus dem Jahre 1973 heißt es unter „Entwässerung", es könne
ein Anschluss an die vorhandene Anlage erfolgen; auf dem entsprechenden Lageplan
ist eine (eigene) Anschlussleitung vom Kanal in der xxxxxxxxxxxxx zu dem Anbau
eingezeichnet.
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Der Rechtsvorgänger des Klägers - Herr xxxxxxxxxxxxxxx - wurde mit Formschreiben
vom 1. Juli 1977 seitens des Funktionsvorgängers des Beklagten (bereits im Tenor und
im Folgenden zur Vereinfachung ebenfalls nur als Beklagter bezeichnet) darauf
aufmerksam gemacht, dass im Zusammenhang „mit den außerordentlichen Regenfällen
der letzten Wochen" eine nicht ordnungsgemäße Herstellung der Hausanschlüsse in
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verschiedenen Gebäuden und somit eine mangelnde Rückstausicherung festgestellt
worden sei. Es sei zwingend erforderlich, dass die Genehmigung für die
Entwässerungseinrichtung der Gebäude und für deren Hausanschluss beantragt werde,
um im Rahmen des Verfahrens die Anschlüsse überprüfen zu können.
Der Beklagte zog den Kläger mit Bescheid vom 20. Dezember 1996 zur Zahlung eines
Kanalanschlussbeitrages für das oben genannte Flurstück in Höhe von 6.717,97 DM
heran. Die Heranziehung war auf die Satzung der Gemeinde xxxxxx über die Erhebung
von Kanalanschlussbeiträgen (Kanalanschlussbeitragssatzung) vom 4. März 1992 in
der Fassung der 4. Änderungssatzung vom 8. Februar 1996 - KABS 1992 - gestützt.
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Gegen diesen Bescheid legte der Kläger am 7. Januar 1997 Widerspruch mit der
Begründung ein, dass die Anschlusskosten längst bezahlt seien.
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Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13. Januar 1998
zurück. Zur Begründung führte er an, bei der am 1. April 1992 in Kraft getretenen KABS
1992 handele es sich um die erste rechtsgültige (einschlägige) Satzung der Gemeinde
xxxxxx überhaupt, sodass der Anspruch vorher nicht habe entstehen können.
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Der Kläger hat am 27. Januar 1998 Klage erhoben, zu deren Begründung er sich auf
Verjährung beruft, da das Grundstück schon in den Fünfzigerjahren angeschlossen
worden sei.
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Der Kläger beantragt,
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den Kanalanschlussbeitragsbescheid des Beklagten vom 20. Dezember 1996 sowie
dessen Widerspruchsbescheid vom 13. Januar 1998 aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er bezieht sich auf seine Ausführungen im Verwaltungsverfahren und beruft sich auf die
bis 1999 herrschende Rechtsprechung, an deren Vorgaben er sich gehalten habe. Der
(mit dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen - OVG
NRW - vom 18. Mai 1999 - 15 A 2880/96 - eingeleitete) Rechtsprechungswandel sei für
die Gemeinde nicht vorhersehbar gewesen und könne wegen der erheblichen
finanziellen Auswirkungen nicht ohne weiteres akzeptiert werden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakten und der beigezogenen Akten des Beklagten ergänzend Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die zulässige Klage ist begründet.
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Der angefochtene Kanalanschlussbeitragsbescheid des Beklagten vom 20. Dezember
1996 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13. Januar 1998 ist rechtswidrig
und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Es existiert keine, die Heranziehung des Klägers rechtfertigende satzungsrechtliche
Grundlage.
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Nach § 2 Abs. 1 KAG NRW dürfen Abgaben nur auf Grund einer Satzung erhoben
werden. Die Satzung muss den Kreis der Abgabenschuldner, den die Abgabe
begründenden Tatbestand, den Maßstab und den Satz der Abgabe sowie den Zeitpunkt
ihrer Fälligkeit angeben.
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Maßgeblich abzustellen ist in diesem Zusammenhang auf die Beitrags- und
Gebührensatzung - BGS HNK 1970 - zur Entwässerungssatzung - EWS HNK 1970 - der
bis zum 31. Dezember 1974 (Zusammenschluss mit xxxxxx, xxxxxxxxxx und xxxxxxxxx
zur neuen Gemeinde xxxxxx zum 1. Januar 1975 durch § 7 des
Neugliederungsgesetzes vom 10. September 1974 - GVBl. NRW 1974, S. 890)
selbstständigen Gemeinde xxxxxxxxxxxx vom 26. Juni 1970, die nach den in § 18 EWS
HNK 1970 und § 15 BGS HNK 1970 enthaltenen Regelungen jeweils am 1. Januar
1970 in Kraft treten sollten, nicht dagegen auf die nachfolgenden Beitragsatzungen,
insbesondere die KABS 1992, auf die der Beklagte die im vorliegenden Fall
angefochtene Heranziehung gestützt hat.
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Zwar ist das erkennende Gericht, der bisherigen ständigen Rechtsprechung - auch des
15. Senats - des OVG NRW,
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vgl. z.B. Urteil vom 29. September 1995 - 15 A 1009/92 -; Beschluss vom 27. November
1996 - 15 B 2222/96 -,
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folgend, bislang davon ausgegangen, dass Voraussetzung für die Entstehung der
Beitragspflicht gemäß § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG NRW sowohl die Anschlussmöglichkeit
eines Grundstücks an das öffentliche Abwassersystem als auch eine wirksame, den
Anforderungen des § 2 Abs. 1 KAG NRW entsprechende Beitragssatzung ist. Fehlte es
an letzterer, so entstand der Beitragsanspruch erst in dem Zeitpunkt, in dem eine
wirksame Satzung in Kraft trat, ohne dass sich die Satzung Rückwirkung beilegen
musste,
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vgl. z.B. Urteil vom 3. Februar 1993 - 5 K 4224/90 -.
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Auch ein nach der Erfüllung des gesetzlichen Beitragstatbestandes in Kraft getretenes
Satzungsrecht konnte also die Beitragspflicht entstehen lassen.
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Diese Rechtsprechung hat das OVG NRW durch Urteile vom 18. Mai 1999, u.a. im
Verfahren - 15 A 2880/96 -, bestätigt und ergänzt durch Beschluss vom 10. August 1999
- 15 A 2056/95 - und Urteil vom 15. Februar 2000 - 15 A 5328/96 -, aufgegeben und
nunmehr in Angleichung an das Straßenbaubeitragsrecht entschieden, dass ein
Beitragsanspruch nur dann entstehe, wenn in dem Zeitpunkt, in dem die
Voraussetzungen des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG NRW erfüllt seien, ein wirksames, die
Beitragserhebung rechtfertigendes Satzungsrecht bestehe. Nach dieser Vorschrift
entstehe, wenn ein Anschlussbeitrag nach § 8 Abs. 4 Satz 3 KAG NRW erhoben werde,
die Beitragspflicht, sobald das Grundstück an die Einrichtung oder Anlage
angeschlossen werden könne, frühestens jedoch mit dem Inkrafttreten der Satzung.
Unter dem Begriff des „Inkrafttretens" im Sinne dieser Regelung sei das Inkraftsetzen
der Satzung, also die Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen, die nach den
Inkrafttretensregelungen gegeben sein müssten, um die Rechtsfolgen des zeitlichen
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Beginns der Wirksamkeit herbeizuführen, zu verstehen. Darauf, ob die sonstigen
Voraussetzungen für die Wirksamkeit von Normen vorlägen, wie etwa die Vereinbarkeit
mit höherrangigem Recht, komme es nicht an. Entscheidend sei, dass die Gemeinde
erstmals eine Beitragssatzung habe in Kraft setzen wollen, nach deren Regelungen für
das betreffende Grundstück die Kanalanschlussbeitragspflicht habe entstehen sollen.
Dem schließt sich das erkennende Gericht aus Gründen der Rechtseinheit und -
sicherheit an,
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vgl. bereits Urteil vom 14. Januar 2000 - 5 K 4097/97 - ;
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hinzu kommt, dass die nunmehrige Auslegung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG NRW auch
nach Auffassung der Kammer mit der Intention des damaligen Gesetzgebers wesentlich
besser in Übereinstimmung zu bringen ist als das der früheren Rechtsprechung zu
Grunde liegende Verständnis der Norm. Dabei verkennt die Kammer durchaus die
Konsequenzen des Rechtsprechungswandels für die Kommunen nicht; dieser
Gesichtspunkt vermag jedoch die genannten Gründe nicht zu entkräften.
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In Anwendung dieser Grundsätze ergibt sich, dass im vorliegenden Fall maßgeblich auf
die zum 1. Januar 1970 in Kraft gesetzte BGS HNK 1970 abzustellen ist.
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Ob das hier streitbefangene Grundstück zu diesem Zeitpunkt entsprechend des Vortrags
des Klägers (und einiger sonstiger Anhaltspunkte) schon tatsächlich an den Kanal in der
xxxxxxxxxxxxx angeschlossen war, kann dahinstehen, weil jedenfalls am 1. Januar
1970 die Anschlussmöglichkeit gegeben war.
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Der Begriff der Anschlussmöglichkeit setzt voraus, dass die tatsächliche und rechtliche
Möglichkeit besteht, eine leitungsmäßige Verbindung zwischen der Anlage und dem
Grundstück herzustellen. Die tatsächliche Möglichkeit der Inanspruchnahme der
öffentlichen Anlage ist gegeben, wenn ein Grundstück nahe genug bei einem
betriebsfertigen öffentlichen Kanal liegt, um unter gemeingewöhnlichen Umständen an
diesen angeschlossen werden zu können,
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vgl. Dietzel, in Driehaus, Kommunalabgabenrecht, Stand September 2000, § 8 Rdnrn.
542.
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Die Gemeingewöhnlichkeit der Anschlussmöglichkeit ist regelmäßig gegeben, wenn
das Grundstück an eine Straße angrenzt, in der ein Kanal verlegt ist, der an dem
Grundstück entlang führt oder wenigstens bis zu einer Grenze des Grundstücks reicht,
34
vgl. Dietzel a.a.O..
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Die rechtliche Möglichkeit der Inanspruchnahme der Anlage ist gegeben, wenn für das
Grundstück ein Anschlussrecht besteht. Art und Umfang des Anschlussrechts ergeben
sich aus dem Ortsrecht, in dem das Rechtsverhältnis zwischen Gemeinde und
Grundstückseigentümer hinsichtlich des Anschlusses und der Benutzung der
öffentlichen Anlage geregelt ist (Entwässerungssatzung).
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Dietzel, in Driehaus a.a.O., § 8 Rdnr. 543.
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Diese Voraussetzungen waren zum 1. Januar 1970 für die Fläche des heutigen
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Flurstücks xxx (damals einschließlich des später abgegebenen Straßenlandes noch
xxxxx) erfüllt. Der in der xxxxxxxxxxxxx verlegte Mischwasserkanal verlief unmittelbar
vor dem Grundstück. Sonstige Umstände tatsächlicher Art, die der Anschlussmöglichkeit
damals entgegengestanden haben, sind weder ersichtlich noch vom Beklagten geltend
gemacht worden. Dem damaligen Eigentümer des Grundstücks stand auch gemäß §§ 2
und 3 EWS HNK 1970 für diese Fläche ein Anschlussrecht zu. Dies hat der Beklagte
auch nicht bestritten.
Dass die Anschlussmöglichkeit auch bereits vor 1970 vorhanden war, ist unerheblich,
da die Gemeinde xxxxxxxxxxxx erst zu diesem (nach dem damals „neuen" KAG NRW
frühestmöglichen) Zeitpunkt die erste Satzung erlassen hat, die die Erhebung von
Kanalanschlussbeiträgen ermöglichen sollte.
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Die BGS HNK 1970, gegen die in formeller Hinsicht Bedenken weder durch den
Beklagten vorgetragen noch sonst ersichtlich sind, wollte für das hier in Rede stehende
Grundstück eine Beitragspflicht zur Entstehung bringen, denn gemäß deren
„Übergangsvorschrift" § 7 Abs. 1 sollten mit ihrem Inkrafttreten am 1. Januar 1970
Kanalanschlussbeiträge sowohl für Grundstücke, die in diesem Zeitpunkt bereits an die
öffentliche Abwasseranlage angeschlossen werden konnten (Satz 1) als auch für bereits
angeschlossene (Satz 2) entstehen.
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Tatsächlich waren die in den §§ 1 - 7 BGS HNK 1970 getroffenen Regelungen über die
Erhebung von Kanalanschlussbeiträgen jedoch nicht geeignet eine
Kanalanschlussbeitragspflicht auszulösen. Der Verteilungsmaßstab war nämlich in
mehrfacher Hinsicht nicht vorteilsgerecht im Sinne von § 8 Abs. 6 KAG NRW
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- vgl. zu den Anforderungen an die Maßstabsregelung: Dietzel in Driehaus, a.a.O., § 8
Rdnrn. 615 ff. -
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und damit unwirksam, wie die Kammer bereits im März 1977 im Verfahren 5 K 1302/76,
auf das der Beklagte zutreffend hingewiesen hat, festgestellt hat: § 3 BGS HNK 1970
stellt im Wesentlichen auf den Frontmetermaßstab ab, enthält (trotz erheblichen Anteils
an gewerblicher Nutzung, ausweislich des Terminprotokolls in der oben genannte
Sache schätzungsweise 15 % der gesamten bebauten Fläche der ehemaligen
Gemeinde xxxxxxxxxxxx) keinen Aufschlag für gewerblich bzw. industriell nutzbare
(genutzte) Grundstücke und der Aufschlag für die dreigeschossige Bebauung
(ausweislich des genannten Terminprotokolls gibt es einige dreigeschossige Gebäude)
knüpft nur an die tatsächliche Situation an.
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Die demnach mangels materiell wirksamer Satzung im maßgeblichen Zeitpunkt noch
nicht entstandene Beitragspflicht kann auch nicht mehr entstehen, da eine wirksame
Satzung nach der oben zitierten neueren Rechtsprechung des OVG NRW Rückwirkung
auf den Zeitpunkt des damaligen Inkraftsetzens (hier: 1. Januar 1970) haben müsste.
Beim Erlass einer derartigen Satzung, die bislang nicht existiert, träte (gemäß § 16 KAG
NRW 1970) sofort Festsetzungsverjährung ein.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711
ZPO.
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