Urteil des VG Darmstadt vom 05.11.2009
VG Darmstadt: aufschiebende wirkung, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, gemeinde, regionalplan, behörde, landschaft, vollziehung, ortsbild, genehmigungsverfahren, stadt
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Gericht:
VG Darmstadt 6.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 L 1382/09.DA
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 35 Abs 3 S 1 Nr 3 BauGB, §
80a Abs 3 S 1 VwGO, Art 28
Abs 2 S 1 GG, § 2 Abs 2 S 1
BauGB, § 35 Abs 3 S 1 Nr 5
BauGB
Kommunale Planungshoheit und Windenergieanlagen
Leitsatz
Belange des Naturschutzes und der Landschaftspflege, der natürlichen Eigenart der
Landschaft und ihres Erholungswertes sowie das Orts- und Landschaftsbild sind
öffentliche Belange, die von der Genehmigungsbehörde gemäß § 35 Abs. 3 Nr. 5
BauGB im Interesse der gesamten Öffentlichkeit und nicht im Interesse einer Kommune
zu prüfen sind.
Tenor
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der
Beigeladenen hat die Antragstellerin zu tragen.
Der Streitwert wird auf 30.000 EUR festgesetzt.
Gründe
Der zulässige Antrag ist unbegründet.
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin vom
08.09.2009 (Az. 6 K 1246/09.DA) gegen die der Beigeladenen erteilten
immissionsschutzrechtlichen Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb von
zwei Windkraftanlagen in der Gemarkung Klein-Umstadt (Binselberg) vom
09.06.2009 wiederherzustellen, ist statthaft, nachdem der Antragsgegner auf
Antrag der Beigeladenen mit Verfügung vom 01.09.2009 die sofortige Vollziehung
der Genehmigung angeordnet hat.
Nach § 80a Abs. 3 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag
eines Dritten die Anordnung der sofortigen Vollziehung eines Verwaltungsaktes
durch die Behörde i.S.d. § 80a Abs. 1 Nr. 1 VwGO aufheben, bzw. die
aufschiebende Wirkung einer Klage nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5
Satz 1 VwGO wieder herstellen.
Das Gericht hat die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherzustellen, wenn das
besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes durch die
Behörde gemäß § 80 Abs. 3 S. 1 VwGO nicht begründet worden ist.
Die Anordnung des Sofortvollzugs vom 01.09.2009 begegnet keinen formellen
Bedenken. Der Sofortvollzug wurde insbesondere entsprechend den
Anforderungen des § 80a Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO
ordnungsgemäß begründet. Bei der Begründung des Sofortvollzugs bedarf es
besonderer, auf den Einzelfall bezogener, konkreter Gründe, die die Behörde dazu
bewogen haben, den Suspensiveffekt auszuschließen (Eyermann/J. Schmidt,
a.a.O., § 80 Rn 42). Dies schließt eine bloße Wiederholung des Gesetzeswortlauts
aus. Allerdings dürfen andererseits nicht allzu hohe Anforderungen an die
Begründung gestellt werden (Eyermann/J. Schmidt, a.a.O., § 80 Rn 43). Es genügt,
wenn erkennbar ist, dass sich die Behörde des Ausnahmecharakters der
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wenn erkennbar ist, dass sich die Behörde des Ausnahmecharakters der
Anordnung bewusst war. Die vorliegende Begründung genügt den Anforderungen,
da sie auf die Umstände des Einzelfalls abstellt und nicht nur formel- und
floskelhafte Begründungen enthält. Ob die Begründung hingegen materiell-
rechtlichen Anforderungen genügt, ist nicht Gegenstand der Prüfung der
Voraussetzungen gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO.
Im Weiteren hat das Gericht bei der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein
möglichen und gebotenen summarischen Prüfung der Sachlage die
Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs zu ermitteln und auf dieser Grundlage das
private Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden
Wirkung seiner Klage mit dem privaten Interesse des Beigeladenen an der
sofortigen Ausnutzung seiner Genehmigung sowie dem öffentlichen Interesse an
dem Sofortvollzug der Maßnahme abzuwägen.
Vorliegend gelangt das Gericht zu der Überzeugung, dass die Klage gegen die
Genehmigung der Windkraftanlagen voraussichtlich erfolglos sein wird, weil die
Antragstellerin durch die angefochtene Genehmigung offensichtlich nicht in e i g e
n e n Rechten i. S. d. § 113 Abs. 1 VwGO verletzt wird.
Im Hinblick auf den Eingriff in die bereits durch die Erteilung der Genehmigung
geschützte Rechtsposition der beigeladenen Betreiberfirma kann die auf Grund der
Klage eines Dritten angefochtene Genehmigung nur aufgehoben werden, wenn
dieser durch die Genehmigung zugleich in e i g e n e n Rechten verletzt wird. Dies
gilt auch für die Anfechtung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung
durch eine Kommune (vgl. BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 1989 - 4 C 36.86 –
juris).
Die Errichtung der streitgegenständlichen Windkraftanlagen verletzt die
Antragstellerin insbesondere nicht in ihrer aus dem kommunalen
Selbstverwaltungsrecht i. S. d. Art. 28 Abs. 2 GG resultierenden Planungshoheit.
Die kommunale Planungshoheit ist beeinträchtigt, wenn das genehmigte
Vorhaben eine hinreichend bestimmte Planung der Kommune nachhaltig stört,
wegen seiner Großräumigkeit wesentliche Teile des Gemeindegebietes einer
durchsetzbaren Planung entzieht, wenn gemeindliche Einrichtungen in ihrer
Funktionsfähigkeit erheblich beeinträchtigt werden oder wenn Mitwirkungs- und
Beteiligungsrechte der Gemeinde verletzt worden sind (vgl. VGH Kassel, Beschluss
vom 27.09.2004 – 2 TG 1630/04 – juris).
Der Antragstellerin stehen keine Beteiligungsrechte nach dem
Bundesimmissionsschutzgesetz zu. Da die Genehmigung der beiden
Windkraftanlagen gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 2 der 4. BImSchV i.V.m. der Ziffer 1.6
Spalte 2 des Anhangs der 4. BImSchV im vereinfachten Genehmigungsverfahren
nach § 19 Abs. 1 BImSchG zu erteilen ist, fanden die Vorschriften über die
Öffentlichkeitsbeteiligung im Bundesimmissionsschutzgesetz keine Anwendung.
Die Antragstellerin kann sich auch nicht auf die bauplanungsrechtlichen
Vorschriften der §§ 29 ff. BauGB berufen, die in Betracht kommen, weil die
Erteilung einer immissionsschutzrechtliche Genehmigung nach § 13 BImSchG
auch die Erteilung der Baugenehmigung einschließt.
Nach § 36 Abs. 1 BauGB wird über die Zulässigkeit von Vorhaben im
Gemeindegebiet im Einvernehmen mit der Gemeinde entschieden. Diese
Vorschrift betrifft ausschließlich die Standortgemeinde. Die Standortgemeinde –
hier die Stadt C-Stadt - hat mit Schreiben vom 23.02.2009 dem
streitgegenständlichen Vorhaben zugestimmt. Der Antragstellerin, die sich somit
gegen ein Vorhaben auf dem Gebiet der Nachbargemeinde wendet, steht ein
Beteiligungsrecht nach § 36 BauGB hingegen nicht zu (VGH München, Beschluss
vom 19.02.2009 - 22 CS 08.2672 - juris).
Die Antragstellerin kann sich auch nicht auf das interkommunale
Abstimmungsgebot des § 2 Abs. 2 BauGB berufen.
Danach sind die Bauleitpläne benachbarter Gemeinden aufeinander abzustimmen.
Dabei können sich Gemeinden auch auf die ihnen durch Ziele der Raumordnung
zugewiesenen Funktionen sowie auf Auswirkungen auf ihre zentralen
Versorgungsbereiche berufen. Diese Vorschrift berücksichtigt, dass die
Planungshoheit der Gemeinde zwar an der Gemeindegrenze endet, die
Bauleitplanung der Gemeinde sich aber in vielfältiger Weise auf benachbarte
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Bauleitplanung der Gemeinde sich aber in vielfältiger Weise auf benachbarte
Gemeinden auswirken kann. Die Vorschrift findet jedoch in dem
streitgegenständlichen Fall keine unmittelbare Anwendung, weil Streitgegenstand
vorliegend nicht die Bauleitplanung einer benachbarten Gemeinde, sondern das
erteilte Einvernehmen zur geplanten Errichtung der streitgegenständliche
Windkraftanlagen im Außenbereich im Sinne des § 36 BauGB ist.
Das Abstimmungsgebot des § 2 Abs. 2 BauGB kann zwar nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auch für die Erteilung des
Einvernehmens der Gemeinde nach § 36 BauGB von Bedeutung sein (BVerwG,
Urteil vom 15.12.1989 – 4 C 36/86 – juris). Ein Abwehrrecht der Nachbargemeinde
kann das Abstimmungsgebot aber nur begründen, wenn die Standortgemeinde
dem Bauinteressenten unter Missachtung des § 2 Abs. 2 BauGB einen
Zulassungsanspruch verschafft hat. Dies setzt voraus, dass sie durch einen nicht
abgestimmten Bauleitplan oder im Falle des Fehlens eines solchen Planes auf
andere Weise die Weichen in Richtung Zulassungsentscheidung gestellt hat. Hat
sie dagegen auf die Genehmigungsvoraussetzungen ersichtlich nicht eingewirkt,
so kann von einer Umgehung des § 2 Abs. 2 BauGB keine Rede sein (BVerwG,
Urteil vom 11.02.1993 – 4 C 15/92 – juris). Vorliegend hatte die Standortgemeinde
weder im Wege einer entsprechenden Bauleitplanung noch in anderer Weise auf
die Genehmigungsvoraussetzungen, die sich vorliegend aus § 35 BauGB ergeben,
eingewirkt.
Die Zulassung der Windkraftanlagen im Außenbereich nach § 35 BauGB scheitert
vorliegend auch nicht am öffentlichen Belang eines Planungserfordernisses. Ein
solches Erfordernis liegt vor, wenn das Vorhaben einen Koordinierungsbedarf
auslöst, dem nicht das Konditionalprogramm des § 35 BauGB, sondern nur eine
Abwägung im Rahmen einer förmlichen Planung angemessen Rechnung zu tragen
vermag (BVerwG, Urteil vom 01.08.2002 – 4 C 5/01 - juris). Der Gesetzgeber geht
ersichtlich davon aus, dass jedenfalls im Grundsatz bei Anlagen nach § 35 Abs. 1
Nr. 2 - 6 BauGB das durch die genannten Planungsbefugnisse ergänzte
Konditionalprogramm die Zulässigkeit von derartigen Anlagen ausreichend zu
steuern vermag. Es besteht kein Anlass, für Windkraftanlagen einen hiervon
abweichenden Rechtsgrundsatz aufzustellen (BVerwG, Beschluss vom 11.08.2004
– 4 B 55/04 - juris).
Die Antragstellerin kann sich aber auch nicht darauf berufen, dass die
streitgegenständliche Genehmigung nicht den Anforderungen des § 35 BauGB
entspricht. Selbst wenn die Genehmigung objektiv gegen das Bauplanungsrecht
verstoßen würde, hätte die Antragstellerin keinen Anspruch auf Aufhebung der
Genehmigung, denn insbesondere die in § 35 Abs. 3 BauGB aufgeführten
öffentlichen Belange, wie wasser-, abfall- , immissionsschutzrechtliche Belange,
schädliche Umwelteinwirkungen, Belange des Naturschutzes, der
Landschaftspflege, des Bodenschutzes, des Denkmalschutzes, sind nicht dem
Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden zuzuordnen und haben somit keine
drittschützende Funktion, auf die sich eine Gemeinde berufen könnte. Gemeinden
ist es verwehrt unter Hinweis auf ihre Planungshoheit oder ihre sonstigen Belange
eine umfassende Rechtmäßigkeitsprüfung einzufordern und als
gesamtverantwortlicher Wächter des Natur- und des sonstigen Umweltschutzes
aufzutreten. Auch Art. 62 Satz 1 Hess. Verfassung, wonach u. a. die Landschaft
den Schutz und die Pflege des Staates und der Gemeinden genießt, vermittelt den
Gemeinden keine so weitgehenden Befugnisse (VGH Kassel, Beschluss vom
07.05.2009 – 3 A 1523/08.Z, Beschluss vom 27.09.2004 a. a. O.; BVerwG, Urteil
vom 24.06.2004 – 4 C 11.03).
Im Übrigen ist auch nicht ersichtlich, dass die Genehmigung der Windkraftanlagen
gegen § 35 BauGB verstößt. Nach § 35 Abs. 1 Nr. 5 BauGB ist ein Vorhaben im
Außenbereich nur zulässig, wenn öffentliche Belange nicht entgegenstehen, die
ausreichende Erschließung gesichert ist und wenn es einer privilegierten Nutzung,
vorliegend der Windenergie, dient.
Privilegierten Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 1 BauGB können grundsätzlich die
in § 35 Abs. 3 BauGB genannten öffentlichen Belange entgegenstehen.
Dem streitgegenständliche Vorhaben standen im maßgeblichen Zeitpunkt der
Genehmigung am 09.06.2009 weder die Darstellungen eines
Flächennutzungsplanes (§ 35 Abs. 3 Nr. 1 BauGB) noch die Darstellungen eines
Landschafts- oder sonstigen Plans (§ 35 Abs. 3 Nr. 2 BauGB) entgegen.
Insbesondere der geltende Regionalplan Südhessen 2000 stand der Errichtung der
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Insbesondere der geltende Regionalplan Südhessen 2000 stand der Errichtung der
streitgegenständlichen Anlagen nicht entgegen. In den Ziffern 8-18 bis 8-20 der
Begründung des Regionalplanes Südhessen 2000 heißt es:
In den in der Karte dargestellten „Bereichen für die Windenergienutzung“ hat diese
aufgrund hinreichender Windgeschwindigkeiten sowie weiterer Voraussetzungen
Vorrang vor entgegenstehenden Nutzungen.
Windkraftanlagen sollen in den ausgewiesenen „Bereichen für die
Windenergienutzung“ in Windparks konzentriert werden, um die
Landschaftsbildbeeinträchtigung zu minimieren.
Außerhalb dieser gem. § 7 Abs. 4 Nr. 1 ROG ausgewiesenen Vorranggebiete ist die
Errichtung von Windkraftanlagen nicht ausgeschlossen, aber im Falle der
Raumbedeutsamkeit zunächst einer landesplanerischen Überprüfung zu
unterziehen.
Der Regionalplan Südhessen 2000 stellt für den Bereich der beplanten Fläche die
regionalplanerische Kategorie „Waldbereich Bestand“ dar. Das Vorhaben soll
daher außerhalb ausgewiesener Vorranggebiete realisiert werden. Dies ist
zulässig, weil der Regionalplan Südhessen 2000 die Errichtung von
Windkraftanlagen außerhalb der ausgewiesenen Vorranggebiete nicht ausschließt.
Soweit die Begründung des Regionalplanes für diesen Fall eine landesplanerische
Überprüfung vorsieht, führt dies zu keinem anderen Ergebnis.
Eine landesplanerische Überprüfung durch die Landesplanungsbehörden kann
einen Ausschluss der Windkraft im Sinne des § 7 Abs. 4 Nr. 1 ROG nicht
begründen. Die Landesplanungsbehörden könnten lediglich eine entsprechende
Änderung des Regionalplanes durch die Regionalversammlung anregen. Dies ist
nicht geschehen. Vielmehr hat die obere Landesplanungsbehörde in ihrer
Stellungnahme vom 09.02.2009 gegen das Vorhaben keine Einwände erhoben.
Auch der vorliegende Entwurf des Regionalplanes Südhessen 2009, in dem die
zunächst vorgenommene Ausweisung der streitgegenständlichen Flächen als
Vorrangfläche gestrichen worden ist, führt zu keinem anderen Ergebnis.
Unbesehen der Frage, ob der Regionalplan in dieser Form Bestand haben und
einen wirksamen Ausschluss der Windkraftnutzung außerhalb von Vorrangflächen
gemäß § 6 Abs. 3 Satz 2 Hess. Landesplanungsgesetz begründen wird, hatte der
Regionalplan im maßgeblichen Zeitpunkt der Genehmigung der
streitgegenständlichen Anlagen noch keine verbindliche Planreife. Die insoweit
erforderliche Detailschärfe weist der Regionalplan erst auf, wenn er zeichnerisch
oder verbal so fest umrissen ist, dass er anderen Behörden und der Öffentlichkeit
zur Kenntnis gebracht werden kann. Dieses Stadium der Verlautbarungsreife ist
regelmäßig erreicht, wenn der Plan im Rahmen eines Beteiligungsverfahrens zum
Gegenstand der Erörterung gemacht werden kann (BVerwG, Urteil vom
27.01.2005 – 4 C 5/04 –juris). Vorliegend wurde der Regionalplan erst am
01.09.2009 und somit nach dem Zeitpunkt der Bekanntgabe der
streitgegenständlichen Genehmigung vom 09.06.2009 öffentlich ausgelegt und
zum Gegenstand der Erörterung gemacht. Dieser Zeitpunkt ist auch aus Gründen
des Vertrauensschutzes maßgeblich, denn bis zu dem Zeitpunkt der öffentlichen
Auslegung des Regionalplanes Südhessen 2009 konnte die Beigeladene auf den
Bestand des Regionalplans Südhessen 2000 vertrauen.
Das streitgegenständliche Vorhaben ruft auch keine schädlichen
Umwelteinwirkungen im Sinne des § 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB hervor. Schädliche
Umwelteinwirkungen sind nach § 3 Abs. 1 BImSchG Immissionen, die nach Art,
Ausmaß oder Dauer geeignet sind, Gefahren, erhebliche Nachteile oder erhebliche
Belästigungen für die Allgemeinheit oder die Nachbarschaft herbeizuführen. Die
Antragstellerin hat weder substantiiert dargelegt noch glaubhaft gemacht, dass
gemeindliche Einrichtungen durch die Errichtung der beiden Windenergieanlagen
schädlichen Umwelteinwirkungen ausgesetzt sein könnten. Im Übrigen werden die
Grenzwerte der TA Lärm nach dem schalltechnischen Prognosegutachten der
Firma IEL GmbH vom 09.05.2009 auch an den nordöstlich in Richtung der
Siedlungsgebiete der Antragstellerin gelegenen Messpunkten Grünheckerhof und
Häuserhof eingehalten.
Ferner kann sich die Antragstellerin auch nicht auf das in § 35 Abs. 3 Nr. 3 BauGB
verankerte drittschützende Gebot der Rücksichtnahme berufen. Das Gebot der
Rücksichtnahme setzt eine schutzwürdige Position des Dritten gegenüber dem
genehmigten Vorhaben voraus. Rücksicht zu nehmen ist nämlich nur auf solche
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genehmigten Vorhaben voraus. Rücksicht zu nehmen ist nämlich nur auf solche
Interessen eines Dritten, die wehrfähig sind, weil sie nach der gesetzgeberischen
Wertung, die im materiellen Recht ihren Niederschlag gefunden hat, schützenswert
sind. Werden in diesem Sinne schutzwürdige Interessen eines Dritten nicht
beeinträchtigt, greift auch das Rücksichtnahmegebot nicht ( BVerwG, Urteil vom
26. März 1976 - IV C 7.74 -; VGH Kassel, Beschluss vom 27.09.2004 – 2 TG
1630/04 - juris). Besondere schutzwürdige e i g e n e Interessen hat die
Antragstellerin aber weder substantiiert dargelegt noch glaubhaft gemacht.
Die von der Antragstellerin angeführten Belange der Landschaftsästhetik, der
Landschaftsstruktur und des Naturschutzes sind öffentliche Belange, die jedoch
nicht dem Schutz kommunaler Planungshoheit dienen. Vielmehr sind die Belange
des Naturschutzes und der Landschaftspflege, der natürlichen Eigenart der
Landschaft und ihres Erholungswertes sowie das Orts- und Landschaftsbild
öffentlich Belange, die von der Genehmigungsbehörde gemäß § 35 Abs. 3 Nr. 5
BauGB im Interesse der gesamten Öffentlichkeit und nicht nur im Interesse einer
Kommunen zu prüfen sind. Dabei ist die Genehmigungsbehörde an die
Privilegierung der Windenergie durch den Gesetzgeber gebunden. Mit der
Entscheidung des Gesetzgebers über die Privilegierung der Windkraft im
Außenbereich sind Form und Dimension der Windenergieanlagen und deren
Auswirkungen auf das Landschaftsbild grundsätzlich legitimiert worden. Dieser
Grundentscheidung des Gesetzgebers entgegenstehende öffentliche Belange
konnte die Genehmigungsbehörde in dem vorliegenden Verfahren nicht
feststellen. Die Obere Naturschutzbehörde hatte in ihrer Stellungnahme vom
09.02.2009 nach Prüfung des Antrages mitgeteilt, dass aus Sicht der von ihr zu
vertretenden Belange keine grundsätzlichen Bedenken gegen die Errichtung der
beiden Windkraftanlagen bestehen. Der naturschutzrechtliche Eingriff sei
zuzulassen, weil die Wirkung des Eingriffs durch die im landschaftspflegerischen
Begleitplan enthaltenen Maßnahmen und den im Bescheid enthaltenen Auflagen
als ausgeglichen angesehen werden könne. Nach Ziffer 10 der
Nebenbestimmungen zu dem streitgegenständlichen Bescheid sind die im
landschaftspflegerischen Begleitplan vorgesehenen Kompensationsmaßnahmen,
die im Übrigen in der Gemarkung der Antragstellerin durchgeführt werden sollen,
als Auflagen festgesetzt worden.
Letztlich kann sich die Antragstellerin auch nicht auf ein sogenanntes
Selbstgestaltungsrecht berufen.
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist zwar anerkannt, dass
ein sogenanntes Selbstgestaltungsrecht in den Schutzbereich der
Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG fällt. Dieses Rechtsinstitut
kommt insbesondere in den Fällen zur Anwendung, in denen die Planungshoheit
zwar nicht betroffen ist, weil das Vorhaben weder eine hinreichend bestimmte
Planung nachhaltig stört, noch wesentliche Teile des Gemeindegebiets einer
durchsetzbaren Planung entzieht oder kommunale Einrichtungen erheblich
beeinträchtigt, sondern eine Beeinträchtigung des Ortsbildes geltend gemacht
wird.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erwächst aus dem
sogenannten Selbstgestaltungsrecht der Gemeinde ein Abwehranspruch aber
allenfalls in den Fällen, in denen die Gemeinde durch Maßnahmen betroffen wird,
die das Ortsbild entscheidend prägen und hierdurch nachhaltig auf das
Gemeindegebiet und die Entwicklung der Gemeinde einwirken (vgl. BVerwG, Urteil
vom 15.04.1999 - 4 VR 18/98, 4 A 45/98 – juris). Der Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts lag ein Planfeststellungsbeschluss für ein
Überführungsbauwerk einer Bundesstraße auf dem Gebiet der klagenden
Gemeinde zugrunde. Demgegenüber wendet sich die Antragstellerin in dem
streitgegenständlichen Verfahren gegen eine Maßnahme außerhalb ihres
Gemeindegebietes, die nicht das Ortsbild der Gemeinde sondern allenfalls die
Sichtbeziehungen aus dem Gemeindegebiet heraus beeinflussen kann. Einen
Anspruch auf Wahrung der bisherigen Sichtbeziehungen aus dem Gemeindegebiet
heraus kann die Gemeinde jedoch weder aus dem sogenannten
Selbstgestaltungsrecht noch aus anderen auf Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG
beruhenden Rechten herleiten. Demzufolge kann die Antragstellerin auch nicht
etwaige Folgen aus der Veränderung der Sichtbeziehungen aus dem
Gemeindegebiet heraus, wie beispielsweise die behaupteten Beeinträchtigungen
des Tourismus oder der Bereitschaft Bauwilliger, sich im Gemeindegebiet
anzusiedeln, geltend machen.
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Unerheblich bleibt auch die Behauptung der Antragstellerin, dass die
Windkraftanlagen in ihr Gemeindegebiet h i n e i n w i r k e n würden. Ausgehend
von der im Genehmigungsverfahren vorgelegten Sichtbeziehungsanalyse und
Visualisierung der geplanten Anlagen können die Windkraftanlagen allenfalls
punktuell in die Ortsrandlage der Antragstellerin hineinwirken. Dahinstehen kann,
ob diese punktuelle Veränderung der Sichtbeziehungen am Rande des
Gemeindegebietes überhaupt eine Veränderung des Ortsbildes im Sinne der o. g.
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darstellt. Jedenfalls ist diese
Veränderung, insbesondere wenn man sie mit dem Überführungsbauwerk, das der
Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts zugrunde lag, vergleicht, nicht
erheblich. Im Übrigen hat das Bundesverwaltungsgericht in seiner Entscheidung
ausgeführt, dass gewisse ästhetische Einbußen als Folge für das Ortsbild
hinzunehmen sind. Dies gilt nach Überzeugung der Kammer auch in dem
streitgegenständlichen Verfahren.
Erweist sich die der Beigeladenen erteilte immissionsschutzrechtliche
Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb von zwei Windkraftanlagen in der
Gemarkung Klein-Umstadt vom 09.06.2009 bei der im einstweiligen
Rechtsschutzverfahren allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung
der Sachlage als offensichtlich rechtmäßig, ist die seitens des Antragsgegners bei
der Anordnung des Sofortvollzuges vorgenommene Abwägung der Interessen
nicht zu beanstanden. Insoweit folgt das Gericht zur Vermeidung von
Wiederholungen der Begründung der Anordnung des Sofortvollzugs vom
01.09.2009 (§ 117 Abs. 5 VwGO analog). Die Interessen der Beigeladenen an einer
zeitnahen Ausnutzung der Genehmigung werden von den Interessen der
Antragstellerin an der Verhinderung der Errichtung der Windenergieanlagen bis
zum Abschluss des Klageverfahrens insbesondere deswegen nicht überwogen, weil
die Beigeladene durch die Errichtung der Anlagen keine unabänderlichen
Tatsachen schafft, sondern das Risiko trägt, die Anlagen wieder entfernen zu
müssen, wenn die Klage der Antragstellerin entgegen den vorstehenden
Ausführungen des Gerichts letztinstanzlich Erfolg haben sollte.
Die Antragstellerin hat als Unterlegene nach § 154 Abs. 1 und 3 VwGO die Kosten
des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu
tragen.
Der Streitwert ergibt sich gemäß §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG nach dem sich
aus dem Antrag der Antragstellerin für sie ergebenden Bedeutung, die im
Hauptsacheverfahren mit 60.000 EUR beziffert worden und im Hinblick auf die
Vorläufigkeit der Entscheidung im Eilverfahren auf die Hälfte zu reduzieren ist.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert.