Urteil des VG Cottbus vom 09.09.2008

VG Cottbus: aufschiebende wirkung, psychologisches gutachten, öffentliches interesse, vollziehung, behörde, entziehung, sicherheit, verwaltungsakt, quelle, ausschluss

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Gericht:
VG Cottbus 3.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 L 188/08
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 3 StVG, § 80 Abs 3 S 1 VwGO,
§ 11 Abs 8 FeV, § 13 Nr 2b FeV,
§ 80 Abs 5 VwGO
Entziehung der Fahrerlaubnis wegen nicht fristgerechter
Beibringung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens
Leitsatz
Auch bei älteren Zuwiderhandlungen unter Einfluss von Alkohol, die in das
Verkehrszentralregister einzutragen sind, steht der Zeitablauf einer Begutachtensanordnung
nicht entgegen, wenn die in den Tilgungsvorschriften bestimmten Fristen noch nicht
abgelaufen sind. Allenfalls dann, wenn die Verzögerung auf Untätigbleiben der
Fahrerlaubnisbehörde beruht, kann die Rechtmäßigkeit der Aufforderung nach § 13 Nr. 26 FeV
zweifelhaft sein.
Tenor
1. Der Antrag, Prozesskostenhilfe unter Beordnung eines Rechtsanwalts zu bewilligen,
wird abgelehnt.
2. Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Streitwert wird auf 6.250,- Euro festgesetzt.
Gründe
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts
ist abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung aus den folgenden Gründen keine hinreichende
Aussicht auf Erfolg hat, § 166 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) i.V.m. § 114 der
Zivilprozessordnung (ZPO).
Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hat keinen Erfolg. Nach dieser Vorschrift kann das
Gericht die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs in den Fällen, in denen die
sofortige Vollziehung des Verwaltungsaktes -wie hier- gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4
VwGO angeordnet worden ist, wiederherstellen und in den Fällen, in denen einem
Rechtsbehelf die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 – 3 und Satz 2
VwGO kraft Gesetzes von vornherein nicht zukommt, anordnen, wenn das private
Aussetzungsinteresse des Antragstellers das öffentliche Interesse an der sofortigen
Vollziehung des Verwaltungsaktes überwiegt. Das ist jedenfalls dann der Fall, wenn der
angegriffene Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig ist, da nach dem
Rechtsstaatsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG an der sofortigen Vollziehung eines noch nicht
bestandskräftigen, offensichtlich rechtswidrigen Verwaltungsaktes ein öffentliches
Interesse nicht bestehen kann. Dagegen überwiegt das öffentliche Interesse an der
sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts das private Interesse des Antragstellers, von
der Vollziehung vorläufig verschont zu bleiben, regelmäßig dann, wenn sich der
Verwaltungsakt als offensichtlich rechtmäßig erweist und in den Fällen des § 80 Abs. 2
Satz 1 Nr. 4 VwGO zusätzlich ein besonderes Vollzugsinteresse hinzutritt.
Die hiernach gebotene Interessenabwägung fällt zu Lasten des Antragstellers aus. Die
Entziehung der Fahrerlaubnis ist nach summarischer Prüfung im Verfahren des
einstweiligen Rechtsschutzes rechtmäßig. Die mit der angegriffenen Ordnungsverfügung
ausgesprochene Entziehung der Fahrerlaubnis findet ihre Rechtsgrundlage in § 3 Abs. 1
Satz 1 des Straßenverkehrsgesetzes (StVG) i.V.m. § 46 Abs. 1 Satz 1 der
Fahrerlaubnisverordnung (FeV). Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis
zu entziehen, wenn sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis als ungeeignet zum Führen von
Kraftfahrzeugen erweist. Die Ungeeignetheit des Antragstellers steht vorliegend fest.
Nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV darf die Fahrerlaubnisbehörde bei ihrer Entscheidung auf
die Nichteignung des Betroffenen schließen, wenn sich dieser weigert, sich untersuchen
zu lassen oder er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht
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zu lassen oder er der Fahrerlaubnisbehörde das von ihr geforderte Gutachten nicht
fristgerecht beibringt. Nach § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV darf auf die Nichteignung des
Betroffenen indes nur geschlossen werden, wenn die Anforderung des Gutachtens zu
Recht erfolgt ist und sie einen Hinweis auf die Folgen der Weigerung oder nicht
fristgerechten Beibringung des Gutachtens. Dies ist vorliegend der Fall.
Die Aufforderung des Antragsgegners vom 16. Oktober 2006, die einen § 11 Abs. 8 Satz
2 FeV genügenden Hinweis enthält, findet ihre rechtliche Grundlage in § 46 Abs. 3 i.V.m.
§ 13 Nr. 2b FeV. Hiernach ist ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen,
wenn der Fahrerlaubnisinhaber wiederholt Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter
Alkoholeinfluss begangen hat. Ausweislich der vorliegenden Auskunft des Kraftfahrt-
Bundesamtes aus dem Verkehrszentralregister und des vorliegenden Urteils des
Amtsgerichts Bad Liebenwerda vom 02. März 1999 ist der Antragsteller am 24. Juli 1998
mit Alkohol im Straßenverkehr auffällig geworden, indem er gegen 0.25 Uhr mit einem
Kraftfahrzeug die F.straße in A-Stadt befuhr; die Untersuchung der ihm um 0.44 Uhr
entnommenen Blutprobe ergab eine Blutalkoholkonzentration von 1,19 Promille. Der
Antragsteller ist wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr gemäß § 316 Abs. 1, 2 StGB
zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen verurteilt und ihm ist die Fahrerlaubnis entzogen
worden. Am 28. November 1999 wurde der Antragsteller erneut auffällig. An diesem Tag
befuhr er mit einem Kraftfahrzeug öffentliche Straßen in P.....; die festgestellte
Atemalkoholkonzentration betrug 0,33 mg/l. Mit Bußgeldbescheid des Polizeipräsidiums
X-Stadt vom 09. Februar 2000 (rechtskräftig seit dem 29. Februar 2000) wurde gegen
den Antragsteller wegen dieser Ordnungswidrigkeit nach § 24a Abs. 1 Nr. 2 StVG ein
Bußgeld in Höhe von 200 DM verhängt. Die genannten Vorfälle bestreitet der
Antragsteller auch nicht. Damit liegen wiederholte Zuwiderhandlungen im
Straßenverkehr vor. Wiederholt sind Zuwiderhandlungen i.S.v. § 13 Nr. 2b FeV begangen,
wenn mindestens zwei alkoholbedingte Verstöße gegeben sind. Nach dem eindeutigen
Wortlaut umfasst dies Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Zusammenhang mit
Alkohol im Straßenverkehr.
Auch der Zeitablauf steht einer Begutachtensaufforderung nicht entgegen. In der
Entscheidung vom 09. Juni 2005 (3 C 25/04-, NJW 2005, 3081; NZV 2006, 52) hat das
Bundesverwaltungsgericht zu der Frage des Zeitablaufs im Zusammenhang mit der
Klärung von Eignungszweifeln wegen eines früheren Drogenkonsums ausgeführt, dass
nicht jeder beliebig weit in der Vergangenheit liegende Drogenkonsum als Grundlage für
die Anforderung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens herangezogen werden
kann. Der Eingriff, der in der Anordnung, ein medizinisch-psychologisches Gutachten
beizubringen, liegt, sei nur gerechtfertigt, wenn er zur Abwehr einer bei realistischer
Einschätzung tatsächlich bestehenden Gefahr notwendig sei. Es müsse eine
hinreichende Wahrscheinlichkeit bestehen, dass der Betroffene noch Drogen einnimmt
oder jedenfalls rückfallgefährdet sei und sich dies auf sein Verhalten im Straßenverkehr
auswirken kann. Erforderlich sei hiernach eine Einzelfallbetrachtung unter Einbeziehung
aller relevanten Umstände. Entscheidend sei, ob die gegebenen Verdachtsmomente
noch einen Gefahrenverdacht begründen. Von besonderem Gewicht seien insoweit Art
und Ausmaß des früheren Drogenkonsums.
Einer solchen Einzelfallbetrachtung unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten bedarf es
vorliegend aber nicht. Dies ergibt sich aber nicht aus dem Umstand, dass der
Antragsteller mit Alkohol und nicht mit Betäubungsmitteln auffällig geworden ist.
Maßgeblich ist, dass die Zuwiderhandlungen, die im Fall des Antragstellers
Eignungszweifel hervorrufen, solche sind, die zu Eintragungen in das
Verkehrszentralregister geführt haben, während die vom Bundesverwaltungsgericht in
dem oben genannten Urteil entschiedene Fallkonstellation eine solche betraf, in welcher
der Betroffene mit der Einnahme von Betäubungsmitteln außerhalb des
Straßenverkehrs aufgefallen war (vgl. den den Beteiligten bekannten Beschluss des VG
Cottbus vom 2. November 2007 -2 L 236/07- veröffentlicht in Juris; vgl. auch BayVGH,
Beschluss vom 06. Mai 2008 -11 CS 08.551-, zitiert nach Juris). Nach der
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gilt nämlich, sind Zuwiderhandlungen in
das Verkehrszentralregister einzutragen, dass der Gesetzgeber in Form der
Tilgungsvorschriften selbst Fristen vorgesehen hat, nach deren Ablauf Taten einem
Verwertungsverbot unterliegen und nicht mehr als Rechtfertigung für eine
Gutachtensanforderung herangezogen werden können (vgl. BVerwG, Urteil vom 09. Juni
2005 -3 C 21/04-, NJW 2005, 3440, zu einer im Jahr 1995 erfolgten Fahrt unter dem
Einfluss von Betäubungsmitteln; vgl. auch VG Cottbus, Beschluss vom 02. Juli 2007 -2 L
361/06-).
Vorliegend unterliegen die alkoholbedingten Zuwiderhandlungen des Antragstellers
mangels Tilgung aber noch keinem Verwertungsverbot. Für die mit Urteil des
Amtsgerichts Bad Liebenwerda vom 02. März 1999 geahndete Straftat nach § 316 Abs.
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Amtsgerichts Bad Liebenwerda vom 02. März 1999 geahndete Straftat nach § 316 Abs.
1 StGB (fahrlässige Trunkenheit im Verkehr; die festgestellte Blutalkoholkonzentration
betrug 1,19 mg/g) gilt gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 3 StVG eine Tilgungsfrist von 10 Jahren. Die
Eintragung dieser Straftat, die mithin nicht vor mindestens März 2009 zu tilgen ist,
hindert gemäß § 29 Abs. 6 Satz 1 StVG zudem die Tilgung der Eintragung der weiteren
alkoholbedingten Zuwiderhandlung nach § 24a StVG vom 28. November 1999
(Bußgeldbescheid vom 09. Februar 2000; rechtskräftig seit dem 29. Februar 2000), für
die die für Ordnungswidrigkeiten nach § 29 Abs. 6 Satz 4 StVG regelmäßig vorgesehene
absolute Tilgungsfrist von 5 Jahren nicht gilt. Die Zuwiderhandlungen des Antragstellers
können mithin immer noch als Rechtfertigung für eine Eignungsbegutachtung
herangezogen werden.
Etwas anderes ergibt sich mit Blick auf den Zeitablauf auch sonst nicht. Allenfalls dann,
wenn die Fahrerlaubnisbehörde lange Zeit gezögert hat, könnte die Anlassbezogenheit
und Rechtmäßigkeit der Begutachtensaufforderung fraglich sein. Denn dann bedürfte es
einer näheren Betrachtung, ob die Voraussetzungen nach § 46 Abs. 3 FeV noch
vorliegen. Die Vorschrift, die eine entsprechende Anwendung der §§ 11 bis 14 FeV
anordnet, setzt nämlich insoweit voraus, dass Tatsachen bekannt werden, die Bedenken
an der Eignung begründen. Ob im Sinne des § 46 Abs. 3 FeV noch ein "Bekanntwerden
der Tatsachen" vorliegt, obwohl die Fahrerlaubnisbehörde schon frühzeitig Kenntnis von
den Eignungsbedenken auslösenden Tatsachen erhalten hat, erscheint dann jedenfalls
überprüfungsbedürftig. Von einem verzögerten Handeln der Fahrerlaubnisbehörde nach
Bekanntwerden der eignungsrelevanten Tatsachen kann vorliegend aber keine Rede
sein. Der Antragsgegner hat erstmals durch die Mitteilung des Kraftfahrt-Bundesamtes
vom 08. September 2006, eingegangen am 19. September 2006, davon Kenntnis
erhalten, dass der Antragsteller wiederholt im Zusammenhang mit Alkohol im
Straßenverkehr auffällig geworden ist. Ohne weiteres Zögern hat er den Antragsteller
mit Schreiben vom 26. September 2006 zu der beabsichtigten Eignungsüberprüfung
angehört und nach einer persönlichen Vorsprache des Antragstellers mit Anordnung
vom 16. Oktober 2006 die Eignungsbegutachtung angeordnet.
Sind nach alledem Bedenken gegen die Anordnung zur Beibringung eines medizinisch-
psychologischen Gutachtens nicht ersichtlich, so hat der Antragsgegner aus der
Nichtbeibringung des Gutachtens (die bis zum 30. April 2008 verlängerte Frist ist
insoweit abgelaufen) gemäß § 11 Abs. 8 FeV zu Recht den Schluss auf die Nichteignung
des Antragstellers gezogen. Ihm ist gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 StVG zwingend die
Fahrerlaubnis zu entziehen. Ein Ermessen, was ein Absehen von dieser Maßnahme
aufgrund der familiären oder beruflichen Situation des jeweiligen Fahrerlaubnisinhabers
ermöglichen könnte, steht der Fahrerlaubnisbehörde dabei nicht zu.
An der sofortigen Vollziehung des Fahrerlaubnisentzugs besteht auch ein die
gegenläufigen Belange des Antragstellers überwiegendes besonderes öffentliches
Interesse im Sinne des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO. Die von einem ungeeigneten
Kraftfahrzeugführer ausgehende Gefährdung für die Sicherheit des Straßenverkehrs und
die überragenden Rechtsgüter anderer Verkehrsteilnehmer wie Leib und Leben gebietet
es, ihn ohne Gewährung eines zeitlichen Aufschubs schon vor rechtskräftigem Abschluss
des Widerspruchsverfahrens und eines Klageverfahrens vom Straßenverkehr
fernzuhalten. Hiergegen spricht auch nicht der vom Antragsteller in den Vordergrund
seiner diesbezüglichen Erwägungen gestellte zeitliche Abstand seit der zuletzt bekannt
gewordenen Verkehrszuwiderhandlung. Der Umstand, dass der Antragsteller in der
Zwischenzeit nicht nochmals im Straßenverkehr auffällig geworden ist, bietet angesichts
der Lückenhaftigkeit der Verkehrsüberwachung schon nicht die Gewähr dafür, dass er
nicht dennoch gegen verkehrsrechtliche Vorschriften verstoßen und namentlich unter
Alkoholeinfluss am Straßenverkehr teilgenommen hat. Auch muss im Übrigen ein
längerer Zeitablauf die Ordnungsbehörde nicht davon abhalten, jedenfalls nunmehr das
Gebotene zu veranlassen; wäre es anders, so könnte die Behörde selbst gegen
erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit um so schwerer einschreiten, je länger
diese schon andauern (vgl. OVG für das Land Brandenburg, Beschluss vom 24. August
2000 – 3 B 138/00 –; Beschluss vom 17. August 2000 – 3 B 54/00 -; Beschluss vom 20.
März 2000 – 3 B 20/00 -; Beschluss vom 14. Mai 1997 – 3 B 54/97 -; Beschluss vom 1.
März 2001 - 3 B 10/01.Z -). In Anbetracht der erheblichen Gefahren für Rechtsgüter
anderer Verkehrsteilnehmer ist es geboten, einen ungeeigneten Kraftfahrer von einer
weiteren Teilnahme am Straßenverkehr jedenfalls in dem Zeitpunkt auszuschließen, in
dem die Ungeeignetheit entdeckt worden ist und diese nunmehr feststeht. Letztlich ist
beachten, dass sich die Ungeeignetheit des Antragstellers, die die Prognose beinhaltet,
es sei zu erwarten, dass er zukünftig erneut ein Kraftfahrzeug unter Alkoholeinfluss
führen wird, nicht allein auf die Verstöße in der Vergangenheit stützt. Vielmehr hat der
Antragsteller durch seine Weigerung, dass angeordnete Gutachten fristgerecht
beizubringen, die aus den früheren Zuwiderhandlungen folgenden Eignungsbedenken
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beizubringen, die aus den früheren Zuwiderhandlungen folgenden Eignungsbedenken
nochmals verstärkt. Die in Anwendung von § 11 Abs. 8 FeV feststehende Nichteignung
ist aber ein Sachverhalt, der die vom Antragsteller ausgehende Gefährdung für die
Sicherheit des Straßenverkehrs zeitnah und aktuell belegt und nicht eine solche, die
ausschließlich auf früheren Fehlverhalten beruht. Ist aber die Nichteignung zeitnah
belegt, ist mit dem Antragsgegner davon auszugehen, dass aktuell noch Gefahren für
überragende Rechtsgüter anderer Verkehrsteilnehmer drohen, die ein sofortiges
Einschreiten der Fahrerlaubnisbehörde erfordern.
Vor diesem Hintergrund genügt auch die vom Antragsgegner gegebene Begründung der
sofortigen Vollziehung den Anforderungen nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO. Diese
Vorschrift soll die Behörde dazu anhalten, sich des Ausnahmecharakters der
Vollziehungsanordnung mit Blick auf den grundsätzlich gemäß § 80 Abs. 1 VwGO durch
Erhebung eines Rechtsbehelfs eintretenden Suspensiveffekt bewusst zu werden und die
Frage des Sofortvollzuges sorgfältig zu prüfen. Zugleich soll der Betroffene über die für
die Behörde maßgeblichen Gründe des von ihr angenommenen überwiegenden
Sofortvollzugsinteresses informiert werden, damit darüber hinaus in einem möglichen
Rechtsschutzverfahren dem Gericht die Erwägungen der Behörde zur Kenntnis gebracht
und zur Überprüfung gestellt werden können. Die Erfordernisse des § 80 Abs. 3 Satz 1
VwGO haben hiernach vorwiegend die Bedeutung, der Behörde den Ausnahmecharakter
des Sofortvollzuges vor Augen zu führen. Ist dies hinreichend erkennbar, kommt es für
die Frage der ordnungsgemäßen Begründung gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO nicht
darauf an, ob die Annahme eines Überwiegens des sofortigen Vollzugsinteresses aus
den angegebenen Gründen bereits voll zu überzeugen vermag (vgl. OVG für das Land
Brandenburg, Beschluss vom 5. Februar 1998 – 4 B 134/97 -, veröffentlicht in Juris).
Dabei können gerade im Fahrerlaubnisrecht auch typisierende
Sofortvollzugsbegründungen genügen. Hierzu heißt es in dem den Beteiligten bekannten
Beschluss vom 02. November 2007 (2 L 236/07):
"Aus der Begründung muss hinreichend nachvollziehbar hervorgehen, dass und aus
welchen besonderen Gründen die Behörde im konkreten Fall dem besonderen
öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts Vorrang vor
dem Aufschubinteresse des Betroffenen eingeräumt hat und aus welchen im dringenden
öffentlichen Interesse liegenden Gründen sie es für gerechtfertigt bzw. geboten hält, den
durch die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs ansonsten eintretenden
vorläufigen Rechtsschutz des Betroffenen einstweilen zurück zu stellen. Pauschale und
nichtssagende formelhafte Wendungen genügen dem Begründungserfordernis nicht.
Allerdings kann sich die Behörde auf die den Verwaltungsakt selbst tragenden
Erwägungen stützen, wenn die den Erlass des Verwaltungsaktes rechtfertigenden
Gründe zugleich die Dringlichkeit der Vollziehung ergeben. Ein solcher Fall kann im
Bereich der Entziehung der Fahrerlaubnis unter dem Aspekt der Gefahrenabwehr
gegeben sein (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 22. Januar 2001 -19 B 1757/00-, NZV
2001, 396).
Bei gleichartigen Tatbeständen können auch gleiche oder typisierende
Begründungen ausreichen. Dies ist insbesondere bei Fahrerlaubnisentziehungen
regelmäßig der Fall, da hier die zu beurteilenden Interessenkonstellationen in der großen
Mehrheit der Fälle gleich gelagert sind. Stets bedarf es hier der Abwägung zwischen den
Gefahren, die für hochrangige Rechtsgüter anderer Verkehrsteilnehmer wie Leben und
Gesundheit aus der weiteren Teilnahme des -wie die Behörde angenommen hat-
ungeeigneten Kraftfahrzeugführers entstehen, und dem Interesse des Betroffenen,
weiterhin als Führer eines Kraftfahrzeuges am Straßenverkehr teilnehmen zu können.
Namentlich in den vielfach auftretenden Konstellationen, in denen die Behörde die
Fahrerlaubnis wegen Alkoholmissbrauchs oder Betäubungsmittelkonsums entzieht, ist
diese Interessenlage typischerweise gleich gelagert. In solchen Fällen ist es dann auch
nicht zwingend geboten, eine ausschließlich auf den Einzelfall zugeschnittene
Begründung zu geben. Es genügt, die typische Interessenlage aufzuzeigen und deutlich
zu machen, dass diese Interessenlage auch im konkreten Einzelfall vorliegt (vgl.
BayVGH, Beschluss vom 04. Januar 2006 -11 CS 05.1878-, zitiert nach Juris). Nach der
ständigen Praxis der Kammer genügt insoweit eine knappe und gleichartige Begründung
dem Erfordernis nach § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO, wenn die Behörde die typischerweise
von einem ungeeigneten Kraftfahrzeugführer ausgehenden und folglich auch im zur
Beurteilung anstehenden Fall drohenden Gefahren für die Sicherheit des
Straßenverkehrs und der damit im Zusammenhang stehenden Rechtsgüter anderer
Verkehrsteilnehmer aufzeigt, sie damit einen anerkannten Fall aufgreift, in dem das
öffentliche Interesse an einer sofortige Vollziehung regelmäßig überwiegt, und sie
hinreichend deutlich macht, dass aus ihrer Sicht dieser anerkannte Fall auch auf die
Person des jeweiligen Fahrerlaubnisinhabers zutrifft.
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Allerdings ist bei einer auf § 3 Abs. 1 Straßenverkehrsgesetz (StVG) gestützten
Entziehung der Fahrerlaubnis die Entscheidung des Gesetzgebers zu berücksichtigen,
dass ein hiergegen eingelegter Rechtsbehelf gemäß § 80 Abs. 1 VwGO grundsätzlich
aufschiebende Wirkung hat und sich der Gesetzgeber -was u.a. ein Vergleich mit den
Vorschriften des § 2a Abs. 6 und § 4 Abs. 7 Satz 2 StVG zeigt- bewusst gegen einen
generellen Ausschluss der aufschiebenden Wirkung entschieden hat. Vor diesem
Hintergrund darf die Möglichkeit, auf typisierende Begründungen zurückzugreifen, aber
nicht dazu führen, dass die grundsätzliche Entscheidung des Gesetzgebers umgangen
wird. Soll das gesetzliche Begründungserfordernis nicht jede Bedeutung verlieren, muss
die Verwaltung in jedem Einzelfall entscheiden und sich darüber Rechenschaft geben, ob
und warum eine Vollziehungsanordnung nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO veranlasst
ist. Sie muss prüfen, ob Besonderheiten vorliegen, die es gebieten, am Grundsatz des §
80 Abs. 1 VwGO festzuhalten und es bei der aufschiebenden Wirkung eines
Rechtsbehelfs gegen die jeweilige Ordnungsverfügung verbleiben zu lassen (vgl.
BayVGH, Beschluss vom 04. Januar 2006, a.a.O.).
Liegen Besonderheiten nicht vor, ist also die typische Interessenlage gegeben, kann
sie auf eine typisierende Begründung für den Sofortvollzug zurückgreifen. Liegen indes
Besonderheiten vor, muss die Behörde in der Begründung zumindest deutlich machen,
weshalb sie auch im dann zur Beurteilung stehenden Fall unter Einbeziehung der
Einzelumstände den Sofortvollzug für gerechtfertigt erachtet bzw. weshalb sie davon
ausgeht, dass die bei einem Entzug der Fahrerlaubnis regelmäßig gegebene
Interessenlage auch hier vorliegt, sich der gerade zur Beurteilung anstehende Fall also
auch unter Berücksichtigung etwaiger Besonderheiten nicht wesentlich von den
typischen Konstellationen unterscheidet."
Dem wird die vom Antragsgegner im Widerspruchsbescheid gegebene
Sofortvollzugsbegründung gerecht. Hierbei hat der Antragsgegner insbesondere
berücksichtigt, dass der letzte aktenkundige Vorfall im Zusammenhang mit einer
alkoholbedingten Teilnahme am Straßenverkehr im Jahr 1999 liegt. Diese Besonderheit
habe aber zurückzutreten vor dem Hintergrund, dass sich der Antragsteller der
angeordneten Begutachtung nicht gestellt hat und dies die Vermutung nahelege, dass
ein Gutachten mit negativem Ausgang vorliege und ein aktueller Eignungsmangel
(Hervorhebung durch das Gericht) festgestellt worden sei. Dass der Antragsteller trotz
seiner Ungeeignetheit auf unbestimmte Zeit weiter am Straßenverkehr teilnehmen
könne, könne im Interesse der Allgemeinheit daher nicht hingenommen werde. Damit
hat der Antragsgegner aber zum Ausdruck gebracht, dass er sich des generellen
Ausschlusses der sofortigen Vollziehung bewusst gewesen ist, er die Besonderheiten des
vorliegenden Falls -hier: der Zeitablauf- beachtet hat, diesen aber kein derart
erhebliches Gewicht beigemessen hat, dass sie dem aus dem aktuell feststehenden
alkoholbedingten Eignungsmangel abzuleitenden Bedürfnis nach einem sofortigen
Ausschluss des ungeeigneten Kraftfahrzeugführers vom motorisierten Straßenverkehr
entgegenstehen würden.
Die vom Antragsgegner angeordnete und für sofort vollziehbar erklärte
Führerscheinabgabe ist rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden. Das Gebot, den
Führerschein abzugeben, ergibt sich vorliegend aus § 47 Abs. 1 Satz 2 FeV. Danach
besteht die Verpflichtung zur Ablieferung oder Vorlage des Führerscheins auch dann,
wenn die Entscheidung angefochten worden ist, die zuständige Behörde jedoch - wie hier
- die sofortige Vollziehung ihrer Verfügung angeordnet hat. Gegen die
Zwangsmittelandrohung ist ebenfalls nichts zu erinnern.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 des
Gerichtskostengesetzes in der nach dem 1. Juli 2004 gültigen Fassung (GKG). Das
Interesse des Antragstellers in Bezug auf den Behalt seiner Fahrerlaubnis der Klassen
A1, CE bewertet die Kammer in Anlehnung an den Streitwertkatalog für die
Verwaltungsgerichtsbarkeit vom 07./08. Juli 2004 mit dem zweieinhalbfachen
Auffangwert. Dieser Betrag war mit Blick darauf, dass lediglich eine vorläufige Regelung
im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes begehrt wird, zu halbieren.
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