Urteil des VG Darmstadt vom 16.10.2009

VG Darmstadt: wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, örtliche zuständigkeit, verfügung, aufschiebende wirkung, öffentliche sicherheit, gefahr im verzug, vollziehung, körperliche unversehrtheit

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Gericht:
VG Darmstadt 3.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 L 1179/09.DA
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 31 Abs 3 SOG HE, § 11 SOG
HE
Gefahrenabwehr bei Gefahr durch Sexualstraftäter:
Zulässigkeit eines allgemeinen Kontaktverbots zu
Minderjährigen bei früherer Verurteilung wegen sexuellen
Mißbrauchs von Kindern und wiederholt erfolgter
Annäherung an Kinder; Zulässigkeit eines
Aufenthaltsverbotes für ein in freier Trägerschaft
stehendes Jugendzentrum
Leitsatz
1. Sucht ein wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern mehrfach vorbestrafter Mann
wiederum Kontakt zu Kindern in der seinen vergangenen Straftaten bevorzugten
Altersklasse, rechtfertigt dies ein umfassendes Kontakt- und Annäherungsverbot zu
allen Kindern in dem entsprechenden Alter.
2. Ein Aufenthaltsverbot für einen privaten Raum ist nicht zulässig.
Tenor
Die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers vom 21.08.2009
gegen die Verfügung des Polizeipräsidiums Südosthessen vom 19.08.2009 wird
hinsichtlich Ziffer 3) wiederhergestellt; im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens hat der Antragsteller zu 2/3, der Antragsgegner zu 1/3
zu tragen.
Der Streitwert wird auf 2.500,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der am …62 geborene Antragsteller wurde wegen sexuellen Missbrauchs von
Kindern wie folgt verurteilt:
18.06.1979, AG Darmstadt, 6 Monate Jugendstrafe, 2 Jahre Bewährungszeit
15.11.1983, AG Karlsruhe, 1 Jahr 6 Monate Freiheitsstrafe, 4 Jahre
Bewährungszeit
07.06.1995, AG Ludwigsburg, 60 Tagessätze
04.10.1999, LG Stuttgart, 4 Jahre 9 Monate Freiheitsstrafe
Am 01.08.2009 ging bei dem 3. Polizeirevier in Darmstadt eine Funkfahndung nach
einem Pkw ein, dessen Halter der Antragsteller ist. Die Fahndung erfolgte, weil der
Antragsteller beobachtet wurde, wie er am Nachmittag desselben Tages von dem
Aldi-Parkplatz in A-Stadt wegfuhr; dabei sollen sich in seinem Auto drei Kinder im
Alter zwischen 8 und 12 Jahren befunden haben. Später wurde der Antragsteller
beim Verlassen der Wohnung der Familie Z. angetroffen. Die Eheleute Z. gaben
an, sie hätten den Antragsteller im Jugendcafe „X.“ in Darmstadt vor ca. 3 – 4
Monaten kennen gelernt, er sei am Abend als Babysitter bei den 5 und 8 Jahre
alten Kindern engagiert gewesen. Er sei im Kindergarten bzw. Hort als
abholberechtigt eingetragen. Auch habe er die Kinder schon im Haushalt der
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abholberechtigt eingetragen. Auch habe er die Kinder schon im Haushalt der
Familie Z. gebadet. Bei der Durchsuchung seines Pkw wurden neben persönlichen
Gegenständen des Antragstellers und Lebensmitteln Kinderbücher und ein
Kinderpuzzle gefunden. Frau Z. gab des Weiteren an, der Antragsteller sei im Juli
2009 mit Frau W. sowie deren Kindern im Urlaub am Bodensee gewesen. Auch
unterhalte er gute Beziehungen zu Frau V. und deren 7 Jahre alter Tochter sowie
ihrer älteren Schwester U..
Die nachfolgenden Überprüfungen ergaben keine konkreten Hinweise auf strafbare
Handlungen durch den Antragsteller.
Mit Verfügung vom 19.08.2009 untersagte das Polizeipräsidium Südosthessen
dem Antragsteller, Kontakt zu 5 namentlich genannten Kindern aufzunehmen oder
zu unterhalten, insbesondere diese bewusst aufzusuchen in bzw. der Nähe ihrer
Wohnanschriften sowie an bekannten Aufenthaltsorten wie z. B. Spielplätzen, des
Weiteren Kontakt zu Kindern im Alter von bis zu 14 Jahren aufzunehmen oder zu
unterhalten, insbesondere sie bewusst aufzusuchen, um sich mit ihnen zu
verabreden oder sich gegenüber ihren Erziehungsberechtigten als Babysitter oder
Betreuer anzudienen, und verbot weiterhin den Aufenthalt im Jugendcafe „X.“, ...
Darmstadt, nebst sämtlichen Einrichtungen und Außenanlagen des Objekts. Die
Verbote wurden sämtlich befristet bis zum 20.11.2009. Für den Fall der
Zuwiderhandlung wurde für jede Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in Höhe von
500,00 EUR angedroht. Gleichzeitig wurde die sofortige Vollziehung der
Maßnahmen angeordnet. Wegen der Begründung wird auf den Inhalt des
Bescheids Bezug genommen.
Mit Schreiben vom 12.08.2009 teilte der Antragsgegner der Bevollmächtigten des
Antragstellers mit, dieser sei zwischenzeitlich in das ZÜRS-Programm (Zentrale
Überwachung rückfallgefährdeter Straftäter) aufgenommen worden.
Mit Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 21.08.2009 legte der Antragsteller
Widerspruch ein und beantragte mit am 25.08.2009 bei dem Verwaltungsgericht
Darmstadt eingegangenem Schriftsatz seiner Bevollmächtigten vom 24.08.2009
die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs. Zur
Begründung trägt er vor, er habe nach seiner Haftentlassung eine intensive
Freundschaft zu Frau W., der Mutter der unter Nummern 1a) und 1b) in der
Verfügung genannten Kinder aufgebaut. Dieser, nicht aber den Kindern, sei die
Vergangenheit des Antragstellers bekannt. Das Vorgehen der Polizei habe seine
Freundschaften zu den Familien V. und Z. zerstört.
Im Übrigen sei das Polizeipräsidium Südosthessen sachlich nicht zuständig, da es
sich um keinen Eilfall gehandelt habe. § 11 HSOG setze das Vorliegen einer
konkreten Gefahr voraus, hierzu fehle jede Begründung. Hinsichtlich der unter
Nummer 1c) genannten U. liege die behauptete Gefahr schon wegen deren Alters
von 15 Jahren völlig neben der Sache. Die Anordnung der sofortigen Vollziehung
wiederhole lediglich formelhaft den Gesetzestext.
Der Antragsteller beantragt,
die aufschiebende Wirkung seines Widerspruchs vom 21.08.2009 gegen die
Verfügung des Polizeipräsidiums Südosthessen vom 19.08.2009 wieder
herzustellen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzulehnen.
Er gibt an, der Antragsteller sei am 14.01.2003 aus der Haft entlassen worden.
Entgegen der Empfehlungen der Sachverständigen habe es nach seiner
Entlassung weder Führungs- noch Bewährungsauflagen gegeben, so dass nicht
bekannt sei, ob er die in der Haft begonnene Therapie fortgesetzt habe. Gegen
den Antragsteller sei bei der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Darmstadt
ein Ermittlungsverfahren wegen der Verbreitung kinderpornographischer Dateien
(Az.: T.) anhängig. Bei diesen mehr als 400.000 sichergestellten Dateien handele
es sich um harte pornographische Darstellungen, die sexuelle Handlungen an
Kindern zeigten. Mit der Anklageerhebung sei in Kürze zu rechnen. Weiterhin
nimmt er Bezug auf die strafrechtlichen Verurteilungen des Antragstellers,
insbesondere zuletzt durch das Landgericht Stuttgart und die dort beschriebene
Opfertypisierung sowie den „modus operandi“ und trägt hierzu vor, der
Antragsteller bevorzuge Jungen und Mädchen zwischen 9 und 11 Jahren aus einem
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Antragsteller bevorzuge Jungen und Mädchen zwischen 9 und 11 Jahren aus einem
sozial schwachen Umfeld, die von den eigenen Eltern vernachlässigt würden und
daher „leichte Beute“ für ihn seien. Durch seine Behinderung und sein
Musikinstrument (Kazoo) wecke er die Neugier der Kinder und gewinne ihr
Vertrauen. Sie könnten in seiner Wohnung tun, was sie wollten. Als Gegenleistung
bekomme er von ihnen sexuelle Befriedigung. Es bedürfe keinerlei Drohung oder
Gewalt, um sich die Kinder gefügig zu machen.
Der Vorfall vom 01.08.2009 stehe in keinem direkten Zusammenhang mit dem
angegriffenen Bescheid. Soweit der Antragsteller sich auf die intensive
Freundschaft zu der Mutter der in der Verfügung unter 1a) und 1b) bezeichneten
Kinder bezöge, habe dies keine Bedeutung für die Rechtmäßigkeit des
Kontaktverbots, da sich das Recht auf körperliche Unversehrtheit und sexuelle
Selbstbestimmung nicht durch das Einverständnis der Erziehungsberechtigten
umgehen lasse. Im Übrigen sei das Polizeipräsidium Südosthessen örtlich und
sachlich zuständig. Das Tätigwerden der Polizeibehörden im Rahmen der
Gefahrenabwehr unterliege entgegen der Auffassung des Antragstellers nicht dem
in § 2 HSOG normierten Vorbehalt der Eilbedürftigkeit. Der Antragsgegner sei auch
nicht repressiv, sondern im Rahmen der Gefahrenabwehr tätig geworden. Es liege
auch eine im Einzelfall gegebene konkrete Gefahr vor, da der Antragsteller wieder
Kontakt mit Kindern unterhalte. Aufgrund des festgestellten „modus operandi“
und des vergleichbaren Opfertypus bestehe die hohe Wahrscheinlichkeit, dass der
Antragsteller erneut den Kontakt zu Kindern missbrauchen werde, um sexuelle
Straftaten zu begehen. Die Konkretisierung habe insbesondere bereits bei den
Kindern zu 1) stattgefunden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug
genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten, der beigezogenen Ermittlungsakten
der Staatsanwaltschaft Darmstadt (T. und T.) sowie der von dem Antragsgegner
vorgelegten Behördenakten.
II.
Der zulässige Antrag ist in dem im Tenor ausgesprochenen Umfang begründet, im
Übrigen ist er unbegründet.
Ein Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO ist im Falle der Anordnung der sofortigen
Vollziehung eines Verwaltungsaktes gemäß § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO begründet,
wenn eine seitens des Gerichts vorzunehmende Interessenabwägung ergibt, dass
das private Interesse des Adressaten des Verwaltungsaktes an der
aufschiebenden Wirkung seines Widerspruchs oder seiner Anfechtungsklage das
von der Behörde geltend gemachte öffentliche Interesse an der sofortigen
Vollziehung des Verwaltungsaktes überwiegt. Ob dies der Fall ist, richtet sich
primär danach, welche Erfolgsaussichten der Widerspruch beziehungsweise die
Anfechtungsklage aufweisen. Erweist sich der Verwaltungsakt als rechtmäßig und
eilbedürftig, überwiegt das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des
Verwaltungsaktes. Ist der Verwaltungsakt hingegen offensichtlich rechtswidrig,
überwiegt das private Interesse an der Wiederherstellung der aufschiebenden
Wirkung des Widerspruchs beziehungsweise der Klage.
Bei Zugrundelegung des vorstehend dargelegten Entscheidungsmaßstabes ergibt
sich, dass der Antrag hinsichtlich Ziffer 1) und 2) der Verfügung unbegründet,
hinsichtlich ihrer Ziffer 3) begründet ist.
Das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Verfügung des
Polizeipräsidiums Südosthessen vom 19.08.2009 überwiegt das
Suspensivinteresse des Antragstellers, weil sich die in Ziffern 1) und 2) der
angefochtenen Verfügung getroffenen Regelungen nach der im vorliegenden
Eilverfahren allein möglichen summarischen Feststellung der
entscheidungserheblichen Tatsachen als rechtmäßig erweisen. Auch die
Vollziehung dieser getroffenen Regelungen ist eilbedürftig. Ziffer 3) der
angefochtenen Verfügung erweist sich indes als rechtswidrig.
Das Polizeipräsidium Südosthessen ist für den Erlass der angegriffenen Verfügung
sachlich und örtlich zuständig.
Die sachliche Zuständigkeit ergibt sich aus § 1 Abs. 4 HSOG. Nach dieser
Vorschrift haben die Polizeibehörden im Rahmen der Gefahrenabwehr auch zu
erwartende Straftaten zu verhüten sowie für die Verfolgung künftiger Straftaten
vorzusorgen (vorbeugende Bekämpfung von Straftaten). Zu Recht weist der
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vorzusorgen (vorbeugende Bekämpfung von Straftaten). Zu Recht weist der
Antragsgegner darauf hin, dass das Tätigwerden der Polizeibehörde im Rahmen
der Verhinderung von Straftaten nicht dem Vorbehalt der Eilbedürftigkeit des § 2
HSOG unterliegt.
Die örtliche Zuständigkeit des Polizeipräsidiums Südosthessen ergibt sich aus §
101 Abs. 1 HSOG, nach Satz 2 der Vorschrift sollen die Polizeipräsidien in der
Regel in ihrem Dienstbereich tätig werden. Nach Abs. 3 Satz 1 der Vorschrift
werden den Polizeipräsidien Dienstbereiche zugewiesen. Das Polizeipräsidium ist
zuständig in allen polizeilichen Aufgabenbereichen, insbesondere sind dies
präventive und repressive Aufgaben (Vorbeugung und Straftatenbekämpfung)
sowie Verkehrslenkung und -überwachung.Die örtliche Zuständigkeit des
Polizeipräsidiums Südosthessen umfasst den Main-Kinzig-Kreis und den Kreis
Offenbach einschließlich der Städte Hanau und Offenbach. Da der Antragsteller in
A-Stadt, mithin im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidium Südosthessen
wohnhaft ist, ist dessen örtliche Zuständigkeit gegeben.
Die Verfügung ist formell ordnungsgemäß ergangen. Ob von der Anhörung des
Antragstellers vor ihrem Erlass gemäß § 28 Abs. 2 Nr. 1 HVwVfG abgesehen
werden konnte, weil eine sofortige Entscheidung aufgrund der zugespitzten
Situation wegen Gefahr im Verzug notwendig erschien, kann offen bleiben. Ein
diesbezüglicher Verfahrensmangel wäre jedenfalls gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 3
HVwVfG durch Berücksichtigung des Vortrags des Antragstellers im Verfahren des
einstweiligen Rechtsschutzes geheilt. Der Antragsgegner hat zu erkennen
gegeben, dass er auch in Kenntnis der Argumentation des Antragstellers von der
getroffenen Entscheidung nicht abweicht.
Die Rechtsgrundlage für die in Ziffern 1) und 2) ausgesprochenen Kontakt- und
Annäherungsverbote ergibt sich aus § 11 HSOG. Danach können die
Polizeibehörden die erforderlichen Maßnahmen treffen, um eine im einzelnen Falle
bestehende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Gefahr)
abzuwehren, soweit nicht Vorschriften die Befugnisse der Polizeibehörden
besonders regeln. Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit umfasst die
Unverletzlichkeit der objektiven Rechtsordnung, der subjektiven Rechte und
Rechtsgüter des Einzelnen sowie der Einrichtungen des Staates oder sonstiger
Träger der Hoheitsgewalt (BVerwG, Urteil vom 16.11.1973 – BVerwG IV C 44.69 -,
NJW 1974, 815). Rechtsgüter des Einzelnen sind die Menschenwürde und die
Individualrechtsgüter Leben, Gesundheit und Freiheit. Eine konkrete Gefahr liegt
bei einer Sachlage vor, bei der im einzelnen Falle die hinreichende
Wahrscheinlichkeit besteht, dass in absehbarer Zeit ein Schaden für die öffentliche
Sicherheit oder die öffentliche Ordnung eintreten wird (HessVGH, Beschluss vom
20.12.1983 - 8 TH 69/83 -, HessVGRspr 1984, 46). Schließlich besteht die Gefahr
für ein Schutzgut nur bei hinreichender Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts.
Es bedarf einer aus Erkenntnisakt und wertender Abwägung bestehender
Prognose. Diese ist auf der Grundlage der im Zeitpunkt der behördlichen
Entscheidung zur Verfügung stehenden Erkenntnisquellen zu treffen. Es muss eine
hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts vorliegen, d. h., es muss
eine nach der Lebenserfahrung begründete Befürchtung der
Gefahrenverwirklichung gegeben sein, die von dem Rechtsgut und dem Umfang
des erwarteten Schadens abhängt. Die von der Polizei zu treffende Maßnahme
muss erforderlich sein, dem Gebot des geringstmöglichen Eingriffs genügen (§ 4
Abs. 1 HSOG) sowie die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit (sachliches Übermaß,
§ 4 Abs. 2 HSOG) und des zeitlichen Übermaßes (§ 4 Abs. 3 HSOG) beachten.
Gemessen an diesen Voraussetzungen sind die in Ziffern 1) und 2) der Verfügung
ausgesprochenen Kontakt- und Annäherungsverbote nicht zu beanstanden, denn
der Antragsteller hat Kontakt zu Kindern in einem Alter gesucht, die seinem
seitherigen Opfertypus entsprechen.
Am Samstag, den 01.08.2009, wurde er beobachtet, als er drei Mädchen im Alter
zwischen 8 und 12 Jahren in seinen Pkw einsteigen ließ. Ermittlungen der
Polizeibeamten ergaben, dass es sich bei diesen Kindern um Mädchen im Alter
von 11 (S.), 13 (R.) und 14 (U.) Jahren handelt. Weitere Ermittlungen ergaben, dass
er sich am selben Abend bei der Familie Z. in der Zeit von 18:30 bis 00.00 Uhr als
Babysitter allein mit deren Kindern im Alter von 5 (Q.) und 8 (P.) Jahren
aufgehalten hat. Weitere Ermittlungen ergaben, dass er darüber hinaus Kontakt zu
dem Mädchen O. (7 Jahre) hat.
Auch der von dem Antragsteller praktizierte „modus operandi“ entspricht seinem
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Auch der von dem Antragsteller praktizierte „modus operandi“ entspricht seinem
bei seinen bisherigen Straftaten gegen Kinder gezeigten Verhalten. Im Falle der
Familie Z. hat er sich das Vertrauen der Eltern der Kinder Q. und P. erworben. Er
hat sie ca. drei bis vier Monate vor dem 01.08.2009 kennengelernt, war bereits
Babysitter für die Kinder und im Kindergarten bzw. Hort als abholberechtigt
eingetragen. Auch hat er die Kinder bereits im Haushalt der Familie Z. gebadet.
Der Antragsteller wurde mehrfach, zuletzt durch das Landgericht Stuttgart wegen
sexuellen Missbrauchs von Kindern bestraft. Die Kinder, an denen er seine
Straftaten verübte, gehören sämtlich zu einem vergleichbaren Opfertypus,
nämlich zu der Altersgruppe bis zu 14 Jahren (AG Darmstadt: ein Kind auf einem
Spielplatz, AG Karlsruhe: zwei fünf- bzw. siebenjährige Mädchen, AG Ludwigsburg:
ein zwölfjähriger Junge, LG Stuttgart: ein elfjähriger und ein zwölfjähriger Junge, ein
siebenjähriges Mädchen, ein elfjähriges Mädchen, ein elfjähriger Junge, ein
siebenjähriges Mädchen). Die Kinder, zu denen der Antragsteller jetzt Kontakte
pflegt, gehören derselben Altersgruppe an.
In dem Urteil des Landgerichts Stuttgart wird ausgeführt, der Antragsteller habe
sich während der Untersuchungshaft insbesondere mittels Büchern intensiv mit
dem Thema Pädophilie beschäftigt. Sein Wunsch sei es, eine Therapie, welcher Art
auch immer, zu erhalten, um zu lernen, seine pädophile Neigung bzw. sein
Verhalten in entsprechenden Reizsituationen zu kontrollieren, damit es zukünftig
nicht nochmals zu Übergriffen auf Kinder kommt. In den Gesprächen mit der
Diplom-Psychologin N. im Jahre 2002, die im Auftrag des LG Freiburg ein
kriminalprognostisches Gutachten erstellt hat, hat er auf die Frage nach seinem
Therapieziel angegeben, er wolle lernen, Strategien zu entwickeln, um sexuelle
Kontakte zu vermeiden; lernen, in Verführungssituationen „nein“ zu sagen. Auf die
Frage nach den Strategien hat er kundgetan, er wolle keinen Kontakt mit Kindern,
er wünsche sexuellen Kontakt mit erwachsenen Frauen. Allerdings zeigt das von
dem Antragsteller praktizierte Verhalten, das zum Erlass der angefochtenen
Verfügung geführt hat, dass er diese von ihm einst beabsichtigten Strategien nicht
mehr anwendet. So hat er Kontakt zu den in der Verfügung namentlich genannten
Kindern. Darüber hinaus ergibt sich aus den in der von dem Gericht beigezogenen
Ermittlungsakte der Staatsanwaltschaft Darmstadt (T.) vorhandenen Ausdrucken
aus der im Internet betriebenen Homepage des Antragstellers - www.M. -, dass er
sich dort als Vorleser für Kinder im Kindergarten- und Grundschulalter bekannt
macht. Schließlich haben die polizeilichen Ermittlungen ergeben, dass der
Antragsteller in A-Stadt ehrenamtlich an allen Kindertagesstätten, der
Grundschule und der Stadtteilbücherei als Geschichten- und Märchenerzähler tätig
war. Mithin verfügt der Antragsteller über eine mannigfache Zahl von Kontakten zu
Kindern in der von ihm seither für seine Straftaten bevorzugten Altersgruppe.
Dabei kommt es nicht darauf an, dass die wegen des Verdachts von Straftaten
gegen die sexuelle Selbstbestimmung geführten Ermittlungsverfahren T. und T.
jeweils gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden sind, weil kein begründeter
Tatverdacht mehr besteht, denn eine nach Polizeirecht zu beurteilende Gefahr
kann unabhängig von einem nach strafrechtlichen Gesichtspunkten zu
beurteilenden Tatverdacht bestehen. Im Falle des Antragstellers ist die insoweit
von den handelnden Polizeibeamten getroffene Gefahrenprognose rechtlich nicht
zu beanstanden, weil der Antragsteller bereits in der Vergangenheit gegenüber
Kindern in ähnlicher Weise aufgetreten ist.
Soweit der Antragsgegner allerdings in seinem Schriftsatz vom 04.09.2009
behauptet, entgegen den Empfehlungen des Sachverständigengutachtens sei der
Antragsteller nach seiner Haftentlassung weder Führungs- noch
Bewährungsaufsicht unterstellt worden und habe somit keiner Weisung unterlegen,
auch gebe es keine Informationen darüber, ob der Antragsteller seine während der
Haft begonnene Therapie fortgeführt habe, entspricht dieser Vortrag nicht den
tatsächlichen Gegebenheiten. Wie sich aus den von dem Antragsteller vorlegten
Unterlagen ergibt, wurde dieser nach Verbüßung von rund 4 Jahren der
Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren und 9 Monaten am 13.01.2003 bedingt aus der
Haft entlassen. Die Entlassung stand, wie sich zuletzt aus dem Beschluss des LG
Freiburg vom 10.09.2003 – T. - ergibt, unter dem Vorbehalt, dass der Antragsteller
die während der Haft begonnene ambulante Sexualtherapie fortsetzt. Das Gericht
geht davon aus, dass der Antragsteller dieser Weisung nachgekommen ist, da die
Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung nicht widerrufen worden ist. Das Gericht
vermag in diesem Zusammenhang nicht nachzuvollziehen, dass der
Antragsgegner nicht über diese Informationen verfügt, denn die Behörde hat den
Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und alle für den Einzelfall bedeutsamen
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Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln und alle für den Einzelfall bedeutsamen
und die - im vorliegenden Fall für den Antragsteller - günstigen Umstände zu
berücksichtigen.
Ungeachtet dessen sind die Anordnungen zu Ziffern 1) und 2) der Verfügung auch
erforderlich und tragen dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit Rechnung, denn
es ist nicht ersichtlich, dass der von dem Antragsteller aufgrund seines intensiven
Kontaktes zu Kindern drohenden Gefahr der Verletzung von deren sexueller
Selbstbestimmung mit milderen Mitteln als dem Verbot, sich den namentlich
genannten Kindern und im Übrigen Kindern der genannten Altersgruppe zu
nähern, begegnet werden kann. Bedenken gegen die Verhältnismäßigkeit der
Anordnungen ergeben sich auch im Übrigen nicht, denn die Maßnahme ist zeitlich
befristet.
Hingegen ist das in Ziffer 3) der Verfügung ausgesprochene Aufenthaltsverbot für
das Jugendcafé „X.“ rechtswidrig.
Die Rechtsgrundlage für ein Aufenthaltsverbot ergibt sich aus § 31 Abs. 3 HSOG.
Nach dieser Vorschrift können die Polizeibehörden einer Person für eine
bestimmte Zeit verbieten, einen bestimmten örtlichen Bereich innerhalb einer
Gemeinde zu betreten oder sich dort aufzuhalten, wenn Tatsachen die Annahme
rechtfertigen, die Person werde in diesem Bereich eine Straftat begehen. Das
Verbot ist zeitlich und örtlich auf den zur Verhütung der Straftat erforderlichen
Umfang zu beschränken und darf die Dauer von drei Monaten nicht überschreiten.
Die für die Feststellung einer konkreten Gefahr der Begehung von Straftaten
erforderliche Wahrscheinlichkeitsprognose muss sich auf nachprüfbare Tatsachen
beziehen; tatsächliche Anhaltspunkte oder gar nur vage Anhaltspunkte oder bloße
Vermutungen ohne greifbaren, auf den Einzelfall bezogenen Anlass reichen nicht
aus. Dabei muss es sich um Straftaten handeln, die im öffentlichen Raum
begangen werden.
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, denn bei dem Jugendcafé X. handelt es
sich nicht um öffentlichen Raum im Sinne der Vorschrift. Es wird vom
Internationalen Bund (IB) getragen, der mit seinem Verein und seinen
Gesellschaften einer der großen Anbieter und gleichzeitig freier Träger der Jugend-,
Sozial- und Bildungsarbeit in Deutschland ist. Der IB versteht das Jugendcafé X. als
Ort für Jugendliche, in dem sie auf ihrem Weg zu selbständigen Persönlichkeiten in
einer freien demokratischen Gesellschaft begleitet werden und einen pädagogisch
betreuten Schutz- und gesellschaftlichen Experimentierraum zum Finden und
Ausprobieren sozialer Werte und Normen erleben (Einzelheiten im Internet unter:
www.X..de). Bei dem X. handelt es sich zwar um ein offenes Haus, das jedoch in
privater Trägerschaft steht; allein dem Team des X. obliegt es zu entscheiden, wer
das Haus – etwa wegen Verstoßes gegen die Hausregeln – nicht mehr betreten
darf. Die Voraussetzungen des § 31 Abs. 3 HSOG liegen somit nicht vor, da es
schon an dem Erfordernis des öffentlichen Raums fehlt.
Ungeachtet dessen liegen auch keine Tatsachen für die Annahme vor, der
Antragsteller werde in dem Jugendcafé X. eine Straftat begehen. Soweit der
Antragsgegner hierzu in der angefochtenen Verfügung ausführt, aufgrund der
Vorstrafen des Antragstellers und seines Verkehrens im X. müsse davon
ausgegangen werden, dass er dort Kontakte zu Kindern zur Anbahnung sexueller
Handlungen suche, so dass das Aufenthaltsverbot zur Verhinderung weiterer
Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung unerlässlich sei, verkennt der
Antragsgegner, dass das Aufenthaltsverbot nur zur Verhinderung der Begehung
von Straftaten in dem örtlich genau zu begrenzendem Raum zulässig ist. Mit
seinen Ausführungen in der Antragserwiderung, der Antragsteller sei bereits im X.
aufgefallen, behauptet er lediglich, was er nachvollziehbar darzulegen hätte.
Schließlich behauptet der Antragsgegner selbst nicht, der Antragsteller sei dort
einschlägig aufgefallen. Es ist daher nicht auszuschließen, dass er dort allein schon
wegen der auf seiner Körperbehinderung beruhenden äußeren Erscheinung die
Blicke der Besucherinnen und Besucher auf sich zieht.
Die Androhung des Zwangsgeldes ist rechtmäßig.
Die Begründung für die Anordnung der sofortigen Vollziehung, wonach von dem
Antragsteller eine aktuelle Gefahr der Begehung schwerwiegender Straftaten
ausgehe und der Schutz der Grundrechte der gefährdeten Kinder die
Beeinträchtigung seiner Person überwiege, ist nicht zu beanstanden. Der
Umstand, dass der Antragsteller wieder entsprechend seinem seitherigen modus
operandi Kontakt zu Kindern desselben Opfertypus hat, rechtfertigt die
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operandi Kontakt zu Kindern desselben Opfertypus hat, rechtfertigt die
Eilbedürftigkeit der Maßnahme.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
Der Streitwert wurde gemäß §§ 53 Abs. 3, 52 GKG festgesetzt.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.