Urteil des VG Düsseldorf vom 07.09.2010

VG Düsseldorf (kläger, angemessene frist, öffentliche sicherheit, haft, abschiebung, frist, verlängerung, vater, gutachten, emrk)

Verwaltungsgericht Düsseldorf, 24 K 4246/10
Datum:
07.09.2010
Gericht:
Verwaltungsgericht Düsseldorf
Spruchkörper:
24. Kammer
Entscheidungsart:
Gerichtsbescheid
Aktenzeichen:
24 K 4246/10
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Der Gerichtsbescheid ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicher-
heitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages ab-
wenden, wenn nicht der Vollstreckungsgläubiger vor der Voll-streckung
Sicherheit in Höhe von 110 % der jeweils vollstreckbaren Kosten leistet.
Tatbestand:
1
Der Kläger wurde am 00. Dezember 1977 in Kumanovo geboren und ist mazedonischer
Staatsangehöriger. Er reiste zum Zwecke der Familienzusammenführung im März 2004
ins Bundesgebiet und ehelichte im Mai 2004 eine Deutsche. Aus der Ehe sind drei
Kinder hervorgegangen die inzwischen in der Obhut von Pflegefamilien leben. Der
Kläger ist noch Inhaber des Sorgerechts, hat aber derzeit kein Besuchsrecht.
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Der Kläger erhielt im September 2004 erstmals eine befristete Aufenthaltserlaubnis zum
Zwecke der Wahrung der familiären Lebensgemeinschaft, deren letzte Verlängerung bis
zum 27. August 2008 gültig war Trotz ausdrücklichen Hinweises auf den
bevorstehenden Ablauf durch die Ausländerbehörde im Juni 2008 kam der Kläger erst
am 31. März 2009 um deren "Verlängerung" ein.
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Dass der Kläger einer nennenswerten Erwerbstätigkeit nachgegangen wäre, ist nicht
bekannt; seit 2005 ist er jedenfalls arbeitslos und war zeitweise ohne festen Wohnsitz.
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In der Ehe des Klägers kam es des Öfteren zu Auseinandersetzungen auch mit
massiver Gewalteinwirkung des Klägers zum Nachteil seiner Frau; einem deshalb
verhängten Kontaktverbot handelte der Kläger zuwider. So erklärte die Ehefrau Mitte
Juni 2005 man lebe dauernd getrennt, widerrief dies Anfang August 2005 und teilte
dann im Juni 2007 mit, nun habe sie sich endgültig getrennt; ein Scheidungsverfahren
ist jedenfalls anhängig, möglicher Weise schon abgeschlossen.
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Der Kläger hat sich seit April 2005 mehrfach strafbar gemacht. Zuletzt setzte das
Landgericht Münster im März 2009 eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren wegen gefährlicher
Körperverletzung, Hausfriedensbruchs und Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte
zur Bewährung aus, widerrief diese Vergünstigung jedoch im Juni 2009, weil der Kläger
gegen die Auflagen verstoßen hatte. Seit Anfang Januar dieses Jahres verbüßt der
Kläger diese Strafe, seit dem 28. Januar 2010 im Bezirk der Beklagten.
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Mit Ordnungsverfügung vom 15. Juni 2010 lehnte die Beklagte nach der Anhörung des
Klägers die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis des Klägers ab, kündigte ihm die
Abschiebung nach Mazedonien aus der Haft heraus an und setzte für den Fall
vorzeitiger Entlassung eine Ausreisefrist von 2 Wochen setze, um einer Abschiebung
zuvor zu kommen. Die Ausländerbehörde billigte dem Kläger mit der Annahme, eine
Trennung der Eheleute habe erst Mitte 2007 stattgefunden, ein eigenständiges
Aufenthaltsrecht nach § 31 Abs. 1 AufenthG zu, brachte über § 8 Abs. 1 AufenthG die
allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen ein, sah vom Fehlen einer eigenständigen
Sicherung des Lebensunterhaltes ab und stützte die Versagung mit § 5 Abs. 1 Nr. 2
AufenthG auf die Verwirklichung eines Ausweisungsgrundes. Dieser ergebe sich aus
der erwähnten Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe zusammen mit § 55 Abs. 2 Nr. 2
AufenthG. Auch die Abwägung der privaten Interessen des Klägers mit denen der
Allgemeinheit gehe angesichts der von ihm ausgehenden Gefahr für die öffentliche
Sicherheit zu seinen Lasten aus. Das Landgericht habe dem Kläger erst im März 2009
attestiert, dass seine Hemmschwelle zur Begehung von Gewaltdelikten herabgesetzt
sei; so habe er entgegen dem Kontaktverbot seiner Frau aufgelauert und diese so
misshandelt, dass sie sich einer mehrtägigen stationären Behandlung unterziehen
musste. Selbst die Aussetzung der Strafe zur Bewährung habe den Kläger nicht zu
einem legalen Verhalten bringen können. Die Justizvollzugsanstalten kämen zu dem
Schluss, "dass die wichtigsten strafbegünstigenden Faktoren nach wie vor präsent"
sind. Angesichts dessen, dass die Sorge um Frau und Kinder auch in der
Vergangenheit keine stabilisierende Wirkung auf den Kläger gehabt habe, verstoße es
auch nicht gegen dessen Rechte aus den Art 6 GG oder 8 EMRK, wenn ihm ein weiterer
Aufenthalt nicht ermöglicht werde.
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Der Kläger hat am 2. Juli 2010 Klage erhoben und trägt vor, er habe zwar kein
Besuchsrecht für seine Kinder und für dessen Erstreitung im Umfange von 2 Stunden
monatlich unter Einschaltung des Jugendamtes zunächst auch keine
Prozesskostenhilfe erhalten, kämpfe aber weiter darum; er hänge sehr an den Kindern.
Da die Mutter erhebliche Alkoholprobleme habe, derentwegen sie eine
Entziehungsbehandlung durchlaufe, sei es für die Kinder besonders wichtig, dass er
sich nach der Haftentlassung um sie kümmern könne; soweit ein seitens des
Familiengerichts eingeholten Gutachten zu seinem Nachteil interpretiert werde,
geschehe ihm Unrecht. Nach dem nach Klageerhebung erstatteten, dem Gericht
auszugsweise übermittelten Gutachten zum Umgangsrecht benötigten Eltern wie Kinder
kompetente Hilfe auf verschiedenen Ebenen, um wieder zueinander finden zu können
und ein dem Kindeswohl entsprechendes Umgangsverhalten zu finden.
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Der Kläger beantragt,
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die Beklagte unter Aufhebung ihrer Ordnungsverfügung vom
15. Juni 2010zu verpflichten, die Aufenthaltserlaubnis des Klägers zu
verlängern.
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Die
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die Klage abzuweisen.
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Ein Absehen von dem Ausweisungsgrund komme nicht in Betracht; seit deren Flucht vor
der Gewalttätigkeit ins Frauenhaus im Sommer 2007 lebe der Kläger schon der in
Münster aufhältigen Familie getrennt seit Oktober 2007 habe der Kläger auch schon
allein in M gewohnt.
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Die Beteiligten sind zu der Möglichkeit einer Entscheidung ohne mündliche
Verhandlung durch Gerichtsbescheid mit Verfügung des Gerichts vom 7. Juli 2010
angehört worden.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte sowie den der dazu beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten
Bezug genommen.
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Entscheidungsgründe:
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Das Gericht kann gemäß § 84 Abs. 1 Satz 1 VwGO ohne mündliche Verhandlung durch
Gerichtsbescheid entscheiden, weil die Sache keine besonderen Schwierigkeiten
tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist, der Sachverhalt geklärt ist und die Beteiligten
zu der Möglichkeit einer solchen Entscheidung gehört worden sind.
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Die zulässige Klage ist unbegründet, die Versagung weiterer Aufenthaltstitel für den
Kläger ist rechtmäßig und verletzt diesen nicht in seinen Rechten; § 113 Abs. 5 VwGO.
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Die Beklagte hat zutreffend angenommen, dass vorliegend kein Grund besteht, von der
Erfüllung der Regelerteilungsvoraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 2 AufenthG abzusehen.
Ein Ausschluss der Anwendbarkeit dieser Vorschrift ist nicht ersichtlich. Für den Fall der
Erteilung gilt sie unmittelbar, für den der Verlängerung über § 8 Abs. 1 AufenthG. Sollte
man von § 25 Abs. 5 AufenthG als Erteilungsermächtigung ausgehen, stünde das
Absehen von § 5 Abs. 1 AufenthG nach dessen Abs. 3 Satz 2 im Ermessen der
Ausländerbehörde; auch dieses hat die Beklagte freilich erkannt und gemessen an § 44
VwVfG ordnungsgemäß ausgeübt.
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Dem Absehen von dem mit einer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren
zweifelsfrei verwirklichten Ausweisungsgrund stehen überwiegende öffentliche
Interessen entgegen, selbst wenn man etwaige Rechtspositionen des Klägers aus den
Art 6 GG und 8 EMRK in die Abwägung einbezieht. Insoweit ist mit der Beklagten
zunächst festzuhalten, dass dem erst mit 26 Jahren eingereisten und hier nicht
ansatzweise integrierten, seit 2005 auf den Bezug öffentlicher Hilfen angewiesenen und
nach Einschätzung der Justizvollzugsanstalt schlecht deutsch sprechenden Kläger
Rechte aus Art 8 EMRK schwerlich erwachsen können. Was Rechte aus Art 6 GG
anbelangt, so knüpfen diese angesichts des laufenden Scheidungsverfahrens und der
bereits seit mehreren Jahren realisierten Trennung der Eheleute allenfalls an das
Verhältnis des Klägers zu den drei minderjährigen Kindern an. Zu dessen Evaluierung
sei das von dem insoweit darlegungspflichtigen Kläger auszugsweise vorgelegte
Gutachten der vom Familiengericht beauftragten Psychologin vom 6. August 2010 zitiert:
"Dabei ist noch einmal hervorzuheben, dass es sich bei der Beziehung zum Vater
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bisher für keines der Kinder um eine Ressource handelt, die ihre Entwicklungssituation
von vornherein unterstützt. … Eine solche Haltung entspricht allerdings so wenig den
heute vom Vater formulierten Wünschen an das Zusammensein mit seinen Kindern,
dass aus psychologischer Sicht wenig wahrscheinlich ist, dass Herrn Gehrisch eine
solche Beziehungsgestaltung gelingen könnte. " Ihr Ergebnis fasst die Gutachterin
dahin zusammen, "dass ein Umgang der Kinder … mit ihrem Vater … derzeit nicht
möglich ist, ohne das Wohl der Kinder zu gefährden. Es kann auch nicht angenommen
werden, dass sich die beschriebenen Schwierigkeiten durch das Instrument der
Umgangsbegleitung beheben ließen."
Demnach kann schwerlich angenommen werden, eine inhaltlich verantwortungsvolle
und über die bloße formelle Stellung des Klägers als Vater hinausgehende
Berücksichtigung des Kindeswohles gebiete es mit einem das hinter dem
Ausweisungsgrund stehende öffentliche Interesse verdrängenden Gewicht, dem Kläger
die Möglichkeit eines legalen Aufenthaltes über die Haft hinaus zu ermöglichen.
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Wenn der Kläger zunächst darauf verwiesen hatte, das OLG habe den die
Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss des Familiengerichts aufgehoben, weil
nicht von vornherein ausgeschlossen werden könne, der Elternteil könne seine Lage
in dem Umgangsverfahren verbessern, so dürfte diese Option mit dem aktuellen
Gutachten ausgeschöpft sein.
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Auch die Abschiebungsregelung ist rechtmäßig, so dass die Klage auch insoweit
unbegründet ist.
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Gegen die primär verfügte Abschiebungsanordnung
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-mit diesem Ausdruck bezeichnet das Gericht die Anordnung einer Abschiebung aus
der Haft nach den §§ 59 Abs. 5 und 58 Abs. 3 Nr. 1 AufenthG ohne Belassung einer
Frist zur freiwilligen Ausreise - vom 23. August 2010 – 24 K 4603/10 -; vom 30. August
2010 – 24 K 3287/10 -;; vom 3. September 2010 – 24 K 2575/10 - so auch
Bundesverwaltungsgericht, Beschluss vom 13. März 2009 – 1 B 20.08 – InfAuslR
2009, 231,
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bestehen keine rechtlichen Bedenken.
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Vielmehr sind die gesetzlichen Voraussetzungen für die angeordnete Abschiebung aus
der Haft erfüllt: Dass der Kläger vollziehbar ausreisepflichtig ist, ergibt sich neben der
deutlich verspäteten Stellung des "Verlängerungs"antrages für den seit mehr als einem
halben Jahr abgelaufenen Aufenthaltstitel (§ 58 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AufenthG)
spätestens aus dessen Ablehnung mit der streitgegenständlichen Ordnungsverfügung
(§ 84 Abs. 1 Nr. 1 AufenthG). Dass er auf richterliche Anordnung in Haft ist, ist bei einer
noch andauernden Strafhaft nicht zweifelhaft. Dass die Beklagte dem Kläger zunächst
keine Ausreisefrist gesetzt hat, steht mit § 59 Abs. 5 Satz 1 AufenthG in Einklang. Der
Belassung einer Frist zu einer nach dem Willen von Gesetz und Behörde noch
möglichen und an sich gewollten freiwilligen Ausreise, wie sie § 59 Abs. 1 Satz 1
AufenthG vorsieht, bedarf es in Fällen der vorliegenden Art nicht, weil das Gesetz mit §
58 Abs. 3 AufenthG davon ausgeht, dem Betroffenen dürfe wegen der
Überwachungsbedürftigkeit seiner tatsächlichen Entfernung aus dem Bundesgebiet gar
nicht die Möglichkeit eingeräumt werden, binnen einer Frist seiner Ausreisepflicht
freiwillig nachzukommen. Dass die tatsächliche Entfernung des Klägers aus dem
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Bundesgebiet nicht nur wegen des Umstandes, dass er in Haft sitzt, sondern auch aus
gleichsam inhaltlichen Gründen der Überwachung bedarf,
vgl. zu diesem Erfordernis Gerichtsbescheid des Gerichts vom 23. August 2010 – 24 K
4603/10 -; vom 30. August 2010 – 24 K 3287/10 -,
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ergibt sich hier aus der bereits erwähnten individuellen Gefährlichkeit des Klägers. Vor
einer tatsächlichen Abschiebung wird die Beklagte der Ankündigungspflicht nach § 59
Abs. 5 Satz 2 AufenthG zu genügen haben, und hat deren Beachtung auch schon
angekündigt.
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Schließlich bestehen auch hinsichtlich der hilfsweise verfügten Androhung der
Abschiebung keine Bedenken. Es kann dahinstehen, ob für eine solche Regelung
neben oder nach einer Abschiebungsanordnung Anlass und Raum ist. Denn falls der
Kläger tatsächlich wie angeordnet aus der Haft heraus abgeschoben wird, entfaltet die
Abschiebungsandrohung gar keine Wirkung. Gelangt der Kläger entgegen der Intention
der Beklagten doch noch im Bundesgebiet auf freien Fuß, sodass die
Abschiebungsandrohung überhaupt zum Zuge kommt, ist diese jedenfalls rechtmäßig.
Sie ist in der gebotenen Schriftform ergangen (vgl. § 59 Abs. 1 AufenthG) und belässt
ihm mit 2 Wochen eine in Anbetracht der Gefährlichkeit des Klägers sicher
angemessene Frist.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, die über die vorläufige
Vollstreckbarkeit auf den §§ 84 Abs. 1 Satz 3, 167 Abs. 2, Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§
708 Nr. 11, 711 ZPO.
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