Urteil des VG Darmstadt vom 11.03.2004
VG Darmstadt: klinik, widerruf, körperschaft, bestandteil, ausstattung, anforderung, vollstreckung, verwaltungsakt, tierarzt, vertrauensschutz
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Gericht:
VG Darmstadt 3.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 E 2185/01
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 49 Abs 2 Nr 1 VwVfG HE, §
24 HeilBerG HE, § 25
TÄBerufsO HE
(Widerruf der Bezeichnung "Tierärztliche Klinik")
Leitsatz
Hinsichtlich der Anforderungen an die Ausstattung der Tierkliniken ist auf die jeweilige
aktuelle Fassung der Richtlinien zur Einrichtung von "Tierärztlichen Kliniken", die
Bestandteil der Berufsordnung der Landestierärztekammer sind, abzustellen.
Tenor
Der Bescheid der B. vom 08.12.2000 und der Widerspruchsbescheid derselben
Körperschaft vom 02.08.2001 werden aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der festzusetzenden Kosten
abwenden, falls nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe
leistet.
Tatbestand
Der Kläger ist Tierarzt und betreibt eine tierärztliche Praxis, in der er eine weitere
Tierärztin im Angestelltenverhältnis beschäftigt. Unter dem 18.07.1990 erteilte die
B. dem Kläger die Zulassung, die Bezeichnung „Tierärztliche Klinik“ zu führen,
nachdem der Kläger die in der Richtlinie zur Einrichtung von „Tierärztlichen
Kliniken“ zu § 25 der Berufsordnung der B. vom 17.04.1975 – Richtlinie 1975 –
geforderten Voraussetzungen erfüllte.
Am 11.03.1998 trat die am 19.11.1997 in der Delegiertenversammlung der B.
beschlossene Neufassung der Richtlinien zur Einrichtung von „Tierärztlichen
Kliniken“ – Richtlinie 1998 – in Kraft. Diese sieht unter anderem in § 4 Abs. 3
Richtlinie 1997 vor, dass mindestens drei Tierärzte/Tierärztinnen vollzeitig in der
„Tierärztlichen Klinik“ tätig sein müssen. Nach § 9 Abs. 1 der Richtlinie 1998 ist für
bestehende „Tierärztliche Kliniken“ eine Frist von zwei Jahren zur Erfüllung dieser
Voraussetzungen der neuen Klinikordnung vorgesehen.
Nachdem die Beklagte im Jahre 2000 den Kläger mehrfach aufgefordert hatte, den
Nachweis der Erfüllung der Richtlinie 1998 zu erbringen, widerrief die Beklagte nach
Anhörung des Klägers mit Bescheid vom 08.12.2000 die Zuerkennung der
Bezeichnung „Tierärztliche Klinik“ für die Praxis des Klägers zum 01.01.2001. Die
Umsetzung der Richtlinie 1998 sei im Hinblick auf die Übergangsfristen
angemessen und zumutbar.
Den fristgerecht eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit
Widerspruchsbescheid vom 02.08.2001 zurück. Die Zulassung sei nach § 49 Abs. 2
Nr. 1 HVwVfG zu widerrufen gewesen, da der Kläger nicht die Voraussetzungen der
Richtlinien 1998 erfülle. Eine Möglichkeit des Widerrufs sähen sowohl die frühere als
auch die aktuell geltende Fassung der Richtlinien vor. Die Schaffung der Vorschrift,
wonach drei vollzeittätige Tierärztinnen/Tierärzte in der Klinik tätig sein müssen, sei
wegen der erforderlichen 24-stündigen Dienstbereitschaft eingeführt worden.
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wegen der erforderlichen 24-stündigen Dienstbereitschaft eingeführt worden.
Diese sei nur mit der geforderten personellen Besetzung zu erfüllen, was durch
zahlreiche Beschwerden von Patientenbesitzern in der Vergangenheit bestätigt
werde. Aufgrund der Übergangsfristen, die dem Bestandsschutz Rechnung trage,
sei die Regelung auch zumutbar.
Der Kläger hat am 04.09.2001 Klage erhoben. Ihm sei die Berechtigung, die
Bezeichnung „Tierärztliche Klinik“ zu führen, nach den zu diesem Zeitpunkt
geltenden Richtlinien 1975 erteilt worden. Seine Klinik habe zu keinem Zeitpunkt
Anlass zu Beanstandungen geboten. Der Kläger ist der Auffassung, die Richtlinien
1998 seien für ihn nicht maßgebend, es käme vielmehr auf die Fassung im
Zeitpunkt der Erstzulassung an. Soweit der Beklagte darauf hinweise, dass bereits
die Richtlinien 1975 die Möglichkeit eines Widerrufs vorgesehen hätten, sei dies
unzutreffend, da diese nur für den Fall, dass die Voraussetzungen dieser Richtlinie
1975 nicht eingehalten würden, vorgesehen gewesen sei. Der Fall einer
Verschärfung der Vorschriften sei hiervon nicht gedeckt. Der
Zuerkennungsbescheid vom 18.07.1990 sei nicht mit einem entsprechenden
Widerrufsvorbehalt versehen gewesen, weshalb er sich auf Vertrauensschutz
berufe. Der Widerruf greife in seine Grundrechte aus Art. 12 und 14 GG ein, die von
ihm erlangte Position genieße Bestandsschutz. Im Übrigen sei die geforderte 24-
stündige Dienstbereitschaft bereits in der Vergangenheit jederzeit durch den
Kläger oder seine Assistentin sichergestellt gewesen, da sie entweder sofort oder
in wenigen Minuten erreichbar waren. Sowohl der Kläger als auch seine Assistentin
wohnten direkt über der Klinik. Eine Verbesserung der Qualität tierärztlicher
Leistungen werde gerade durch die vom Kläger eingesetzte, weit über das
geforderte Maß hinausgehende, apparative Ausstattung erbracht. Die
Patientenzahlen hätten sich im Falle des Klägers zudem durch die Errichtung
dreier weiterer Praxen sowie weiterer drei Kliniken in der näheren Umgebung um
mehr als die Hälfte reduziert, weshalb von Arbeitsüberlastung nicht die Rede sein
könne.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Landestierärztekammer vom 08.12.2000 und den
Widerspruchsbescheid derselben Körperschaft vom 02.08.2001 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und
führt ergänzend aus, die Neufassung der Richtlinien 1998 diene der Verbesserung
tierärztlicher Dienstleistungen und somit dem Verbraucherschutz. Mit dem Begriff
„Tierärztliche Klinik“ werde von einer breiten Bevölkerungsschicht ein mit
humanmedizinischen Einrichtungen vergleichbarer Leistungsstand assoziiert. Dem
entspreche eine 24-stündige Dienstbereitschaft. Eine solche sei jedoch nur mit
entsprechender personeller Ausstattung sicherzustellen. Tierhalter vertrauten in
Notsituationen auf diese Dienstbereitschaft und wendeten sich daher in Abend-
und Nachtstunden vor allem an „Tierärztliche Kliniken“. Die Anforderung, drei
Tierärzte/Tierärztinnen zu beschäftigen, berücksichtige auch den Umstand
urlaubs- oder krankheitsbedingter Abwesenheit einzelner Klinikmitarbeiter. Die
betroffenen Kliniken seien vor der Satzungsänderung auch eingehend über die
beabsichtigte Novellierung informiert worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
gewechselten Schriftsätze sowie den von der Beklagten vorgelegten Auszug aus
der Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige, insbesondere fristgerecht erhobene Klage ist begründet. Der
Bescheid der Beklagten ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten
(§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Zwar liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für einen Widerruf der
Zuerkennung der Bezeichnung „Tierärztliche Klinik“ vor, jedoch ist die
Entscheidung ermessensfehlerhaft (§ 114 VwGO).
Gemäß § 49 Abs. 2 Nr. 1 HVwVfG darf ein rechtmäßiger begünstigender
Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die
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Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die
Zukunft widerrufen werden, wenn der Widerruf durch Rechtsvorschrift zugelassen
oder im Verwaltungsakt vorbehalten ist. Ein Widerrufsvorbehalt ist im
Zuerkennungsbescheid vom 18.07.1990 nicht enthalten. Allerdings sieht sowohl
§ 2 Abs. 5 Richtlinie 1998 als auch § 13 Richtlinie 1975 eine Widerrufsmöglichkeit
vor. Bei den Richtlinien zur Einrichtung von „Tierärztlichen Kliniken“ gemäß § 25
der Berufsordnung der B. als Körperschaft des öffentlichen Rechts handelt es sich
um eine Rechtsvorschrift, da die Richtlinien aufgrund von § 25 der Berufsordnung
Bestandteil der Berufsordnung sind und von der Delegiertenversammlung
beschlossen wurden. Die Berufsordnung einschließlich der Richtlinien beruht auf
der Ermächtigung des § 24 Hessisches Heilberufsgesetz – HeilbG -. Danach regelt
das Nähere zu § 23 HeilbG, insbesondere die Pflichten der Kammerangehörigen,
die Berufsordnung in Form einer Satzung.
Sowohl nach § 13 Richtlinie 1975 als auch nach § 2 Abs. 5 Richtlinie 1998 kann die
Zuerkennung der Bezeichnung „Tierärztliche Klinik“ bei Verstößen gegen die
Richtlinie widerrufen werden. Soweit der Kläger die Auffassung vertritt, für ihn seien
lediglich die Vorschriften und die Anforderungen der Richtlinie 1975 maßgeblich, da
diese zum Zeitpunkt des Zuerkennungsbescheides Geltung erlangten, die
Voraussetzungen der Richtlinie 1998 habe er nicht zu erfüllen, ist dies
unzutreffend. Der Kläger ist, wie jedes andere Mitglied der Tierärztekammer an die
jeweilige Fassung der Richtlinie als Bestandteil der Berufsordnung gebunden. Der
Kläger musste auch mit der Anpassung der Richtlinien aufgrund neuer
Erkenntnisse, Erfahrungen und Entwicklungen im medizinischen Bereich rechnen.
Dem Vertrauensschutz ist insoweit durch die Übergangsvorschriften in § 9
Richtlinie 1998 Rechnung ausreichend getragen, wonach bestehende Kliniken
innerhalb von zwei Jahren nach Inkrafttreten der Richtlinie 1998 die
Voraussetzungen der neuen Klinikordnung zu erfüllen haben (Abs. 1) und für den
Nachweis der fachtierärztlichen Qualifikation eine Übergangsfrist von fünf Jahren
nach Inkrafttreten der Richtlinie eingeräumt wird (Abs. 2). Ein Verstoß gegen § 4
Abs. 3 Richtlinie 1998 liegt vor, da in der tierärztlichen Klinik des Klägers nicht drei
Tierärzte/Tierärztinnen vollzeitig tätig sind, sondern lediglich zwei.
Die Entscheidung der Beklagten ist jedoch ermessensfehlerhaft. Es ist weder aus
dem Ausgangsbescheid, noch aus dem Widerspruchsbescheid oder aus der
Behördenakte ersichtlich, dass die Beklagte bei Erlass des Widerrufsbescheides
das ihr eingeräumte Ermessen ausgeübt hat. Auch ist keine Ermessensreduktion
auf Null gegeben. Der Bescheid vom 08.12.2000 stellt lediglich die Anforderungen
der Richtlinie 1998 und die Nichterfüllung durch den Kläger fest. Weiterhin wird
darauf verwiesen, aufgrund der Übergangsvorschriften sei die Verschärfung der
Anforderungen nicht unzumutbar. Daher habe sich der Vorstand „gezwungen“
gesehen, die Zuerkennung zu widerrufen. Soweit die Beklagte in ihrem
Widerspruchsbescheid vom 02.08.2001 darauf abstellt, bei der Schaffung der
Vorschrift sei der Satzungsgeber von der Erkenntnis ausgegangen, dass eine 24-
stündige Dienstbereitschaft tierärztlicher Kliniken, wie sie § 3 der Richtlinie 1998
voraussetzt, nur mit einer personellen Mindestausstattung erfüllt werden könne,
dies habe die Erfahrung durch zahlreiche Beschwerden von Patientenbesitzern in
der Vergangenheit bestätigt, handelt es sich dabei nicht um
Ermessenserwägungen im Einzelfall. Vielmehr war dies die Motivation zur
Änderung der Anforderung in einer neuen Richtlinie. Konkrete Angaben zur
tierärztlichen Klinik des Klägers werden nicht gemacht. Die Bescheide der
Beklagten lassen insbesondere Ermessenserwägungen vermissen, weshalb es
erforderlich ist, die Zuerkennung gerade für die Praxis des Klägers zu widerrufen
und weshalb gerade im Fall des Klägers eine 24-stündige Dienstbereitschaft
gefährdet sein soll. Wie die Beklagte in der mündlichen Verhandlung vom
11.03.2004 selbst einräumte, gab es keine konkreten Beschwerden von Besitzern
von Patienten hinsichtlich der klägerischen Tierklinik. Zudem lässt die
Entscheidung der Beklagten unberücksichtigt, dass bereits in § 6 Abs. 2 Richtlinie
1975 vorgesehen war, dass eine tierärztliche Klinik auch zur Nachtzeit und an
Sonn- und Feiertagen – auch außerhalb der üblichen Dienstzeiten – dienstbereit zu
sein hatte. Hierzu musste mindestens ein Tierarzt zur Verfügung stehen. Nach
unbestrittenem und glaubhaften Vortrag des Klägers war und ist die 24-stündige
Dienstbereitschaft zu jeder Zeit gewährleistet, da entweder der Kläger selbst oder
seine Assistenzärztin aufgrund dessen, dass der Kläger und im Fall seiner
Abwesenheit seines Assistenzärztin über der Tierklinik wohnen und daher jederzeit
erreichbar sind. Im Übrigen befinden sich im Umkreis zwischen 3 und 14 km drei
weitere Tierkliniken, die die tierklinische Versorgung zusätzlich sicherstellen. Auch
dies hätte in die Abwägung mit einbezogen werden müssen. In Anbetracht der
derzeitigen Situation und der erkennbar nicht gegebenen Gefährdung der 24-
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derzeitigen Situation und der erkennbar nicht gegebenen Gefährdung der 24-
stündigen Dienstbereitschaft ist auch keine Ermessensreduktion auf Null bezüglich
des Widerrufs der Zuerkennung gegeben. Es ist nicht ersichtlich, dass der Widerruf
die einzig denkbare Möglichkeit darstellt, die Anforderungen des § 3 Richtlinie 1998
zu gewährleisten.
Die Beklagte hat als Unterlegene die Kosten des Verfahrens zu tragen (§ 154
Abs. 1 VwGO).
Die Regelung der vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 167 VwGO
i. V. mit 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.