Urteil des VG Darmstadt vom 21.01.2011

VG Darmstadt: bedürfnis, behörde, waffenbesitz, mitgliedschaft, schützenverein, widerruf, training, vollstreckung, landrat, pflege

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Gericht:
VG Darmstadt 5.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
5 K 321/10.DA
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 14 Abs 2 S 2 Nr 1 WaffG
2002, § 4 Abs 1 Nr 4 WaffG
2002, § 4 Abs 5 S 2 WaffG
2002
Widerruf der Waffenbesitzkarte, weil formale
Mitgliedschaft im Schützenverein kein Bedürfnis für
Waffenbesitz belegt
Leitsatz
Ein Bedürfnis für eine Waffe zum sportlichen Schießen ist in der Regel dann anzu-
nehmen, wenn der Sportschütze jährlich wenigstens achtzehnmal oder einmal pro
Monat intensiv und mit einer gewissen Dauer Schießübungen mit einer Waffe betreibt,
für die er ein Bedürfnis geltend macht. Allein die formale Mitgliedschaft in einem
Schießsportverein als "zahlendes Mitglied" reicht zum Nachweis des Bedürfnisses nicht
aus.
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
3. Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten
abwenden, falls nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben
Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger ist seit Oktober 1987 Inhaber der vom Landrat des ...kreises
ausgestellten Waffenbesitzkarten ... (gelb) und ... (grün) für Sportschützen. Anfang
November 1987 erwarb der Kläger einen Sportrevolver ..., der auf die grüne
Waffenbesitzkarte eingetragen wurde. Die gelbe Waffenbesitzkarte enthält bis
heute keine Eintragungen.
Am 21.04.2009 bat der Landrat des Kreises B. den Kläger um Darlegung des
waffenrechtlichen Bedürfnisses. Daraufhin übersandte der Kläger der Behörde eine
Bescheinigung des Schützenvereins A., mit der bestätigt wurde, dass der Kläger
seit 1. Oktober 1987 aktives Mitglied des Vereins sei. Daraufhin unternommene
Bemühungen der Behörde, direkt beim Verein Einblick in die Schießkladde zu
erhalten, um die schießsportlichen Aktivitäten des Klägers nachzuzeichnen,
scheiterten an der fehlenden Bereitschaft des Vereins, entsprechende Kopien zur
Verfügung zu stellen. Der Vertreter des Vereins erklärte vielmehr, weder der
Kläger noch andere Mitglieder nähmen regelmäßig am Schießtraining teil. Viele
Mitglieder seien nur „zahlende“ Mitglieder.
Mit E-Mail vom 27.05.2009 forderte die Behörde den Kläger daher auf, eine
Abschrift aus der Schießkladde über seine schießsportlichen Aktivitäten
vorzulegen. Es reiche nicht aus, nur zahlendes Mitglied zu sein.
Nachdem der Kläger dieser Aufforderung nicht nachkam, hörte die Behörde den
Kläger mit Schreiben vom 16.09.2009 zum beabsichtigten Widerruf der
Waffenbesitzkarten an. Mit Bescheid vom 29.09.2009 widerrief die Behörde die
Waffenbesitzkarten des Klägers, ordnete die Rückgabe der Karten an, drohte für
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Waffenbesitzkarten des Klägers, ordnete die Rückgabe der Karten an, drohte für
den Weigerungsfall ein Zwangsgeld an und forderte den Kläger auf, die Waffe
einem Berechtigten zu überlassen oder unbrauchbar zu machen. Außerdem
setzte sie Verwaltungskosten in Höhe von 90,00 EUR fest. Zur Begründung führte
sie aus, ein waffenrechtliches Bedürfnis sei nicht nachgewiesen worden. Der
Verein, dem der Kläger angehöre, habe die regelmäßige Ausübung des
Schießsports nicht bestätigt. Die Entfernung seines Wohnortes zum
Schützenverein (66 km) lege ebenfalls nahe, dass der Kläger nicht regelmäßig am
Schießtraining teilnehme. Der Bescheid wurde am 01.10.2009 zugestellt.
Am 30.10.2009 erhob der Kläger hiergegen Widerspruch, der unbegründet blieb.
Die Behörde entschied, von einer Anhörung nach § 7 HessAGVwGO abzusehen.
Mit Widerspruchsbescheid des Landrats des Kreises B. vom 11.02.2010 wurde der
Widerspruch zurückgewiesen. Zugleich wurden die Kosten für die Durchführung des
Widerspruchsverfahrens in Höhe von 163,61 EUR festgesetzt. Zur Begründung
wurde im Wesentlichen auf den Ausgangsbescheid Bezug genommen. Von einer
regelmäßigen Ausübung des Schießsports sei auszugehen, wenn der Schütze
wenigstens 18 Mal im Jahr oder monatlich ein Mal intensiv am Schießtraining
teilnehme. Diese Voraussetzung erfülle der Kläger nicht. Der
Widerspruchsbescheid wurde am 16.02.2010 zugestellt.
Am 15.03.2010 hat der Kläger Klage erhoben. Er trägt unter Vorlage seines
Schießbuches vor, seit 26.02.2010 regelmäßig an Schießübungen teilzunehmen.
Im Jahr zuvor sei ihm die Ausübung des Schießsports nicht möglich gewesen, weil
er sich infolge einer beruflichen Veränderung der Einrichtung seiner Anwaltskanzlei
haben widmen müssen und zudem die Pflege für seinen Vater habe übernehmen
müssen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Landrats des Kreises B. vom 29.09.2009 in der Gestalt des
Widerspruchsbescheids derselben Behörde vom 11.02.2010 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er bezieht sich zur Begründung auf die angefochtenen Bescheide.
Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der
Gerichtsakte und auf die beigezogene Behördenakte des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet, denn die angefochtenen Bescheide
sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1
VwGO)
Gemäß § 45 Abs. 2 WaffG ist eine Erlaubnis nach dem Waffengesetz zu widerrufen,
wenn nachträglich Tatsachen eintreten, die zur Versagung hätten führen müssen.
Gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 4 WaffG muss der Erlaubnisinhaber u. a. ein Bedürfnis für
den Waffenbesitz nachweisen. Das Fortbestehen des waffenrechtlichen
Bedürfnisses ist auf Nachfrage der Behörde jederzeit auch nach Erteilung einer
Waffenbesitzkarte nachzuweisen (§ 4 Abs. 5 Satz 2 WaffG).
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist im Falle
des Widerrufs einer waffenrechtlichen Erlaubnis der Zeitpunkt des Erlasses des
Widerspruchsbescheides (BVerwG, Urt. v. 16.05.2007 – 6 C 24/06 – NVwZ 2007,
1201 [1202]; Urt. v. 13.12.1994 – 1 C 31.92 – NVwZ-RR 1995, 525 [526]). Die erst
seit Februar 2010 unternommenen Aktivitäten des Klägers bleiben daher außer
Betracht.
Nach den Feststellungen des Gerichts steht außer Zweifel, dass der Kläger im
maßgeblichen Zeitpunkt einem Schützenverein als Mitglied angehörte. Daraus
folgt hingegen nicht schon per se seine Eigenschaft auch als Sportschütze. Gemäß
§ 14 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 WaffG muss der Sportschütze zum Nachweis eines
Bedürfnisses den „Schießsport als Sportschütze regelmäßig“ betreiben. Diese
Voraussetzung ist nicht nur zur erstmaligen Erteilung einer Waffenbesitzkarte,
sondern auch nach Erteilung der Waffenbesitzkarte dauerhaft für die Folgezeit zu
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sondern auch nach Erteilung der Waffenbesitzkarte dauerhaft für die Folgezeit zu
erfüllen. Eine regelmäßige Sportausübung ist in der Regel dann anzunehmen,
wenn der Sportschütze im maßgeblichen Jahreszeitraum wenigstens achtzehnmal
oder einmal pro Monat intensiv und mit einer gewissen Dauer Schießübungen mit
einer Waffe der Art betrieben hat, für die er ein Bedürfnis geltend macht (amtl.
Begr. zu § 14 WaffG, BT-Drs. 14/7758, S. 63; Papsthart in
Steindorf/Heinrich/Papsthart, Waffenrecht 9. Aufl. 2010, § 14 WaffG Rdnr. 2 a). Eine
formale Mitgliedschaft „auf dem Papier“ reicht somit nicht aus. Von dieser
regelhaften Anforderung sind in begründeten Fällen Ausnahmen möglich, da es
gute Gründe geben kann, auch einmal für längere Zeit zu pausieren (z. B. eine
längere Erkrankung, eine starke berufliche Beanspruchung oder eine
vorübergehende Verpflichtung, die Freizeit anderweitig als zum Schießsport
einzusetzen), ohne damit zugleich den Status eines aktiven Sportschützen zu
verlieren. Die Einschätzung, ob das waffenrechtliche Bedürfnis vorliegt und
fortbesteht, bedarf somit der Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls und
der Beobachtung eines längeren Zeitraums.
Hieran gemessen hat das Gericht aufgrund des Vorbringens des Klägers keine
Zweifel, dass der Kläger die Waffe im maßgeblichen Zeitpunkt nicht zu
schießsportlichen Zwecken benötigte. Dabei kann offen bleiben, ob in den von ihm
für das Jahr 2009 angegebenen Umständen für seine schießsportliche
Abwesenheit berechtigte Gründe liegen. Denn auch für die Zeit davor hat der
Kläger trotz mehrfacher Nachfrage keinerlei Belege über etwaige schießsportliche
Aktivitäten erbracht. Vor Februar 2010 hat er eigenen Angaben zufolge kein
Schießbuch geführt. Auch erbetene Auszüge aus der Schießkladde seines Vereins,
die seine schießsportlichen Aktivitäten dokumentieren, hat er nicht vorgelegt.
Nach den Äußerungen des Bediensteten seines Schützenvereins nimmt der Kläger
nicht an regelmäßigen Schießtrainings teil, sondern sei allein „zahlendes Mitglied“
(vgl. die Aktennotiz der Behörde vom 25.05.2009, Bl. 20 d. Beh.-A.). Die vom
Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgelegte Einladung zur
Mitgliederversammlung eines anderen Schützenvereins lässt auf die tatsächliche
Ausübung des Schießsports ebenfalls nicht schließen.
Nach Auffassung des Gerichts dient die Mitgliedschaft des Klägers in einem oder
mehreren Schützenvereinen hiernach allein als Vorwand für einen Waffenbesitz.
Objektiv gesehen benötigt der Kläger die Waffe – jedenfalls für schießsportliche
Zwecke – nicht. Wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung süffisant anmerkte,
empfehle sich eine Teilnahme seiner Person an Vereinswettkämpfen nicht, weil
durch seine schießsportlichen Leistungen das Gesamtergebnis eher ungünstig
beeinflusst werde. Auch wenn diese Bemerkung scherzhaft gemeint war, stimmt
sie doch mit den Angaben des Vereins überein, wonach es dem Kläger mangels
Teilnahme an Schießtrainings an der erforderlichen Schießpraxis fehle.
Andere mit dem Waffenbesitz verfolgte Zwecke, z. B. der Eigenschutz in einer
Notwehrsituation, rechtfertigen kein allgemein anzuerkennendes Bedürfnis. Nach
wie vor ist es das erklärte Ziel des Gesetzgebers (vgl. BT-Drs. 14/7758, S. 57),
möglichst wenige Waffen im privaten Bereich in Umlauf zu bringen:
„Mit dem Bedürfnisprinzip soll schließlich auch die Zahl der (Schuss-)Waffen
möglichst klein gehalten werden, um von vornherein der Gefahr vorzubeugen,
dass dem legalen Waffenbesitzer Waffen entwendet und zu Straftaten benutzt
werden. Insoweit richtet sich das Bedürfnisprinzip nicht gegen die im Allgemeinen
rechtstreuen Waffenbesitzer, sondern es dient primär dem Schutz der
Allgemeinheit. (...) Nach alledem kann aus rechtlichen und tatsächlichen Gründen
nicht auf das Bedürfnisprinzip verzichtet werden, für das das
Bundesverwaltungsgericht in über dreißigjähriger Rechtsprechung den treffenden
Grundsatz geprägt hat: So wenig Waffen wie möglich „ins Volk“ (vgl. BVerwGE 49,
1 – ständige Rechtsprechung).“
Das von der Allgemeinheit anzuerkennende legitime Bedürfnis für einen
Waffenbesitz hat der Kläger nicht glaubhaft gemacht. Hinsichtlich der gelben
Waffenbesitzkarte ist ein waffenrechtliches Bedürfnis offenkundig nicht vorhanden,
nachdem in die Karte über 23 Jahre keine Waffe eingetragen worden ist.
Gegen die Nebenentscheidungen der Bescheide sind Einwände weder erhoben
worden noch sonst ersichtlich.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO i. V. mit § 167
VwGO.
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Gründe, die Berufung zuzulassen (§ 124 a Abs. 1 VwGO), sind nicht ersichtlich.
Beschluss
Der Streitwert wird endgültig auf 5.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Festsetzung des Streitwertes folgt aus §§ 52, 63 Abs. 2 GKG.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.