Urteil des VG Darmstadt vom 29.08.2007

VG Darmstadt: mitbestimmungsrecht, höchstarbeitszeit, behörde, verfügung, verordnung, erstellung, fürsorgepflicht, ausführung, anhörung, höchstdauer

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Gericht:
VG Darmstadt
Fachkammer für
Personalvertretungssachen
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
22 K 438/07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
23.02.2006, § 4 ArbZV
vom 23.02.2006, § 69
BPersVG, § 75 Abs 3 Nr
1 BPersVG, § 83
BPersVG
(Zur Mitbestimmung des Personalrats bei der Festlegung
der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit durch den
Dienststellenleiter)
Leitsatz
Die Festlegung der regelmäßigen täglichen Arbeitszeit durch den Dienststellenleiter
nach § 4 AZV 2006 unterliegt der Mitbestimmung durch den Personalrat nach § 75 Abs.
3 Nr. 1 BPersVG.
Tenor
Es wird festgestellt, dass die Festlegung der täglichen Schichtlänge sowie der
täglichen Höchstarbeitszeit durch Schreiben des Beteiligten vom 10. Mai 2006
dem Mitbestimmungsrecht des Antragstellers nach § 75 Abs. 3 Nr. 1 BPersVG
unterfällt.
Gründe
I.
Der Antragsteller erstrebt die Feststellung seiner Mitbestimmungsrechte im
Hinblick auf die ohne seine Beteiligung von dem Beteiligten festgelegte tägliche
Schichtlänge und Höchstarbeitszeit.
Nachdem die Verordnung über die Arbeitszeit der Beamtinnen und Beamten des
Bundes (Arbeitszeitverordnung - AZV) in Kraft getreten war, bestimmte der
Beteiligte mit Verfügung vom 10. Mai 2006, dass der Vorstand des Deutschen
Wetterdienstes beschlossen habe, dass einschließlich der Pausen eine maximale
Schichtlänge von 10.45 Stunden und eine tägliche Höchstarbeitszeit von 10
Stunden (ausschließlich der Pausen) gelte. Bitten des Antragstellers auf
Beteiligung lehnte er unter Hinweis darauf ab, dass kein Beteiligungstatbestand
erfüllt sei.
Mit seinem Antrag vom 16. März 2007 begehrt der Antragsteller die Feststellung,
dass er an der umstrittenen Festlegung des Beteiligten vom 10. Mai 2006 ein
Mitbestimmungsrecht nach § 75 Abs. 3 Nr. 1 BPersVG habe. Die Rechtsauffassung
des Beteiligten sei unzutreffend, er könne mitbestimmungsfrei eine Höchstdauer
der täglichen Arbeitszeit vorgeben. Das Mitbestimmungsrecht über Beginn und
Ende der täglichen Arbeitszeit und deren Verteilung auf die einzelnen Wochentage
nach § 75 Abs. 3 Nr. 1 BPersVG erfasse auch die Dauer der täglichen Arbeitszeit.
Das Betriebsverfassungsgesetz enthalte in § 87 Abs. 1 Nr. 2 eine identische
Mitbestimmungsregelung. Auch zu dieser werde in der entsprechenden
Rechtsprechung und Literatur einheitlich die Auffassung vertreten, dass sich das
Mitbestimmungsrecht auch auf die Dauer der täglichen Arbeitszeit beziehe.
Der Antragsteller beantragt festzustellen,
dass die Bestimmung der täglichen Schichtlänge sowie der täglichen
Höchstarbeitszeit durch Schreiben des Beteiligten vom 10. Mai 2006 dem
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Höchstarbeitszeit durch Schreiben des Beteiligten vom 10. Mai 2006 dem
Mitbestimmungsrecht des Antragstellers nach § 75 Abs. 3 Nr. 1 BPersVG
unterfällt.
Der Beteiligte beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Er sieht keinen Mitbestimmungstatbestand als erfüllt an und vertritt die
Auffassung, Gegenstand der Mitbestimmung nach § 75 Abs. 3 Nr. 1 BPersVG sei
lediglich die tages- und wochenbezogene Einteilung und Verteilung der Arbeitszeit,
nicht aber die Entscheidung über die Arbeitszeit selbst im Sinne des Umfangs der
von den Beschäftigten geschuldeten Leistung. Die von ihm nach § 4 i.V.m. § 16
AZV getroffene Festlegung der tatsächlichen Dauer der regelmäßigen täglichen
Arbeitszeit sei eine Entscheidung über die Arbeitszeit selbst, die nicht dem
Mitbestimmungsrecht des Antragstellers unterliege. Bei der Ausführung dieses
vorgegebenen Zeitrahmens, also bei der Erstellung von Dienstplänen, werde der
Antragsteller selbstverständlich eingebunden und förmlich beteiligt. Im übrigen
habe der Beteiligte mit der Festlegung der Arbeitszeit von seinem Direktionsrecht
Gebrauch gemacht und sei dabei auch seiner Fürsorgepflicht nachgekommen.
Wegen weiterer Einzelheiten zum Sachverhalt und dem Vorbringen der am
Verfahren Beteiligten nimmt das Gericht Bezug auf die Gerichts- und die
Behördenakte (1 Schnellhefter), ebenso auf den Inhalt der Anhörung am 13. Juni
2007 sowie der streitigen mündlichen Verhandlung am 29. August 2007.
II.
Der Antrag ist zulässig.
Er leitet insbesondere in statthafter Weise das personalvertretungsrechtliche
Beschluss-Verfahren nach § 83 Abs. 1 Nr. 3 und Abs. 2 BPersVG i.V.m. dem
zweiten Abschnitt des Arbeitsgerichtsgesetzes (ArbGG) ein. Es besteht auch das
erforderliche Rechtsschutzbedürfnis/Feststellungsinteresse, wenngleich die
beanstandete Entscheidung des Beteiligten bereits am 10. Mai 2006 getroffen
wurde. Nach wie vor gibt es nämlich ein - dringendes - Bedürfnis nach Klärung der
Rechtsfrage, ob diese Festlegungen einer (vorherigen) Beteiligung des
Antragstellers bedurften. Und dies umso mehr als der Beteiligte das vom
Antragsteller reklamierte Mitbestimmungsrecht nach wie vor, zuletzt in der
mündlichen Verhandlung am 29. August 2007, leugnet.
Der Antrag ist auch begründet. Die von dem Beteiligten verfügte tägliche
Schichtlänge sowie die Höchstarbeitszeit sind rechtswidrig. Sie verletzen die
Mitbestimmungsrechte des Antragstellers nach § 75 Abs. 3 Nr. 1 BPersVG. Nach
dieser Rechtsvorschrift hat der Personalrat, soweit eine gesetzliche oder tarifliche
Regelung nicht besteht, mitzubestimmen über den Beginn und das Ende der
täglichen Arbeitszeit und der Pausen sowie der Verteilung der Arbeitszeit auf die
einzelnen Wochentage.
Die verfahrensmäßige Ausgestaltung dieses Mitbestimmungsrechts regelt die
Vorschrift des § 69 BPersVG. Nach deren Absatz 1 kann eine Maßnahme, die der
Mitbestimmung des Personalrates unterliegt, nur mit seiner Zustimmung
getroffen werden. Die Zustimmung des Antragstellers zu der vom Beteiligten
getroffenen Festlegung liegt nicht vor; der mitbestimmungsverpflichtete Beteiligte
hat - unter Zugrundelegung seiner (im weiteren darzustellenden) unzutreffenden
Rechtsauffassung - den Antragsteller noch nicht einmal im Vorfeld von der
beabsichtigten Umsetzung des § 4 AZV nach § 69 Abs. 2 Satz 1 BPersVG
unterrichtet.
Für die Feststellung des bestehenden Mitbestimmungsrechts nach § 75 Abs. 3 Nr.
1 BPersVG waren für das Gericht folgende weitere Gründe leitend:
Ausgehend vom Wortlaut dieser Vorschrift ist das Bestehen des
Mitbestimmungsrechts davon abhängig, ob Beginn und Ende der täglichen
Arbeitszeit und der Pausen sowie die Verteilung der Arbeitszeit auf die einzelnen
Wochentage geregelt wird. Hiernach soll dem Mitbestimmungsrecht der
Personalvertretung jede Maßnahme unterfallen, durch die eine generelle und
unmittelbar verbindliche Verteilung der vorgeschriebenen Arbeitszeit auf die
Wochenarbeitszeit oder auf die einzelnen Wochentage vorgenommen wird.
Dadurch soll ein zusätzliches Überwachungsorgan in Gestalt des Personalrats
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Dadurch soll ein zusätzliches Überwachungsorgan in Gestalt des Personalrats
eingeschaltet werden, um auf die Einhaltung der arbeitszeitrechtlichen
Vorschriften bei der Festlegung der Arbeitszeit zu achten und sicherzustellen, dass
vor allem die zugunsten weiblicher und jugendlicher Beschäftigter geltenden
Bestimmungen beachtet werden und dass berechtigte Wünsche von
Beschäftigten, die sich beispielsweise aus den besonderen Verkehrsverhältnissen
bei der An- und Abfahrt ergeben, mit den dienstlichen Erfordernissen in Einklang
gebracht werden. Der Personalvertretung obliegt damit ein kollektiver
Schutzauftrag, wobei ausreichend ist, dass die konkrete Regelung zur Arbeitszeit
die kollektiven Interessen von Beschäftigten berührt (vgl. Ilbertz/Widmaier,
Bundespersonalvertretungsgesetz, 10. Auflage 2004, Rdnr. 81 zu § 75 m.w.N.).
Das hier in Rede stehende Beteiligungsrecht des Personalrats erstreckt sich dabei
sowohl auf die Festlegung der zeitlichen Lage der durch Gesetz oder Tarifvertrag
bestimmten regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit auf die zur Verfügung
stehenden Arbeitstage als auch auf die Dauer der täglichen Arbeitszeit.
Demgegenüber hat die Personalvertretung keinen Einfluss auf den zeitlichen
Umfang der dem einzelnen Beschäftigten obliegenden Arbeitsverpflichtung. Deren
regelmäßige Dauer ergibt sich aus den für die Mitglieder der einzelnen
Bedienstetengruppen maßgeblichen Rechtsvorschriften, Tarifverträgen oder
einzelvertraglichen Vereinbarungen (vgl. BVerwGE 70, 1).
Für die Bundesbeamten, auch soweit sie beim Deutschen Wetterdienst beschäftigt
sind, ergab sich die regelmäßig täglich zu leistende Arbeitszeit früher aus den
Vorschriften des § 72 Abs. 1 BBG i.V.m. den Vorschriften der Verordnung über die
Arbeitszeit der Bundesbeamten in der bis zum 28. Februar 2006 geltenden
Fassung. Demgegenüber enthält die novellierte Arbeitszeitverordnung vom 23.
Februar 2006(BGBl. I Seite 427), in Kraft getreten am 1. März 2006, keine
Festlegung über die regelmäßige tägliche Arbeitszeit sowie deren Beginn und
Ende, sondern in § 4 Satz 2 lediglich eine Höchstgrenze der täglichen Arbeitszeit
von 13 Stunden einschließlich der Pausen. Vielmehr sieht § 4 Satz 1 vor, dass die
regelmäßige tägliche Arbeitszeit sowie deren Beginn und Ende von der nach § 16
AZV zuständigen Behörde festgelegt wird. Dies geschah schließlich durch die vom
Antragsteller beanstandete Entscheidung des Beteiligten vom 10. Mai 2006,
gestützt auf einen entsprechenden Beschluss des Vorstands des Deutschen
Wetterdienstes.
Bereits die Art und Weise, wie diese Bestimmung der regelmäßigen täglichen
Arbeitszeit aufgrund der novellierten Arbeitszeitverordnung zustande kam, ist
Hinweis auf die Existenz eines diesbezüglichen Mitbestimmungsrechts der
Personalvertretung. Die Festlegung hat nicht - wie früher - der Gesetz- oder
Verordnunggeber allgemein verbindlich getroffen, sondern dieser hat sie vielmehr
in die Verantwortung der einzelnen Dienststelle, hier der des Beteiligten, gelegt.
Mit Schaffung dieser Bestimmungskompetenz nach § 4 Satz 1 AZV schuf der
Verordnunggeber gleichzeitig die Möglichkeit, die regelmäßige tägliche Arbeitszeit
flexibel zu handhaben und an die unterschiedlichen Bedürfnisse der verschiedenen
Bundesdienststellen anzupassen. Es wurde damit an die Leiter der nach § 16 AZV
zuständigen Behörden die Aufgabe übertragen, die regelmäßige tägliche
Arbeitszeit unter Berücksichtigung der konkreten Situation innerhalb der Behörde
festzulegen. Damit entstand die typische Beteiligungssituation, in der dem
Dienststellenleiter mangels unmittelbarer gesetzlicher oder tarifvertraglicher
Regelung eines Sachverhalts ein Entscheidungsspielraum verbleibt. Vergleichbare
Fälle waren und sind alle Formen beteiligungspflichtiger Arbeitszeitflexibilisierung,
beispielsweise im Zusammenhang mit der Verteilung der wöchentlichen
Arbeitszeit oder anderen Festlegungen der Arbeitszeit nach den besonderen
Umständen der Dienststelle.
Aber auch die vom Beteiligten bei der beanstandeten Festlegung berücksichtigten
Interessen der Bediensteten weisen auf das bestehende Mitbestimmungsrecht
des Antragstellers hin. Neben hierbei berücksichtigten dienstlichen Bedürfnissen
stellte der Beteiligte ausweislich seines Schriftsatzes vom 27. August 2007 sowie
der erläuternden Ausführungen seiner Bevollmächtigten in der mündlichen
Verhandlung den Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor gesundheitlichen
Schäden durch extreme Arbeitsbelastung, außer arbeitsmedizinischen
Erkenntnissen und seiner Verantwortung für die Leistungsfähigkeit aller
Kolleginnen und Kollegen gleichzeitig auch die Kontinuität bezüglich der in der
Vergangenheit in Zusammenarbeit mit den Personalvertretungen entwickelten
Regelungen ein. Gerade diese den Interessen der Bediensteten dienenden
kollektiven Aspekte machen es vor dem personalvertretungsrechtlichen Verbot
von Beteiligungslücken nach Auffassung des Gerichts notwendig, dass der
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von Beteiligungslücken nach Auffassung des Gerichts notwendig, dass der
Personalvertretung spiegelbildlich das Recht eingeräumt wird, die Einstellung der
kollektiven Bediensteteninteressen durch den Beteiligten überprüfen zu können.
Wenn der Beteiligte im Laufe des Verfahrens darauf hinweisen lässt, dass die
konkrete Ausgestaltung der auf Grundlage der festgelegten regelmäßigen
täglichen Arbeitszeit in den Dienststellen zu erstellenden Schicht- und Dienstpläne
- wie seither - auch zukünftig der Mitbestimmung durch den örtlichen Personalrat
unterliegt, ist dies sicherlich zutreffend und geboten. Nicht richtig ist jedoch die
daraus abgeleitete Folgerung, dass die beanstandete Festlegung der
regelmäßigen täglichen Arbeitszeit quasi als mitbestimmungsfreie Vorgabe für die
beteiligungspflichtige Aufstellung der genannten Pläne sei. Anders als bei der
früher starren Arbeitszeitvorgabe durch den Verordnunggeber eröffnet § 4 Satz 1
der novellierten Arbeitszeitverordnung das Finden einer den dienstlichen und
Mitarbeiterinteressen der betroffenen Behörde im Sinne des § 16 AZV soweit wie
möglich entsprechenden flexiblen Ausgestaltung der zu treffenden
Arbeitszeitregelung. Dieses Ziel kann - typischerweise - nicht durch einseitige
Festlegung durch den Beteiligten, sondern nur im gesetzlichen Zusammenspiel
mit der Personalvertretung erreicht werden, zumal es hier auch nicht um die
Bestimmung einer starren individuellen Arbeitszeit geht, sondern um eine obere
Grenze, unterhalb deren flexible Gestaltungsmöglichkeiten denkbar und in vielen
Fällen erforderlich sind.Nach allem war das Mitbestimmungsrecht des
Antragstellers nach § 75 Abs. 3 Nr. 1 BPersVG festzustellen.
Eine Entscheidung über die Kosten dieses Verfahrens war nicht zu treffen. Für das
Beschlussverfahren werden Gerichtskosten nicht erhoben, und die Erstattung
außergerichtlicher Kosten ist nach verfahrensrechtlichen Vorschriften nicht
vorgesehen.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.