Urteil des VG Cottbus vom 15.03.2017

VG Cottbus: bewaffneter konflikt, irak, bundesamt für migration, stadt, innere sicherheit, flüchtlingshilfe, leib, regierung, bevölkerung, kontrolle

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Gericht:
VG Cottbus 7.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 K 697/05.A
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 60 Abs 2 AufenthG, § 60 Abs 3
AufenthG, § 60 Abs 5 AufenthG,
§ 60 Abs 7 AufenthG, Art 15c
EGRL 83/2004
Versagung von subsidiärem Flüchtlingsschutz für irakischen
Staatsangehörigen
Tenor
Die Klage wird als offensichtlich unbegründet abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand
Der ausweislich eines inzwischen der Ausländerbehörde vorgelegten irakischen
Staatsangehörigkeitsausweises sowie eines irakischen Personalausweises irakische und
1984 in Bagdad geborene Kläger erstrebt nach bestandskräftiger Versagung sowohl
seine Asylanerkennung als auch der Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen
nach § 51 Abs. 1 AuslG anderweitigen Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 2 – 7
AufenthG bzw. nach Art. 15 c der Richtlinie 2004/83/EG.
Er hatte am 12. September 2001 bei der Außenstelle C-Stadt des Bundesamtes für die
Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (jetzt: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge;
i.F. Bundesamt) erstmals einen Asylantrag mit der Begründung angebracht, dass er
verhaftet und gefoltert worden sei, weil sich sein älterer Bruder wegen des Wehrdienstes
vor der irakischen Regierung auf der Flucht befinde. Nachdem er nicht zur angesetzten
Anhörung beim Bundesamt erschienen war, hatte das Bundesamt seinen Asylantrag mit
Bescheid vom 10. Oktober 2001 abgelehnt; die hiergegen verspätet erhobene Klage
wurde durch das Verwaltungsgericht Frankfurt (Oder) mit Urteil vom 26. April 2002 als
offensichtlich unzulässig abgewiesen (VG Frankfurt [Oder] - 5 K 2467/01.A -). Am 15.
Oktober 2001 hatte der Kläger beim Bundesamt – Außenstelle B-Stadt – unterdessen
erneut um Asyl nachgesucht, wobei er angab, am 17. September 2001 auf dem
Landweg ins Bundesgebiet gelangt zu sein und keine Verwandten in Deutschland zu
haben. Bei einer Anhörung dort am 5. November 2001 behauptete er, keinen anderen
Asylantrag gestellt zu haben; dagegen räumte er ein, dass er zwei Brüder, Nasser und
Khalid, in B-Stadt habe. Mit Blick auf den früher in C-Stadt angebrachten Asylantrag war
das Verfahren von B-Stadt sodann nach dort abgegeben worden.
Am 18. Dezember 2001 wurde der Kläger anschließend beim Bundesamt in C-Stadt
erneut angehört. Dabei führte er u.a. aus, dass er Ende April 2001 in Bagdad für etwa
drei Wochen inhaftiert worden sei, weil seine beiden in Deutschland aufhältigen Brüder
der Mitgliedschaft in einer regierungskritischen Organisation beschuldigt, er nach deren
Ausreise von Parteimitgliedern nach deren Verbleib befragt und dann bei der Polizei
angeschwärzt worden sei, als ihm das Geld zur Bezahlung seiner Peiniger ausgegangen
sei. Das Bundesamt lehnte daraufhin mit Bescheid vom 16. Januar 2002 den Asylantrag
des Klägers ab, indes bejahte es das Vorliegen der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1
AuslG wegen der Asylantragstellung des Klägers und seines illegalen
Auslandsaufenthaltes. Auf die hiergegen erhobene Beanstandungsklage des
Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten hob das Verwaltungsgericht Cottbus mit
Urteil vom 5. Juni 2003 die Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51
Abs. 1 AuslG im Bundesamtsbescheid vom 16. Januar 2002 auf (VG Cottbus - K 150/02.A
-); das Urteil wurde nach Verwerfung des hiergegen gerichteten
Berufungszulassungsantrages des Klägers durch Beschluss des
Oberverwaltungsgerichts für das Land Brandenburg vom 2. März 2005 (OVG Frankfurt
[Oder] - 4 A 739/03.AZ -) rechtskräftig.
Unter dem 20. April 2005 hörte das Bundesamt den Kläger über seine vormalige
Prozessbevollmächtigte, unter dem 9. Mai 2005 ihn unmittelbar hinsichtlich etwaiger
Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 2 – 7 AufenthG an, ohne dass der Kläger hierauf
reagierte. Das Bundesamt stellte sodann mit dem Kläger unter seiner damals wie heute
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reagierte. Das Bundesamt stellte sodann mit dem Kläger unter seiner damals wie heute
geltenden Anschrift am 18. Juni 2005 zugestelltem Bescheid vom 13. Juni 2005 fest,
dass die Voraussetzungen nach § 60 Abs. 2 – 7 AufenthG bei dem Kläger nicht vorlägen,
forderte ihn zur Ausreise auf und drohte ihm die Abschiebung in den Irak an. Abgesehen
davon, dass der Kläger selbst keine Abschiebungsverbote glaubhaft gemacht habe,
handele es sich bei der derzeitigen Situation im Irak um eine allgemeine Gefahrenlage.
Am 5. Juli 2005 hat der Kläger Klage erhoben, die er in der Sache im Wesentlichen damit
begründet, dass die Lage im Irak unberechenbar sei und er unmittelbar für den Fall einer
Rückkehr dorthin schon wegen des Verdachts, als Auslandsheimkehrer über Geldmittel
zu verfügen, mit Lebensgefahr bedroht sei. Aus Deutschland zurückgekehrte Freunde
seien getötet worden; die irakische Regierung gewähre keinen Schutz. Im Übrigen sei die
Klage nicht verfristet, da die Zustellung des Bundesamtsbescheides nicht
ordnungsgemäß erfolgt, jedenfalls aber Wiedereinsetzung in die Klagefrist zu gewähren
sei.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des vom 13. Juni 2005 zu
verpflichten festzustellen, dass in seiner Person die Voraussetzungen nach § 60 Abs. 2 –
7 AufenthG hinsichtlich des Irak vorliegen,
hilfsweise die Beklagte zu verpflichten festzustellen, dass in seiner Person die
Voraussetzungen nach Art. 15 c der Richtlinie 2004/83/EG vorliegen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen,
da sie verfristet und in der Sache aus den Gründen des angefochtenen Bescheides
unbegründet sei.
Die Kammer hat den Rechtsstreit durch Beschluss vom 22. Januar 2009 dem
Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Wegen der weiteren
Einzelheiten wird auf den Inhalt der in die mündliche Verhandlung einbezogenen
Gerichts-, Bundesamts- und Ausländerakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Es kann offen bleiben, ob die Klage wegen Überschreitens der zweiwöchigen Klagefrist
des § 74 Abs. 1 AsylVfG, über welche im angefochtenen Bundesamtsbescheid zutreffend
belehrt worden ist, überhaupt zulässig ist. Denn die Klage kann jedenfalls in der Sache
keinen Erfolg haben, da sie sich als offensichtlich unbegründet darstellt.
Der angegriffene Bundesamtsbescheid erweist sich im Zeitpunkt der mündlichen
Verhandlung nach wie vor als rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen
Rechten, da er die geltend gemachten Abschiebungsverbote offensichtlich nicht in
Anspruch zu nehmen vermag (§113 Abs. 5 Satz 1 VwGO; § 30 Abs. 1 AsylVfG in
entsprechender Anwendung).
Die Abweisung einer Klage nach dem Asylverfahrensgesetz als offensichtlich
unbegründet erfolgt, wenn im nach § 77 AsylVfG maßgeblichen Zeitpunkt der
gerichtlichen Entscheidung an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen
vernünftigerweise keine Zweifel bestehen können und sich bei einem solchen
Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Klageabweisung
geradezu aufdrängt (vgl. zum Maßstab eines Offensichtlichkeitsurteils BVerfG, Beschluss
vom 20. Dezember 2006 - 2 BvR 2063/06 -, NVwZ 2007, 1046, und vom 12. Februar
2008 - 2 BvR 1262/07 -, NVwZ-RR 2008, 507). So liegt es hier.
Der Antrag auf Verpflichtung zur Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs.
2 bis 7 AufenthG in Bezug auf das Herkunftsland ist seit Inkrafttreten des Gesetzes zur
Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.
August 2007 (BGBl I 2007, 1970) im Asylprozess sachdienlich dahin auszulegen, dass in
erster Linie die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 2, 3 oder 7 Satz
2 AufenthG und hilfsweise die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5
oder 7 Satz 1 AufenthG begehrt wird (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008 -10 C 43.07 -
,NVwZ 2008, 1241-1246). Denn mit der Gesetzesänderung hat der Gesetzgeber
insbesondere die Vorgaben der Richtlinie 2004/83/EG des Rates vom 29. April 2004 über
Mindestnormen für die Anerkennung und den Status von Drittstaatsangehörigen oder
Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz
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Staatenlosen als Flüchtlinge oder als Personen, die anderweitig internationalen Schutz
benötigen, und über den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl EG Nr. L 304 S. 12;
ber. ABl EG vom 5. August 2005 Nr. L 204 S. 24 - i.F. Qualifikationsrichtlinie -) umgesetzt
und dabei die positiven Voraussetzungen des subsidiären Schutzstatus´ nach Art. 15
der Qualifikationsrichtlinie als absolute Abschiebungsverbote ausgestaltet, über deren
Vorliegen bei Asylbewerbern allein das Bundesamt zu entscheiden hat. Daraus folgt,
dass in Bezug auf das Herkunftsland die dem subsidiären Schutzkonzept der
Qualifikationsrichtlinie zuzuordnenden Abschiebungsverbote gegenüber den sonstigen
(nationalen) ausländerrechtlichen Abschiebungsverboten einen selbstständigen
Streitgegenstand bilden und ihre Feststellung nach der typischen Interessenlage des
Schutzsuchenden vorrangig vor der Feststellung eines sonstigen
herkunftslandbezogenen ausländerrechtlichen Abschiebungsverbots begehrt wird (vgl.
BVerwG, a.a.O.).
Die Voraussetzungen für die Gewährung des europarechtlich vorgegebenen
Abschiebungsschutzes liegen bei dem Kläger indes offensichtlich nicht vor.
Ein Ausländer darf nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem für diesen
Ausländer die konkrete Gefahr besteht, der Folter oder unmenschlicher oder
erniedrigender Behandlung oder Bestrafung unterworfen zu werden (§ 60 Abs. 2
AufenthG) oder wenn dieser Staat den Ausländer wegen einer Straftat sucht und die
Gefahr der Verhängung oder der Vollstreckung der Todesstrafe besteht (§ 60 Abs. 3
Satz 1 AufenthG). Von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen Staat ist
ferner abzusehen, wenn er dort als Angehöriger der Zivilbevölkerung einer erheblichen
individuellen Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines internationalen oder
innerstaatlichen bewaffneten Konflikts ausgesetzt ist (§ 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG).
Gefahren im Sinne des § 60 Abs. 2 und 3 AufenthG drohen dem Kläger, der hierzu weder
im Verwaltungs- noch im Gerichtsverfahren irgendetwas vorgebracht hat, ohne
vernünftigen Zweifel nicht. Die früher geltend gemachte – und bereits für sich
genommen wenig glaubhafte – Verfolgung durch das Saddam-Regime hat sich mit
dessen Untergang erledigt; gefahrenspezifische Darlegungen des Klägers in Hinsicht auf
etwaige Rechtsgutsverletzungen i.S.v. § 60 Abs. 2 oder 3 AufenthG fehlen gänzlich.
Der Kläger hat genauso offensichtlich keinen Anspruch auf Feststellung eines
Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG, da ihm in Ansehung seines
Vorbringens und nach den vorliegenden Erkenntnissen keine erhebliche individuelle
Gefahr für Leib oder Leben im Rahmen eines innerstaatlichen bewaffneten Konflikts
droht (vgl. zur entsprechenden Situation im Irak: VG Karlsruhe, Urteil vom 28. August
2008 - A 3 K 2913707 -, BayVG Regensburg, Urteil vom 17. Oktober 2008 - RO 3 K
08.30090 -, und SaarlVG, Urteil vom 12. August 2008 - 2 K 20/08 -, jeweils bei juris).
Selbst wenn in Teilen des Irak bürgerkriegsähnliche Zustände herrschen sollten, hat der
dafür darlegungspflichtige Kläger jedenfalls keine Umstände genannt, aus denen sich
über die allgemeine Gefahr, Opfer von bewaffneten Auseinandersetzungen oder eines
kriminellen Übergriffs wegen vermuteten Geldbesitzes zu werden, hinaus für ihn eine
konkrete individuelle Bedrohung ergeben könnte.
Zwar kann ein innerstaatlicher bewaffneter Konflikt im Sinne des § 60 Abs. 7 Satz 2
AufenthG nach den Maßstäben des humanitären Völkerrechts auch dann vorliegen,
wenn er nur Teile des Staatsgebiets erfasst (BVerwG, Urteil vom 24. Juni 2008, a.a.O.).
Danach liegen solche Konflikte jedenfalls dann vor, wenn sie „zwischen deren
Streitkräften und abtrünnigen Streitkräften oder anderen organisierten bewaffneten
Gruppen stattfinden, die unter einer verantwortlichen Führung eine solche Kontrolle über
einen Teil des Hoheitsgebiets der Hohen Vertragspartei ausüben, dass sie anhaltende,
koordinierte Kampfhandlungen durchführen“; kein bewaffneter Konflikt liegt vor, wenn es
sich lediglich „um innere Unruhen und Spannungen handelt wie Tumulte, vereinzelt
auftretende Gewalttaten und andere ähnliche Handlungen“ (vgl. BVerwG, a.a.O.). Bei
innerstaatlichen Krisen, die zwischen diesen beiden Erscheinungsformen liegen, kann ein
solcher bewaffneter Konflikt vorliegen, wenn ein bestimmtes Maß an Intensität und
Dauerhaftigkeit erreicht wird, das typischerweise bei Bürgerkriegsauseinandersetzungen
und Guerillakämpfen auftritt (vgl. BVerwG, a.a.O.). Diese Voraussetzungen liegen nach
den vorliegenden Erkenntnissen im Irak aber nicht vor.
Die Machtverhältnisse im Irak haben sich seit 2003 grundlegend geändert. Das Regime
des im Dezember 2006 hingerichteten Saddam Hussein ist im Zuge der am 20. März
2003 begonnenen Militäraktion unter Führung der USA beseitigt worden
(allgemeinkundig, vgl. BVerwG, Urteil vom 25. August 2004 - 1 C 22.03 -, NVwZ 2005, 89
f.). Nach Auflösung der Baath-Partei, der irakischen Streitkräfte und des
Verteidigungsministeriums im Mai 2003 sowie nach der Festnahme von Saddam
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Verteidigungsministeriums im Mai 2003 sowie nach der Festnahme von Saddam
Hussein am 13. Dezember 2003 hat die von diesem geführte Baath-Partei ihre politische
und militärische Herrschaft über den Irak vollständig verloren. Im Irak sind neue
tatsächliche und rechtliche Strukturen entstanden. Während der Aufbau eines
demokratischen Irak nach Institutionen und Gesetzen vorangeschritten ist, hat die
Bagdader Regierung allerdings faktisch Schwierigkeiten, das staatliche Gewaltmonopol
durchzusetzen. Nach Erlass eines Gesetzes über die Verteidigung der nationalen
Sicherheit wurde im November 2004 der Ausnahmezustand über das gesamte irakische
Staatsgebiet mit Ausnahme der kurdischen Autonomiegebiete im Nordosten des
Landes verhängt, aufgrund dessen zeitweilig Ausgangssperren, Fahrverbote und
Grenzschließungen angeordnet wurden. Die Sicherheit für die irakische Bevölkerung wird
durch drei Hauptprobleme beeinträchtigt: durch eine hohe Kriminalitätsrate, durch
Kampfhandlungen zwischen einer militanten Opposition und den regulären Streitkräften
sowie durch terroristische Anschläge. Nach dem Sturz der Baath-Regierung waren zwar
bei der Bekämpfung der allgemeinen Kriminalität durch die Verstärkung der Polizeikräfte
begrenzte Erfolge zu verzeichnen; Überfälle und Entführungen sind aber noch immer an
der Tagesordnung gewesen. Die Koalitionsstreitkräfte wurden häufig in
Kampfhandlungen u.a. mit schiitischen Milizen (insbes. Mahdi-Miliz des Predigers
Muqtada Al-Sadr) verwickelt. Die militante Opposition setzt sich daneben hauptsächlich
aus arabisch-nationalistischen Kräften, die vom Saddam-Regime profitiert hatten, und
ausländischen Kämpfern mit islamistischem Hintergrund und Verbindungen zu
islamistischen Terrororganisationen (insbes. Al-Qaida) zusammen. Die zahlreichen
Terroranschläge, die die Sabotage des demokratischen Aufbaus des Landes zum Ziel
haben, hatten zeitweilig ein zuvor nicht gekanntes Maß erreicht (vgl. Lagebericht des
Auswärtigen Amtes vom 11. Januar 2007). Seit der Aufstockung der US-amerikanischen
Truppen im Frühsommer 2007 und der Änderung der Strategie durch Einbeziehung
sunnitischer Stämme in der Provinz Anbar hat sich die Sicherheitslage allerdings
bedeutend verbessert (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe, „Update: Aktuelle
Entwicklungen“ vom 14. August 2008, S. 6), sie ist jedoch weiterhin „verheerend“ und es
ist noch nicht absehbar, ob der Rückgang der Anschläge nachhaltig sein wird (vgl.
Auswärtiges Amt, Lagebericht vom 6. Oktober 2008, S. 4). Derzeit ist davon
auszugehen, dass die Al-Qaida in der Provinz Anbar deutlich geschwächt ist und
mutmaßlich ihre Aktivitäten in die Provinzen Diyala und Ninive verlagert hat. Die Mahdi-
Miliz des Predigers Muqtada Al-Sadr hat zwar noch ein gewalttätiges Störpotenzial, aber
seit Frühjahr 2008 weitgehend auf Gewalt verzichtet (vgl. Auswärtiges Amt, Lagebericht
vom 6. Oktober 2008, S. 10). Die internationalen Streitkräfte haben die Kontrolle über
das Staatsgebiet in weiten Teilen an die irakischen Sicherheitskräfte abgegeben. Offiziell
standen Mitte 2008 von 18 Provinzen 10 im Südirak und im kurdischen Teil des Irak
gelegene Provinzen wieder unter irakischer Kontrolle (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe,
a.a.O., S. 6). Mit den Provinzen Anbar und Babel sind nunmehr zwei an Bagdad
angrenzende Provinzen mit überwiegend sunnitischer Bevölkerung hinzugekommen (vgl.
NZZ vom 24. Oktober 2008). Faktisch wird die Macht im Südirak von schiitischen Milizen
ausgeübt, die sich teilweise untereinander bekämpfen (vgl. Schweizerische
Flüchtlingshilfe, a.a.O., S. 8; Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 11 und 14). In der Region
Kurdistan-Irak ist die Sicherheitslage stabil, da die „Peshmerga“ (kurdische Milizen) das
Gebiet kontrollieren und terroristische Anschläge weitgehend verhindern (vgl.
Schweizerische Flüchtlingshilfe, a.a.O., S. 9; Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 4). Das Zentrum
der Gewalttätigkeiten liegt daher weiterhin im Zentralirak. Aber auch für dieses Gebiet
liegen keine Erkenntnisse vor, dass Ausmaß und Qualität der bewaffneten
Auseinandersetzungen die Einschätzung rechtfertigen könnten, die Situation sei einem
Bürgerkrieg vergleichbar. Vielmehr ist die Gewalt in diesem Landesteil ebenfalls
zurückgegangen, da von den US-amerikanischen Streitkräften bewaffnete Bürgerwehren
der sunnitischen Stämme den Kampf gegen sunnitische Extremisten aufgenommen
haben und Anschläge von dieser Seite weitgehend vereiteln. Gefahren gehen weiterhin
aus von sunnitischen Bürgerwehren, die sich teilweise gegenseitig bekämpfen, von Al-
Qaida-Kämpfern, die insbesondere in den Provinzen Diyala und Niniveh aktiv sind, von
schiitischen Milizen und insbesondere von verbrecherischen Elementen und außer
Kontrolle geratenen Untergruppen von Milizen (vgl. Schweizerische Flüchtlingshilfe,
a.a.O., S. 6f.; Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 12). Ferner besteht in den außerhalb der
kurdischen Autonomiezone gelegenen Gebieten in der Provinz Tamim und dort
insbesondere in der Stadt Kirkuk ein erhebliches Konfliktpotenzial, das immer wieder zu
Gewalttaten führt (vgl. Auswärtiges Amt, a.a.O., S. 14). Diese Übergriffe stellen jedoch
keine andauernden Kampfhandlungen dar und es ist insbesondere nicht erkennbar, dass
eine der handelnden Gruppen bedeutsame Teile des Staatsgebiets kontrollieren kann
(VG D-Stadt, Urteil vom 12. Februar 2009 - VG 9 X 276.07 -; so auch BayVG Regensburg,
Urteil vom 17. Oktober 2008 - RO 3 K 08.30090 -, juris).
Selbst wenn die Gewalttätigkeiten als innerstaatlicher bewaffneter Konflikt anzusehen
sein sollten, wäre jedenfalls nicht ersichtlich, dass der Kläger dadurch einer erheblichen
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sein sollten, wäre jedenfalls nicht ersichtlich, dass der Kläger dadurch einer erheblichen
individuellen Gefahr für Leib oder Leben ausgesetzt würde. Ein innerstaatlicher
bewaffneter Konflikt hat „normalerweise“ nicht eine solche Gefahrendichte, dass alle
Bewohner des betroffenen Gebiets ernsthaft persönlich betroffen sein werden (BVerwG,
Urteil vom 24. Juni 2008, a.a.O.). Eine unbeachtliche allgemeine Gefahr kann sich jedoch
durch individuelle gefahrenerhöhende Umstände zuspitzen. Solche individuellen
gefahrenerhöhenden Umstände können sich auch aus einer Gruppenzugehörigkeit
ergeben, beispielsweise durch die Zugehörigkeit zu einer politischen Partei sowie zur
Berufsgruppe der Journalisten, Professoren, Ärzte und Künstler. Der
mitwirkungsverpflichtete Kläger muss insoweit stichhaltige Gründe dafür darlegen, dass
er bei einer Rückkehr in den Irak tatsächlich besonders betroffen wäre. Solche Gründe
hat der Kläger nicht ansatzweise vorgetragen und sie sind auch sonst nicht ersichtlich.
Vielmehr hatte sich der Kläger gegenüber dem Bundesamt in widersprüchlicher Weise
allein auf die angeblichen Nachstellungen im Zusammenhang mit der vermeintlichen
Flucht seiner Brüder vor dem Saddam-Regime gestützt. Weshalb nach inzwischen mehr
als sieben Jahren gefahrenerhöhende Umstände seiner Rückkehr in den Irak
entgegenstehen könnten und welche dies sein sollten, ist nicht nachvollziehbar.
Insbesondere zählt der Kläger offensichtlich nicht zu den beispielhaft aufgezählten
Gruppen mit einer erhöhten Gefährdung.
Der Kläger hat schließlich auch offensichtlich keinen Anspruch auf Feststellung eines
Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 oder 7 Satz 1 AufenthG.
Es bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass der augenscheinlich gesunde und
arbeitsfähige Kläger, der in Ansehung seines Vorbringens weiterhin über einen familiären
Rückhalt und solchen von Bekannten im Irak verfügt, bei einer Rückkehr landesweit mit
beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung im
Sinne von § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 der Europäischen Konvention zum
Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 3. November 1950 (BGBl 1952 II,
S. 685) befürchten müsste. Auch insoweit werden von dem Kläger keine besonderen
individuellen Umstände geltend gemacht. Die allgemeine Gefahr, Opfer krimineller
Überfälle wegen vermuteten Geldbesitzes zu werden, begründet zumindest nicht die
Annahme einer beachtlichen individuellen Verfolgungsgefahr, zumal sich angesichts der
erheblichen Anzahl zurückkehrender Flüchtlinge (nach den in der
Herkunftsländerinformation Irak – „Entwicklung der Sicherheitslage und Lage der
Rückkehrer“ des BAMF, Stand Februar 2008, S. 7 wiedergegebenen Angaben des
Irakischen Roten Halbmonds kehrten zwischen Mitte September bis Dezember 2007
nahezu 46.000 Menschen zurück; nach Angaben eines Generals allein im Oktober 2007
gut 46.000 Menschen) nicht erkennen lässt, weshalb gerade der Kläger besonders in den
Blick etwaiger Verfolger geraten sollte.
Entsprechendes gilt für den vom Kläger geltend gemachten Anspruch aus § 60 Abs. 7
Satz 1 AufenthG. Danach soll von der Abschiebung eines Ausländers in einen anderen
Staat abgesehen werden, wenn dort für diesen Ausländer eine erhebliche konkrete
Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht. Die vom Kläger angesprochene allgemein
gefährliche Situation im Irak betrifft jedoch die Bevölkerung des Landes in ihrer
Gesamtheit. Gefahren in dem Herkunftsstaat, denen die Bevölkerung allgemein
ausgesetzt ist, werden nach § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG bei Entscheidungen nach § 60
a Abs. 1 Satz 1 AufenthG berücksichtigt. Insoweit gilt nach wie vor, dass die Sperrwirkung
des § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG nur dann durchbrochen werden darf, wenn dieses zur
Vermeidung einer verfassungswidrigen Schutzlücke erforderlich ist (vgl. BVerwG, Urteil
vom 24. Juni 2008, a.a.O.).
Entsprechender Schutz ist nicht nur bei Vorliegen eines Erlasses nach § 60 a Abs. 1
AufenthG gegeben, sondern auch bei jeder anderen bestehenden Erlasslage, die eine
vergleichbare Sicherheit bietet (vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. August 2006 - 1 B 60.06
-, juris, m.w.N.; ebenso OVG D-Stadt-Brandenburg, Beschluss vom 16. Februar 2007 -
OVG 3 N 88.06 -). Nach der geltenden Weisungslage in Brandenburg kommen
zwangsweise Rückführungen in den Irak angesichts der gegenwärtigen Lage vor Ort
grundsätzlich nicht in Betracht. Allenfalls für Iraker, die aus einer der drei unter
kurdischer Verwaltung stehenden Provinzen Erbil, Dohuk und Sulaimaniya stammen,
dort vor ihrer Flucht ihren letzten gewöhnlichen Aufenthalt hatten und in Deutschland
wegen Straftaten verurteilt worden sind oder die innere Sicherheit gefährden, kann auf
der Grundlage des Beschlusses der Innenministerkonferenz vom 31. Mai/1. Juni 2007
etwas anderes gelten. Zu diesem Personenkreis gehört der Kläger offensichtlich nicht.
Der Kläger kann zuletzt auch kein Abschiebungsverbot unmittelbar aufgrund von Art. 15
c der Richtlinie 2004/83/EG beanspruchen. Unabhängig davon, dass diese
europarechtliche Vorschrift in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG durch den deutschen
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europarechtliche Vorschrift in § 60 Abs. 7 Satz 2 AufenthG durch den deutschen
Gesetzgeber bereits in nationales Recht umgesetzt worden ist, lässt auch Art. 15 c der
Richtlinie 2004/83/EG eine allgemeine Gefahrenlage nicht genügen, sondern setzt eine
individuelle Bedrohung voraus (vgl. SaarlVG, Urteil vom 4. Juli 2008 - 2 K 300/08 -;
BVerwG, Beschluss vom 15. Mai 2007 - 1 B 217.06 -, VGH Baden-Württemberg,
Beschluss vom 8. August 2007 - A 2 AS 229/07 -, jeweils zitiert nach juris; Hailbronner,
Die Qualifikationsrichtlinie und ihre Umsetzung im deutschen Ausländerrecht, ZAR 2008,
209, 214). Aus dem Urteil des EuGH vom 17. Februar 2009 (Rs. C-465/07, ABl. EG Nr. C
90 vom 18. April 2009, S. 4) ergibt sich nichts anderes. Danach erfordert die Gewährung
von Abschiebungsschutz nach Art. 15 c der Richtlinie 2004/83/EG bei wertender
Betrachtung (durch die zuständigen Behörden bzw. durch das Gericht) das Vorliegen
einer außergewöhnlichen Situation, die durch einen so hohen Gefahrengrad
gekennzeichnet ist, dass stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass die
fragliche Person dieser Gefahr individuell ausgesetzt ist. Es ist aber – wie gesagt – nicht
anzunehmen, dass der Kläger allein wegen seiner evt. Anwesenheit in seiner Heimat
existenzieller Gefahr ausgesetzt sein wird.
Die unter Nr. 2 des angefochtenen Bescheides des Bundesamtes vom 13. Juni 2005
ergangene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung verletzt den Kläger
erkennbar jedenfalls im Ergebnis nicht in seinen Rechten. Insbesondere ist der Kläger
nicht in Besitz einer asylverfahrensunabhängigen Aufenthaltserlaubnis.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nach § 83
b AsylVfG nicht erhoben.
Das Urteil ist unanfechtbar (§ 78 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG).
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