Urteil des VG Darmstadt vom 15.12.2005

VG Darmstadt: stadt, satzung, auflage, bestimmtheitsgebot, magistrat, erlass, kostendeckung, landrat, eltern, drucksache

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Gericht:
VG Darmstadt 3.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 E 1342/04
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 5 Abs 1 GemO HE, § 93 Abs
2 GemO HE, § 93 Abs 3 GemO
HE, § 63 GemO HE
Satzungsänderung; Bestimmtheitsgebot;
Einnahmebeschaffung der Gemeinde; Gebührenerhöhung
Leitsatz
Beschließt eine Gemeinde zur Konsolidierung des Haushalts die Erhöhung von Abgaben
und wird auf dieser Grundlage der Haushalt genehmigt, verstößt eine danach aus
politischen Gründen erfolgte Senkung dieser Abgaben gegen § 93 Abs. 2 HGO und
muss vom Bürgermeister nach § 63 HGO beanstandet werden.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die
Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung nach Maßgabe der
Kostenfestsetzung abwenden, falls nicht der Beklagte vor der Vollstreckung
Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Aufhebung der Beanstandungsverfügung des Beklagten
vom 17.05.2004 gegen die Beschlüsse der Klägerin zu TOP 4 bis 8 in der Sitzung
der Klägerin vom 11.05.2004.Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Aufgrund von Einnahmeeinbrüchen insbesondere bei der Gewerbesteuer im Jahre
2003 kam es im Nachtragshaushalt 2002 der Stadt A-Stadt zu einem Fehlbedarf
von rund 5,6 Mio. EUR. In dem vom Magistrat eingebrachten Haushaltsplan 2003
betrug der Fehlbedarf noch ca. 3,5 Mio. EUR. Zwecks Konsolidierung des Haushalts
beauftragte die Klägerin durch Beschluss vom 11.02.2003 den Magistrat bzw. die
Verwaltung, ein Maßnahmenpapier zu erarbeiten. Von einer Projektgruppe wurden
im August/September 2003 entsprechende Beschlussvorlagen erarbeitet, von
denen 35 durch den Magistrat der Klägerin zur Beratung und Beschlussfassung
vorgelegt wurden. Hierunter befanden sich auch mehrere Vorschläge, die auf
Gebührenerhöhungen abzielten. In den Sitzungen vom Oktober 2003 und
November 2003 befasste sich die Klägerin mit den Vorschlägen, wobei in der
Sitzung vom November 2003 sowohl die empfohlenen Gebührenerhöhungen als
auch der Doppelhaushalt 2004/2005 Gegenstand der Beschlussfassung war.
Gegen einen Teil der Beschlüsse vom 11. November 2003 legte der Beklagte
Widerspruch ein. Die Tagesordnungspunkte (TOP) 5 bis 13 der Sitzung der
Stadtverordnetenversammlung vom 10.12.2003 wurden abgesetzt, nachdem
sämtliche darin vertretenen Fraktionen sich darüber einig waren, gegenseitige
Gespräche zu den Haushalts- und Finanzfragen in eigener Regie führen zu wollen.
In der Sitzung der Klägerin vom 10.02.2004 wurden diese Tagesordnungspunkte
wieder aufgenommen. Die darin enthaltenen Gebührenvorlagen des Magistrats
wurden in dieser Sitzung mit einer Mehrheit von 22 zu 21 Stimmen beschlossen.
Dies kam dadurch zustande, dass zwei Stadtverordnete in der Sitzung fehlten. Im
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Dies kam dadurch zustande, dass zwei Stadtverordnete in der Sitzung fehlten. Im
Einzelnen wurden die Erhöhungen der Eintrittspreise für das Waldschwimmbad und
den Badesee, der Gebühren für die Kindertagesstätten, der Abfallgebühren und
der Friedhofsgebühren beschlossen. Die jeweiligen neuen Gebührensatzungen
wurden anschließend amtlich bekannt gemacht.
Gleichfalls in der Sitzung vom 10.02.2004 wurde von der Klägerin die
Haushaltssatzung für den Doppelhaushalt 2004/2005 beschlossen. Dieser wurde
mit Bescheid des Landkreises B-Stadt vom 18.03.2004 gegenüber dem Magistrat
genehmigt u. a. unter der Auflage, Gebühren und Beiträge in vertretbarem
Umfang anzupassen, soweit durch diese keine Kostendeckung erwirtschaftet
würde. Trotz der in den Haushaltsplänen enthaltenen Gebührenanpassungen auf
der Grundlage der Beschlüsse der Klägerin vom 10.02.2004 ergab sich weiterhin
ein Fehlbedarf von ca. 1,5 Mio. EUR für das Jahr 2004 und 0,7 Mio. EUR für das Jahr
2005.
Durch insgesamt fünf Beschlüsse der Klägerin vom 30.03.2004 und 31.03.2004
wurden die am 10. Februar 2004 beschlossenen Gebührenerhöhungen mit 23 zu
22 Stimmen wieder aufgehoben und teilweise die zuvor gültigen Satzungen in
ihrem Wortlaut wieder neu beschlossen.
Hiergegen erhob der Beklagte mit Schreiben vom 13.04.2004 Widerspruch.
In der Sitzung der Klägerin vom 11.05.2004 wurden die Widersprüche unter TOP 4-
8 zurückgewiesen. Wegen des Wortlauts der Beschlüsse wird auf Bl. 115 bis 120
der Gerichtsakte verwiesen.
Mit Schreiben vom 17.05.2004 beanstandete der Beklagte diese Beschlüsse. Er
begründete dies im Wesentlichen damit, die beanstandeten Beschlüsse verletzten
das Recht. Insbesondere entsprächen sie nicht der geltenden Haushaltssatzung
und dem Doppelhaushalt. Sie liefen in wesentlichen Punkten den
Genehmigungsauflagen des Landrats als Kommunalaufsicht zuwider. Auch würde
das Verfahren für den Erlass einer Nachtragssatzung zu den Haushaltssatzungen
missachtet und nachträglich der Grundsatz der Haushaltswahrheit und
Haushaltsklarheit verletzt. Ohne die Gebührenerhöhungen ergäbe sich ein
kumuliertes Haushaltsdefizit von rund 7,95 Mio. EUR bis Ende 2004 und rund 9,3
Mio. EUR bis Ende 2005. Die Aufhebung der Gebührenerhöhungen stelle einen
Verstoß gegen §§ 92 Abs. 1, 93 Abs. 2 und 10 HGO dar. Hiermit korrespondiere die
Vorschrift der §§ 10, 11 KAG.
Die Eintrittspreise für das Waldschwimmbad und den Badesee würden moderat
erhöht, auch danach verbleibe eine Unterdeckung von rund 1 Mio. EUR. Die
bisherigen Friedhofsgebühren lägen am unteren Rand der Skala vergleichbarer
Städte und Gemeinden im Land Hessen. Die Angleichung sei bereits bei der
Genehmigung des Haushaltsplans 2003 angemahnt worden. Zudem verbliebe es
nach der Gebührenerhöhung noch immer bei einer Unterdeckung. Die
Abfallgebühren müssten zwecks Kostendeckung angehoben werden, da ab Mitte
2004 mit einem Defizit zu rechnen sei. Die Gebühren für die Kindertagesstätten
müssten angepasst werden, es sei Konsens auf kommunaler Ebene, dass Eltern
1/3 der Kosten der Kindertagesstätten tragen sollten. In A-Stadt betrage dieser
Anteil lediglich noch 12 - 18 %. Die Anhebung der Gebühren erfolge in drei
Jahresschritten, zudem seien soziale Komponenten enthalten. Des weiteren
verstoße die Friedhofsordnung und die Gebührenordnung zur Friedhofsordnung
gemäß Beschluss vom 10.02.2004 gegen die Anforderungen der §§ 5, 6 HGO.
Die Klägerin hat entsprechend ihrem Beschluss in der Sitzung vom 08.06.2004
gegen die Beanstandung mit bei Gericht am 14.06.2004 eingegangenem
Schriftsatz Klage erhoben. Zur Begründung führt die Klägerin aus, die
Beanstandungsverfügung sei rechtswidrig. Beanstandungsfähig seien nur solche
Beschlüsse, die rechtliche Wirkung auslösen könnten. Dies gelte aber für die
Beschlüsse vom 11.05.2004 unter TOP 5 und 6, Drucksachen 13/457 und 13/458
nicht. Diese Beschlüsse sollten sowohl die am 10.02.2004 von der Klägerin
beschlossenen Gebührensatzungen als auch die Friedhofsordnung selbst
aufheben bzw. ändern. Da jedoch die dafür erforderliche Form eines "negativen
Satzungsbeschlusses" nicht eingehalten worden sei, die Beschlüsse weder als
Satzung gekennzeichnet seien noch inhaltlich einen geänderten Satzungstext
enthielten, somit die Mindestanforderungen nicht eingehalten seien, fehle es an
der Wirksamkeit dieser Beschlüsse.
Die übrigen Beschlüsse zu TOP 4, 7 und 8 seien rechtmäßig, ein Rechtsverstoß
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Die übrigen Beschlüsse zu TOP 4, 7 und 8 seien rechtmäßig, ein Rechtsverstoß
liege nicht vor. Ausgangspunkt sei die Rolle der Gemeindevertreter als unmittelbar
vom Volk gewähltes Organ einer Selbstverwaltungskörperschaft, die die
Gemeindebürger repräsentiere. Im Rahmen dessen stehe den
Gemeindevertretern ein freies Mandat zu. Dies komme insbesondere in der
eingeräumten Kompetenz zum Erlass und zur Änderung und Aufhebung von
Satzungen zum Ausdruck und sei Ausfluss des Demokratieprinzips. Der
Besonderheit der sehr knappen Mehrheitsverhältnisse in A-Stadt sei es
geschuldet, dass die bei Abwesenheit zweier Stadtverordneter in der Sitzung der
Klägerin vom 10.02.2004 beschlossenen Gebührenerhöhungen in den Sitzungen
vom 30./31.03.2004 und 11.05.2004 wieder hätten rückgängig gemacht werden
können. Hierbei handele es sich um eine politische Mehrheitsentscheidung, mit
der sich der Bürgermeister abzufinden habe. Das dem Beklagten gemäß §§ 63, 74
Abs. 2 HGO zustehende Beanstandungsrecht sei gerade kein politisches
Lenkungsinstrument, sondern nur eine dem Bürgermeister zukommende
Aufsichtpflicht für den Fall, dass Beschlüsse der Gemeindevertretung eine
Rechtsverletzung darstellten. Eine solche liege nicht vor, da unabhängig von der
Veranschlagung in Haushaltsplan und Haushaltssatzung erst die von der
Gemeindevertretung beschlossenen und veröffentlichten Satzungen die
Rechtsgrundlage für die Erhebung bzw. Erhöhung von Gebühren schafften. Den
Haushaltsansätzen komme lediglich der Charakter einer Berechtigung zu, die
entsprechenden Mittel einzusetzen, eine Verpflichtung enthielten sie nicht. Die
Beschlüsse verstießen auch nicht gegen Grundsätze der Haushaltswirtschaft. Eine
Deckung der tatsächlichen Kosten für die öffentlichen Einrichtungen bzw. eine
Haushaltsdeckung würde durch die Gebührenerhöhung sowieso nicht erreicht
werden. Die Forderung nach einem Haushaltsausgleich sei in einer Sollvorschrift
geregelt, um den Möglichkeiten der Kommunen ausreichend Rechnung zu tragen.
Hinsichtlich der Gebühren dürften auch soziale und wirtschaftliche Überlegungen
nicht außer Acht gelassen werden. Gebührenerhöhungen, z. B. im
Waldschwimmbad und Badesee, hätten gerade das Gegenteil von Mehreinnahmen
zur Folge, da die Bürger die Leistungen der Gemeinde nicht mehr in Anspruch
nehmen würden. Es sei in das Ermessen der Gemeinden gestellt, ob und in
welcher Höhe diese Benutzungsgebühren erheben wollen. Hierbei handele es sich
um den Kernbereich der Souveränität. Auch das Tatbestandmerkmal "vertretbar"
in § 93 Abs. 2 Nr. 1 HGO räume der Gemeinde einen Gestaltungsspielraum ein,
der gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbar sei und in dem ihr Raum zur
eigenverantwortlichen politischen Entscheidung und zur Berücksichtigung
wirtschaftlicher und sozialer Aspekte verbleibe. Auch unter dem Gesichtspunkt des
"Gebotenseins" müssten diese Erwägungen eine Rolle spielen. Der Beklagte habe
nicht nachgewiesen, dass es gegenüber den von ihm vorgeschlagenen, zeitweilig
in Kraft gesetzten Gebührenerhöhungen kein gleich wirksames, aber milderes
Mittel gebe. Letztlich sei es Sache der Gemeindevertretung, im Wege der
politischen Willensbildung zu entscheiden, welche Art der Haushaltskonsolidierung
die vielversprechendere sei. Ein Verstoß gegen § 93 GO sei nicht gegeben.
Gebührenerhöhungen seien keinesfalls alternativlos. Eine sparsame und
wirtschaftliche Haushaltsführung könne auch durch vermehrte Einsparungen
erreicht werden.
Auch etwaige anderslautende Bestimmungen des Haushaltsplans und der
Haushaltssatzung der Stadt A-Stadt führten nicht zu einer Rechtswidrigkeit der
vom Beklagten beanstandeten Beschlüsse der Klägerin. Es sei keine
Nachtragssatzung notwendig, denn die Voraussetzungen nach § 98 HGO lägen
nicht vor. Zwar fielen aufgrund der Beschlüsse zusätzliche Ausgaben an, diese
seien jedoch nicht von erheblichem Umfang. Der Klägerin sei es zudem
unbenommen gewesen, eine Nachtragssatzung zu beschließen, damit wären auch
die Grundsätze der Haushaltsklarheit und -wahrheit nicht berührt gewesen. Diese
blieben jedoch auf jeden Fall gewahrt, denn sie bezögen sich auf den Zeitpunkt der
Verabschiedung der Haushaltssatzung, nicht auf die spätere Entwicklung.
Die Klägerin beantragt,
die Beanstandungsverfügung des Beklagten vom 17.05.2004 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die vom Beklagten ausgesprochenen Beanstandungen seien rechtmäßig, da sie
Beschlüsse der Klägerin beträfen, die das Recht verletzten. Insoweit wiederholt der
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Beschlüsse der Klägerin beträfen, die das Recht verletzten. Insoweit wiederholt der
Beklagte sein Vorbringen im Widerspruchsschreiben vom 13.04.2004 sowie in der
Beanstandungsverfügung vom 17.05.2004.
Die Klägerin hat vorläufigen Rechtsschutz unter dem Aktenzeichen 3 G 1489/04
beim Verwaltungsgericht B-Stadt begehrt. Diesen Antrag hat das Gericht mit
Beschluss vom 02.09.2004 zurückgewiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt
der gewechselten Schriftsätze sowie der beigezogenen Behördenakte der Klägerin
und der Gerichtsakte in dem Verfahren 3 G 1489/04 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Die mit Schreiben vom 17.05.2004 ausgesprochenen Beanstandungen des
Beklagten gegen die Beschlüsse der Klägerin vom 11.05.2004 zu TOP 4 bis 8 sind
rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, weshalb diese nicht,
wie begehrt, aufgehoben werden konnten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Rechtsgrundlage der Beanstandungsverfügungen des Beklagten ist § 63 Abs. Abs.
2 Satz 1, Abs. 1 Hessische Gemeindeordnung - HGO -. Danach hat der
Bürgermeister nach § 62 Abs. 1 Satz 1 HGO zunächst einem Beschluss der
Gemeindevertretung zu widersprechen, wenn er das Recht verletzt. Über diese
Angelegenheit ist gemäß § 63 Abs 1 Satz 5 HGO in einer neuen Sitzung der
Gemeindevertretung ein neuer Beschluss zu fassen. Der Bürgermeister muss
diesen unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb einer Woche beanstanden, wenn
auch der neue Beschluss über die strittige Angelegenheit das Recht verletzt, § 63
Abs. 2 Satz 1 HGO.
Die Beschlüsse der Klägerin in der Sitzung vom 11.05.2004 zu den
Angelegenheiten unter TOP 4 bis 8 verletzen das Recht.
Die Beschlüsse der Klägerin vom 11.05.2004 zu TOP 5, Drucksache 13/457,
betreffend die Friedhofsordnung der Stadt A-Stadt vom 22.03.1988 in der Fassung
vom 20.06.2000 und die Gebührenordnung zur Friedhofs- und Bestattungsordnung
der Stadt A-Stadt vom 13.11.1979 in der Fassung vom 27.08.2002 verstoßen
gegen § 5 Abs. 1 HGO. Danach können die Gemeinden die Angelegenheiten der
örtlichen Gemeinschaft durch Satzung regeln, soweit gesetzlich nichts anderes
bestimmt ist. Bei dem Erlass einer Satzung sind bestimmte formelle
Anforderungen einzuhalten. So bedarf es nach einhelliger Auffassung in
Rechtsprechung und Literatur bei der Beschlussfassung einer Gemeindevertretung
über eine Satzung der Vorlage des eigentlichen Satzungstextes (vgl.
Bennemann/Hagemeier, Kommentar zur HGO, § 5 Rn. 83 ff;
Schneider/Dreßler/Lüll, Kommentar zur HGO, § 5 Erl. 1 m. w. N.). Dies folgt aus
dem rechtsstaatlichen Gebot der Bestimmtheit von Rechtsnormen, das auch für
Satzungen gilt. Dieses Bestimmtheitsgebot gilt auch für Satzungsänderungen,
was bedeutet, dass der neue Satzungstext komplett bei der Beschlussfassung
durch die Gemeindevertretung vorliegen muss. Eine Satzung kann nur durch den
Erlass einer neuen Satzung bzw. Änderungssatzung inhaltlich abgeändert werden.
Ein Beschluss wie ihn die Klägerin zu TOP 5 der Sitzung vom 11.05.2004 gefasst
hat, wonach die früheren Fassungen der Friedhofsordnung als auch der
Gebührenordnung zur Friedhofs- und Bestattungsordnung der Stadt A-Stadt neu
beschlossen werden und über den 01.04.2004 hinaus in Kraft bleiben (Ziff.1)
verbunden mit dem Beschluss, die Neufassung der Friedhofsordnung und der
dazugehörigen Gebührenordnung vom 10.02.2004 würden aufgehoben und träten
am 01.04.2004 nicht in Kraft, widerspricht dem Bestimmtheitsgebot und verletzt
somit das Recht, da es der Beschlussvorlage völlig an einem zu beschließenden
Satzungstext fehlt. Ein derartiger Beschluss muss entgegen der Auffassung der
Klägerin vom Bürgermeister beanstandet werden, da dieser nach § 63 HGO das
Recht und gerade auch die Pflicht hat, Beschlüsse der Gemeindevertretung auf
ihre Zweck- und Rechtmäßigkeit hin zu prüfen. Hierdurch soll verhindert werden,
dass eine Gemeindevertretung sehenden Auges eine unter Umständen
rechtswidrige bzw. nichtige Satzung erlässt, die die Verwaltung zunächst
umzusetzen hätte, wodurch der Gemeinde unter Umständen erhebliche finanzielle
Schäden erwachsen könnten.
Aus dem gleichen Grund ist auch der Beschluss der Klägerin zu TOP 6 der
Tagesordnung der Stadtverordnetenversammlung vom 11.05.2004 rechtswidrig.
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Tagesordnung der Stadtverordnetenversammlung vom 11.05.2004 rechtswidrig.
Auch hier hat die Klägerin lediglich beschlossen, der Beschluss vom 10.02.2004
werde aufgehoben und die vor der Beschlussfassung gegebene Arbeitsgrundlage
der Verwaltung gelte unverändert fort. Auch dieser Beschluss widerspricht dem
Bestimmtheitsgebot und ist daher zur Recht vom Beklagten als rechtswidrig
beanstandet worden.
Im Übrigen verstößt der Beschluss zu TOP 6 offensichtlich gegen den
Haushaltsgrundsatz des § 93 Abs. 2 HGO. Danach hat die Gemeinde die zur
Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Einnahmen soweit vertretbar und geboten
aus Entgelten für Leistungen, § 93 Abs. 2 Nr. 1 HGO, im übrigen aus Steuern, § 93
Abs. 2 Nr. 2 HGO, zu beschaffen. Gemäß § 93 Abs. 3 HGO darf die Gemeinde
Kredite nur aufnehmen, wenn eine andere Finanzierung nicht möglich ist oder
wirtschaftlich unzweckmäßig wäre. Diese in § 93 Abs. 2 und 3 HGO verbindlich
vorgeschriebene Rangfolge der Einnahmebeschaffung begründet für die
Gemeinden nicht nur das Recht, sondern gerade auch die Pflicht zur
Abgabenerhebung (vgl. Hess. VGH, Beschluss vom 15.03.1991, 5 TH 642/89).
Dieses spezielle Deckungsmittel ist vorrangig vor der subsidiären Erhebung von
Steuern als allgemeines Deckungsmittel heranzuziehen. Unterlässt eine
Gemeinde eine gebotene und vertretbare Erhöhung der Abgaben mit der
Maßgabe, im Falle etwaiger Mindereinnahmen diese durch Mehreinnahmen bei der
Gewerbesteuer auszugleichen, wie dies von der Klägerin in dem Beschluss zu TOP
6 der Tagesordnung der Stadtverordnetenversammlung vom 11.05.2004
vorgesehen ist, ist dies rechtswidrig.
Auch die Beschlüsse der Klägerin zu den TOP 4, Drucksache 13/456, betreffend die
Eintrittspreise für das Waldschwimmbad Y. sowie den Badesee X., zu TOP 7,
Drucksache 13/459, betreffend die Änderung der Abfallgebührensatzung sowie zu
TOP 8, Drucksachen 13/462 und 13/463, betreffend die Gebührensatzung zur
Satzung der Stadt A-Stadt über die Benutzung der Kindertagesstätten verletzen
das Recht und sind daher vom Beklagten zu Recht nach § 63 HGO beanstandet
worden.
Die in vorstehenden Beschlüssen jeweils geregelte Rückgängigmachung der
Erhöhung der Gebühren- und somit Abgabenerhebung verstößt gegen § 93 HGO,
weshalb die Beschlüsse rechtswidrig sind. Wie bereits vorstehend ausgeführt,
erhebt die Gemeinde Abgaben nach den gesetzlichen Vorschriften, d. h. sie ist zur
Abgabenerhebung verpflichtet. Eine Nichtbeachtung dieser Vorschriften verletzt
das Recht, weshalb Beschlüsse der Gemeindevertretung beanstandungsfähig sind
(vgl. Hess. VGH a. a. O.). Soweit eine Gebührenerhöhung vertretbar und zur
Kostendeckung auch geboten ist, ist diese von der Gemeinde vorzunehmen.
Dieser Verpflichtung hat die Klägerin auch in ihren Beschlüssen vom 10.02.2004
entsprochen. Soweit diese Gebührenerhöhungen durch die späteren Beschlüsse
vom 11.05.2004 wieder aufgehoben werden sollten, widerspricht dies dem
Grundsatz der primären Einnahmebeschaffung durch Erhebung von Abgaben. Es
ist auch nicht ersichtlich, dass die in der Sitzung vom 10.02.2004 beschlossenen
Gebührenerhöhungen nicht mehr vertretbar sein sollten. Die Eintrittspreise für das
Waldschwimmbad Y. als auch den Badesee X. sind lediglich moderat erhöht
worden. So ist z. B. der Preis der Einzelkarten für Erwachsene und für Jugendliche
lediglich jeweils um 0,20 EUR angehoben worden.
Die Erhöhung der Abfallgebühren erfolgte, wie der Beklagte unbestritten darlegt,
da sich diese ansonsten spätestens ab Mitte 2004 ins defizitäre entwickeln
würden. Da dann die Gebühren nicht mehr kostendeckend erhoben würden, war
eine Gebührenerhebung geboten. Gleichfalls vertretbar erscheint die Erhöhung der
Gebühren und Beiträge für die Benutzung der Betreuungseinrichtungen für Kinder
(Kindertagesstätten). Wie der Beklagte in seiner Beanstandung vom 17.05.2004
plausibel und substantiiert darlegt, lagen die bisher erhobenen Gebühren im
Vergleich zu anderen Gemeinden erheblich unter dem Durchschnitt. So betrug der
Anteil der Gesamtkosten, der von den Eltern zu tragen ist, lediglich 12 bis 18 %,
obwohl auf kommunaler Ebene ein Konsens dahingehend getroffen worden war,
dass Eltern 1/3 der Kosten der Kindertagesstätten über Gebühren tragen sollten.
Eine Gebührenanpassung war daher bereits überfällig.
Wenn auch Gebührenerhöhungen aus politischen Gründen keine populäre
Entscheidung darstellen, kann dieser Gesichtspunkt bei der Beachtung der
Haushaltsgrundsätze nur eine untergeordnete Rolle spielen. Abgaben sind in
gebotenem und vertretbaren Umfang zu erheben, auch wenn dies in der
Gemeinde bei der Umsetzung auf Schwierigkeiten stößt (vgl. Hess. VGH a. a. O.).
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Entgegen der Auffassung der Klägerin bedarf es auch keiner Klärung, welche
tatsächlichen Auswirkungen die Gebührenerhöhungen auf die Einnahmen der
Stadt A-Stadt haben. Die Klägerin muss bei der Planung ihrer Einnahmen durch
Abgabenerhebung immer im voraus von hypothetischen Überlegungen hinsichtlich
der Inanspruchnahme ihrer öffentlichen Einrichtungen ausgehen. Eine
nachträgliche Ermittlung, welche tatsächlichen Auswirkungen die
Gebührenerhöhung auf die Einnahmesituation der Stadt A-Stadt hat, bedarf es
daher nicht und wäre nach Auffassung der Kammer auch rein spekulativ, da die
Nutzung der öffentlichen Einrichtungen auch noch von einer Vielzahl anderer
Faktoren abhängig ist.
Darüber hinaus verstoßen die Beschlüsse der Klägerin, wie bereits im Beschluss
der Kammer vom 02.09.2004 im Verfahren 3 G 1489/04 dargelegt, gegen die am
18.03.2004 vom Landrat des Kreises Groß-Gerau als Kommunalaufsichtsbehörde
nach § 103 HGO unter Auflagen erteilte Genehmigung der Haushaltssatzung der
Stadt A-Stadt. So enthält dieser Verwaltungsakt unter anderem die Auflage:
"Gebühren und Beiträge sind, soweit durch diese keine Kostendeckung
erwirtschaftet wird, in vertretbarem Umfang anzupassen." Hierzu hat die Kammer
in ihrem Beschluss vom 02.09.2004 wie folgt ausgeführt:
"Diese Auflage wurde von dem Landrat als Kommunalaufsichtsbehörde in
Anbetracht der defizitären finanziellen Lage dem Magistrat der Stadt A-Stadt
aufgegeben. Aufgrund immenser Schulden und der Auflösung der allgemeinen
Rücklagen bis auf einen geringen Betrag sieht der Landrat die fortdauernde
finanzielle Leistungsfähigkeit der Stadt A-Stadt als gefährdet an. Dieser
Entwicklung sei weiterhin mit allem Nachdruck entgegenzuwirken und bedürfe
eines konsequenten Erarbeitens und Umsetzens von Konsolidierungsmaßnahmen.
Der Landrat begrüße insoweit die hierzu im Rahmen der Verabschiedung der
Haushaltssatzungen 2004 und 2005 am 10.02.2004 gefassten Beschlüsse, wozu
unter anderem auch die Gebührenerhöhungen durch Satzungsänderungen zählen,
da hierin der ernsthafte Wille der Kommune deutlich werde, der negativen
Entwicklung der Gemeindefinanzen entgegenzuwirken. Diese nachhaltigen
Konsolidierungsschritte seien auch nötig, da mit bedeutenden finanziellen Hilfen
von staatlicher Seite angesichts der angespannten Finanzsituation nicht gerechnet
werden könne. Die Aufhebung der Satzungen, mit denen die Gebühren für die
Kindertagesstätte, die Müllgebühren und die Benutzungsgebühren für das
Waldschwimmbad und den Badesee erhöht wurden, entzieht zum einen dem
genehmigten Haushaltsplan und der Haushaltssatzung die Grundlage und
widerspricht gleichzeitig der Auflage Nr. 6 des Genehmigungsbescheides. Dies ist
rechtswidrig und auch nicht durch knappe Mehrheitsverhältnisse und die
Satzungshoheit der Antragstellerin gerechtfertigt, weshalb der Antragsgegner
auch diese Beschlüsse nach § 63 Abs. 2 Satz 1 HGO beanstanden musste."
Durch die Gebührensenkung konterkariert die Klägerin die Auflage der
Aufsichtsbehörde, da sie gerade das Gegenteil dessen zur Folge hat, was
eigentlich von der Klägerin verlangt wird.
Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, da sie unterlegen ist, § 154
Abs. 1 VwGO. Die Regelung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §167
VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufung war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen der §§ 124 a Abs. 1,
124 Abs. 2 Nr. 3, 4 VwGO nicht vorliegen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.