Urteil des VG Darmstadt vom 16.11.2007

VG Darmstadt: botschaft, ausreise, pass, aufenthaltserlaubnis, kanada, ausländer, abschiebung, vollstreckung, eritrea, europarecht

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Gericht:
VG Darmstadt 5.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 E 2237/06 (3)
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 25 Abs 5 S 3 AufenthG 2004
(Zur unverschuldeten Ausreise i.S.v. § 25 Abs 5 S 3 und 4
AufenthG 2004 - Mitwirkung zur Passbeschaffung)
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten
abwenden, falls nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben
Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger ist äthiopischer Staatsangehöriger und reiste am 29.03.2003 im Alter
von 15 Jahren ins Bundesgebiet ein und stellte einen Asylantrag. Der Asylantrag
wurde mit Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer
Flüchtlinge vom 05.08.2003 abgelehnt; die hiergegen vor dem VG Frankfurt am
Main erhobene Klage blieb erfolglos. Bestandskraft trat am 28.10.2003 ein.
Am 04.12.2003 stellte der Beklagte dem Kläger erstmals eine Duldung aus. Mit
Schreiben vom 16.12.2003 forderte er den Kläger erstmals auf, sich um einen
Nationalpass zu bemühen. Erst am 29.06.2004 sprach der Kläger bei der
Botschaft Äthiopiens in Berlin vor. In der Folgezeit legte er ein Schreiben der
Botschaft vom 04.10.2004 vor, wonach er für die Ausstellung eines Passes drei
Zeugen benennen müsse.
Am 01.02.2005 teilte das Deutsche Rote Kreuz, das um Hilfe nach der Suche des
Aufenthaltsorts der Eltern des Klägers gebeten wurde, mit, eine Suchanfrage beim
Internationalen Roten Kreuz sei wegen zu geringer Angaben nicht möglich.
Am 26.04.2005 beantragte der Kläger beim Beklagten, ihm eine
Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG auszustellen, da er sich
inzwischen mehr als 18 Monate geduldet im Bundesgebiet aufhalte.
Am 31.05.2005 suchte der Kläger das Konsulat von Eritrea in Frankfurt am Main
auf.
Am 08.06.2005 forderte der Beklagte den Kläger nochmals zur Vorlage von
Nachweisen über dessen Passbemühungen auf. Diese Aufforderung wiederholte er
am 11.11.2005, ohne dass der Kläger in der Folgezeit entsprechende Aktivitäten
belegte.
Mit Bescheid vom 23.11.2005 lehnte der Beklagte den Antrag vom 26.04.2005 ab.
Zur Begründung führte er aus, der Kläger habe trotz mehrerer Aufforderungen, ein
Rückreisedokument vorzulegen, keine zumutbaren Anstrengungen unternommen.
Er habe sich nicht an seine Mutter und seine vier Geschwister oder an seine
frühere Schule gewandt. Dieser Bescheid wurde dem Kläger ohne
Rechtsbehelfsbelehrung durch einfachen Brief bekannt gegeben.
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Am 07.11.2006 hat der Kläger vor dem erkennenden Gericht Klage erhoben. Er
trägt vor, er habe mehrfach beim äthiopischen Generalkonsulat vorgesprochen;
seine Versuche seien stets ergebnislos geblieben. Er habe keinen Kontakt mehr zu
seinen Familienangehörigen, insbesondere zu seiner Mutter. Die Mutter sei als
Eritreerin inhaftiert worden und auch über den Suchdienst des IRK nicht auffindbar.
Zum älteren Bruder habe er keinen Kontakt.
Der Kläger beantragt,
unter Aufhebung des ablehnenden Bescheids vom 23.11.2005 den Beklagten
zu verpflichten, dem Kläger eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG
zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er bezieht sich zur Begründung auf die angefochtenen Bescheide und trägt
ergänzend vor, die Ablehnungsgründe des Bescheids träfen immer noch zu. Der
Kläger habe die Verwandten nicht bei der Botschaft als Zeugen benannt. Er habe
dem Suchdienst des IRK nicht seine letzte Anschrift genannt und auch sonst keine
Mitwirkung an der Passbeschaffung nachgewiesen. Letztlich zeige sein
Ausreiseversuch von Anfang Februar 2007 nach Kanada, dass er nicht gedenke,
sich Rückreisedokumente zu beschaffen.
Am 12.02.2007 wurde der Kläger durch die Bundespolizei in Lörrach bei der
Einreise nach Deutschland im Nachtzug aus Mailand aufgegriffen. Der Kläger hatte
zuvor den deutschen Pass seines Freundes, der ihm ähnlich sieht, gestohlen. Er
hatte sich dann ein Flugticket für Toronto gekauft, wobei ein Zwischenaufenthalt in
Mailand vorgesehen war. Während der Kläger bei der Ausreise aus Deutschland
keine Schwierigkeiten hatte, entdeckte die Italienische Polizei in Mailand, dass der
Kläger einen fremden Pass verwendete, zog diesen ein, und wies den Kläger aus
Italien aus. Der Kläger blieb dann noch acht Tage in Mailand und fuhr angeblich mit
dem Geld eines älteren Äthiopiers mit dem Zug nach Deutschland zurück.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und auf die beigezogenen Behördenakten des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die mangels ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrung binnen Jahresfrist (§ 58
Abs. 2 VwGO) zulässigerweise erhobene Klage ist nicht begründet, denn der Kläger
hat keinen Anspruch auf eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG.
Nach § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG kann einem Ausländer, der vollziehbar
ausreisepflichtig ist, abweichend von § 11 Abs. 1 eine Aufenthaltserlaubnis erteilt
werden, wenn seine Ausreise aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen
unmöglich ist und mit dem Wegfall der Ausreisehindernisse in absehbarer Zeit
nicht zu rechnen ist. Nach § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG soll die
Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn die Abschiebung seit 18 Monaten
ausgesetzt ist. Sie darf in diesem Falle aber nur erteilt werden, wenn der Ausländer
unverschuldet an der Ausreise gehindert ist (§ 25 Abs. 5 Satz 3 AufenthG). Ein
Verschulden des Ausländers liegt insbesondere vor, wenn er falsche Angaben
macht oder über seine Identität oder Staatsangehörigkeit täuscht oder zumutbare
Anforderungen zur Beseitigung der Ausreisehindernisse nicht erfüllt (§ 25 Abs. 5
Satz 4 AufenthG).
Nach gefestigter Rechtsprechung bildet die Regelung des § 25 Abs. 5 Satz 2
AufenthG keine eigenständige Rechtsgrundlage. Nach Wortlaut und Systematik
der Vorschrift knüpft die Regelung an die tatbestandlichen Voraussetzungen des §
25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG an und modifiziert, sofern das zusätzliche
Tatbestandsmerkmal „Aussetzung der Abschiebung seit 18 Monaten" erfüllt ist,
lediglich die Rechtsfolge (BVerwG, Urt. v. 27.06.2006 – 1 C 14.05 – juris, Rdnr. 22;
Hess. VGH, Urt. v. 07.07.2006 – 7 UE 509/06 – juris, Rdnr. 70). Mithin müssen
zunächst die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 1 AufenthG gegeben sein.
Das ist nicht der Fall. Nach Auffassung des Gerichts kann davon ausgegangen
werden, dass das tatsächliche Abschiebungshindernis des fehlenden
Rückreisedokumentes entweder aufgrund einer geänderten Haltung des Klägers
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Rückreisedokumentes entweder aufgrund einer geänderten Haltung des Klägers
oder durch Intensivierung diplomatischer Bemühungen, wie dies in der
Vergangenheit nach den Beobachtungen des Gerichts gerade bei Äthiopien und
Eritrea geschehen ist, in absehbarer Zeit beseitigt werden kann.
Diese Einschätzung ist vor allem deshalb geboten, weil der Kläger bisher
überhaupt noch keine ausreichenden Anstrengungen unternommen hat, an der
Beschaffung eines Passes mitzuwirken und für die Annahme, auch bei
nachgewiesenem Kooperationswillen erweise sich eine Passbeschaffung als
nahezu unmöglich, es derzeit an jeglichen Anzeichen fehlt.
Schon der erhebliche Zeitabstand von mehr als einem halben Jahr zwischen erster
Aufforderung (16.12.2003) und den ersten nachgewiesenen Bemühungen
(29.06.2004) deutet darauf hin, dass es dem Kläger an einem Mitwirkungswillen
gefehlt hat. Auch in der Folgezeit hat es dem Kläger, was seine informatorische
Befragung in der mündlichen Verhandlung ergeben hat, zu allen Zeiten an
konstruktiven Bemühungen gefehlt, an einen Nationalpass oder ein sonstiges
Rückreisedokument zu gelangen. Die Wiedergabe der Vorsprache in der
äthiopischen Botschaft in Berlin lässt erkennen, dass der Kläger bei seiner
Schilderung vor allem die angebliche Unmöglichkeit, an einen Pass zu kommen, in
den Mittelpunkt rückt, anstatt zu beschreiben, was konkret die Botschaft von ihm
verlangt hat und warum es ihm nicht möglich war, dieses Verlangen zu erfüllen. Er
hat auch nicht vorgetragen, was er von sich aus unternommen hat,
Zugeständnisse von der Botschaft zu erreichen, um etwaige aus seiner Sicht
unerfüllbare Anforderungen durch andere Nachweise zu kompensieren. Der Kläger
hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, Angaben über frühere Adressen, über
Namen der Angehörigen, über seine früheren Wohnorte oder über die Schulen, die
er besucht hat, vorzutragen, geschweige denn etwaige Nachweise darüber der
Botschaft vorzulegen.
Seine Behauptung, er habe Ende 2005 noch einmal in der Botschaft
vorgesprochen, ist unglaubhaft. Weder hat er Nachweise darüber erbracht, dass er
überhaupt in Berlin war, noch vermochte er in lebensnaher detailreicher
Schilderung vorzutragen, wie dieses zweite Gespräch im Einzelnen verlaufen ist.
Das Gericht hat nach alledem den Eindruck, dem Kläger sei es sehr recht, dass die
Botschaft ihm nicht ohne weiteres einen Nationalpass ausstelle, und als sei er der
letzte, der an diesem Zustand etwas ändern wolle.
Nicht zuletzt sein Ausreiseversuch nach Kanada belegt, dass er keinerlei Interesse
an der Beschaffung von Rückreisepapieren hat. In der mündlichen Verhandlung hat
der Kläger auf die Frage, warum er den entwendeten deutschen Pass nicht für eine
Rückkehr in sein Heimatland benutzt hat, nochmals ausdrücklich dargelegt, nicht
in sein Heimatland zurückkehren zu wollen. Der Versuch, mit einem fremden Pass
in einen Drittstaat weiterzureisen, dokumentiert ebenfalls die mangelnde
Rückkehrbereitschaft und deckt sich mit seiner gegenüber der Botschaft
eingenommenen Haltung, aktiv nichts zu unternehmen, was die Rückkehr in sein
Heimatland ermöglichen könnte.
Die Voraussetzungen des § 25 Abs. 5 Satz 2 AufenthG liegen zwar vor. Die
vorstehenden Ausführungen zum mangelnden Mitwirkungswillen erfüllen jedoch
zugleich die Ausschlussgründe des § 25 Abs. 5 Satz 3 und 4 AufenthG.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO i. V. mit § 167
VwGO.
Beschluss
Der Streitwert wird endgültig auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus §§ 52, 63 Abs. 2 GKG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.