Urteil des VG Düsseldorf vom 04.12.2006

VG Düsseldorf: verfügung, boxen, unterbringung, fohlen, zwangsgeld, ermessen, androhung, tierschutzgesetz, erfüllung, regen

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 23 K 4059/05
Datum:
04.12.2006
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
23. Kammer
Entscheidungsart:
Urteil
Aktenzeichen:
23 K 4059/05
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann
die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand:
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Die Klägerin hält auf dem Grundstück C 31 in V Zuchtstuten und Jungpferde.
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Am 22. März 2005 überprüfte der Beklagte die Pferdehaltung der Klägerin. Sie hielt zu
diesem Zeitpunkt sieben Stuten mit zwei Fohlen sowie vier Jungpferde. Alle Pferde
befanden sich zum Zeitpunkt der Überprüfung in ihren Stallungen. In einem Anbindestall
auf der Tenne befanden sich fünf Zuchtstuten und drei dreijährige Stuten. Die dort
vorhandenen Boxen waren seitlich und nach vorne durch zwei bis drei übereinander
angebrachte Balken begrenzt. Die Balken hingen in Metallschlaufen, die mit Krampen
an den Boxen festgenagelt waren. Eine Öffnung der Boxen ohne Werkzeug war nicht
möglich. Auf Befragen gab die Klägerin an, dass die Pferde letztmalig am 20. März 2005
Weidegang erhalten hätten. In der Scheune wurde in einer Box mit den Maßen 2,75 m x
2,75 m eine Warmblutstute (Stockmaß 1,65 m) gehalten.
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Mit Ordnungsverfügung vom 23. März 2005, der Klägerin zugestellt am 29. März 2005,
ordnete der Beklagte folgendes an: „1. Sie haben allen von Ihnen in V, C 31, gehaltenen
Zuchtstuten und Jungpferden, ab dem Tag der Zustellung dieser Verfügung und danach
täglich eine mindestens 3-4-stündige Bewegungsmöglichkeit im Freien anzubieten. 2.
Sie haben jedem von Ihnen in einer Box untergebrachten Pferd spätestens bis zum
05.04.2005 eine Mindestgrundfläche entsprechend der Formel (2 x Widerristhöhe)² zur
Verfügung zu stellen. ...." Die Anordnungen wurden für sofort vollziehbar erklärt. Weiter
drohte der Beklagte der Klägerin für den Fall, dass sie den Anordnungen nicht
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nachkomme, ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 Euro an.
Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 29. April 2005 Widerspruch ein. Mit
Schreiben vom 18. Mai 2005 stellte sie klar, dass sie Ziffer 2) der Ordnungsverfügung
nicht angreife. Ziffer 1) der Verfügung greife sie lediglich insoweit an, als ihr auch in den
Wintermonaten eine 3 bis 4-stündige Bewegungsmöglichkeit aufgegeben werde, wenn
sich dies aufgrund der Witterungsbedingungen verbiete. Eine solche Verpflichtung sei
weder unter tierschutzrechtlichen Gesichtspunkten noch unter dem Aspekt der
Angemessenheit haltbar.
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Bei einer Nachkontrolle am 19. Juli 2005 stellte der Beklagte fest, dass sich in der Box
mit der Grundfläche 7,56 m² eine Warmblutstute mit Fohlen befand. Auf der Tenne
befanden sich keine Pferde; die Tiere liefen auf der Weide. Die Krampen an den die
Boxen begrenzenden Balken waren gelöst. Wegen Verstoßes gegen Ziffer 2 der
Ordnungsverfügung setzte der Beklagte mit Verfügung vom 20 Juli 2005 gegen die
Klägerin ein Zwangsgeld in Höhe von 500,00 Euro fest.
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Bei einer erneuten Kontrolle der Pferdehaltung der Klägerin am 22. August 2005 stellte
der Beklagte fest, dass die beanstandete Box durch eine Zwischentür mit der
angrenzenden Box verbunden war. In den verbundenen Boxen befand sich eine Stute
mit Fohlen. Ein Großteil der Pferde befand sich auf den den Hof umgebenden Weiden.
Von einer Beitreibung des festgesetzten Zwangsgeldes sah der Beklagte ab.
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Mit Widerspruchsbescheid vom 8. August 2005, den Prozessbevollmächtigten der
Klägerin zugestellt am 10. August 2005, wies die Bezirksregierung E den Widerspruch
als unbegründet zurück.
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Die Klägerin hat am Montag, den 12. September 2005 Klage erhoben. Zur Begründung
trägt sie im Wesentlichen vor: Während der Sommermonate in der Weidesaison hätten
ihre Pferde ganztägig Bewegungsmöglichkeiten im Freien. In den Wintermonaten sowie
bei schlechten Witterungsbedingungen ergebe sich ein von ihr nicht zu vertretendes
praktisches Problem bei der angeordneten mindestens 3 bis 4-stündigen
Bewegungsmöglichkeit für jedes Pferd im Freien. Ihr stehe außerhalb der Weidesaison
keine Wiese, sondern lediglich ein Paddock zur Verfügung. Auf diesem Paddock
könnten nicht alle Tiere gleichzeitig gehalten werden, das dies aufgrund es
Platzmangels zu erhöhten Verletzungsrisiken führe. Insoweit würden die Pferde
außerhalb der Weidesaison in verschiedenen Gruppen auf dem Paddock frei laufen
gelassen. Allerdings sei dabei nicht auszuschließen, dass in Einzelfällen die
angeordnete Dauer von 3 bis 4 Stunden Bewegung täglich für jedes Pferd unterschritten
werden, da die Lichtverhältnisse im Winter lediglich eine Nutzung des Auslaufes von
höchstens 8 bis 9 Stunden zuließen. Ähnliches ergebe sich bei schlechten
Witterungsverhältnissen. Diese Haltungsbedingungen für Pferde in den Wintermonaten
seien absolut üblich und auch für eine ordnungsgemäße und tierschutzgerechte
Pferdehaltung angemessen. Des weiteren sei es im Falle von Dauerfrost unter
tierschutzrechtlichen Aspekten nicht geboten, die Pferde im Freien auf gefrorenem
Auslauf zu halten, da dies erhöhte Verletzungsrisiken berge. Gleiches gelte im Falle von
dauerhaftem Regen. Bestimmte Witterungsverhältnisse schlössen eine
Bewegungsmöglichkeit von Pferden im Freien definitiv aus und seien daher auch unter
tierschutzrechtlichen Aspekten nicht zu fordern. Diese Entscheidung müsse ihr,
insbesondere in den Wintermonaten, vorbehalten bleiben, was jedoch Ziffer 1) der
Ordnungsverfügung nicht hinreichend berücksichtige. Der Beklagte haben sein
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Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt, da er ohne Berücksichtigung eventueller
Ausnahmesituationen eine 3 bis 4-stündige Bewegungsmöglichkeit im Freien für jedes
Pferd angeordnet habe.
Die Klägerin beantragt,
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Ziffer 1) des Bescheides des Beklagten vom 23. März 2005 und hinsichtlich dieser Ziffer
auch den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung E vom 8. August 2005
aufzuheben.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Er macht hierzu geltend: Bisher sei den Pferden keine tägliche Bewegungsmöglichkeit
angeboten worden. Ein tägliches Öffnen der vernagelten Pferdeboxen sei praktisch
ausgeschlossen gewesen. Es gehöre zu einer angemessenen verhaltensgerechten
Unterbringung von Pferden, ihnen ausreichende Bewegungsmöglichkeiten zur
Verfügung zu stellen. Unter naturnahen Bedingungen bewegten sich Pferde im
Sozialverband zur Futteraufnahme bis zu 16 Stunden täglich. Nach den Leitlinien zur
Beurteilung von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten vom 10. November
1995 (Leitlinien) sei Pferden zum Ausgleich für den Aktivitätsverlust täglich eine
mehrstündige Bewegungsmöglichkeit anzubieten. Die Forderung nach einer 3 bis 4-
stündigen Bewegungsmöglichkeit sei nicht überzogen und dem Bewegungsbedürfnis
der Tiere angemessen. Das Vorliegen von Problemen bei winterlichen
Lichtverhältnissen, Dauerfrost und dauerhaftem Regen sei nicht nachvollziehbar.
Stünde neben dem vorhandenen Paddock noch ein befestigter Auslauf zur Verfügung,
so wäre eine 8 bis 9-stündige Nutzungsmöglichkeit bei winterlichen Lichtverhältnissen
für alle Pferde vorhanden. Zudem würden bei einem befestigten Boden weder
Dauerfrost noch Dauerregen ein Verletzungsrisiko darstellen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den
Inhalt der Gerichtsakten sowie der Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug
genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Die Klage hat keinen Erfolg.
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Ziffer 1) der angegriffenen Verfügung des Beklagten vom 23. März 2005 ist rechtmäßig
und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs.1 Satz 1
Verwaltungsgerichtsordnung -VwGO-).
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Die angeordnete Maßnahme findet ihre Rechtfertigung in § 16 a Satz 2 Nr.1
Tierschutzgesetz (TierSchG). Nach dieser Norm kann die zuständige Behörde im
Einzelfall die zur Erfüllung der Anforderungen des § 2 TierSchG erforderlichen
Maßnahmen anordnen. Nach § 2 TierSchG muss, wer ein Tier hält, betreut oder zu
betreuen hat, das Tier seiner Art und seien Bedürfnissen entsprechend angemessen
ernähren, pflegen und verhaltensgerecht unterbringen und darf die Möglichkeit des
Tieres zu artgemäßer Bewegung nicht so einschränken, dass ihm Schmerzen oder
vermeidbare Leiden oder Schäden zugefügt werden. Die in Ziffer 1) der angefochtenen
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Ordnungsverfügung getroffene Anordnung, allen gehaltenen Pferden täglich eine
mindestens 3-4-stündige Bewegungsmöglichkeit im Freien anzubieten, betrifft sowohl
die verhaltensgerechte Unterbringung wie auch die Möglichkeit zu artgemäßer
Bewegung (vgl. § 2 Nr. 1 u. Nr. 2 TierSchG) und ist zur Erfüllung der dort genannten
Anforderungen erforderlich. Welchen Anforderungen eine verhaltensgerechte
Unterbringung und eine artgemäße Bewegungsmöglichkeit zu genügen haben, ist
weder im Tierschutzgesetz noch einer zu dessen Konkretisierung erlassenen
Rechtsverordnung (§ 2 a TierSchG) im einzelnen definiert. Maßgebendes Kriterium für
die daher gebotenen Auslegung ist der in §1 TierSchG umschriebene Zweck des
Gesetzes, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen
Leben und Wohlbefinden zu schützen. Das Wohlbefinden des Tieres beruht auf einem
art-, bedürfnis- und verhaltensgerechten Ablauf der Lebensvorgänge. Der Aufenthalt des
Tieres soll auch unter menschlicher Haltung so gestaltet sein, dass dem Tier die
Bedarfsdeckung und die Vermeidung von Schäden durch die Möglichkeit zu adäquatem
Verhalten gelingt. „Leiden" ist damit als eine Beeinträchtigung des Wohlbefindens des
Tieres zu verstehen, die eine gewisse Erheblichkeitsschwelle übersteigt und auf
Einwirkungen zurückgeht, die der Wesensart des Tieres zuwiderlaufen und von dem
Tier gegenüber seinem Selbst- und Arterhaltungstrieb als lebensfeindlich empfunden
werden,
vgl. OVG NRW, Urteil vom 25. September 1997 - 20 A 688/96 -.
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Ausgehend hiervon ist die verlangte tägliche 3 bis 4-stündige Bewegungsmöglichkeit im
Freien zur verhaltensgerechten Unterbringung der Pferde und zu einer artgemäßen
Bewegung, die nicht zu Leiden im o.g. Sinne führt, erforderlich. Das Angebot einer
mehrstündigen Bewegungsmöglichkeit im Freien ist in den „Leitlinien zur Beurteilung
von Pferdehaltungen unter Tierschutzgesichtspunkten" niedergelegt, die durch eine
beim Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten gebildete
Sachverständigengruppe unter dem 10. November 1995 aufgestellt und auf der
Grundlage früher erarbeiteter Kriterien entwickelt worden sind. Die personelle
Zusammensetzung der Sachverständigengruppe rechtfertigten die Annahme, dass die
Leitlinien -soweit hier einschlägig- sowohl eine Zusammenfassung verlässlicher und
gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse über den Bedarf der Tiere beinhalten als
auch den Notwendigkeiten praktischer Pferdehaltung Rechnung tragen, sodass ihnen
aussagekräftige Anhaltspunkte für die tierschutzgerechte Ausgestaltung der Haltung von
Pferden entnommen werden können. Für eine Überbetonung rein tierbezogener
Erwägungen bei unangemessener Zurückstellung der unerlässlichen Vorgaben einer
nutzungsorientierten Pferdehaltung gibt es keinen Anhaltspunkt,
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vgl. OVG NRW a.a.O..
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Die auf die Bewegungsmöglichkeit bezogenen Angaben der Leitlinien stehen im
Einklang mit den Aussagen von verschiedenen Veterinären, deren Veröffentlichungen
von der Widerspruchsbehörde bei ihrer Entscheidung mit berücksichtigt worden sind.
Sowohl die Amtsveterinäre wie die Fachautoren stützten sich hierbei auf das gesicherte
Wissen, dass sich Pferde unter naturnahen Bedingungen im Sozialverband bis zu 16
Stunden täglich bewegen. Mangelnde Bewegung bedingt bei den Pferden Schäden,
insbesondere am Bewegungsapparat.
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Das ihm zur Beseitigung des Verstoßes gegen § 2 TierSchG eingeräumte Ermessen hat
der Beklagte fehlerfrei ausgeübt. Er hat sich auf der Grundlage eines zutreffend
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ermittelten Sachverhaltes am Zweck der Ermächtigung orientiert und seine
Entscheidung an sachbezogenen Erwägungen ausgerichtet. Die Anzahl der geforderten
täglichen Stunden für eine Bewegung der Pferde im Freien entspricht den oben
angegebenen veterinärmedizinischen Einschätzungen und ist daher nicht überzogen.
Grundsätzliche Einwände hiergegen hat die Klägerin auch nicht geltend gemacht. Ihr
Einwand, der Beklagte müsse bei schlechten Witterungsverhältnissen eine Ausnahme
von der geforderten Stundenzahl zulassen, greift nicht. Denn die Forderung nach einer
3-4-stündige Bewegungsmöglichkeit im Freien soll einen Ausgleich für den
Aktivitätsverlust bei Stallhaltung darstellen und ist daher nicht abhängig von der
Witterung. Die von der Klägerin vorgebrachten Gefahren, etwa bei Dauerfrost oder
Dauerregen, lassen sich durch eine entsprechende Befestigung des Auslaufs
vermeiden. Das Problem, dass die geforderte Stundenzahl in den Wintermonaten
aufgrund der frühen Dunkelheit nicht eingehalten werden kann, mag zwar bestehen,
doch ist es Sache der Klägerin hierfür eine Lösung zu finden. Die Gestaltungsfreiheit der
Klägerin hinsichtlich der Umsetzung der geforderten Maßnahme, etwa durch Anlage
eines zweiten Paddocks oder Reduzierung des Tierbestandes, hat der Beklagte nicht
eingeschränkt.
Die Androhung eines Zwangsgeldes bezüglich der unter Ziffer 1) getroffenen
Anordnung begegnet ebenfalls keinen rechtlichen Bedenken. Die Androhung genügt
den Anforderungen des § 63 VwVG.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs.1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§
708 Nr.11, 711 ZPO.
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