Urteil des VG Darmstadt vom 27.11.2007

VG Darmstadt: stadt, recht der europäischen union, prinzip der gegenseitigkeit, störfallverordnung, gefährliche stoffe, schutzwürdiges interesse, öffentlich, gartencenter, betreiber, grundstück

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Gericht:
VG Darmstadt 9.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 E 2454/05
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 34 BauGB, § 15 Abs 1 S 2
BauNVO, § 50 BImSchG, Art
12 Abs 1 EGRL 82/96, § 75
VwGO
(Untätigkeitsklage auf Zurückweisung des
Drittwiderspruchs gegen einen Bauvorbescheid zur
Errichtung eines großflächigen Einzelhandelsmarktes)
Leitsatz
1. Auch der Begünstigte eines Verwaltungsakts kann Untätigkeitsklage erheben, wenn
die Widerspruchsbehörde nicht über den Rechtsbehelf eines Dritten entscheidet.
2. Der Begünstigte eines positiven Bauvorbescheids hat ein rechtlich schutzwürdiges
Interesse daran, die Bestandskraft des Bescheids gegen den Rechtsbehelf eines Dritten
herbeizuführen.
3. Für eine unmittelbare Anwendung des § 50 BImSchG ist im Rahmen der Prüfung nach
§ 34 BauGB kein Raum (wie BVerwG, NVwZ 1990, S. 962 und VG Gießen, HessVGRspr.
2002, S. 83). Auch eine unmittelbare Anwendung von Art. 12 Abs. 1 der Seveso II-
Richtlinie kommt dort nicht in Betracht.
4. Zu den städtebaulichen Gesichtspunkten, die im Rahmen des Gebots der
Rücksichtnahme beachtlich sind, können auch solche des Störfallrechts gehören,
einschließlich des Trennungsgrundsatzes aus § 50 BImSchG und Art. 12 Abs. 1 Seveso
II-Richtlinie. Die Pflicht des Betreibers einer Störfallanlage Störfälle zu verhindern (§ 3
Abs. 1 12. BImSchVO) und die Pflicht zur Begrenzung der Störfallauswirkungen (§ 3 Abs.
3 12. BImSchVO) können im Einzelfall auch die Verpflichtung zur Einhaltung von
Sicherheitsabständen umfassen (wie Hess. VGH, GewArch. 2002, S. 212). Es erscheint
grundsätzlich naheliegend zur Bestimmung dieses gesetzlich nicht geregelten
Abstandes den Leitfaden der Störfallkommission vom 18.10.2005 zugrunde zu legen.
5. Der Betreiber einer Störfallanlage kann sich in einer bestehenden Gemengelage
nicht erfolgreich unter Berufung auf das Gebot der Rücksichtnahme gegen das
Heranrücken schutzwürdiger Bebauung wehren, wenn durch die hinzukommende
Bebauung voraussichtlich keine neuen oder anderen störfallrechtlichen Auflagen für den
Anlagenbetreiber ausgelöst werden.
Tenor
Der Beklagte wird verurteilt, den Widerspruch der Beigeladenen gegen den der
Klägerin erteilten Bauvorbescheid der Stadt Darmstadt vom 27.04.2005
zurückzuweisen.
Der Beklagte und die Beigeladene haben die Kosten des Verfahrens je zu 1/2 zu
tragen.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Beigeladene ficht einen der Klägerin erteilten Bauvorbescheid zur Errichtung
eines großflächigen Einzelhandelsbetriebes (Gartenmarkt) an. Die Klägerin
erstrebt die Zurückweisung des Drittwiderspruchs der Beigeladenen.
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erstrebt die Zurückweisung des Drittwiderspruchs der Beigeladenen.
Die Klägerin betreibt auf den Grundstücken in der Gemarkung Darmstadt, Flur 32,
Flurstück Nr. 136/1, 33 und 60/3 (Otto-Röhm-Straße 57 und 59), im Folgenden:
Baugrundstück, eine immissionsschutzrechtlich genehmigte Schrott- und
Metallrecyclinganlage. Ferner befindet sich auf dem Baugrundstück ein
Einzelhandelsgeschäft für Elektrogroßgeräte. Das Baugrundstück liegt im
Gewerbegebiet Nordwest der Beklagten an der Otto-Röhm-Straße in einem Gebiet,
für das kein rechtswirksamer Bebauungsplan besteht.
Das Grundstück dehnt sich in Nord- Südrichtung ca. 200 und in Ost- Westrichtung
ca. 130 Meter aus. Die übrigen Grundstücke in der näheren Umgebung sind
sämtlich bebaut. Nach Westen hin schließen sich an das Baugrundstück bis zum
Daimlerweg Büronutzungen an, jenseits des Daimlerweges verschiedene
gewerbliche Nutzungen, Büro- und Servicebetriebe bis hin zum Wöhlerweg. Noch
weiter westlich, jenseits des Wöhlerwegs, befinden sich ein Aldi-Markt, ein
Zoogeschäft und ein Möbelhaus. Unmittelbar östlich des Baugrundstücks befindet
sich ein Farbengroßhandel, weiter östlich (Otto-Röhm-Straße 51) ein großflächiger
Einzelhandelsbetrieb (Praktiker- Baumarkt). Südlich des Baugrundstücks auf der
gegenüberliegenden Seite der Otto-Röhm-Straße befinden sich diverse Kfz
Verkaufs- und Servicebetriebe (Otto-Röhm-Straße 68, 72 und 74) sowie weitere
großflächige Einzelhandelsbetriebe, ein Hornbach-Baumarkt und ein Bauhaus-
Baumarkt. Etwas weiter entfernt befindet sich südwestlich des Baugrundstücks
noch ein Hotel (Otto-Röhm-Straße 84). Die genannten großflächigen
Einzelhandelbetriebe Praktiker, Hornbach und Bauhaus verfügen dabei jeweils
auch über dem Verkauf dienende Außengelände (Garten- und Baustoffcenter).
An der Nordseite grenzt das Baugrundstück an mehrere Bahntrassen an. Jenseits
einer ersten Bahntrasse befinden sich Kleingärten, hieran grenzt nordöstlich die
zweite Bahntrasse an. Nördlich dieser zweiten Bahntrasse befindet sich die
Zentralkläranlage der Beigeladenen sowie ein Sonderabfallzwischenlager,
nordöstlich hiervon, durch weitere Bahntrassen getrennt, das restliche
Betriebsgelände der Beigeladenen. Dabei beträgt der minimale Abstand von dem
äußersten dem Baugrundstück zugekehrten Teil der Betriebsgebäude auf der
"Insel" und der äußersten Grenze des Baugrundstücks ca. 70 Meter. Der Abstand
zwischen der äußersten Grundstücksgrenze des Baugrundstücks und dem Beginn
des eigentlichen Betriebsgeländes der Beigeladenen beträgt minimal 250 Meter.
Die Klägerin beantragte am 29.06.2004 bei der Stadt Darmstadt einen
Bauvorbescheid für die Errichtung eines Gartencenters mit einer Verkaufsfläche
von 9.368 m², davon 1.958 m² Freiverkaufsbereich. Es sollten dafür rund 380
Stellplätze errichtet werden. Trotz erheblicher immissionsschutzrechtlicher
Bedenken der Abteilung Umwelt Darmstadt des Beklagten erteilte die Stadt
Darmstadt unter dem 27.04.2005 den beantragten Bauvorbescheid über die
planungsrechtliche Zulässigkeit des Gartencenters. Dabei ging das
Bauaufsichtsamt der Stadt Darmstadt davon aus, dass bei der Beurteilung des
Vorhabens nach § 34 BauGB weder § 50 BImSchG, noch unmittelbar Art. 12 Abs. 1
der Seveso II-Richtlinie anwendbar seien und das Vorhaben aufgrund der
bestehenden Gemengelage entlang der Otto-Röhm-Straße, in die es sich einfüge,
nicht das Gebot der Rücksichtnahme gegenüber der Beigeladenen verletze.
Mit Schreiben vom 11.05.2005 legte die Beigeladene gegen den Bauvorbescheid
Widerspruch ein, den sie im Wesentlichen damit begründete, mit der
Genehmigung öffentlich genutzter Gebäude in der Nachbarschaft einer
immissionsschutzrechtlich genehmigten Störfallanlage verletze die Stadt
Darmstadt die ihr nach den Bestimmungen des europäischen und nationalen
Immissionsschutzrechtes obliegenden Pflichten. Die Stadt müsse einen
angemessenen Abstand zwischen dem Betriebsbereich der Beigeladenen und der
Umgebung gewährleisten. Die Ansiedlung von Örtlichkeiten mit Publikumsverkehr
verschlimmere die Folgen eines schweren Unfalls im Sinne des Art. 3 Nr. 5 der
Seveso II-Richtlinie. Über das in § 34 Abs. 1 BauGB enthaltene Merkmal des
Einfügens, in das auch das Rücksichtnahmegebot falle, seien die Anforderungen
an den Umgebungsschutz von Störfallanlagen auch für die Einzelgenehmigung
von Bauvorhaben erheblich und drittschützend. Die Anforderungen des Art. 12 der
Seveso II-Richtlinie seien nicht erfüllt, denn danach seien die zuständigen
Behörden verpflichtet, die Ansiedlung von Schutzobjekten in der Umgebung von
Störfallanlagen zu überwachen. Auch eine Genehmigung nach § 34 BauGB sei eine
staatliche Politik der Flächennutzung im Sinne der genannten Vorschriften. Den
zuständigen Behörden obläge im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens eine
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zuständigen Behörden obläge im Rahmen des Baugenehmigungsverfahrens eine
Pflicht zur Ermittlung und Bewertung der störfallrechtlichen Risiken. Auch dies sei
durch die Stadt nicht beachtet worden.
Nachdem der Beklagte als Widerspruchsbehörde über den Drittwiderspruch der
Beigeladenen nicht entschied, hat die Klägerin am 23.12.2005 Untätigkeitsklage
erhoben.
Sie geht dabei davon aus, dass das Betriebsgelände der Beigeladenen nicht mehr
zu der hier nach § 34 Abs. 1 BauGB maßgeblichen näheren Umgebung zählt.
Diese sei vielmehr von der Bebauung entlang der Otto-Röhm-Straße und des Carl-
Schenck-Rings geprägt; in diese Gemengelage, die insbesondere von den
großflächigen Einzelhandelsbetrieben dort bestimmt werde, füge sich ihr Vorhaben
ein. Demgegenüber sei der Anwendungsbereich des § 50 BImSchG hier nicht
eröffnet, weil es sich im Rahmen des § 34 BauGB nicht um eine Planung handele.
Die Vorschrift müsse auch nicht "richtlinienkonform" ausgelegt werden, da Art. 12
Abs. 1 der Seveso II-Richtlinie für den hier interessierenden Bereich vollständig in
nationales Recht umgesetzt worden sei.
Auch sei das § 34 Abs. 1 BauGB innewohnendes Gebot der baurechtlichen
Rücksichtnahme durch den streitgegenständlichen Bauvorbescheid nicht verletzt.
Weder gingen von dem Vorhaben der Klägerin unzumutbare Emissionen aus, noch
sei es solchen Immissionen durch den Betrieb der Beigeladenen ausgesetzt. Auch
die Pflichten, die die Beigeladene als Betreiberin einer Störfallanlage nach der
Störfallverordnung träfen, würden durch das Vorhaben der Klägerin nicht
verändert. Hier sei zu sehen, dass Sicherheitsabstände zwischen Störfallbetrieben
und schutzwürdigen Nutzungen in Deutschland nicht normativ festgelegt seien. Im
Übrigen ändere sich die Situation für die Beigeladene nicht, da der genannte
Farbengroßhandel und der Praktiker-Baumarkt gleichweit vom Betriebsgelände der
Beigeladenen entfernt seien. Noch näher lägen etwa einige Dauerkleingärten und
der Nordbahnhof.
Bei der Begrenzung der Auswirkung von Störfällen handele es sich um eine
Risikovorsorgetätigkeit, da davon auszugehen sei, dass die oberhalb dieser
Schwelle liegenden Risiken bereits durch die herkömmlichen Betreiberpflichten der
Beigeladenen erfasst würden. Für einen Eingriff in die Rechtssphäre Dritter aus
Gründen der bloßen Risikovorsorge unterhalb der Gefahrenschwelle sei eine
hinreichend bestimmte Entscheidung des parlamentarischen Gesetzgebers
notwendig, die hier nicht vorliege. Die Klägerin verweist im Übrigen darauf, dass
der Leitfaden der Störfallkommission hier nicht maßgeblich sei, da er zum einen
keine Rechtsnormqualität besitze, zum anderen gem. Ziffer 2.3.1. für
Gemengelagen nicht anwendbar sei.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, den Widerspruch der C. KGaA vom 11.05.2005
gegen den Bauvorbescheid der Stadt Darmstadt vom 27.04.2005 zurückzuweisen,
hilfsweise
die Beklagte zu verurteilen, über den Widerspruch der C. KGaA vom 11.05.2005
gegen den Bauvorbescheid der Stadt Darmstadt vom 27.04.2005 unter
Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er vertritt die Auffassung, die Errichtung eines Gartencenters auf dem
Baugrundstück sei rücksichtslos. Das aus § 50 BImSchG bzw. Art. 12 Abs. 1 der
Seveso II-Richtlinie folgende öffentliche Interesse an der Wahrung angemessener
Mindestabstände zwischen Störfallbetrieben einerseits und öffentlich genutzten
Gebäuden andererseits sei auch bei Anwendung des Rücksichtnahmegebots im
Rahmen des § 34 BauGB zu berücksichtigen. Die Vorschrift sei bei
richtlinienkonformer Auslegung als eine der Möglichkeiten der "Politiken der
Flächenausweisung oder Flächennutzung" des Art. 12 Abs. 1 der Seveso II-
Richtlinie anzusehen. Für die Anwendbarkeit des § 50 BImSchG reiche aus, dass
das Vorhaben, von dem die Auswirkungen ausgehen könnten, hier also der Betrieb
der Beigeladenen, raumbedeutsam sei. Auf die Raumbedeutsamkeit des
Vorhabens der Klägerin selbst komme es dagegen nicht an. Die Klägerin habe die
Verpflichtung, die Auswirkungen eines möglichen Störfalls auf dem
Betriebsgelände der Beigeladenen durch Einhaltung eines Sicherheitsabstandes
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Betriebsgelände der Beigeladenen durch Einhaltung eines Sicherheitsabstandes
zu vermindern. Dieser sei aufgrund des Leitfadens der Störfallkommission und des
Technischen Ausschusses für Anlagensicherheit (TAA) vom 18.10.2005
"Empfehlungen für Abstände zwischen Betriebsbereichen nach der
Störfallverordnung und schutzbedürftigen Gebieten im Rahmen der Bauleitplanung
- Umsetzung § 50 BImSchG" zu ermitteln.
Hier erweise es sich als rücksichtslos, ein öffentlich genutztes Gebäude mit
Verkaufsflächen im Freien an einem Standort zu verwirklichen, der wegen seiner
Nähe zu einem Störfallbetrieb den Auswirkungen eines Störfalls in besonderer
Weise ausgesetzt wäre. Unter Abwägung der zu berücksichtigenden Interessen
erscheine es dagegen zumutbar, den Eigentümer des benachbarten Grundstücks
auf eine Nutzung zu verweisen, die im Hinblick auf das Störfallrisiko weniger
sensibel sei als ein Gebäude mit erheblichen Publikumsverkehr.
Auch die Beigeladene beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie vertritt dabei unter Vertiefung ihres bereits im Widerspruchsverfahren
gehaltenen Vortrags die Auffassung, es liege nahe, dass das durch Art. 12 Abs. 1
der Seveso II-Richtlinie bzw. § 50 BImSchG normativ geregelte Abstandserfordernis
die Interessenabwägung, die bei der Prüfung des "Einfügens" einer Bebauung unter
dem Aspekt des Gebots der Rücksichtnahme durchzuführen sei, inhaltlich
anreichere. Auch bei Berücksichtigung des eigentumsgrundrechtlichen Schutzes
der Baufreiheit erscheine es zumutbar, die Eigentümer von benachbarten
Grundstücken auf andere Nutzungen zu verweisen, die im Hinblick auf das
Störfallrisiko nicht so sensibel seien wie ein Gartencenter mit erheblichem
Publikumsverkehr oder andere öffentlich genutzte Gebäude, die nach nationalem
und europäischem Recht durch Wahrung angemessener Abstände vor den
Auswirkungen von (Dennoch-) Störfällen zu schützen seien. Der (vorhandene)
Anlagenbetreiber unterliege nicht dem rechtlichen Erfordernis der Wahrung
angemessener Abstände.
Die Erwerberin des Grundstücks, die S. Vermögensverwaltungs GmbH & Co. KG,
hat am 15.03.2006 bei der Stadt Darmstadt die Erteilung einer Baugenehmigung
für ein Gartencenter auf dem Baugrundstück entsprechend der Bauvoranfrage
beantragt.
Im Juni 2006 ist ein von der Beklagten in Auftrag gegebenes Gutachten des TÜV
Nord zur Verträglichkeit des Betriebsbereichs der Beigeladenen mit den Planungen
in dessen Umfeld unter dem Gesichtspunkt des § 50 BImSchG bzw. Art. 12 der
Seveso II-Richtlinie vorgelegt worden. Darin sind für bestimmte, von dem Gelände
der Beigeladenen ausgehende Gefahrenpotenziale Achtungsgrenzen in Anlehnung
an den Leitfaden bestimmt worden, der vom Technischen Ausschuss für
Anlagensicherheit und der Störfallkommission beim Bundesumweltministerium am
18.10.2005 verabschiedet worden war. Die hiernach ermittelten Achtungsgrenzen
der Einzelfälle sind zu einer sogenannten "geglätteten Umhüllenden" um den
Betriebsbereich zusammengezogen worden. Das für das Gartencenter
vorgesehene Grundstück liegt dabei vollständig sowohl innerhalb dieser
Umhüllenden, als auch innerhalb mehrerer der ermittelten Achtungsgrenzen für
einzelne Stoffe (z.B. Ammoniak, Chlor, Chlorwasserstoff). Im Ergebnis sind nach
Auffassung der Gutachter die in der Umgebung des Betriebes der Beigeladenen
geplanten Vorhaben überwiegend zu verwirklichen; das geplante Gartencenter ist
jedoch wegen der im Freien liegenden Verkaufs- und Ausstellungsflächen
ausdrücklich nicht befürwortet worden.
Am 14.07.2006 haben der Beklagte, die Beigeladene und die Stadt Darmstadt
eine Vereinbarung unterzeichnet, wonach die Aussagen und Bewertungen des
genannten Gutachtens als technische Grundlagen der gemeinsamen
Abstandsfindung anerkannt worden sind. Die "Abstandsgrenzen" sollen bei
Planungen, Vorhaben und Genehmigungen berücksichtigt werden.
Im Folgenden hat der Beklagte als obere Bauaufsichtsbehörde die Stadt
Darmstadt angewiesen, den hier streitgegenständlichen Bauvorbescheid
zurückzunehmen und den dahingehenden Bauantrag abzulehnen. Gegen diese
Weisung hat die Stadt Darmstadt remonstriert. Die Erwerberin des Grundstücks
hat am 27.04.2007 Klage vor dem erkennenden Gericht auf Erteilung der
beantragten Baugenehmigung für das Gartencenter erhoben. Das Verfahren wird
unter dem Aktenzeichen 9 E 735/07(3) geführt.
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Der Beklagte hat mit Widerspruchsbescheid vom 16.05.2007 den
streitgegenständlichen Bauvorbescheid zurückgenommen, den
Widerspruchsbescheid jedoch im Termin zur mündlichen Verhandlung wieder
aufgehoben.
Die Sache ist gemeinsam mit dem Verfahren 9 E 735/07(3) verhandelt worden.
Gegenstand der mündlichen Verhandlung sind auch gewesen 1 Band
Bauvorbescheidsakten der Stadt Darmstadt sowie 1 Band Widerspruchsvorgang
des Beklagten hierzu. Ferner 1 Band und 1 Ordner Baugenehmigungsakten der
Stadt Darmstadt 3 Bände und 1 Ordner Bauakten bezüglich des Bauvorhabens
Erweiterung Hornbach.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, insbesondere nach § 75 VwGO statthaft. Nach dieser
Vorschrift ist eine Klage auch ohne vorherige Durchführung eines abgeschlossenen
Widerspruchsverfahrens zulässig, wenn über einen Antrag auf Vornahme eines
Verwaltungsaktes ohne zureichenden Grund in angemessener Frist sachlich nicht
entschieden worden ist. Nach § 75 S. 2 VwGO kann die Klage regelmäßig nicht vor
Ablauf von drei Monaten seit der Einlegung des Widerspruchs erhoben werden. Die
Möglichkeit steht auch dem Begünstigten eines von einem Dritten angefochtenen
Verwaltungsaktes zu (VGH Mannheim, Urt. v. 09.02.1993 - 5 S 1650/92, BRS 55,
Nr. 193). Die Klägerin hat auch ein Rechtsschutzbedürfnis für die Klage auf
Zurückweisung des Widerspruchs der Beigeladenen; sie muss sich nicht darauf
verweisen lassen, das parallele Verfahren der Erwerberin des Grundstücks auf
Erteilung der Baugenehmigung abzuwarten oder selbst einen Bauantrag zu
stellen. Denn § 66 i.V.m. § 64 Abs. 1 HBO gewährt der Klägerin einen Anspruch auf
Erteilung eines positiven - bestandskräftigen - Bauvorbescheids, wenn dessen
Voraussetzungen vorliegen. Die Eröffnung der Klagemöglichkeit gewährleistet
diesen Anspruch in Fällen wie dem vorliegenden.
Die Klage ist auch begründet.
Die Klägerin als Begünstigte des Ausgangsbescheides hat hier einen Anspruch auf
Zurückweisung des Drittwiderspruchs der Beigeladenen gegen den
Bauvorbescheid vom 27.04.2005. Für einen Erfolg des Drittwiderspruchs der
Beigeladenen ist über die objektive Rechtswidrigkeit des angefochtenen
Bauvorbescheids hinaus, entsprechend der Regelung in den § 42 Abs. 2 und § 113
Abs. 1 S. 1, Abs. 5 VwGO die Verletzung der rechtlich geschützten eigenen
Interessen der Beigeladenen durch diesen Verwaltungsakt erforderlich.
Ein derartiges Nachbarrecht besteht immer dann, wenn ein genehmigtes
Vorhaben gegen Vorschriften des öffentlichen Rechts verstößt und die
Voraussetzungen für eine Annahme oder Befreiung nicht vorliegen
und
die verletzten Vorschriften auch dem Schutze der Nachbarn zu dienen bestimmt,
also nachbarschützend sind
und
durch das rechtswidrige Vorhaben eine tatsächliche Beeinträchtigung des
Nachbarn hinsichtlich der durch die Vorschrift geschützten nachbarlichen Belange
eintritt (Hess. VGH, Beschl. v. 01.08.1991 - 4 TG 1244/91 -, DVBl. 1992, 45 =
NVwZ 1003, 491; Hess. VGH, Beschl. v. 07.12.1994 - 4 TH 3032/94 -, HessVGRspr.
1995, 58; st.Respr.).
Der zugunsten der Klägerin ergangene Bauvorbescheid ist aber objektiv
rechtmäßig.
Die Bauvoranfrage der Klägerin ist nach dem Verständnis der Beteiligten als
Antrag auf Erteilung einer auf das Bauplanungsrecht beschränkten
Bebauungsgenehmigung auszulegen.
Bauplanungsrechtlich ist das Bauvorhaben nach § 34 Baugesetzbuch - BauGB - zu
beurteilen, da das Baugrundstück innerhalb eines im Zusammenhang bebauten
Ortsteils liegt, für den ein Bebauungsplan nicht besteht.
Danach ist ein Vorhaben innerhalb der im Zusammenhang bebauten Ortsteile
zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und
der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren
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der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren
Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist (§ 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB).
Für eine derartige Beurteilung ist zunächst die nähere Umgebung im Sinne dieser
Vorschrift zu bestimmen. Im Mittelpunkt dieser Umgebung liegt das Grundstück,
auf dem die streitgegenständliche bauliche Anlage errichtet werden soll. Die
nähere Umgebung um dieses Grundstück wird im Idealfall durch konzentrische
Kreise bestimmt, deren Radien mit den Auswirkungen der fraglichen baulichen
Anlage auf seine Umgebung wachsen. Dabei ist zu beachten, dass diese Kreise je
nach Merkmal (Art und Maß der baulichen Nutzung, Geschosszahl u. a.)
unterschiedlich groß sein können. Von dieser Bereichsbestimmung mit Hilfe einer
geometrisch mehr oder weniger idealen Figur können aufgrund der
Besonderheiten des Einzelfalles Abweichungen geboten sein, die das Ergebnis
einer nicht schematischen, sondern wertenden Betrachtung sind (vgl. Hess. VGH,
Beschl. v. 17.12.1984 - 4 TG 2545/84 -, BRS 42 Nr. 77 [insoweit nicht abgedruckt];
Hess. VGH, Beschl. v. 25.03.1987 - 4 UE 40/87 -, BRS 47 Nr. 64). Diese Prüfung
kann - und wird auch häufig - dazu führen, dass an die Stelle einer kreisförmigen
Abgrenzung unter Berücksichtigung der die Umgebung prägenden Strukturen,
insbesondere der Grundstückszuschnitte, der Bebauung, Wegeerschließung und
Oberflächengestalt eine andere Abgrenzung, z. B. in Form von Grundstücksreihen,
Straßengevierten und dergleichen, gefunden wird (Hess. VGH, Beschl. v.
25.03.1987, a. a. O.).
Ausgehend von diesen Grundsätzen ist hier als nähere Umgebung des
Baugrundstücks die Bebauung beiderseits der Otto-Röhm-Straße in westlicher
Richtung etwa bis zum Wöhlerweg, in südöstlicher Richtung über den Carl-Schenck-
Ring hinaus anzusprechen. Nach Norden hin wird die nähere Umgebung, die von
Gewerbe- und Einzelhandelsnutzungen, insbesondere großflächigen
Einzelhandelsbetrieben geprägt wird, von der Bahnlinie deutlich abgegrenzt.
Unschädlich hinsichtlich der Einbeziehung in die nähere Umgebung ist, dass für
vereinzelte Bauvorhaben in dem so beschriebenen Bereich offenbar
vorhabenbezogene Bebauungspläne bestehen. Von dem Bereich nördlich der
Bahnlinie, dem Betriebsgelände der Beigeladenen, ist das Gewerbegebiet
Nordwest der Stadt Darmstadt sowohl durch die Entfernung als auch durch die
gänzlich andersartig geprägte Nutzung deutlich abgegrenzt. Bereits zur
Zentralkläranlage der Beigeladenen hin weist der nördlich des Baugrundstücks
gelegene Bahnkörper eine Breite von 60 bis 80 Metern auf.
In der maßgeblichen näheren Umgebung des Baugrundstücks befinden sich somit
Geschäfts-, Büro- und Verwaltungsgebäude, Gewerbebetriebe unterschiedlichster
Art, Lager und Produktionsstätten. Dies entspricht von der Art der Nutzung keinem
der in § 2 ff. BauNVO in Bezug genommenen Baugebietstypen; vielmehr weist die
Gemengelage wesentliche Elemente sowohl eines Gewerbegebiets als auch,
insbesondere wegen des bereits vorhandenen großflächigen Einzelhandels mit drei
Nutzungen jeweils um 10.000 qm Verkaufsfläche, eines Kerngebiets oder
Sondergebiets für großflächigen Einzelhandel auf. Eine Beurteilung nach § 34 Abs.
2 BauGB scheidet deshalb aus.
Das Vorhaben fügt sich nach § 34 Abs. 1 BauGB in die hier zu betrachtende
nähere Umgebung ein, da es sich von der Art der Nutzung her innerhalb des
vorhandenen, stark von den bestehenden großflächigen Einzelhandelsbetrieben
geprägten Rahmens hält. Ebenso sind vom Maß seiner baulichen Nutzung, von der
Bauweise und der überbaubaren Grundstücksfläche her Bedenken gegen das
Vorhaben weder ersichtlich noch vorgetragen.
Auch aus § 50 BImSchG ergibt sich nichts anderes. Danach sind bei
raumbedeutsamen Planungen und Maßnahmen die für eine bestimmte Nutzung
vorgesehenen Flächen einander so zuzuordnen, dass schädliche
Umwelteinwirkungen und von schweren Unfällen im Sinne des Art. 3 Nr. 5 der
Seveso II-Richtlinie in Betriebsbereichen hervorgerufene Auswirkungen auf die
ausschließlich oder überwiegend dem Wohnen dienenden Gebiete sowie auf
sonstige schutzbedürftige Gebiete, insbesondere öffentlich genutzte Gebiete,
wichtige Verkehrswege, Freizeitgebiete und unter dem Gesichtspunkt des
Naturschutzes besonders wertvolle oder besonders empfindliche Gebiete und
öffentlich genutzte Gebäude soweit wie möglich vermieden werden.
Das hier zur Genehmigung stehende Vorhaben fällt indes nicht in den
Anwendungsbereich des § 50 BImSchG, da es sich nicht um eine
raumbedeutsame Planung oder Maßnahme im Sinne dieser Vorschrift handelt.
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raumbedeutsame Planung oder Maßnahme im Sinne dieser Vorschrift handelt.
Unstreitig fallen unter die Begriffe der raumbedeutsamen Planungen und
Maßnahmen Vorgänge, bei denen eine direkte Planung stattfindet, etwa
Raumordnungspläne, Flächennutzungspläne, Bebauungspläne, Straßen- und
Schienenplanungen, Festlegung von Natur- und Landschaftsschutzgebieten,
gemeindliche Entwicklungspläne, Landesentwicklungsprogramme,
Landschaftspläne, Abfallbeseitigungspläne und Investitionsprogramme. Auch
raumbedeutsame Einzelvorhaben können von § 50 BImSchG erfasst werden,
soweit in den Entscheidungen planerische Elemente eine Rolle spielen, wie etwa
beim Planfeststellungsbeschluss (vgl. zum vorstehenden etwa die Nachweise bei
Jarass, § 50 BImSchG, Rdnr. 4 - 6).
Umstritten ist allerdings, ob auch Baugenehmigungen, insbesondere im Bereich
des § 34 BauGB von der Vorschrift erfasst werden. Dies wird im
immissionsschutzrechtlichen Schrifttum zum Teil ohne weitere Begründung bejaht,
etwa von Jarass (a.a.O., Rdnr. 6) und Hansmann in Landmann/Rohme; (Rdnr. 25 zu
§ 50 BImSchG), ebenso von Weidemann/Freytag (Störfallrechtliche Risiken für
Chemiestandorte - zu den Abwehransprüchen von Störfallbetrieben gegen
herannahende Bebauung, in Stoffrecht 2004, S. 225 [229]) und
Sellner/Scheidmann (Umgebungsschutz für Störfallanlagen [auch in Bezug auf
Flugrouten], in NVwZ 2004, S. 267 [269]). Demgegenüber will Weidemann
(Abstandswahrung durch staatliche Ansiedlungsüberwachung - zu den Folgen der
Seveso II-Richtlinie im Städtebaurecht und im Immissionsschutzrecht -, in DVBl.
2006, S. 1143 [1148 ff]) differenzierend darauf abstellen, ob das jeweils betroffene
Einzelvorhaben in § 50 BImSchG als Schutzobjekt aufgeführt ist.
Allerdings hat die Rechtsprechung (BVerwG, Beschl. v. 12.06.1990 - 7 B 72.90, in
NVwZ 1990, S. 962; ebenso VG Gießen, Beschl. v. 18.06.2002, 1 G 1689/02, in
HessVGRspr. 2002, S. 83) erkannt, dass § 34 BauGB für eine planersetzende
Entscheidung unter Berücksichtigung des Planungsgrundsatzes § 50 BImSchG
keinen Raum gibt. Dem schließt sich die Kammer an. Für diese Auffassung spricht,
dass § 50 BImSchG ausdrücklich einen Planungsgrundsatz formuliert, deshalb
auch unter der Überschrift "Planung" steht und sich an diejenigen Stellen wendet,
die im Bereich des öffentlichen Rechts mit raumbezogenen Planungen und
Maßnahmen befasst sind. Diesen wird darin aufgegeben, eine ins Planungsstadium
vorverlagerte Umweltverträglichkeitsprüfung von Vorhaben durchzuführen (so VG
Gießen, a.a.O. [S. 86], m.w.N.). Die Vorschrift kann im Baugenehmigungsverfahren
keine Anwendung finden - jedenfalls nicht in den nach § 34 BauGB zu
beurteilenden Fällen - weil es sich hier um eine gebundene Entscheidung der
Behörde handelt, die planerischen Erwägungen nicht zugänglich ist, nicht einmal in
Form der Ausübung eines Ermessens. Insoweit kommt es auch nicht darauf an,
dass § 50 BImSchG nach Ergehen des Beschlusses des
Bundesverwaltungsgerichts vom 12.06.1990 (a.a.O.) unter dem Einfluss der
Seveso II-Richtlinie novelliert worden ist. Denn diese Gesetzesänderung hat, worauf
es entscheidend ankommt, das Entscheidungsprogramm des § 34 BauGB
unberührt gelassen.
Auch wenn man aber § 50 BImSchG in Baugenehmigungsverfahren für Vorhaben
nach § 34 BauGB grundsätzlich für anwendbar hielte, führte dies vorliegend zu
keinem anderen Ergebnis. Denn bei dem streitgegenständlichen Gartencenter
handelt es sich nicht um eine raumbedeutsame Planung oder Maßnahme im
Sinne der Vorschrift. Der Begriff "raumbedeutsame Planungen und Maßnahmen"
entspricht dem in § 3 Abs. 1 des Raumordnungsgesetzes verwendeten Begriff
(Feldhaus, § 50 BImSchG, Anm. 4; Hansmann in Landmann/Rohmer, Rdnr. 27 zu §
50 BImSchG). Raumbedeutsam sind danach Planungen und Maßnahmen, durch
die entweder Grund und Boden in Anspruch genommen oder die räumliche
Entwicklung eines Gebiets beeinflusst wird. Dabei kommen nach Sinn und Zweck
der Vorschrift aber nur solche Vorhaben in Betracht, für deren Verwirklichung
regelmäßig Flächen in erheblichen Umfang benötigt werden, wie z.B. die
Ausweisung von Wohn-, Gewerbe- und Industriegebieten, oder der
Verkehrswegebau oder solche die erhebliche Auswirkungen auf die Struktur oder
Entwicklung eines größeren Raumes haben (Feldhaus, a.a.O.). Weder die eine noch
die andere Voraussetzung sind aber bei dem streitgegenständlichen Bauvorhaben
gegeben. Zwar weist das Baugrundstück mit ca. drei Hektar eine nicht
unbedeutende Grundfläche auf, jedoch kann angesichts der Größe des
umgebenden Gewerbegebiets Nordwest, der dort vorhandenen Vorhaben teilweise
erheblichen Umfangs und auch des in einiger Entfernung liegenden
Betriebsgeländes der Beigeladenen nicht von einer raumprägenden, weit über das
Baugrundstück selbst hinausweisenden Bedeutung des Vorhabens ausgegangen
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Baugrundstück selbst hinausweisenden Bedeutung des Vorhabens ausgegangen
werden. Dies verdeutlichen auch die im Blick auf § 34 Abs. 3 BauGB abgegebenen
Stellungnahmen im Baugenehmigungsverfahren, die dem streitgegenständlichen
Vorhaben der Klägerin keine negativen Fernwirkungen auf die City von Darmstadt
bzw. den Bereich der Stadt Weiterstadt zuschreiben. Ebenso wenig kann aus dem
Umstand, dass die Stadt Darmstadt ein Verkehrsgutachten für das
streitgegenständliche Vorhaben gefordert hat, auf dessen Raumbedeutsamkeit
geschlossen werden. Zwar ist nicht zu verkennen, dass das Hinzukommen eines
weiteren großflächigen Einzelhandelbetriebes das Straßensystem des
Gewerbegebiets Nordwest, über das bereits der Durchgangs- und Zielverkehr zu
den schon vorhandenen Einzelhandels- und Dienstleistungsbetrieben abgewickelt
wird, weiter belastet werden wird, doch erreicht das Vorhaben allein deshalb für
sich genommen noch nicht die Schwelle der Raumbedeutsamkeit. Es ist auch kein
zusammenhängender Bestandteil eines größeren städtebaulichen Vorhabens, das
seinerseits als raumbedeutsam einzuordnen wäre. Zwar ist davon auszugehen,
dass das Vorhandensein weiterer großflächiger Einzelhandelsbetriebe für die
Standortentscheidung der Klägerin von Bedeutung ist, doch ist hier nicht
ersichtlich, dass der geplante Gartenmarkt mit den übrigen Einzelhandels- und
Servicebetrieben in einer anderen Verbindung stünde, als dass man wechselseitig
vom Kundenaufkommen des jeweils anderen profitieren möchte. Dies allein
rechtfertigt es aber nicht, den geplanten Gartenmarkt als Teil eines
raumbedeutsamen Gesamtvorhabens anzusprechen.
§ 50 BImSchG ist auch nicht etwa deshalb hier anwendbar, weil zwar nicht das
Vorhaben selbst raumbedeutsam ist, wohl aber das Stammwerk der Beigeladenen
in der Umgebung, auf welches sich das Bauvorhaben möglicherweise auswirken
könnte. Man würde Wortlaut und Sinn der Vorschrift völlig überdehnen, wenn man
auch alle Vorhaben, die überhaupt nur im Umfeld raumbedeutsamer Maßnahmen
stattfinden, gleichwohl dem Regime des Immissionsschutzrechts unterwerfen
wollte. Eine solche Regelung wäre zwar grundsätzlich möglich, ist in § 50 BImSchG
aber nicht angelegt. Auch für die Annahme, dass jedwedes Vorhaben, das seiner
Art nach einem der in § 50 BImSchG genannten Schutzgüter zugeordnet werden
kann, damit zugleich von vornherein raumbedeutsam im Sinne des
Planungsrechtes sei, findet sich im Gesetz keine Stütze. Hätte jede Gartenhütte,
die im Umfeld von Störfallbetrieben errichtet wird, als raumbedeutsam fingiert
werden sollen, so hätte dies einer eindeutig dahingehenden Formulierung im
Gesetz bedurft.
Auch kommt hier keine unmittelbare Anwendung des dem § 50 BImSchG
zugrundeliegenden Art. 12 Abs. 1 der Seveso II-Richtlinie in Frage. Nach Art. 249 S.
3 EG-Vertrag sind europäische Richtlinien grundsätzlich nicht unmittelbar
anwendbar, sondern bedürfen ihrer Umsetzung in nationales Recht, was hier
insoweit mit der Änderung des § 50 BImSchG durch den deutschen Gesetzgeber
im Gesetz vom 25.06.2005, BGBl. I, 1865 erfolgt ist. Selbst wenn man aber davon
ausginge, dass Art. 12 Abs. 1 und Abs. 2 der Seveso II-Richtlinie einen über § 50
BImSchG hinausgehenden Inhalt hätte, führte dies nicht zu deren unmittelbarer
Anwendbarkeit. Art. 12 Abs. 1, 2 Unterabsatz lautet: "Die Mitgliedstaaten sorgen
dafür, dass in ihrer Politik der Flächenausweisung oder Flächennutzung und / oder
anderen einschlägigen Politiken sowie den Verfahren für die Durchführung dieser
Politiken langfristig dem Erfordernis Rechnung getragen wird, dass zwischen den
unter diese Richtlinie fallenden Betrieben einerseits und Wohngebieten, öffentlich
genutzten Gebäuden und Gebieten, wichtigen Verkehrswegen (soweit wie
möglich), Freizeitgebieten und unter dem Gesichtspunkt des Naturschutzes
besonders wertvollen bzw. besonders empfindlichen Gebieten andererseits ein
angemessener Abstand gewahrt bleibt und dass bei bestehenden Betrieben
zusätzliche technische Maßnahmen nach Art. 5 ergriffen werden, damit es zu
keiner Zunahme der Gefährdung der Bevölkerung kommt."
Dieser Vorschrift fehlt die für eine unmittelbare Anwendung erforderliche
Unbedingtheit sowie hinreichende Bestimmtheit (vgl. EUGH, Urt. v. 23.02.1994 -
Rs.C-236/92; vgl. Nettesheim in Grabitz/Hilf, Das Recht der Europäischen Union,
Kommentar, Rdnr. 161 zu Art. 249 EG-Vertrag). Es handelt sich vielmehr um einen
Programmsatz, dessen Ziel, langfristig angemessene Abstände zu wahren, im
Rahmen "der Politiken" der Mitgliedstaaten erreicht werden soll. Damit aber sind
die konkretisierenden Maßnahmen des jeweiligen Mitgliedstaates angesprochen.
Aus den Begrifflichkeiten, dass "langfristig" in der Politik der Flächenausweisung
oder Flächennutzung der Wahrung eines "angemessenen Abstands" "Rechnung
getragen" werden soll, folgt nicht zwangsläufig, dass nach Ablauf der
Umsetzungsfrist in jedem Einzelfall eine Prüfung auf einen "angemessenen
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Umsetzungsfrist in jedem Einzelfall eine Prüfung auf einen "angemessenen
Abstand" notwendig ist (a.A.: Weidemann/Freytag, StoffR 2004, S. 225 [228]).
Unklar bleibt im Richtlinientext ferner, wie mit dem Abstandserfordernis in einer
bestehenden Gemengelage umgegangen werden soll.
Das Vorhaben verstößt auch nicht gegen das bauplanungsrechtliche
Rücksichtnahmegebot, welches im Merkmal des Einfügens enthalten ist. Welche
Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet, hängt von den
Umständen des Einzelfalles ab. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung
desjenigen ist, dem die Rücksichtnahme zugute kommt, umso mehr kann er an
Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die mit dem
Vorhaben verfolgten Interessen sind, umso weniger braucht derjenige, der das
Vorhaben verwirklichen will, Rücksicht zu nehmen (BVerwG, Urt. v. 25.02.1977, IV C
22.75, BVerwGE 52, 122). Für die sachgerechte Beurteilung des Einzelfalles kommt
es deshalb wesentlich auf eine Abwägung zwischen dem an, was einerseits dem
Rücksichtnahmebegünstigten und andererseits dem
Rücksichtnahmeverpflichteten nach Lage der Dinge zuzumuten ist (Hess. VGH,
Urt. v. 08.02.2000, 4 UE 3421/94, HessVGRspr. 2001, 73). In Bereichen, in denen
Nutzungen unterschiedlicher Art mit unterschiedlicher Schutzwürdigkeit
zusammentreffen, ist die Grundstücksnutzung mit einer spezifischen
gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet. Dies führt nicht nur zu einer
Verpflichtung desjenigen, der Beeinträchtigungen verursacht, sondern auch zu
einer Duldungspflicht desjenigen, der sich solchen Beeinträchtigungen aussetzt
(BVerwG, Urt. v. 22.06.1990, 4 C 6.87, BauR 1990, 689). Nicht nur Vorhaben, von
denen Beeinträchtigungen ausgehen (vgl. § 15 Abs. 1 S. 2, 1. Alt. BauNVO),
sondern auch solche, die an eine emittierende Anlage heranrücken und sich deren
störenden Einwirkungen aussetzen (vgl. § 15 Abs. 1 S. 2, 2. Alt. BauNVO) können
gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßen. Der Nachbarschutz geht in
räumlicher Hinsicht so weit, wie das Bauvorhaben Wirkungen auf andere
Grundstücke entfaltet; § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO verbietet auch unzumutbare
Störungen in der Umgebung des Baugebiets (Dürr/Hinkel, BauR Hessen, Rdnr.
272). Dies können insbesondere auch Umwelteinwirkungen sein, die von einem
Vorhaben ausgehen, oder denen es sich aussetzt.
Zur Bestimmung der Grenze der Zumutbarkeit von Umwelteinwirkungen ist auf die
Be-griffsbestimmungen (Begriff der schädlichen Umwelteinwirkungen in § 3 Abs. 1
BImSchG) und die materiell-rechtlichen Maßstäbe des Immissionsschutzrechts (§§
5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 und 22 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG) zurückzugreifen. Das
Bundesimmissionsschutzgesetz legt diese Grenze und damit das Maß der
gebotenen Rücksichtnahme mit Wirkung auch für das Baurecht im Umfang seines
Regelungsbereiches grundsätzlich allgemein fest. Die Zumutbarkeitsschwelle wird
im Grundsatz überschritten, wenn die Störungen oder Belästigungen unter
Berücksichtigung der konkreten Verhältnisse "erheblich" im Sinne von §§ 3 Abs. 1,
5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG sind (BVerwG, Urt. v. 25.02.1977, IV C 22.75,
BVerwGE 52, 122). "Faktische Vorbelastungen" können sich dabei schutzmindernd
auswirken. Umgekehrt folgt aus dem im Rücksichtnahmegebot angelegten Prinzip
der Gegenseitigkeit aber auch, dass der Betreiber einer dem
Immissionsschutzrecht unterliegenden Anlage nicht darauf vertrauen darf, von
Auflagen zum Schutz heranrückender schutzwürdiger Bebauung vor Immissionen
verschont zu bleiben. Zieht allerdings eine beabsichtigte Bebauung eine
Verschärfung immissionsschutzrechtlicher Anforderungen für den Betreiber einer
Anlage nach sich, wird das Vorhaben in der Regel rücksichtslos sein (BVerwG, Urt.
v. 22.06.1990 - 4 C 6.87, BRS 50 Nr. 84; Bay.VGH, Urt. v. 14.07.2006 - 1 Bv
03.2179 pp, in BauR 2007, S. 505 [507], m.w.N.). Dagegen liegt bei einer Anlage,
die die Grenzwerte nach den Vorgaben des Immissionsschutzrechts einhält,
regelmäßig kein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot vor. Bei einer an eine
immissionsträchtige Anlage "heranrückenden" Bebauung kommt es auch darauf
an, ob die Anlage aufgrund einer ohnehin schon vorhandenen schutzwürdigen
Bebauung bereits jetzt Rücksicht nehmen muss (Hess. VGH, Urt. v. 08.02.2000, 4
UE 3421/94, HessVGRspr. 2001, 73).
Nach Maßgabe dieser Grundsätze kann nicht festgestellt werden, dass das
Vorhaben der Klägerin gegen das Gebot der baurechtlichen Rücksichtnahme
verstößt. Weder gehen von dem Vorhaben selbst unzumutbare Emissionen aus,
noch ist es solchen Immissionen, insbesondere von dem Betrieb der
Beigeladenen, ausgesetzt. Die städtebaulichen Gesichtspunkte, die hier im
Rahmen der Prüfung des Gebots der Rücksichtnahme beachtlich sind, reichen
jedoch über den reinen Immissionsschutz hinaus. Bei der Beurteilung der
Zulässigkeit eines Vorhabens am Maßstab des § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO sind
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Zulässigkeit eines Vorhabens am Maßstab des § 15 Abs. 1 S. 2 BauNVO sind
grundsätzlich alle Gesichtspunkte mit städtebaulicher (bodenrechtlicher)
Erheblichkeit zu berücksichtigen. Städtebauliche Bedeutung kann dabei
grundsätzlich jeder nur denkbare Gesichtspunkt erhalten, sobald er die
Bodennutzung betrifft oder sich auf diese auswirkt (BVerwG, Urt. v. 25.01.2007 - 4
C 1.06, in DVBl. 2007, S. 637). Danach sind hier auch die Gesichtspunkte des
Störfallrechts in den Blick zu nehmen, denn es liegt auf der Hand, dass die Frage,
ob und wie das Grundstück der Klägerin baulich genutzt wird, grundsätzlich
Rückwirkungen auf den Betrieb der Beigeladenen haben kann.
Das Vorhaben verstößt aber hier nicht gegen die gebotene Rücksicht auf die
Verpflichtungen der Beigeladenen, die Auswirkungen eines sogenannten
"Dennoch-Störfalles" in ihrem Betriebsbereich zu begrenzen. Dies ergibt sich aus
Folgendem:
Auf den Betrieb der Beigeladenen ist die aufgrund von § 7 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 4
BImSchG erlassene 12. Verordnung zur Durchführung des BImSchG
(Störfallverordnung) anzuwenden, weil in dem Betrieb diverse gefährliche Stoffe in
Mengen vorhanden sind, welche die in Anhang I Spalte 4 der Störfallverordnung
genannten Mengenschwellen erreichen oder überschreiten (§ 1 Abs. 1 S. 1
Störfallverordnung). Die Beigeladene hat daher die in der Störfallverordnung
normierten Verpflichtungen zu erfüllen. § 3 der Störfallverordnung erlegt der
Beigeladenen - in Konkretisierung der allgemeinen Schutz- bzw.
Gefahrenabwehrpflicht des § 5 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BImSchG - "allgemeine
Betreiberpflichten" auf. Nach Abs. 1 muss sie die Vorkehrungen treffen, die nach
Art und Ausmaß der möglichen Gefahren erforderlich sind, um Störfälle zu
verhindern. Dabei hat sie betriebliche und umgebungsbedingte Gefahrenquellen
sowie Eingriffe Unbefugter zu berücksichtigen, die als Störfallverursacher
vernünftigerweise nicht ausgeschlossen werden können (§ 3 Abs. 2
Störfallverordnung). Für den Fall, dass trotz dieser Vorkehrungen - etwa wegen
menschlichen Versagens oder unerkannter Anlagenmängel und
Funktionsstörungen - ein Störfall eintritt (sog. Dennoch-Störfall), hat sie
vorbeugend Maßnahmen zu treffen, um dessen Auswirkungen so gering wie
möglich zu halten (§ 3 Abs. 3 Störfallverordnung). Mit dieser Regelung der
allgemeinen Betreiberpflichten berücksichtigt die Verordnung, dass
Schadensereignisse auch dann nicht vollkommen auszuschließen sind, wenn der
Betreiber seine Pflichten zur Verhinderung von Störfällen erfüllt. Dabei umfassen
die Betreiberpflichten aber keine Pflicht zur Vorkehrung gegen sogenannte
Restrisiken (Hess. VGH, Urt. 21.02.2001 - 2 UE 2899/96, GewArch 2002, 212 [213],
m.w.N.; Bay. VGH, Urt. v. 14.07.2006, 505 [509]). Je nachdem aber, welches Maß
an Sicherheit mit technischen Vorkehrungen zu erreichen ist, kann die
Störfallverhinderungspflicht (§ 3 Abs. 1) und die Pflicht zur Begrenzung der
Störfallauswirkungen (§ 3 Abs. 3) im Einzelfall auch die Verpflichtung des
Betreibers zur Einhaltung von Sicherheitsabständen umfassen (Hess VGH, Urt. v.
21.02.2001, 2 UE 2899/96, GewArch 2002, 212 [214]). Dem steht nicht entgegen,
dass die Pflicht zur Einhaltung von Sicherheitsabständen weder in § 4 noch in § 5
der Störfallverordnung genannt ist, da diese keine abschließende Regelung treffen;
für eine solche Pflicht spricht hingegen der europarechtliche Hintergrund der
Vorschriften (so auch Bay. VGH, a.a.O., S. 509), also die Konzeption der Seveso II-
Richtlinie.
Damit ist aber noch nicht entschieden, ob aus dem Rücksichtnahmegebot auch
eine Verpflichtung der Nachbarn einer Störfallanlage folgen kann, bei der baulichen
Nutzung ihrer Grundstücke auf eine Wohnbebauung oder eine andere
entsprechend schutzbedürftige Bebauung zu verzichten (so aber wohl Bay.VGH,
a.a.O., S. 509). Dies folgt jedenfalls nicht aus Art. 12 der Seveso II-Richtlinie. Diese
Norm räumt dem Betreiber einer Anlage keinen Abwehrspruch gegenüber dem
Heranrücken geschützter Gebiete ein (Hess. VGH. Urt. v. 24.10.2006, 12 A
2216/05, UPR 2007, 116 [118]). Mit der Pflicht des Betreibers zur Abwendung
externer Schäden korrespondiert nicht zwangsläufig ein Recht, bestimmte
Nutzungen in der Nachbarschaft der Anlage abwehren zu können. Diese
weitgehende Verantwortung des Betreibers einer Störfallanlage für interne und
externe Risiken sowie für Auswirkungen innerhalb und außerhalb des
Werksgeländes findet ihre Rechtfertigung in dem Umstand, dass er den
wirtschaftlichen Nutzen aus der Verarbeitung gefährlicher Stoffe zieht (Hess. VGH,
Urt. v. 24.10.2006, a.a.O.).
Selbst wenn man aber grundsätzlich aufgrund des Rücksichtnahmegebots die
Möglichkeit bejahen wollte, dass ein Grundstückseigentümer bei der baulichen
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Möglichkeit bejahen wollte, dass ein Grundstückseigentümer bei der baulichen
Nutzung seines Grundstückes aus Rücksicht auf eine benachbarte Störfallanlage
auf die Verwirklichung einer Wohnbebauung oder einer anderen entsprechend
schutzbedürftigen Nutzung verzichten muss, so würde dies im vorliegenden Fall
nicht zu einer Unzulässigkeit des Vorhabens der Klägerin führen. Welche
Sicherheitsabstände zwischen Störfallanlagen einerseits und schutzwürdiger
Bebauung andererseits zu wahren sind, ist im deutschen Recht nicht normativ
festgelegt und muss daher im Einzelfall von der Verwaltung entschieden werden
(Hess. VGH, Urt. v. 21.02.2001, 2 UE 2199/96, GewArch 2002, S. 212 [214]). Dabei
erscheint es grundsätzlich durchaus naheliegend auch im Rahmen der Prüfung des
baurechtlichen Gebots der Rücksichtnahme den Leitfaden "Empfehlungen für
Abstände zwischen Betriebsbereichen nach der Störfallverordnung und
schutzbedürftigen Gebieten im Rahmen der Bauleitplanung - Umsetzung § 50
BImSchG" des Technischen Ausschusses für Anlagensicherheit der
Störfallkommission beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit (SFK/TAA) vom 18.10.2005 zugrunde zu legen (so auch Bay.
VGH, a.a.O., S. 510). Allerdings ist zu sehen, dass der Leitfaden der
Störfallkommission sich nach seinen eigenen Aussagen (Ziffern 1 u. 2.3.1) nicht
zur Beurteilung bestehender Gemengelagen mit vorhandener Bebauung eignet.
Zwar ist wohl nach den nicht substantiiert angegriffenen Ausführungen des
Gutachtens des TÜV Nord, die allerdings ihrerseits wiederum weitgehend auf
Betreiberangaben basieren, davon auszugehen, dass das Baugrundstück
innerhalb der Achtungsgrenzen für verschiedene Gefahrstoffe liegt. Allerdings
beziehen diese errechneten Ausbreitungswolken jeweils noch zahlreiche weitere
Nutzungen im Gewerbegebiet Nordwest mit ein. Mit anderen Worten: Bereits jetzt
werden die nach dem Gutachten erforderlichen Achtungsabstände vielfach
unterschritten. Andererseits kann angesichts der Art und des Maßes der bereits
vorhandenen Bebauung des Gebiets nicht davon ausgegangen werden, dass sich
das störfallrechtliche Konfliktpotential durch den hinzukommenden Gartenmarkt
so vergrößert, dass der Beigeladenen neue oder andere störfallrechtliche Auflagen
angesonnen werden könnten, als sie ohnehin schon durch die vorhandene
Bebauung angezeigt sind. Dies gilt auch unter Berücksichtigung des Umstandes,
dass der streitgegenständliche Gartenmarkt über eine Freiverkaufsfläche verfügen
soll und näher an das Betriebsgelände der Beigeladenen heranrückt als einige der
anderen bereits vorhandenen Nutzungen in dem Gebiet. Denn entsprechende
Freiverkaufsflächen sind auch bei den ebenfalls innerhalb der Achtungsgrenzen
liegenden Baumärkten, Praktiker und Hornbach vorhanden. Auch soweit diese
etwas weiter vom Betriebsbereich der Beigeladenen entfernt liegen, befinden sie
sich gleichfalls innerhalb des nach der dem Gutachten zugrundeliegenden
technischen Konvention als gefährdet definierten Umgebung, ohne dass es für
dieses Ergebnis auf die konkrete Entfernung ankäme.
Nichts anderes ergibt sich aus der Vereinbarung zwischen dem Beklagten, der
Beigeladenen und der Stadt Darmstadt. Zwar verpflichtet sich die Stadt in § 2 der
Vereinbarung keine zusätzlichen Nutzungen zuzulassen, die unter den
Schutzzweck der Seveso II-Richtlinie fallen. Allerdings ist diese Verpflichtung, die im
Zusammenhang mit Planungen der Stadt genannt wird, nicht in der Lage zu
Lasten der Klägerin die Bestimmungen des § 34 Abs. 1 BauGB zu derogieren, da
die Erteilung einer Baugenehmigung eine gebundene Entscheidung der
Bauaufsicht ist.
Das Vorhaben verstößt daher insgesamt weder gegen das Gebot der
Rücksichtnahme noch gegen sonstige Vorschriften des Bauplanungsrechts; es
verstößt folglich auch nicht gegen geschützte Nachbarrechte der Beigeladenen.
Deren Widerspruch ist daher zurückzuweisen und der Klage also stattzugeben.
Die Kostentragungspflicht des Beklagten ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO, die
der Beigeladenen aus § 154 Abs. 3 VwGO. Das Gericht lässt hier gem. § 124 Abs.
1, 2. Alternative die Berufung zu, da die Rechtssache besondere tatsächliche und
rechtliche Schwierigkeiten aufweist (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) und - im Blick auf die
Anwendbarkeit von § 50 BImSchG und Art. 12 Abs. 1 der Seveso II-Richtlinie auf
Vorhaben nach § 34 BauGB - grundsätzliche Bedeutung hat (§ 124 Abs. 2 Nr. 3
VwGO).
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.
die obersten Bundesgerichte erfolgt.