Urteil des VG Darmstadt vom 14.01.2003
VG Darmstadt: politische verfolgung, wiedereinsetzung in den vorigen stand, gefährdung, wahrscheinlichkeit, ausreise, anerkennung, amnesty international, genfer flüchtlingskonvention, festnahme
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Gericht:
VG Darmstadt 7.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 E 30119/98.A
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 16a GG, § 51 Abs 1 AuslG,
§ 53 AuslG, § 108 Abs 1 VwGO,
§ 28 AsylVfG
Gefährdungslage von in die Türkei zurückkehrenden
Kurden und abschiebungsschutzrechtliche Beurteilung
einer angeblichen Autorenschaft für Artikel in einer
Parteizeitung.
Leitsatz
Die Erklärung einer kurdischen Volkszugehörigen, dass sie die Urheberschaft für
verschiedene in einer türkischen Zeitschrift erschienene Artikel übernehme, führen als
selbstgeschaffene Nachfluchttatbestände im Einzelfall nicht zur Asylanerkennung und
zur Feststellung von Abschiebungshindernissen.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen. Gerichtskosten werden nicht
erhoben.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten
abwenden, falls die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben
Höhe leistet.
Tatbestand
Die am ....1971 geborene Klägerin ist türkische Staatsangehörige kurdischer
Volkszugehörigkeit. Sie reiste am 07.06.1997 in das Bundesgebiet ein und
beantragte am 23.06.1997 ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Ihren Asylantrag
begründete sie nicht näher.
Bei der Anhörung im Rahmen der Vorprüfung vor dem C. am 27.06.1997 gab die
Klägerin an, sie habe am 07.06.1997 die Türkei verlassen und sei mit Aero-Lloyd
von Ankara nach Frankfurt geflogen. In Tunceli habe es oft Kontrollen der
Personalien gegeben. Da ihr Ehemann in der Türkei gesucht werde, habe man sie
immer wieder nach seinem Verbleib befragt. Sie hätten ihr gedroht und sie hätten
sie auch mit auf die Wache genommen. Vier bis fünf Männer seien auf einmal auf
sie losgegangen. Sie sei auf ihr Gesicht geschlagen worden, daraufhin sei sie zu
Boden gefallen. Als sie aufgestanden sei, hätten sie sie noch einmal getreten. Sie
hätten ihr immer wieder die Frage gestellt, wo ihr Ehemann sei. Sie habe daraufhin
gesagt, dass sich ihr Ehemann im Ausland befinde. Sie hätten auch ihre Familie
beschimpft. Sie sei noch einmal unter Aufsicht genommen worden und sie hätten
ihr gedroht, sie verschwinden zu lassen. Sie sei oft unter Druck gesetzt worden,
weil man ihrem Ehemann vorgeworfen habe, die TKP/ML zu unterstützen. Er sei
TKP/ML Mitglied.
Mit Bescheid vom 22.12.1997 lehnte das C. den Antrag der Klägerin ab und stellte
fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und § 53 AuslG nicht
vorlägen. Gleichzeitig forderte sie das Bundesamt zur Ausreise auf und drohte ihr
die Abschiebung an.
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Dieser Bescheid wurde der Klägerin am 07.01.1998 zugestellt.
Mit am 04.02.1998 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz hat die Klägerin Klage
erhoben.
Zur Begründung verweist sie auf ein Schreiben der UMUT Verlag und Presse
Industrie GmbH vom 10.04.2002, wonach gegen sie als Autorin verschiedener
Artikel in der Zeitschrift Devrim Yolunda Isci Köylü und gegen den verantwortlichen
Redakteur der Zeitschrift vor dem Staatssicherheitsgericht Istanbul unter der
Geschäftsnummer 2001/329 E Anklage wegen des Verstoßes gegen das
Antiterrorgesetz erhoben worden sei. Zwecks Minderungen der dem
verantwortlichen Redakteur drohenden Strafe habe sie bereits ihre Urheberschaft
hinsichtlich der ihm vorgeworfenen veröffentlichten Artikel bestätigt und dies auch
in einer notariellen Urkunde vom 26.03.2002 niedergelegt.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung vom 22.12.1997 aufzuheben
und die Beklagte zu verpflichten, die Klägerin als Asylberechtigte anzuerkennen
und festzustellen, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG vorliegen,
hilfsweise,
die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass Abschiebungshindernisse nach §
53 AuslG vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung bezieht sie sich auf den angefochtenen Bescheid.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Klägerin als Partei sowie
durch Einholung von amtlichen Auskünften durch das Auswärtige Amt. Wegen des
Ergebnisses der Beweiserhebung wird Bezug genommen auf Bl. 119, 120 und Bl.
130, 131 der GA. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes
wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakte sowie die den Kläger betreffende
Behördenakte des Bundesamtes (1 Heft) sowie 1 Heft Behördenakten des
Landkreises Darmstadt-Dieburg Bezug genommen.
Diese sind ebenso Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen wie die in
das Verfahren aufgrund der Verfügung vom 05.02.2002 eingeführten
Erkenntnisquellen (Türkei Liste 1 - 10) im Termin zur mündlichen Verhandlung und
mit Verfügung vom 06.01.2003 (Türkei Liste 0) und 08.01.2003 eingeführten
Erkenntnisquellen. Weiterhin sind beigezogen und zum Gegenstand der
Entscheidung gemacht worden die Gerichtsakten des Verwaltungsgerichts
Darmstadt des Ehemannes in dem Verfahren 7 E 30331/98.A(1).
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
Der Klägerin ist mit Beschluss vom 18.04.2002 Wiedereinsetzung in den vorigen
Stand gewährt worden.
Der Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung vom 22.12.1997 ist
rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1,
Abs. 5 VwGO). Der Klägerin steht in dem für die gerichtliche Entscheidung
maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung ein Anspruch auf
Anerkennung als Asylberechtigte gemäß Artikel 16 a Abs. 1 GG nicht zu.
Die Klägerin ist auch nicht aufgrund von Art. 16 a Abs. 2 GG, § 26 a Abs. 1 AsylVfG
von der Berufung auf das Asylgrundrecht ausgeschlossen, weil sie auf dem
Luftweg und damit nicht aus irgendeinem sicheren Drittstaat eingereist ist.
Die Angaben der Klägerin zum Reiseweg sind glaubhaft. Sie gab an, nach einem
etwa 3-stündigen Flug von Ankara nach Frankfurt mit der Fluggesellschaft Aero-
Lloyd mit Hilfe von Schleppern mittels eines gefälschten Passes eingereist zu sein.
Asylrecht als politisch Verfolgter im Sinne des Artikel 16 a Abs. 1 GG genießt, wer
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Asylrecht als politisch Verfolgter im Sinne des Artikel 16 a Abs. 1 GG genießt, wer
bei seiner Rückkehr in seine Heimat aus politischen Gründen
Verfolgungsmaßnahmen mit Gefahr für Leib und Leben oder Beeinträchtigungen in
seiner persönlichen Freiheit zu erwarten hat (BVerfG, 02.07.1980 – 1 BvR 147/80 u.
a. –, BVerfGE 54, 341). Eine Verfolgung ist in Anlehnung an den Flüchtlingsbegriff
des Artikel 1 Abschnitt A Nr. 2 Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge
vom 28.07.1951 (BGBl. 1953 II S. 560) als politisch im Sinne von Artikel 16 a Abs. 1
GG anzusehen, wenn sie auf die Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu
einer bestimmten sozialen Gruppe oder die politische Überzeugung des
Betroffenen zielt (BVerfG, 01.07.1987 – 2 BvR 478/86 u. a. –, BVerfGE 76, 143).
Werden nicht Leib, Leben oder physische Freiheit gefährdet, sondern andere
Grundfreiheiten, wie etwa die Religionsausübung oder die berufliche und
wirtschaftliche Betätigung, so sind allerdings nur solche Beeinträchtigungen
asylrelevant, die nach Intensität und Schwere die Menschenwürde verletzen und
über das hinausgehen, was die Bewohner des Heimatstaats aufgrund des dort
herrschenden Systems allgemein hinzunehmen haben (BVerfG, 01.07.1987,
a.a.O.).
Von wesentlicher Bedeutung für die Anerkennung als Asylberechtigte ist, ob die
Klägerin vorverfolgt oder unverfolgt ausgereist ist. Einem Asylbewerber, der in der
Vergangenheit bereits politisch verfolgt worden ist, darf auch bei einer Änderung
der politischen Verhältnisse in seinem Heimatland der Schutz des Artikel 16 a Abs.
1 GG nur dann versagt werden, wenn bei einer Rückkehr in diesen Staat eine
Wiederholung von Verfolgungsmaßnahmen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit
ausgeschlossen ist (BVerfG, 02.07.1980, a. a. O.). Hat der Asylsuchende hingegen
seinen Heimatstaat unverfolgt verlassen, so kann sein Asylantrag nach Artikel 16
a Abs. 1 GG nur Erfolg haben, wenn ihm aufgrund von beachtlichen
Nachfluchttatbeständen politische Verfolgung droht (BVerfG, 26.11.1986 – 2 BvR
1058/85 –, BVerfGE 74, 51; BVerwG, 20.11.1990 – 9 C 74.90 –, BVerwGE 87, 152).
Die Gefahr eigener politischer Verfolgung eines Asylbewerbers kann sich auch aus
gegen Dritte gerichtete Maßnahmen ergeben, wenn diese Dritten wegen eines
asylerheblichen Merkmals verfolgt werden, das er mit ihnen teilt, und wenn er sich
mit ihnen in einer nach Ort, Zeit und Wiederholungsträchtigkeit vergleichbaren
Lage befindet und deshalb seine eigene bisherige Verschonung von
ausgrenzenden Rechtsbeeinträchtigungen als eher zufällig anzusehen ist (vgl.
BVerfG, 23.01.1991 – 2 BvR 902/87, 515/89, 1827/89 –, BVerfGE 83, 216, 231 =
NVwZ 1991, 768 [769] = DVBl. 1991, 531 [532] = EZAR 202 Nr. 20 und BVerwG,
23.07.1991 – 9 C 154/90 –, DVBl. 1991, 1089 [1091]).
Die Klägerin, von deren kurdischer Volkszugehörigkeit das Gericht im Hinblick auf
die glaubhaften und von der Beklagten nicht bestrittenen Angaben überzeugt ist,
hat bis zu ihrer Ausreise im Juni 1997 keine politische Verfolgung erlitten.
Das Gericht geht auf der Grundlage der in das Verfahren eingeführten
Erkenntnisquellen allerdings davon aus, dass die Klägerin aufgrund ihrer
kurdischen Volkzugehörigkeit als Kurdin, die aus einer der Notstandsprovinzen
stammt, in diesen Gebieten einer (örtlich begrenzten) Gruppenverfolgung
ausgesetzt war (Hess. VGH, Urt. v. 21.01.1994 – 12 UE 200/91 –; Urt. v.
20.02.1995 – 12 UE 1658/94 –; Urt. v. 22.04.1996 – 12 UE 502/95 –; Urt. v.
05.05.1997 – 12 UE 500/96 –; Urt. v. 07.12.1998 – 12 UE 232/97.A –; Urt. v.
27.03.2000 – 12 UE 583/99.A –).
Richtet sich politische Verfolgung gegen Gruppen von Menschen, die durch
gemeinsame Merkmale wie etwa Rasse, Religion oder politische Überzeugung
verbunden sind, so ist in aller Regel davon auszugehen, dass sich die Verfolgung
gegen jeden Angehörigen der verfolgten Gruppe richtet. Das bedeutet, dass jeder
Angehörige der Gruppe in seiner Person als unmittelbar mitbetroffen anzusehen
ist, wenn nicht Tatsachen die dafür sprechende Regelvermutung widerlegen
(BVerwG, Urt. v. 02.08.1983 – 9 C 599.81 –, BVerwGE 67, 314 [315]; BVerfG,
Beschl. v. 02.02.1996 – 2 BvR 1576/94 –, AuAS 1996, 68 m. w. N.). Anhaltspunkte
dafür, dass diese Regelvermutung widerlegt wäre, sind nicht ersichtlich.
Auch wenn die Klägerin einer örtlich begrenzten Gruppenverfolgung ausgesetzt
war, so wäre ihr ein Verbleib im Heimatland möglich und zumutbar gewesen, da
sie auf die generell bestehende Fluchtalternative im Westen der Türkei zu
verweisen war.
Wer von nur regionaler oder örtlich begrenzter politischer Verfolgung betroffen ist,
ist erst dann politisch Verfolgter im Sinne des Artikel 16 a Abs. 1 GG, wenn er
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ist erst dann politisch Verfolgter im Sinne des Artikel 16 a Abs. 1 GG, wenn er
landesweit in eine ausweglose Lage versetzt wird und nicht in anderen Teilen
seines Heimatlandes Zuflucht finden kann. Eine inländische Fluchtalternative setzt
voraus, dass der Asylsuchende in den in Betracht kommenden Gebieten vor
politischer Verfolgung mit dem nach dem Prognosemaßstab für die
Nachfluchtgründe notwendigen Überzeugungsgrad sicher ist und ihm dort auch
keine anderen Nachteile und Gefahren drohen, die nach ihrer Intensität und
Schwere einer asylerheblichen Rechtsgutbeeinträchtigung aus politischen Gründen
gleichkommen, sofern diese existenzielle Gefährdung am Herkunftsort so nicht
bestünde (BVerfG, Beschl. v. 10.07.1989 – 2 BvR 502/86 u. a. –, BVerfGE 80, 315
und Beschl. v. 10.11.1989 – 2 BvR 403/84 u. a. –, BVerfGE 81, 58). Asylerheblich ist
eine existenzielle Gefährdung erst dann, wenn dem Asylbewerber ein Leben unter
dem Existenzminimum droht, das zu einer verfolgungsunabhängigen Verelendung
führt und sich als Eingriff in die Menschenwürde darstellt (BVerfG, Beschl. v.
02.07.1980 – 1 BvR 147/80 – BVerfGE 54, 341 = NJW 1980, 2641; BVerwG, Urt. v.
23.11.1982 – 9 C 844.80 –, DÖV 1983,206 ; BVerwG, Urt. v. 20.10.1987 – 9 C
42.87-, InfAuslR 1988, 22).
Ein von örtlich begrenzter Verfolgung Betroffener kann auf verfolgungsfreie andere
Gebiete nur verwiesen werden, wenn ihn dort andere existenzbedrohende
Gefahren nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit erwarten. Bei einem
Asylbewerber, der zwar der ethnisch, religiös oder sonst abgegrenzten Gruppe
angehört, aber nicht zu der Personengruppe zu rechnen ist, die örtlich verfolgt ist,
kann von vornherein angenommen werden, dass er ohne Gefahr kollektiver
Verfolgung in seiner Heimat oder sonst außerhalb des Verfolgungsgebietes leben
kann. Auf die Möglichkeit eines nicht von existenziellen Risiken wirtschaftlicher Art
bedrohten Lebens kommt es für ihn nicht an (Hess. VGH Urt. v. 07.12.1998 – 12
UE 2091/98 –; Urt. v. 13.12.1999 – 12 UE 2984.97 –; Urt. v. 27.03.2000 – 12 UE
583/99.A –).
Eine solche Situation war für Kurden zum Zeitpunkt der Ausreise der Klägerin
grundsätzlich in der Westtürkei gegeben (Hess. VGH, Urt. v. 24.01.1994 – 12 UE
200/91 –; Urt. v. 19.01.1998 – 12 UE 1624/95 –; Urt. v. 07.12.1998 – 12 UE
2091/98 –; Urt. v. 27.01.1999 – 6 UE 1253/96.A –; Urt. v. 13.12.1999 – 12 UE
2984/97.A; Urt. v. 27.03.2000 – 12 UE 583/99.A –). Nach Schätzungen leben etwa
die Hälfte bis annähernd zwei Drittel der kurdischstämmigen Bevölkerung im
Westen und an der Südküste der Türkei (AA, Lageberichte v. 13.03.1995,
17.04.1996, 18.09.1998 und 07.09.1999). Die Abwanderung in den Westen der
Türkei beruht meist auf wirtschaftlichen Gründen. Zur wirtschaftlichen Situation in
west- und südtürkischen Städten sind keine generalisierenden Aussagen möglich.
Ihre Bandbreite reicht von einem beträchtlichen Wohlstand bis zu einem Leben in
Armutsquartieren an der Peripherie der Großstädte (AA, Lagebericht v. 07.09.
1999).Die wirtschaftliche Situation der in der Westtürkei lebenden
kurdischstämmigen Bevölkerung hängt vorrangig nicht von ihrer
Volkszugehörigkeit, sondern überwiegend von ihrem Bildungs- und
Ausbildungsstand und ihrer sozialen Einbindung ab (AA an VG Hamburg v.
15.10.1991 sowie Lagebericht v. 07.09.1999; Kaya an VG Aachen v. 11.04.1995, S.
33).
Zum gegenwärtigen Zeitpunkt liegen konkrete Anhaltspunkte nicht vor, dass
Kurden generell die Gefahr eines Lebens unter dem Existenzminimum drohen
würde (vgl. AA, Lageberichte v. 13.03.1995, 07.12.1995 , 18.09.1998 und
07.09.1999; Sen und Akkaya an OVG Meck.-Vorp. v. 17.03.1997; AA an OVG
Meck.-Vorp. v. 07.04.1997).
Die Einschätzung des Gerichts zum Bestehen einer inländischen Fluchtalternative
für Kurden in den westlichen Landesteilen der Türkei entspricht im Übrigen der
überwiegenden obergerichtlichen Rechtsprechung (Hess. VGH seit Urt. v.
24.01.1994 – 12 UE 200/91 –, zuletzt etwa Urt. v. 19.01.1998 – 12 UE 1624/95 –;
Urt. v. 14.10.1998 – 6 UE 214/98; Urt. v. 13.12.1999 – 12 UE 2984/97.A –; Urt. v.
27.03.2000 – 12 UE 583/99.A –; Nieders. OVG, Urt. v. 22.01.1998 – 11 L 4300/96 –;
Urt. v. 18.01.2000 – 11 L 3404/96 –; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 22.07.1999 – A 12 S
1891/97 –; Hamb. OVG, Urt. v. 19.03.1997 – BfV 10/91 -; 01.09.1999 – 5 BfV 2/92
–; OVG Nordrh.-Westf., Urt. v. 28.10.1998 – 25 A 1284/96.A –; 15.09.1999 – 8 A
2285/99; OVG Saarland, Urt. v. 18.08.1999 – 9 Q 66/98 –; Sächs. OVG, Urt. v.
27.02.1997 – A 4 S 434/96 –; OVG Rheinl.-Pf., Urt. v. 31.10.1998 – 10 A 12577/97
–; OVG Sachs.-Anh., Urt. .v. 29.04.1999 – A 1 S 155/97 –; OVG Bremen, Urt. v.
18.03.1998 – 2 BA 30/96 –).
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Im Hinblick auf die Sicherheitslage in der Westtürkei bestand für kurdische
Volkszugehörige, soweit sie in ihrer Heimat allenfalls der marginalen
Unterstützung der PKK verdächtig waren ohne sich aktiv und hervorgehoben für
separatistische Bestrebungen einzusetzen, die Möglichkeit, außerhalb ihrer
Heimatprovinz und gegebenenfalls den Notstandsgebieten grundsätzlich
unbehelligt zu leben (Rumpf an VG Bremen v. 15.09.1992; AA an VG Bremen v.
19.11.1992; AA an VG Wiesbaden v. 02.02.1993; AA, Ergänzung zum Lagebericht
v. 06.06.1994; AA, Lageberichte v. 30.06.1995 und 07.09.1999).
Dieses galt auch hinsichtlich der allgemeinen politischen Entwicklung in den Jahren
1993 und später. Zwar hat die PKK 1993 in die Auseinandersetzung auch türkische
Tourismuszentren an der Mittelmeerküste einbezogen (FAZ v. 29.06.1993 u.
03.07.1993; ai, Türkei (Kurden) v. 21.08.1993). Auch ließ sich in den Großstädten in
der Westtürkei eine zunehmende Anzahl von Razzien, Überprüfungen und
Verhaftungen feststellen (ai, 01.10.1995 – Türkei, Menschenrechtssituation für
Kurden – Gefährdung v. Rückkehrern). Dies beruht darauf, dass die
Sicherheitskräfte unter den neu aus den östlichen Provinzen hinzugezogenen
Kurden einen hohen Anteil von PKK-Anhängern vermuteten (Gesellschaft für
bedrohte Völker an VG Aachen v. 03.03.1995; Oberdiek an VG München v.
26.05.1995). Nach Informationen, die auf Berichten von türkischen
Menschenrechtsvereinen beruhen, kam es z. B. im Jahr 1994 zu 14.473
Festnahmen (Gesellschaft für bedrohte Völker an VG Aachen v. 03.03.1995).
Daneben sind weitere Fälle ungeklärter Morde, Bombenanschläge, z. B. in Adana
und Mersin im März 1995 bekannt geworden, deren Täter sich nicht ermitteln
ließen (Oberdiek, a. a. O., S. 42–52). Soweit nach den vorliegenden
Erkenntnisquellen über Ausschreitungen berichtet wird, fehlen entsprechende
Anhaltspunkte dafür, dass diese vom türkischen Staat veranlasst oder geduldet
wurden. Übergriffe Dritter sind dem Staat nur dann zuzurechnen, wenn er gegen
Verfolgungsmaßnahmen Privater grundsätzlich keinen effektiven Schutz gewährt
(Hess. VGH, Urt. v. 17.07.1995 – 12 UE 2621/94 – u. Urt. v. 05.02.1996 – 12 UE
4174/95 –).
Soweit es auch in der neueren Zeit Übergriffe gegeben hat, rechtfertigt dies nicht
die Annahme, Kurden seien in der Westtürkei generell von asylrelevanten
Verfolgungsmaßnahmen bedroht. Nach der Festnahme Öcalans kam es zwar zu
Verhaftungswellen im Westen der Türkei (Oberdiek an VG Berlin v. 29.04.1999, Ai
an VG Aachen v. 30.04.1999). Dabei handelte es sich um anlassbezogene
Maßnahmen gegen bestimmte Verdachtsmomente aufweisende Personen (AA,
Lagebericht v. 07.09.1999, Oberdiek an VG Berlin, Rumpf an VG Darmstadt).
Betroffen waren insbesondere Mitglieder der HADEP, auch handelte es sich um
Verhaftungen anlässlich des kurdischen Neujahrsfestes Newroz oder um
Verhaftungen im Vorfeld der türkischen Parlaments- und Kommunalwahlen (Ai an
VG Aachen v. 30.04.1999). Oberdiek geht in einem Gutachten (30.04.1999 an VG
Berlin) davon aus, dass die Zahl der Festnahmen nur bedingt etwas über die
Gefährdung der „Rückkehrer“ aussage. Soweit in Einzelfällen gesicherte
Erkenntnisse über die Festnahme abgeschobener Kurden vorliegen (AA,
Lagebericht v. 07.09.1999, Oberdiek an VG Berlin v. 30.04.1999), lässt dies keinen
sicheren Rückschluss auf eine allgemein erhöhte Gefährdung von abgeschobenen
Asylbewerbern zu. Mithin führte die Verhaftung Öcalans nicht zu einer Steigerung
antikurdischer Tendenzen (Rumpf an VG Darmstadt v. 22.05.2000).
Insgesamt kann unter Berücksichtigung der großen Zahl der grundsätzlich
verfolgungsfrei im Westen und an der Südküste lebenden sechs bis acht Millionen
Kurden davon ausgegangen werden, dass ihnen dort nicht generell wegen ihrer
Volkszugehörigkeit politische Verfolgung drohte und somit eine inländische
Fluchtalternative bestand (Hess. VGH Urt. v. 13.12.1999 – 12 UE 2984/97.A –;
Hamb. OVG, Urt. v. 23.08.1995 – OVG BfV 88/89 –; OVG Nordrh.-Westf., Urt. v.
11.03.1996 – 25 A 5801/94 –; VGH Bad.-Württ., Urt. v. 14.12.1995 – A 12 S
2279/93 –; OVG Rheinl.-Pf., Urt. v. 04.12.1995 – 10 A 12970/95 –).
Dies traf auch auf die Klägerin zum Zeitpunkt der Ausreise zu.
Das Gericht hat auch nicht die notwendige Überzeugung (§ 108 Abs. 1 VwGO)
gewinnen können, dass die Klägerin in ihrem Heimatland einer individuellen
politischen Verfolgung ausgesetzt war oder eine solche ihr unmittelbar drohte –
was eingetretener Verfolgung gleichstünde – (vgl. BVerfG, 23.01.1991 – 2 BvR
1902/85 und andere –, EZAR 202 Nr. 20 = DVBl. 1991, 531).
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Das Gericht muss gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO die volle Überzeugung von
der Wahrheit und nicht etwa nur von der Wahrscheinlichkeit des von einem Kläger
oder einer Klägerin behaupteten individuellen Schicksals gewinnen. Aus dem
sachtypischen Beweisnotstand, in dem sich Asylbewerber insbesondere
hinsichtlich asylbegründender Vorgänge im Verfolgerland vielfach befinden, folgt,
dass dem persönlichen Vorbringen eines Klägers und dessen Würdigung
gesteigerte Bedeutung zukommt. So kann allein der Tatsachenvortrag des
Asylsuchenden zur Asylanerkennung führen, sofern seine Behauptung unter
Berücksichtigung aller sonstigen Umstände in dem Sinn „glaubhaft“ sind, dass
sich das Gericht von ihrer Wahrheit überzeugen kann. Dem Klagebegehren darf
jedenfalls nicht der Erfolg allein mit der Begründung versagt werden, neben der
Einlassung des Asylbegehrenden stünden keine Beweismittel zur Verfügung
(BVerwG, Urt. v. 16.04.1985 – 9 C 109.84 –, BVerwGE 71, 180 [181]; NVwZ 1985,
658 [660]). Ein Ausländer, der seine Anerkennung als Asylberechtigter erstrebt,
muss unter Angabe genauer Einzelheiten einen in sich stimmigen Sachverhalt
schildern, aus dem sich – als wahr unterstellt – ergibt, dass ihm – bei verständiger
Würdigung – politische Verfolgung mit hinreichender bzw. beachtlicher
Wahrscheinlichkeit droht, sodass ihm nicht zuzumuten ist, im Herkunftsland zu
bleiben oder nach dort zurückzukehren. Das Vorbringen eines Asylbewerbers darf
als unglaubhaft beurteilt werden, wenn es erhebliche, nicht überzeugend
aufgelöste Widersprüche enthält (BVerwG, Urt. v. 23.02.1988 – 9 C 273.86 –, DVBl.
1988, 653). Dabei bezieht sich die Notwendigkeit eines schlüssigen und im
Wesentlichen widerspruchsfreien Vortrages auf die gesamten Ausführungen des
Asylbewerbers in seinem Asylverfahren und im Gerichtsverfahren, da das gesamte
Anerkennungsverfahren eine Einheit bildet (vgl. BVerwG, Urt. v. 12.11.1985 – 9 C
27.85 –, InfAuslR 1986, 79 [81]).
Aufgrund der Angaben der Klägerin bei der Anhörung vor dem C. und der Angaben
bei der Beweisaufnahme in der mündlichen Verhandlung sieht es das Gericht nicht
als glaubhaft an, dass sie wegen ihres Ehemannes eine asylerhebliche individuelle
politische Verfolgung erlitten hat. Sie hat ihren Angaben bei der Beweisaufnahme
zufolge von Februar 1997 bis zu ihrer Ausreise am 07.06.1997 bei ihrer Freundin in
Istanbul gelebt. Sie gab an, sie sei in Istanbul ein- bis zweimal mit zur Wache
genommen und nach dem Verbleib ihres Ehemannes gefragt und mit Fäusten und
Füßen geschlagen worden . Bei der Anhörung vor dem C. hatte sie nur angegeben,
in Tunceli zweimal „unter Aufsicht“ genommen worden zu sein. Die Vorfälle in
Tunceli - selbst wenn es sich hierbei um asylerhebliche Übergriffe gehandelt haben
sollte - unterbrechen den Kausalzusammenhang zwischen fluchtauslösendem
Ereignis und erfolgter Flucht. Das Gericht sieht das Vorbringen der Klägerin, dass
sie auch in Istanbul festgenommen worden sein will, als gesteigert an. Nach
Auffassung des Gerichts machte sie diese Angaben nur, weil sie sich dadurch
Vorteile für ihr Asylverfahren erhoffte. Es drängt sich dem Gericht die Vermutung
auf, dass die Klägerin aus asylfremden Gründen die Türkei verlassen hat, um mit
ihrem Ehemann im Bundesgebiet zusammen leben zu können. Sie schilderte
ausführlich, dass sie nach dem Verbleib ihres Ehemannes befragt, auf die Wache
mitgenommen und auch geschlagen worden sei, nicht jedoch, warum nach ihrem
Ehemann gesucht wurde. Erst auf Nachfrage gab sie an, dass ihr Mann die TKP/ML
unterstützte. Die Angaben der Klägerin, da sie wegen der Unterstützung der
TKP/ML durch ihren Ehemann unter Druck gesetzt worden sein will, waren bei der
Anhörung vor dem C. so vage und allgemein gehalten, obwohl die Klägerin nach
dem persönlichen Eindruck, den das Gericht von ihr gewonnen hat auch damals
durchaus in der Lage war, wenn sie den geschilderten Druck tatsächlich erfahren
haben sollte, dies detaillierter zu schildern.
War die Klägerin bei ihrer Ausreise aus der Türkei nicht politisch verfolgt, ist für die
Prognose der Verfolgungsgefahr bei einer Rückkehr in die Türkei der „normale“
Maßstab einer beachtlichen Wahrscheinlichkeit anzulegen.
Zwar droht der Klägerin bei der Rückkehr in ihre Heimat nach der derzeitigen
Sachlage nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine politische Verfolgung allein
wegen ihrer kurdischen Volkszugehörigkeit. Bei der Beurteilung der Situation der
kurdischen Volkszugehörigen in der Türkei legt das Gericht die in das Verfahren
eingeführten Erkenntnisquellen zugrunde.
Auf dieser Grundlage geht das Gericht davon aus, dass Kurden landesweit in der
Türkei eine politische Verfolgung aufgrund einer Gruppenverfolgung nicht mehr zu
befürchten haben. Denn die Lage im Südosten der Türkei hat sich inzwischen so
verändert, dass eine Gruppenverfolgung kurdischer Volkszugehöriger seit Beginn
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verändert, dass eine Gruppenverfolgung kurdischer Volkszugehöriger seit Beginn
des Jahres 2002 auch dort nicht mehr besteht (Hess. VGH, Urt. v. 05.08.2002 – 12
UE 2982/00.A –; vgl. auch OVG Nordrh.-Westf., Urt. v. 27.06.2002 – 8 A 4782/99.A
–).
Seit der Verhaftung und Verurteilung Öcalans am 16.02.1999 hat sich die offizielle
Kurdenpolitik in der Türkei moderat gewandelt und die Lage im Südosten der
Türkei entspannt (AA, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in
der Türkei – Lagebericht – vom 09.10.2002, Stand: Mitte August 2002). So wurde
das noch für fünf Provinzen verhängte Notstandsrecht zum 01.12.1999 auch in der
Provinz Siirt aufgehoben (AA, Lagebericht vom 20.03.2002), am 19.06.2002 das
Notstandsrecht für die Provinzen Hakkari und Tuncelli und am 30.11.2002 auch für
die Provinzen Diyarbakir und Sirnak (TAZ vom 02.12.2002). Teil des Beschlusses
des Parlaments vom 19.06.2002 ist es allerdings auch, Hakkari und Tunceli zu so
genannten „angrenzenden Provinzen“ zu erklären. In diesen Provinzen hat der
Sondergouverneur der Notstandsgebiete den betroffenen Gouverneuren
gegenüber Weisungsbefugnis, deren Umfang noch nicht eindeutig bestimmt
worden ist. Kritiker gehen davon aus, dass der Sondergouverneur in der Praxis
auch in einer „angrenzenden Provinz“ über ähnliche Befugnisse wie in einer
Notstandsprovinz verfügt. In allen sieben Provinzen, in denen seit 1993 der
Notstand ausgelaufen ist, gilt bereits dieser Status als „angrenzende Provinz“
(Batman, Bingöl, Bitlis, Elazig, Mardin, Siirt, Van – AA, Lagebericht vom
09.10.2002).
Die in der Vergangenheit berichteten Maßnahmen gegen die PKK und der
Mitgliedschaft in dieser Organisation Verdächtigten haben offenbar nachgelassen.
Seit der Beilegung des bewaffneten Kampfes der PKK Ende 1999 wurden zunächst
keine Räumungen und Vertreibungen mehr bekannt (AA, Lagebericht vom
24.07.2001); seit August 2001 ist es nach Berichten des IHD nur noch vereinzelt
zu Dorfräumungen oder Vertreibungen gekommen (AA, Lagebericht vom
09.10.2002; Hess. VGH, Urt. v. 05.08.2002, a. a. O.).
Nach der Festnahme Öcalans am 16.02.1999 und seiner Inhaftierung in der Türkei
kam es zunächst zu einer Welle von Festnahmen im ganzen Land, insbesondere
von Mitgliedern und Anhängern der HADEP sowie der Gewerkschaften. Etwa 3.000
Personen sollen nach Angaben des IHD vorübergehend in Polizeigewahrsam
genommen worden sein, davon allein 1.400 in Diyarbakir (AA, Lagebericht vom
24.07.2001). Öcalan wurde wegen Hochverrats von dem Staatssicherheitsgericht
am 29.06.1999 gemäß § 125t StGB zum Tode verurteilt, das Urteil wurde am
25.11.1999 vom Kassationsgerichtshof bestätigt. Inzwischen ist die Todesstrafe
durch ein türkisches Staatssicherheitsgericht am 03.10.2002 in lebenslange Haft
umgewandelt worden. Damit entsprach das Gericht der Gesetzesänderung vom
August, mit der die Todesstrafe in Friedenszeiten abgeschafft worden war (FR vom
04.10.2002).
Öcalans Bruder Osman wurde im April 2000 in Abwesenheit des Hochverrats
angeschuldigt. Am 13.07.2000 wurde der PKK-Funktionär Soysal aus Moldawien in
die Türkei entführt und dort wegen Hochverrats angeklagt (Hess. VGH, Urt. v.
05.08.2002, a. a. O.). Nach der Eröffnung des Prozesses gegen Öcalan kam es
auch im Südosten zu Massenverhaftungen; in den Dörfern Tilkiler, Törolar,
Cöcenler, Salliusagi und Musolar (Kreis Pazarcik) wurden etwa 50 Personen
festgenommen, 17 wurden wieder freigelassen (ai an VG Bremen vom
01.07.1999). Nach dem Aufruf Öcalans zum Rückzug der PKK und der Aufgabe des
bewaffneten Kampfes im September 1999 haben zumindest Teile der PKK den
Rückzug angetreten (AA, Lagebericht vom 22.06.2000). Auch Kaya (an VG
Darmstadt vom 13.09.1999) berichtet von einem Rückzug der PKK seit September
1999, fügt aber hinzu, dass seither die kurdischen Bewohner der Dörfer in den
Provinzen Diyarbakir, Bingöl, Bitlis, Mus und Batman von Sicherheitskräften
aufgesucht worden seien, die sie einschüchtern sollten. Im Lagebericht des
Auswärtigen Amtes vom 07.09.1999 heißt es, dass sich im Herbst 1999 zwei
Gruppen von PKK-Mitgliedern in Istanbul und Hakkari den Sicherheitskräften
gestellt hätten; gegen sie wurden Verfahren eingeleitet. Es sei auch weiterhin zu
Übergriffen auf die Zivilbevölkerung gekommen, wobei als Grund für das Vorgehen
gegen Zivilisten regelmäßig der Verdacht der Zusammenarbeit mit der PKK
angegeben werde.
Im Südosten der Türkei wurden im Jahr 1999 bei Zusammenstößen zwischen PKK
und Militär 15 bis 20 PKK-Rebellen getötet. In einer Offensive Ende September
1999 marschierten 5.000 türkische Soldaten im Nordirak ein und griffen Stellungen
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1999 marschierten 5.000 türkische Soldaten im Nordirak ein und griffen Stellungen
der PKK an. Von Anfang April bis Mai 2000 fand eine großangelegte und
grenzüberschreitende Aktion statt, bei der auch Kampfflugzeuge eingesetzt
wurden. Innerhalb der Türkei sind die Kämpfe zwischen Militär und PKK aber
offenbar zum Erliegen gekommen, nur im Nordirak sollen PKK-Kämpfer weiterhin
von türkischen Einheiten bekämpft worden sein (AA, Lagebericht vom 24.07.2001)
Seit der Verhaftung und Verurteilung Öcalans, dessen Kapitulationsappellen und
nach verschiedenen Offensiven der türkischen Sicherheitskräfte ist die PKK nur
noch in wenigen Bergregionen im Südosten und Osten der Türkei und in
verminderter Stärke präsent; das Militär schätzt ihre Stärke jetzt auf noch 4.000
bis 4.500 Kämpfer, davon etwa 90 Prozent im Ausland, vor allem im Nord-Irak (AA,
Lagebericht vom 20.03.2002). Es fanden jedoch einzelne Auseinandersetzungen
statt; beispielsweise wurden in der Provinz Tunceli im Januar 2000 sechs Rebellen
und sechs Soldaten getötet, in Mardin und Sirnak sollen bei weiteren Kämpfen
insgesamt 15 PKK-Aktivisten und fünf Soldaten getötet worden sein und im
April/Mai 2000 insgesamt fünf Personen. Am 28.06.2001 kamen drei PKK-Kämpfer
in Diyarbakir ums Leben, am 11.07.2001 kam es in Tokat zu
Auseinandersetzungen, wobei ein PKK-Kämpfer getötet wurde (AA, Lagebericht
vom 24.07.2001).
Im Februar 2002 gab die PKK ihre Selbstauflösung bekannt (DE vom 07.02.2002);
sie kündigte an, ihre Tätigkeit in der Türkei und in den Ländern der Europäischen
Union unter dem Namen PKK einzustellen (AA, Lagebericht vom 30.03.2002). Die
seitherigen Aktivisten der Organisation wollen sich zukünftig unter anderem
Namen und mit friedlichen Mitteln für die Rechte der Kurden einsetzen (FAZ vom
27.02.2002). Führende türkische Politiker äußerten sich zurückhaltend zu diesen
Ankündigungen der PKK (FAZ vom 27.02.2002), während das Militär am Kampf
gegen die PKK festhält (AA, Lagebericht vom 20.03.2002).
Nachdem aber die PKK bereits dem Aufruf Öcalans vom September 1999 zum
Rückzug und zur Aufgabe des bewaffneten Kampfes zumindest teilweise gefolgt
ist, sind in den Jahren 2000 und 2001 nur noch vereinzelt Kämpfe zwischen der
restlichen Guerilla-Gruppe der PKK und den türkischen Sicherheitskräften im
Südosten der Türkei dokumentiert, diese Auseinandersetzungen haben gegenüber
den in den vorherigen Jahren festgestellten Kämpfen in Ausmaß und Häufigkeit
erheblich abgenommen. Auch die Zahl der Dorfräumungen und
Zwangsevakuierungen ist geringer geworden. Teilweise konnten die Bewohner
nach kurzer Zeit wieder in ihr Dorf zurückkehren.
Für die Zeit nach etwa 1999 ist daher aufgrund der nur noch vereinzelten Berichte
über Maßnahmen der türkischen Sicherheitskräfte gegen die Zivilbevölkerung in
den Notstandsgebieten, insbesondere aus der deutlichen Abnahme von
Räumungen von Dörfern unter Vertreibung der Zivilbevölkerung, ein
kontinuierlicher Rückgang der früher undifferenzierten, die Zivilbevölkerung
einbeziehenden Maßnahmen festzustellen (Hess. VGH, Urt. v. 05.08.2002 – 12 UE
2982/00.A –). Die Aktionen der Sicherheitskräfte stellen sich zumindest seit Anfang
des Jahres 2002 wieder als anlassbezogene Maßnahmen zur Verfolgung von
kleinen Gruppen von PKK-Kämpfern oder einzelner verdächtigter Personen dar. Die
dokumentierten Aktionen wie Verhaftungen von HADEP-Mitgliedern,
Demonstranten und sonst in irgendeiner Weise für kurdische Ziele aktiv
gewordenen Personen stellen verdachtsbezogene Maßnahmen dar. Für die Zeit
seit etwa Anfang 2002 kann somit nicht mehr festgestellt werden, dass die
Einbeziehung der unbeteiligten Zivilbevölkerung der Notstandsgebiete in die
Bekämpfung der PKK in einem derart unberechenbaren Ausmaß erfolgte, dass
jeder Bewohner der unter Notstandsrecht stehenden Gebiete als potenziell
Verfolgungsbetroffener anzusehen ist. Nachdem die PKK im Februar 2002 ihre
Selbstauflösung bekannt gegeben hat und die Forderungen nach einem eigenen
Staat für die Kurden nicht mehr weiter verfolgt, ist eine erneut zunehmende
Einbeziehung der Zivilbevölkerung in Kämpfe zwischen der PKK und türkischem
Militär im Südosten der Türkei in absehbarer Zeit auch nicht zu erwarten (so auch
Hess. VGH, Urt. v. 05.08.2002 – 12 UE 2982/00.A –).
Da Kurden also nicht nur im Westen der Türkei, sondern auch in den so genannten
Notstandsgebieten und den „angrenzenden Provinzen“ grundsätzlich
verfolgungsfrei leben können, erübrigen sich Feststellungen zu der Frage, ob sie
sich auch außerhalb der Notstandsgebiete die für eine bescheidene
Lebensführung ausreichende wirtschaftliche und finanzielle Grundlage schaffen
können.
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Die Klägerin hat auch aus individuellen Gründen wegen ihrer Nachfluchtaktivitäten
keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigte. Hierbei handelt es sich um
Nachfluchttatbestände im Sinne des § 28 Satz 1 AsylVfG.
Bei selbst geschaffenen Nachfluchttatbeständen kann eine Asylberechtigung in
aller Regel nur dann in Betracht gezogen werden, wenn sie sich als Ausdruck und
Fortführung einer schon während des Aufenthalts im Heimatland vorhandenen und
erkennbar betätigten festen Überzeugung darstellen, mithin als notwendige
Konsequenz einer dauernden, die eigene Identität prägenden und nach außen
kundgegebenen Lebenshaltung erscheinen (BVerfG, 26.11.1986, BVerfGE 74, 51;
BVerwG, 06.04.1992 – 9 C 143.90 –, EZAR 206 Nr. 7). Auf einen solchen
Tatbestand kann sich die Klägerin jedoch nicht berufen, weil die Schilderung ihrer
politischen Betätigungen in der Türkei – wie schon dargelegt – unglaubhaft ist.
Die Klägerin hat bei der informatorischen Anhörung lediglich angegeben, dass sie
für die TKP/ML sympathisiert habe. Bei der Beweisaufnahme hat sie angegeben,
dass sie die Zeitungen der TKP/ML gelesen und ab und zu mit ihrem Ehemann
Plakate geklebt habe. Diesen Vortrag sieht das Gericht als unglaubhaft an, da das
Gericht auch aufgrund ihres Vortrags und des Vorbringens des Ehemannes bei
seiner Beweisaufnahme der Überzeugung ist, dass die Klägerin die Türkei nicht aus
politischen Gründen verlassen hat und versucht auf diesem Wege sich ein
Bleiberecht im Bundesgebiet zu verschaffen. Die Klägerin hat auf die Ladung vom
20.02.2002 zum Termin zur mündlichen Verhandlung vorgetragen, dass sie sich
zwischenzeitlich selbst für die TKP/ML engagiere und für die Parteizeitung der
TKP/ML Artikel verfasse. Mit notarieller Erklärung vom 26.03.2002 hat sie die
Urheberschaft für verschiedene Artikel in der zweiwöchentlich erscheinenden
Zeitung Devrim Yolunda Isci Köylü (Arbeiter-Bauer auf dem Weg zur Revolution)
Ausgabe Nr. 11 und Ausgabe Nr. 16 übernommen. In einem am 09.04.2002 der
Klägerin vom Umut-Verlag übersandten Faxschreiben (Bl. 117 d. Akte) wird durch
den Verlag mitgeteilt, dass wegen der Artikel in der Ausgabe Nr. 9 und Nr. 11 des
Jahres 2001 gegen die Klägerin als Autorin und gegen den verantwortlichen
Redakteur der Zeitschrift, Baris Acikel vor dem Staatssicherheitsgericht Istanbul
Anklage unter der Geschäftsnummer 2100/329 E erhoben worden sei. In diesem
zeitlichen Zusammenhang fällt auf, dass die Klägerin die Verantwortung für die
Urheberschaft erst nach Erhalt der Ladung übernommen hat, obwohl die von ihr
(angeblich) verfassten Artikel bereits im August und September 2001
veröffentlicht wurden. Bei dieser Vorgehensweise drängt sich dem Gericht die
Vermutung auf, dass die Klägerin die Verantwortung für die Artikel nur
übernommen hat, weil sie sich Vorteile für ihr Asylverfahren erhoffte. Bei den von
der Klägerin vorgetragenen Nachfluchtaktivitäten handelt es sich nach Auffassung
des Gerichts nicht um die Fortführung einer schon während des Aufenthalts im
Heimatland vorhandenen und erkennbar betätigten festen Überzeugung.
Die Klägerin kann auch hinsichtlich der von ihr vorgebrachten Nachfluchtaktivitäten
keinen Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG beanspruchen.
Nach § 51 Abs. 1 AuslG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben
werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion,
Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe
oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Diese Voraussetzungen
decken sich mit den Voraussetzungen einer Anerkennung als Asylberechtigter im
Sinne von Art. 16 a GG, soweit die Verfolgungshandlung und vor allem ihre
Intensität, das geschützte Rechtsgut und der politische Charakter der Verfolgung
betroffen sind (BVerwG, Urt. v. 18.02.1992 – 9 C 59.91 –, NVwZ 1992, 892; Urt. v.
03.11.1992 – 9 C 21.92 –, BVerwGE 91, 150 [154] = NVwZ 1993, 486; Urt. v.
18.01.1994 – 9 C 48.92 –, BVerwGE 95, 42 [44 ff.]= NVwZ 1994, 497).
Einem Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen eines Abschiebeverbots
nach § 51 Abs. 1 AuslG steht weder entgegen, dass es an der Kausalität zwischen
Verfolgung und Flucht fehlt (BVerwG, Urt. v. 06.04.1992 – 9 C 143.90 –, BVerwGE
90, 127 [129]), noch wirkt es sich aus, wenn ein selbstgeschaffener
Nachfluchtgrund mangels Kontinuität asylrechtlich unbeachtlich ist (vgl. BVerfG,
Beschl. v. 26.01.1986 – 2 BvR 1058/85 –, BVerfGE 74, 51 [60, 64] zur
Vorgängervorschrift § 14 Abs. 1 AuslG 1965). Denn Kausalität und Kontinuität in
dem soeben angesprochenen Sinne sind Voraussetzungen nur für die besondere
Statusverleihung einer Asylberechtigung, nicht dagegen für den völkerrechtlich
verankerten Abschiebungsschutz im Sinne von Art. 33 Abs. 1 Genfer
Flüchtlingskonvention und § 51 Abs. 1 AuslG.
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Das Gericht ist aufgrund der in das Verfahren eingeführten und eingeholten
Auskünfte zu der Überzeugung gelangt, dass der Klägerin wegen der von ihr
abgegebenen Erklärung, dass sie die Urheberschaft für verschiedene Artikel
übernommen hat, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit keine politische Verfolgung
droht. Aus der gutachterlichen Stellungnahme von Oberdiek zu einem
Verwaltungsstreitverfahren des Verwaltungsgerichts Koblenz Az. 9 L 1709/02.KO
vom 15.09.2001 (richtig muss es wohl 15.09.2002 heißen) und den Auskünften des
Auswärtigen Amtes vom 06.09.2002 und 12.11.2002 sind gleichgelagerte Fälle
bekannt, in denen in Deutschland lebende Autoren „Autorenbescheinigungen“
eingereicht haben. Nach Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 12.11.2002 führt
die Vorlage einer derartigen Autorenbescheinigung für den in der Türkei
befindlichen Herausgeber zur Verminderung der Strafe des verantwortlichen
Redakteurs. Soweit bekannt, ist den Staatsanwälten bewusst, dass es sich bei
dem als Autor Benannten nicht um den tatsächlichen Autor handelt, sondern dass
er nur seinen Namen zur Verfügung stellt. Aus diesem Grund besteht kein
Interesse an seiner Strafverfolgung, die ansonsten auch bei Auslandsaufenthalten
in Abwesenheit in einem gemeinsamen Verfahren mit dem Herausgeber oder
Redakteur erfolgen würde. Im Falle der Klägerin ist bisher auch kein Verfahren vor
dem Staatssicherheitsgericht anhängig(AA an VG Darmstadt vom 06.09.2002).
Dies entspricht auch den Erfahrungen des Auswärtigen Amtes, dass Verfahren
sonst durchaus in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführten werden, sofern
die türkischen Behörden ein Interesse an seiner Strafverfolgung haben. Im
Umkehrschluss deutet dies darauf hin, dass die türkischen
Strafverfolgungsbehörden kein Interesse an einer Strafverfolgung haben. Die
Auskunft des Auswärtigen Amtes sieht das Gericht als realistische Einschätzung
der Situation an, da auch den türkischen Behörden bekannt sein dürfte, dass
derartige Erklärungen abgegeben werden, um sich einen Asylgrund zu verschaffen.
Die Einschätzung von Oberdiek in dem Gutachten vom 15.09.2002 (richtig wohl
15.09.2002) stellt sich nach Auffassung des Gerichts etwas zurückhaltender dar.
Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass der von Oberdiek begutachtete Fall mit
der der Klägerin nicht vergleichbar ist. Der Asylkläger des dortigen Verfahrens war
danach mehrfach in Verhandlungen vor dem Staatssicherheitsgericht - ebenfalls in
Verfahren gegen Herrn Acikel - als Autor verschiedener Artikel benannt worden.
Das heißt in diesem Fall waren mehrere Verfahren gegen den Redakteur anhängig,
im Falle der Klägerin aber nur in einem Fall. Dafür, dass auch gegen den Autor ein
Verfahren eingeleitet wird, hat der Gutachter angeführt, ließe sich keine exakte
Prognose abgeben. Prognostisch sicher erscheint dem Gericht auch nicht, dass
der Name der Autoren oder angeblichen Autoren an die Grenzbehörden
weitergegeben wird. Da es sich hierbei um eine wohl inzwischen aufgekommene
Praxis, die unter Asylbewerbern weitergegeben wird, handelt, erscheint es dem
Gericht unwahrscheinlich, dass in Einzelfällen zumindest wie im Falle der Klägerin
eine Weitergabe des Namens an die Grenzbehörden erfolgt.
Der Klägerin droht auch mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht die Gefahr, dass
sie im Falle ihrer Rückkehr an der Grenze oder auf dem Flughafen
Verfolgungsmaßnahmen ausgesetzt wird. Nach verschiedenen Gutachten und
Auskünften müssen zwar ehemalige Asylbewerber, die in die Türkei abgeschoben
werden oder freiwillig zurückkehren, damit rechnen, an der Grenze festgehalten
und einer intensiven Überprüfung unterzogen zu werden (AA, Bericht über die asyl-
und abschieberelevante Lage in der Türkei, vom 18.09.1998 [Stand: September
1998] – AA-Bericht 1998 – vom 07.09.1999 – AA-Bericht 1999; Ai vom 03.02.1999:
„Gefährdung von Kurden im Falle ihrer Abschiebung in die Türkei“; Kaya an VG
Augsburg von 11.02.1998; Rumpf an VG Berlin 24.07.1998 und an VG Sigmaringen
vom 04.03.1999; Oberdiek an VG Sigmaringen vom 28.10.1998 und an VG Berlin
vom 29.04.1999). Die Dauer der Haft und die Intensität der Maßnahmen hängen
davon ab, mit welchem Reisedokument sie einreisen, ob sie Türken oder Kurden
sind, aus welcher Region sie stammen und ob sie bereits in der Vergangenheit
aufgrund politischer Aktivitäten verfolgt worden oder in für die türkischen Behörden
sicherheitsrelevanter Weise aufgefallen sind (AA-Berichte 1998 und 1999; Ai vom
03.02.1999: „Gefährdung von Kurden im Falle ihrer Abschiebung in die Türkei“;
Kaya an VG Augsburg vom 11.02.1998; Rumpf an VG Berlin vom 24.07.1998).
Nach verschiedenen Auskünften sind Fälle von Verhaftungen nach Abschiebung
oder Rückreise in die Türkei bekannt geworden. Amnesty international berichtet
von sieben dokumentierten Fällen in einem Zeitraum von Dezember 1996 bis Juli
1998, hält die Dunkelziffer aber für weit höher (Ai vom 03.02.1999: „Gefährdung
von Kurden im Falle ihrer Abschiebung in die Türkei“), Veit von 38 Fällen aus den
Jahren 1993 bis 1998 (Veit vom 23.09.1998: „Liste bekannt gewordener Fälle von
Folter und Misshandlungen an Rückkehrern aus Deutschland“). Hierbei handelt es
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Folter und Misshandlungen an Rückkehrern aus Deutschland“). Hierbei handelt es
sich aber, gemessen an der im Zeitraum 1997 bis Mitte 1999 erfolgten
„Rückführungen“ von mehr als 16.500 Personen und der vermutlich wesentlich
höher liegenden Zahl von freiwilligen Rückkehrern türkischer Staatsangehörigkeit,
um Einzelfälle. Das Auswärtige Amt ist nach seinen Angaben stets allen konkreten
Hinweisen auf Folter – insbesondere an Abgeschobenen – nachgegangen.
Konkrete Hinweise darauf, dass ein aus Deutschland Abgeschobener misshandelt
worden wäre, lagen dem Auswärtigen Amt bis zum März 1997 in fünf Fällen vor
(AA-Berichte 1998 und 1999; AA an VG Sigmaringen vom 22.12.1998).
Demgegenüber konnten in den anderen überprüften Fällen behaupteter
Misshandlungen die Vorwürfe nicht bestätigt werden bzw. sie wurden ausdrücklich
als unglaubhaft bewertet.
Es erscheint dem Gericht zweifelhaft, dass es bei der Einreise von
zurückkehrenden kurdischen Asylbewerbern in großem Ausmaß zu Verhaftungen
und Folterungen kommen soll, ohne dass derartige Vorkommnisse in der
nationalen und internationalen Presse ihren Niederschlag finden. Auch Rumpf
gelangt zu der Auffassung, dass es in Hinblick auf die bestehenden
Kommunikationsmöglichkeiten eher unwahrscheinlich sei, dass es sich bei den
bekannt gewordenen Fällen nur um die „Spitze eines Eisbergs“ handelt (Rumpf an
VG Sigmaringen vom 04.03.1999). Insgesamt lassen die bekannt gewordenen
Zahlen den Schluss zu, dass kurdische Volkszugehörige bei einer Rückkehr mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit den Bereich der inländischen Fluchtalternative
ohne Gefahr drohender menschenunwürdiger Behandlung erreichen können.
Auch vor dem Hintergrund der Festnahme und der mittlerweile erfolgten
Verurteilung des PKK-Führers Öcalan kann nach wie vor nicht von einer erhöhten
Rückkehrgefährdung ausgegangen werden. In dem AA-Bericht 1999 heißt es
hierzu, dem Auswärtigen Amt lägen derzeit keine gesicherten Erkenntnisse
darüber vor, dass seit der Festnahme Öcalans aus Deutschland abgeschobene
türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit nach ihrer Rückkehr in
die Türkei Repressionen ausgesetzt gewesen seien. Allerdings sei angesichts der
hochemotionalisierten Atmosphäre im Zusammenhang mit dem Öcalan-Prozess
davon auszugehen, dass ein erhöhtes Risiko einer besonderen Gefährdung für
solche abzuschiebenden Personen bestehe, die sich bisher in der Kurdenfrage
engagiert hatten. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für asylrelevante
Verfolgungsmaßnahmen besteht mithin nur für solche Personen, die im
Zusammenhang mit prokurdischen Aktivitäten auffällig geworden sind und
entsprechend auch von dem türkischen Staat eingestuft werden. Demgegenüber
gibt es keinerlei konkrete Anhaltspunkte dafür, dass auch „unauffällige“
Asylbewerber einer erhöhten Gefährdung ausgesetzt wären. Insbesondere fehlt es
diesbezüglich an einer hinreichenden Zahl von Referenzfällen, zumal bei einem
erheblichen Teil der vom Auswärtigen Amt untersuchten Fälle behaupteter
Misshandlungen und Folterungen von abgeschobenen kurdischen Asylbewerbern
die Vorwürfe nicht bestätigt werden konnten. Die Klägerin gehört auch keiner
Personengruppe an, bei der möglicherweise ein erhöhtes Gefährdungspotenzial
angenommen werden kann. Dies gilt auch wie bereits ausgeführt hinsichtlich der
von ihr übernommenen Urheberschaft für verschiedene Artikel in der Zeitschrift
Devrim Yolunda Isci Köylü. Von daher kann unverändert kein gesteigertes
Interesse gerade an ihrer Person angenommen werden.
Auch vor dem Hintergrund der Festnahme und der mittlerweile erfolgten
Verurteilung des PKK-Führers Öcalan kann nach wie vor nicht von einer erhöhten
Rückkehrgefährdung ausgegangen werden. In dem AA-Bericht 1999 heißt es
hierzu, dem Auswärtigen Amt lägen derzeit keine gesicherten Erkenntnisse
darüber vor, dass seit der Festnahme Öcalans aus Deutschland abgeschobene
türkische Staatsangehörige kurdischer Volkszugehörigkeit nach ihrer Rückkehr in
die Türkei Repressionen ausgesetzt gewesen seien. Allerdings sei angesichts der
hochemotionalisierten Atmosphäre im Zusammenhang mit dem Öcalan-Prozess
davon auszugehen, dass ein erhöhtes Risiko einer besonderen Gefährdung für
solche abzuschiebenden Personen bestehe, die sich bisher in der Kurdenfrage
engagiert hatten. Eine beachtliche Wahrscheinlichkeit für asylrelevante
Verfolgungsmaßnahmen besteht mithin nur für solche Personen, die im
Zusammenhang mit prokurdischen Aktivitäten auffällig geworden sind und
entsprechend auch von dem türkischen Staat eingestuft werden. Demgegenüber
gibt es keinerlei konkrete Anhaltspunkte dafür, dass auch „unauffällige“
Asylbewerber einer erhöhten Gefährdung ausgesetzt wären. Insbesondere fehlt es
diesbezüglich an einer hinreichenden Zahl von Referenzfällen, zumal bei einem
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diesbezüglich an einer hinreichenden Zahl von Referenzfällen, zumal bei einem
erheblichen Teil der vom Auswärtigen Amt untersuchten Fälle behaupteter
Misshandlungen und Folterungen von abgeschobenen kurdischen Asylbewerbern
die Vorwürfe nicht bestätigt werden konnten. Die Klägerin gehört auch keiner
Personengruppe an, bei der möglicherweise ein erhöhtes Gefährdungspotenzial
angenommen werden kann. Von daher kann unverändert kein gesteigertes
Interesse gerade an ihrer Person angenommen werden.
Die Klägerin hat auch bei einer Rückkehr wegen den Nachfluchtaktivitäten ihres
Ehemannes keine politische Verfolgung zu befürchten. Zu dem hier maßgeblichen
Zeitpunkt der Entscheidung sind die Angaben des Ehemannes zu seinem
Eintreten für die TKP/ML unsubstantiiert und von ihm in keiner Weise glaubhaft
gemacht. Es bestehen erhebliche Zweifel an dem Wahrheitsgehalt seines
Vortrages, der erkennbar davon geprägt ist, den von ihm vor seiner Ausreise in die
Türkei in der Bundesrepublik Deutschland innegehabten Aufenthaltsstatus, auf
welchem Wege auch immer, wieder zu erlangen.
Ebenso wenig kann die Klägerin mit ihrem Hilfsbegehren durchdringen, weil
Abschiebungshindernisse gemäß § 53 AuslG nicht ersichtlich sind.
Insbesondere ist nicht dargetan oder ersichtlich, dass ihr die konkrete Gefahr der
Folter oder anderer menschenrechtswidriger Behandlung i. S. von § 53 Abs. 4
AuslG i. V. mit Art. 3 EMRK droht. Auch sind sonstige Anhaltspunkte nicht dafür
ersichtlich, dass sie bei einer Rückkehr sonstigen Beeinträchtigungen ausgesetzt
ist, die unter § 53 AuslG fallen.
Die Abschiebungsandrohung ist ebenfalls rechtmäßig; die Klägerin ist zur Ausreise
aus dem Bundesgebiet verpflichtet, da sie kein Bleiberecht hat (§ 34 Abs. 1
AsylVfG).
Da die Klägerin unterlegen ist, hat sie die Kosten des Verfahrens gemäß § 154
Abs. 1 VwGO zu tragen.
Die Gerichtskostenfreiheit folgt aus § 83 b Abs. 1 AsylVfG.
Der Gegenstandswert ist in § 83 b Abs. 2 AsylVfG bestimmt.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711
ZPO i. V. mit § 167 VwGO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.