Urteil des VG Darmstadt vom 12.02.2004
VG Darmstadt: aufschüttung, treu und glauben, grundstück, sachliche zuständigkeit, wasser, wiederherstellung, landschaft, graben, bekanntmachung, eingriff
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Gericht:
VG Darmstadt 3.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 E 1357/00
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 74 Abs 1 WasG HE, § 1 Abs 1
WasG HE, § 8 Abs 1 NatSchG
HE, § 78 Abs 1 BauO HE, § 70
Abs 2 WasG HE
(Beseitigung einer wasser- und naturschutzrechtlich illegalen
Aufschüttung)
Leitsatz
1. Die Zuständigkeit der unteren Wasserbehörde wird nicht durch die parallele
Zuständigkeit der unteren Naturschutzbehörde oder der Baubehörde ausgeschlossen.
2. Liegt ein Eingriff in Natur und Landschaft vor, so ist das Entschließungsermesen der
Wasserbehörde auf Null reduziert, wenn gleichzeitig die Naturschutzbehörde zum
Einschreiten verpflichtet ist.
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen. Der Beigeladene trägt seine
außergerichtlichen Kosten selbst.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten
abwenden, falls nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben
Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen eine wasserrechtliche Verfügung, mit der ihm die
Beseitigung einer Aufschüttung aufgegeben wird. Er war bereits bei Erlass des
Ausgangsbescheids Alleineigentümer einer länglichen und in nord-südlicher
Richtung nicht mehr als 20 m breiten Grundstücksparzelle im Außenbereich der
Stadt Rödermark. Nördlich dieses Grundstücks liegt ein der Stadt gehörendes
Waldgrundstück, südlich eine der Stadt gehörende Grabenparzelle. Der darin
befindliche Graben läuft aus einem Waldgebiet aus südwestlicher Richtung
kommend auf das Grundstück des Klägers zu und parallel zur südlichen
Grundstücksgrenze an diesem entlang. Aus nordwestlicher Richtung kommend
läuft ein zweiter Graben auf das Grundstück des Klägers zu. Er verläuft im
nördlichen Teil des klägerischen Grundstücks parallel zur dortigen
Grundstücksgrenze. Am westlichen Ende des Grundstücks ist zwischen den
Gräben auf natürliche Weise eine Verbindung entstanden. Am östlichen
Grundstücksende befand sich früher eine zweite, künstlich angelegte und (wegen
der dort befindlichen Straße) vermutlich verrohrte Verbindung beider Gräben, die
heute nicht mehr zu sehen ist. Für weitere geographische Einzelheiten wird auf den
in der Akte des Landrats befindlichen Lageplan (Bl. 75 der Behördenakte)
verwiesen.
In den beiden Gräben fließt – unterbrochen durch gelegentliche Trockenperioden –
zeitweise Wasser.
Im Jahr 1992 erfolgte im Auftrag der Firma Z. zwischen den beiden Gräben eine
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Im Jahr 1992 erfolgte im Auftrag der Firma Z. zwischen den beiden Gräben eine
Aufschüttung mit Erdmaterial, welches sich in der Farbe und Konsistenz (gelb und
tonhaltig) vom vorhandenen dunklen Boden unterschied. Die auftraggebende
Firma war eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts des Klägers mit einem
Mitgesellschafter. Bei Erlass der wasserrechtlichen Verfügung war sie aufgelöst.
Die Aufschüttung ist in ihren Ausmaßen nicht vermessen worden. Mitarbeiter der
unteren Naturschutz- und der unteren Wasserbehörde, die mit dem Fall seit 1993
befasst waren, stellten aber fest, dass sie teilweise eine Höhe von 1,70 m
erreichte. Mit der Aufschüttung sollte nach Auskunft des Klägers die sumpfige und
ungangbare Fläche zwischen den beiden Gräben befestigt werden. Die
aufgeschüttete Fläche ist inzwischen mit Sträuchern und kleinen Bäumen
bewachsen.
Die Aufschüttung ist nie genehmigt worden. Die untere Naturschutzbehörde
schloss gegenüber der unteren Wasserbehörde eine Genehmigung stets aus. Weil
der Kläger formlosen Beseitigungsaufforderungen nicht nachkam, erließ der
Landrat des Kreises Offenbach als untere Wasserbehörde am 6. 4. 1999 eine an
den Kläger gerichtete Beseitigungsverfügung, wonach die vorgenommenen
Erdablagerungen im Uferbereich zwischen den beiden Bachläufen entfernt werden
sollten. Er setzte dem Kläger hierfür eine Frist bis zum 31. 5. 1999 und drohte für
den Fall der Nichteinhaltung die Ersatzvornahme an, deren Kosten er mit 30.000,-
DM veranschlagte. Die Verfügung wurde auf § 74 HWG gestützt und mit der
fehlenden wasserrechtlichen Genehmigung des Vorhabens begründet, die
aufgrund fehlender Zustimmung der unteren Naturschutzbehörde nicht erteilt
werden könne. Der Kläger sei als Verhaltens- und Zustandsstörer verantwortlich.
Der Kläger legte gegen die Verfügung am 9. 4. 1999 Widerspruch ein und rügte die
Unbestimmtheit der Verfügung. Nach Anhörung des Klägers durch den
Anhörungsausschuss gab das Regierungspräsidium Darmstadt dem Widerspruch
mit Bescheid vom 28. 4. 2000, dem Kläger zugestellt am 3. 5. 2000, teilweise
statt. Es fasste die Verfügung insoweit neu, als durch die Entfernung des
Erdmaterials das ursprüngliche Höhenniveau des Grundstücks, welches „der Höhe
der Uferböschung des nördlichen Wassergrabens entlang des Waldgrundstückes“
entspreche, wiederhergestellt werden sollte. Das wiederhergestellte Gelände sollte
der natürlichen Sukzession überlassen werden. Im Übrigen wies das
Regierungspräsidium den Widerspruch mit den Gründen des Ausgangsbescheids
zurück.
Der Kläger hat am 29. 5. 2000 Klage erhoben.
Er ist der Ansicht, dass die Verfügung auch in der Fassung des
Widerspruchsbescheids nicht hinreichend bestimmt sei. Die Verfügung habe nicht
ohne Vermessung der Aufschüttung ergehen dürfen. Ohne Vermessung sei der
abzutragende Boden nicht zu ermitteln. Im Übrigen kenne er die Gräben nur als
trocken.
Der Kläger beantragt,
die Verfügung des Landrats des Kreises Offenbach vom 06.04.1999
und den Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Darmstadt vom
28.04.2000 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung führt er aus, der Kläger habe Zusagen, die er gemacht habe,
nicht eingehalten, so dass es zu keiner einvernehmlichen Lösung gekommen sei.
Daher habe dem Kläger letztlich die Beseitigung der Ablagerungen aufgegeben
werden müssen. Die Ausdehnung und die Menge der Aufschüttung seien dem
Kläger hinreichend bekannt. Das Fremdmaterial sei zudem dadurch erkennbar,
dass es sich vom ursprünglichen gewachsenen Boden durch gelbes, tonhaltiges
Material unterscheide. Es bleibe dem Kläger vorgehalten, zur näheren Klärung des
Volumens und des Höhenniveaus eine Vermessung vorzunehmen.
Der Beigeladene stellt keinen Antrag. In einer Stellungnahme hat er darauf
hingewiesen, dass der durch die Aufschüttung beeinträchtigte Geländestreifen
Bestandteil eines geschützten Biotops sei, bei dem es sich um eine wesentliche
Verbindungsfläche zwischen feuchte geprägten Waldwiesen handele. Durch das
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Verbindungsfläche zwischen feuchte geprägten Waldwiesen handele. Durch das
aufgebrachte Fremdmaterial sei die standorttypische Vegetation zerstört worden.
Da die Aufschüttung den Charakter des Gebietes verändere und das
Landschaftsbild beeinträchtige könnten die Maßnamen auch nicht nachträglich
genehmigt werden.
Zur Ergänzung des Tatbestands in Einzelheiten wird auf die Behördenakte des
Landrats des Kreises Offenbach am Main und die Widerspruchsakte des
Regierungspräsidiums Darmstadt Bezug genommen. Sie sind beigezogen worden
und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Die angefochtene Verfügung in der Gestalt des Widerspruchsbescheids ist
rechtmäßig, insbesondere nicht ermessensfehlerhaft (§ 114 Satz 1 VwGO) und
verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, so dass sie das Gericht nicht gemäß
§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufheben kann.
Die Verfügung vom 06.04.1999 in der Form des Widerspruchsbescheides vom
28.04.2000 beruht auf § 74 Abs. 1 HWG vom 22. 1. 1990 (GVBl. I, S. 113) in der
zum Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung gültigen Fassung vom
20.12.1994 (GVBl. I, S. 764) – HWG 1994).
Der Bescheid ist formell rechtmäßig. Die untere Wasserbehörde war nach §§ 94
Abs. 1, 93 Abs. 3, 74 Abs. 1 HWG zuständige Behörde zum Erlass der
angefochtenen Verfügung. Der Anwendungsbereich des Wassergesetzes ist über
§ 1 Abs. 1 Nr. 1 a) HWG 1994 eröffnet. Im Graben der Grabenparzelle der Stadt
Rödermark sowie in dem Graben auf dem klägerischen Grundstück fließt zeitweilig
Wasser im Sinne der Vorschrift. Die in den Behördenakten befindlichen, im Verlauf
des Verwaltungsverfahrens angefertigten Lichtbilder dokumentieren einen
Wasserfluss. Gründe, die einen zeitweisen Wasserfluss für den Zeitpunkt des
Erlasses des Widerspruchsbescheids ausschließen, sind weder vorgetragen noch
ersichtlich. Ein im Sinne des Gesetzes zeitweilig fließendes Gewässer liegt bereits
vor, wenn sich im Gewässerbett bei regelmäßig oder unregelmäßig
wiederkehrenden Verhältnissen Wasser sammelt und abfließt. Eines bestimmten
zeitlichen oder sachlichen Ausmaßes des Wasservorkommens bedarf es nicht (vgl.
OVG Münster, ZfW 1987, 122, 123). Deshalb schließen auch längere
Trockenperioden ein zeitweilig fließendes Gewässer nicht aus. Im Übrigen unterfällt
selbst das nur zeitweilig stehende Wasser nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 a) HWG 1994 den
Vorschriften des Wasserrechts.
Der Anwendungsbereich des Gesetzes ist nicht nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 HWG 1994
ausgeschlossen. Die Gräben dienen weder allein der Vorflut des klägerischen
Grundstücks noch der Bewässerung.
Die sachliche Zuständigkeit der Wasserbehörde wird durch die parallele
Zuständigkeit anderer Behörden nicht berührt. Die Aufschüttung ist zwar auch
naturschutzrechtlich und bauordnungsrechtlich relevant. Weder die
naturschutzrechtliche noch die bauordnungsrechtliche Ermächtigungsgrundlage
stehen aber in einem Spezialitätsverhältnis zu § 74 Abs. 1 HWG. Hinsichtlich der
Vorschrift des § 8 Abs. 1 HENatG in der vorliegend anzuwendenden Fassung der
Bekanntmachung vom 16. 4. 1996 (GVBl. I, S. 145) ergibt sich dies aus dem
Wortlaut dieser Bestimmung. Danach ist die Naturschutzbehörde unbeschadet der
Zuständigkeit anderer Behörden zuständig. Daraus folgt, dass andere Behörden
parallel zuständig sein können. Der wasserbehördlichen Zuständigkeit steht auch
nicht die Zuständigkeit der Bauordnungsbehörde nach § 78 Abs. 1 HBO i. d. F.
vom 20. 12. 1993 (GVBl. I, S. 655) entgegen. § 78 Abs. 1 HBO begründet keine
spezielle, vorrangige Zuständigkeit der Bauordnungsbehörde. Ein
Spezialitätsverhältnis zu § 74 Abs. 1 HWG ergibt sich weder aus Rechtsnormen
noch unter Sachgesichtspunkten.
Der Bescheid vom 06.04.1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom
28.04.2000 ist auch materiell rechtmäßig.
Die Voraussetzungen für eine auf § 74 Abs. 1 HWG 1994 gestützte Verfügung
liegen vor. Danach haben die Wasserbehörden die nach pflichtgemäßem
Ermessen erforderlichen Maßnamen zu treffen, um von der Allgemeinheit, dem
Einzelnen oder den Gewässern Gefahren abzuwehren, die durch den Zustand oder
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Einzelnen oder den Gewässern Gefahren abzuwehren, die durch den Zustand oder
die Benutzung der Gewässer, der Ufer, der Deiche, der Überschwemmungs-,
Wasserschutz- und Heilquellenschutzgebiete und der Anlagen hervorgerufen
werden, die unter das Wasserhaushaltsgesetz, dieses Gesetz oder die dazu
erlassenen Vorschriften fallen.
Von der Aufschüttung geht eine Gefahr für die Allgemeinheit aus. Gefahren für die
Allgemeinheit können sich aus Verstößen gegen wasserrechtliche Vorschriften,
aber auch aus Verstößen gegen andere öffentlich-rechtliche Normen ergeben.
Hier ist eine Gefahr in zweierlei Hinsicht gegeben. Die Aufschüttung ist sowohl
wasserrechtlich als auch in naturschutzrechtlicher Sicht formell und materiell
illegal.
Die Aufschüttung stellt eine Anlage dar, die sowohl nach dem Hessischen
Wassergesetz als auch nach dem Wasserhaushaltsgesetz ununterbrochen
genehmigungsbedürftig war. Die Genehmigungspflicht nach dem Hessischen
Wassergesetz ergab sich für den Zeitpunkt der Aufbringung der Aufschüttung aus
§ 69 Abs. 2 HWG i. d. F. der Bekanntmachung vom 22. 1. 1990 (GVBl. I S. 113).
Seit dem In-Kraft-Treten des Gesetzes zur Änderung des Hessischen
Wassergesetzes vom 23. 9. 1994 folgte sie aus §§ 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 71
Abs. 1 HWG 1994. Für die Errichtung baulicher Anlagen im Uferbereich formulierten
sie wie die heute geltenden Vorschriften ein repressives Verbot mit
Befreiungsvorbehalt. In der Aufschüttung liegt eine bauliche Anlage im Sinne des
§ 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 HWG 1994. Der Begriff der baulichen Anlage ist mit dem
der Hessischen Bauordnung identisch. Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 HBO ist die
Aufschüttung eine bauliche Anlage. Eine Ausnahme vom Verbot nach § 70 Abs. 2
Satz 2 HWG lag nicht vor. Die Aufschüttung liegt gemäß § 68 Abs. 2 Satz 1 HWG
i. d. F. des Gesetzes zur Änderung des Hessischen Wassergesetzes vom
23. 9. 1994 (GVBl. I S. 424) im Uferbereich. Dieser umfasst die zwischen Uferlinie
und Böschungsoberkante liegenden Flächen sowie im Außenbereich die hieran
landseits angrenzenden Flächen in einer Breite von 10 m, weshalb die gesamte
zwischen den beiden Gräben befindliche Grundstücksfläche Uferfläche im Sinne
des Gesetzes ist. Das im Außenbereich liegende Grundstück ist zwischen den
Gräben ausweislich der in den Behördenakten befindlichen Pläne nicht breiter als
20 m.
Eine Befreiung vom Verbot des § 70 Abs. 1 HWG 1994 hatte die untere
Wasserbehörde weder erteilt, noch hätte sie sie erteilen können. Denn einer
solchen standen die Vorschriften des § 7 Abs. 1 und 2 HENatG in der Fassung der
Bekanntmachung vom 16.04.1996 (GVBl. I, S. 145) – HENatG 1996 – entgegen.
Danach war die wasserrechtliche Genehmigung vom Einvernehmen der unteren
Naturschutzbehörde abhängig, die dieses nicht erteilen konnte.
Naturschutzrechtlich war die Aufschüttung nicht genehmigungsfähig. Für die
Aufschüttung gilt aufgrund der Übergangsvorschrift des Art. 2 Abs. 1 des Gesetzes
zur Änderung des hessischen Naturschutzrechtes vom 19. 12. 1994 (GVBl. I
S. 775) das HENatG in der Fassung dieses Gesetzes und der folgenden
Neubekanntmachung vom 16. 4. 1996 (GVBl. I S. 145). Bei In-Kraft-Treten des
Gesetzes zur Änderung des hessischen Naturschutzrechtes anhängige
Verwaltungsverfahren waren nach dessen Art. 2 Abs. 1 Satz 1 nach den neuen
Vorschriften zu Ende zu führen. Die Voraussetzung eines anhängigen
Verwaltungsverfahrens lag vor. Die untere Wasserbehörde betrieb ihr
Verwaltungsverfahren hinsichtlich der Aufschüttung seit 1993. Einen Widerspruch
nach Art. 2 Abs. 1 Satz 2 des Gesetzes zur Änderung des hessischen
Naturschutzrechts, der eine Anwendung des Gesetzes ausschließen könnte,
erklärte der Kläger nicht.
Die Aufschüttung ist nach den Vorschriften des HENatG 1996 formell illegal. Sie
stellt einen unwiderlegbaren, nicht genehmigten Eingriff in Natur und Landschaft
dar. Nach § 5 Abs. 2 Nr. 1 HENatG liegt in der Herstellung einer baulichen Anlage
im Außenbereich unwiderlegbar ein Eingriff in Natur und Landschaft. Dieser war
nicht nach § 6 Abs. 1 HENatG 1996 von der Naturschutzbehörde genehmigt
worden. Die Aufschüttung unterfällt auch keinem der in § 6 Abs. 2 HENatG 1996
von der Genehmigungspflicht ausgenommenen Fälle.
Die naturschutzrechtlich formell illegale Aufschüttung ist naturschutzrechtlich auch
materiell illegal. Eine Genehmigung des in der Aufschüttung liegenden Eingriffs
konnte nach § 6a Abs. 1 HENatG 1996 nicht erteilt werden. Der Erteilung einer
Genehmigung stand § 6a Abs. 1 Nr. 1 und 2 HENatG 1996 entgegen. Denn mit der
Aufschüttung auf dem klägerischen Grundstück wurde kein über die Aufschüttung
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Aufschüttung auf dem klägerischen Grundstück wurde kein über die Aufschüttung
als solche hinausgehender, auch naturschutzrechtlich anerkannter und legitimer
Zweck verfolgt, wie dies § 6a Abs. 1 Nr. 1 und 2 HENatG voraussetzt.
Die Aufschüttung ist naturschutzrechtlich auch später nicht genehmigungsfähig
geworden. Die Genehmigungsvoraussetzungen für Eingriffe in Natur und
Landschaft sind vielmehr gesetzlich immer weiter verschärft worden. So noch vor
Erlass des Widerspruchsbescheids durch die Verordnung über das
Landschaftsschutzgebiet „Landkreis Offenbach“ vom 13. 3. 2000 (StAnz. 2000,
S. 1123). Mit dem Gesetz zur Änderung des hessischen Naturschutzrechtes vom
18. 6. 2002 (GVBl. I S. 364) ferner durch den gesetzlichen Biotopschutz gemäß
§ 15d HENatG.
Im Übrigen war die Aufschüttung gemäß § 31 Abs. 1 WHG i. d. F. der
Bekanntmachung vom 23. 9. 1986 (BGBl. I. S. 1529) und des Gesetzes zur
Umsetzung der Richtlinie des Rates vom 27. Juni 1985 über die
Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten
(85/337/EWG) vom 12. 2. 1990 (BGBl. I S. 205) schon zum Zeitpunkt ihrer
Vornahme genehmigungspflichtig. Sie blieb dies auch nach der Änderung des § 31
WHG durch das Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren vom
12. 9. 1996 (BGBl. I S. 31) und das Sechste Gesetz zur Änderung des
Wasserhaushaltsgesetzes vom 11. 11. 1996 (BGBl. I S. 1690). Durchgängig
handelte es sich bei der Aufschüttung um die wesentliche Umgestaltung eines
Ufers im Sinne dieser Vorschrift.
Die Verfügung ist auch nicht ermessensfehlerhaft. Grundsätzlich hat die Behörde
nach § 74 Abs. 1 HWG 1996 ein Entschließungs- und ein Auswahlermessen. Zwar
bestehen erhebliche Zweifel daran, ob die Beklagte entsprechend der gesetzlichen
Ermächtigung überhaupt ihr Ermessen ausgeübt hat. Entsprechende
Ermessenserwägungen finden sich weder im Ausgangs- noch im
Widerspruchsbescheid. Ein Ermessensnichtgebrauch hinsichtlich des
Entschließungsermessens ist im Ergebnis allerdings unschädlich. Denn das
behördliche Ermessen war insoweit auf Null reduziert. Entscheidend für den
Ermessensspielraum nach § 74 Abs. 1 HWG 1996 ist das Vorliegen eines nicht
genehmigten und nicht genehmigungsfähigen naturschutzrechtlichen Eingriffs.
Nach § 8 Abs. 1 HENatG 1996 hätte die Naturschutzbehörde unbeschadet der
Zuständigkeit der Wasserbehörde selbst gegen die Aufschüttung vorgehen
müssen, insoweit besteht für die Naturschutzbehörde kein
Entschließungsermessen. Diese Wertung des § 8 HENatG 1996 verdichtete das
Entschließungsermessen im vorliegenden Fall zu einer Einschreitpflicht.
Hinsichtlich der anzuordnenden Maßnahme kam sinnvollerweise nur die
Anordnung der Beseitigung der Aufschüttung in Betracht. Die Verfügung hält auch
die Grenzen des Ermessens ein. Mit der Beendigung der andauernden Störung
und der Wiederherstellung des ursprünglichen Naturzustands verfolgt sie ein
legitimes Ziel. Zur Erreichung desselben ist die Anordnung geeignet, erforderlich
und auch angemessen. Wie schon in § 8 Abs. 2 Satz 1 HENatG 1996 zum
Ausdruck kommt, überwiegen Naturschutzbelange regelmäßig private
Eigentümerinteressen. Dem Schutz von Uferflächen kommt darüber hinaus
besonderes Gewicht zu. Der Gesetzgeber hat den hohen Stellenwert des
Uferschutzes in zahlreichen Vorschriften des Naturschutz- und Wasserrechts zum
Ausdruck gebracht. Verfassungsrechtlich wird dieses Gewicht durch Art. 20 a GG
verstärkt. Das Grundstückseigentum des Klägers unterliegt demgegenüber gemäß
Art. 14 Abs. 2 Satz 1 GG der Sozialbindung. Die öffentlichen Belange an der
Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands überwiegen deshalb die Interessen
des Klägers, das Grundstück im aufgeschütteten Zustand zu belassen.
Der Verhältnismäßigkeit der Beseitigungsanordnung steht auch nicht der auf dem
Grundstück inzwischen vorhandene Bewuchs entgegen, mit dessen notwendiger
Beseitigung selbst ein Eingriff in den Naturhaushalt verbunden ist. § 74 Abs. 2
Nr. 4 HWG erlaubt die Beseitigung von Baum- und Strauchpflanzungen, wenn dies
der Wiederherstellung einer natürlichen Auenlandschaft dient. Die
Wiederherstellung einer Auenlandschaft, wie sie die Verfügung bezweckt, hat einen
höheren ökologischen Wert als der Erhalt gewöhnlichen Bewuchses.
Sonstige Gründe, aus denen sich die Unverhältnismäßigkeit der Verfügung
ergeben könnte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Insbesondere wird vom
Kläger nicht verlangt, Erdmaterial in einem Umfang abzutragen, der über den der
Aufschüttung hinausgeht.
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Der Beklagte wählte mit dem Kläger den richtigen Störer aus. Der Kläger ist als
Eigentümer des Grundstücks nach § 74 Abs. 2 Satz 1 HWG i. d. F. des Gesetzes
vom 26. 6. 1990 (GVBl. I S. 197) i. V. mit §§ 6 und 7 HSOG i. d. F. vom 31. 3. 1994
(GVBl. I S. 174) zumindest als Zustandsstörer für die Aufschüttung verantwortlich.
Darüber hinaus kommt auch eine Verhaltensverantwortlichkeit in Betracht, da der
Kläger Gesellschafter in der Gesellschaft bürgerlichen Rechts war, welche die
Aufschüttung veranlasste.
Die Verfügung entspricht in der Fassung des Widerspruchsbescheids auch dem
Bestimmtheitserfordernis des § 37 Abs. 1 HVwVfG. Die Frage hinreichender
Bestimmtheit richtet sich nach der jeweils zu regelnden Materie und ist variabel zu
beurteilen. Stets ist der herbeizuführende Erfolg aber so klar zu beschreiben, dass
er ohne zusätzliche Konkretisierung Grundlage für die Vollstreckung sein kann. Der
vom Verwaltungsakt Betroffene muss dem Bescheid gegebenenfalls durch
Auslegung entnehmen können, was von ihm verlangt wird. Diese dem Adressaten
obliegende Auslegung unterliegt den Geboten von Treu und Glauben und hat nicht
am buchstäblichen Ausdruck zu haften.
Unter Zugrundelegung dieser Kriterien genügt die Verfügung den Anforderungen
des § 37 Abs. 1 HVwVfG. Die von der Beseitigungsaufforderung erfasste Erdmasse
ist nicht nur in der Fläche, sondern auch in der Höhe bestimmt. Einer darüber
hinausgehenden Vermessung bedarf es nicht. Die Bedeutung des im
Verfügungstenor des Widerspruchsbescheides verwandten Begriffes der „Höhe der
Uferböschung“ lässt sich durch Auslegung ohne Schwierigkeiten feststellen. Bei
verständiger Auslegung kann mit der Höhe der Uferböschung nur die in § 68
Abs. 2 HWG 1996 genannte „Böschungsoberkante“ gemeint sein. Zum einen
taucht in diesem Begriff der Wortbestandteil der Böschung auf. Zum anderen ist
die Höhenlinie der Uferböschung, die der Beklagte nach dem Sinn und Zweck der
Verfügung meint, die Böschungsoberkante im Sinne des Gesetzes. Damit lässt
sich klar bestimmen, bis auf welche Höhe eine Abtragung zu erfolgen hat. Ob das
abzutragende Erdmaterial darüber hinaus noch immer an seiner Farbe und
Konsistenz zu erkennen und schon dadurch vom sonstigen Boden zu
unterscheiden ist, kann insofern dahinstehen.
Die getroffene Anordnung, das wiederhergestellte ursprüngliche Gelände der
natürlichen Sukzession zu überlassen, begegnet keinen rechtlichen Bedenken.
Diese Anordnung hat zum einen klarstellende Funktion. Sie stellt klar, dass den
Kläger über die Abtragung der Aufschüttung hinaus keine Verpflichtung zu aktivem
Tun trifft. Soweit sie den Kläger inzident zugleich verpflichtet, neuerliche
Veränderungen auf dem Grundstück zu unterlassen, konkretisiert sie die
entsprechenden Unterlassenspflichten des HENatG und ergänzt die
Beseitigungsverfügung, um den mit ihr verfolgten Zweck abzusichern. Die
Anordnung gewährleistet die landschaftstypische Entwicklung der
Grundstücksfläche nach Beseitigung der Aufschüttung.
Die Androhung der Ersatzvornahme entspricht den Vorgaben des HVwVG i. d. F.
vom 20. 12. 1995 (GVBl. I S. 555). Mit der Androhung war dem Kläger eine
zumutbare Frist nach § 69 Abs. 1 Nr. 2 HVwVG gesetzt worden und wie von § 74
Abs. 3 Satz 1 HVwVG verlangt, wurde der Kostenbetrag der Ersatzvornahme mit
der Androhung vorläufig veranschlagt.
Da der Kläger unterlegen ist, hat er die Kosten des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 1
VwGO zu tragen. Es entspricht der Billigkeit, die Kosten des Beigeladenen nicht für
erstattungsfähig zu erklären, weil er durch Verzicht auf eine eigene Antragstellung
kein Kostenrisiko eingegangen ist (§ 162 Abs. 3 VwGO).
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO
i. V. mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Die Berufung wird wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache
zugelassen (§§ 124 a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.