Urteil des VG Cottbus vom 01.11.2005
VG Cottbus: bekanntgabe, wiederherstellung der aufschiebenden wirkung, annahmeverweigerung, verwaltungsakt, behörde, aufschiebende wirkung, schriftstück, öffentliche urkunde, versicherung, anschrift
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Gericht:
VG Cottbus 6.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
6 L 152/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 12 Abs 1 Nr 3 Buchst b KAG
BB, § 80 Abs 5 S 1 VwGO, § 123
Abs 1 VwGO, § 122 Abs 1 AO, §
259 AO
Einstweiliger Rechtsschutz gegen unwirksamen - nicht bekannt
gegebenen - Abgabenbescheid
Leitsatz
Ist ein Abgabenbescheid mangels Bekanntgabe nicht wirksam geworden, ist einstweiliger
Rechtsschutz gegen seine Vollstreckung über den Erlass einer einstweiligen Anordnung zu
gewähren.
Tenor
Dem Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, aus dem
Beitragsbescheid vom 01. November 2005 vorläufig bis zu einer abschließenden
Entscheidung über ein von der Antragstellerin noch anhängig zu machendes
Klageverfahren oder bis zur Vornahme einer wirksamen Bekanntgabe des
Beitragsbescheides nicht zu vollstrecken.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 227.837,74 Euro festgesetzt.
Gründe
Der Antrag hat in der aus dem Tenor ersichtlichen Fassung Erfolg.
Er ist zunächst zulässig. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin kommt allerdings §
80 Abs. 5 Satz 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) vorliegend als statthafte
Grundlage des begehrten einstweiligen Rechtschutzes nicht zur Anwendung, und zwar
weder in direkter Anwendung, gerichtet auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des
Widerspruchs der Antragsstellerin vom 26. Mai 2006 gegen den
Anschlussbeitragsbescheid des Antragsgegners vom 01. November 2005, noch - wie
hilfsweise beantragt - in analoger Anwendung darauf gerichtet, festzustellen, dass der
genannte Bescheid gegenüber der Antragstellerin noch nicht wirksam sei. Denn § 80
Abs. 5 Satz 1 VwGO setzt voraus, dass ein Verwaltungsakt vorhanden ist, gegen den der
Adressat sich mit der Anfechtungsklage zur Wehr setzen kann. Gegen-stand des
gerichtlichen Verfahrens ist die Frage der Vollziehung des Verwaltungsakts. Fehlt es an
einem der Vollziehung fähigen Verwaltungsakt, so scheidet § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO als
Rechtsschutzalternative aus. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz mag bei einem
nichtigen Verwaltungsakt in Betracht kommen. Denn ein solcher Verwaltungsakt kann
nicht nur zum Gegenstand einer Nichtigkeitsfeststellungsklage im Sinne des § 43 Abs. 1,
2. Alt. VwGO gemacht werden; er unterliegt, wie aus § 43 Abs. 2 Satz 2 VwGO zu
ersehen ist, auch der Anfechtung nach § 42 Abs. 1 VwGO, jedenfalls soweit die
Rechtsbehelfsfristen eingehalten sind und der Bescheid nicht in Bestandskraft
erwachsen ist, so dass für die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes das Verfahren
nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO einschlägig sein dürfte (vgl. BFH, Beschluss vom 1.
Oktober 1981 – IV B 13/81 – BFHE 134, 223, wonach dann, wenn im
Hauptsacheverfahren Klage auf Feststellung der Nichtigkeit eines bestandskräftigen
Verwaltungsakts erhoben werde, Rechtsschutz durch den Erlass einer einstweiligen
Anordnung, bei noch nicht eingetretener Bestandskraft im Aussetzungsverfahren zu
gewähren sei). Macht ein Antragsteller - wie hier - dagegen geltend, dass ein
Verwaltungsakt mangels Bekanntgabe noch nicht wirksam geworden sei, so dürfte eine
Anfechtungsklage nicht statthaft sein (vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschl. vom 07.
Dezember 1990 - 10 S 2466/90 - NVwZ 1991, 1195; OVG Nordrhein-Westfalen,
Beschluss vom 27. Juli 1992 - 7 B 2686/92 - NVwZ - RR 1993, 234; a.A. etwa FG
Hamburg, Beschluss vom 5. Februar 2002 – V 286/01 – zitiert über juris unter
Bezugnahme auf ein Urteil des BFH vom 17. September 1992 – V R 17/86 – BFH/NV
1993, 279, das sich allerdings auf den Fall des Erlasses eines (wirksamen)
Zweitbescheides bezieht). Die Bekanntgabe gehört nach § 12 Abs. 1 Nr. 3 lit. b)
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Zweitbescheides bezieht). Die Bekanntgabe gehört nach § 12 Abs. 1 Nr. 3 lit. b)
Kommunalabgabengesetz (KAG) i.V.m. § 122 Abgabenordnung (AO) zu den Essentialen
des Verwaltungsakts. Sie ist, wie aus § 12 Abs. 1 Nr. 3 lit. b) KAG i.V.m. § 124 Abs. 1
Satz 1 AO ersichtlich, nicht nur eine Rechtmäßigkeits-, sondern auch eine
Existenzvoraussetzung. Ein nichtiger belastender Verwaltungsakt begründet häufig einen
Rechtsschein, den zu beseitigen der Adressat mit der Anfechtungsklage berechtigt sein
muss. Bei einem Nichtakt trifft das nicht mit der gleichen Regelmäßigkeit zu. Beruft der
Adressat sich darauf, dass ein Verwaltungsakt in Folge eines Bekanntgabefehlers ihm
gegenüber (noch) nicht wirksam geworden sei, so ist er darauf beschränkt, im Wege
einer Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1, 1. Alt. VwGO das Nichtbestehen eines
Rechtsverhältnisses feststellen zu lassen (vgl. BVerwG, Urt. vom 21. November 1986 - 8
C 127/84 - NVwZ 1987, 330). Die im Rahmen des § 80 VwGO maßgebliche Frage, unter
welchen Voraussetzungen ein Rechtsbehelf aufschiebende Wirkung hat und die Behörde
zur Anordnung der sofortigen Vollziehung berechtig ist, stellt sich bei dieser Konstellation
nicht. Da mithin in Fällen der beschriebenen Art die §§ 80, 80 a VwGO keine Anwendung
finden (vgl. 123 Abs. 5 VwGO), richtet sich der einstweilige Rechtsschutz nach § 123 Abs.
1 VwGO (ebenso VGH Baden-Württemberg, Beschl. vom 07. Dezember 1990, a.a.O.;
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 27. Juli 1992, a.a.O.; FG Hamburg, Beschluss
vom 5. Februar 2002, a.a.O.; vgl. auch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30.
Januar 2006 - 9 S 73.05 - S. 3 des E.A.). Gemessen hieran kann vorliegend vorläufiger
Rechtschutz nur über § 123 Abs. 1 VwGO gewährt werden. Denn der hier in Rede
stehende Beitragsbescheid vom 01. November 2005 ist - wie noch auszuführen sein wird
- mangels Bekanntgabe nicht wirksam geworden. Insoweit legt die Kammer das nach
seinem Wortlaut allein auf die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des
Widerspruchs bzw. auf die Feststellung der Nichtwirksamkeit des Beitragsbescheides
gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO (analog) gerichtete Begehren der Antragstellerin
gemäß §§ 88, 122 Abs. 1 VwGO dahingehend aus, dass es für den vorliegenden Fall auf
den Erlass einer die Unzulässigkeit der Zwangsvollstreckung aussprechenden
einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO gerichtet ist. Dies entspricht dem
Rechtsschutzziel, wie es sich aus der Sachlage und dem Vorbringen der Antragstellerin
ergibt.
Der Antrag ist auch im Übrigen zulässig. Der Antragstellerin fehlt insbesondere nicht das
erforderliche Rechtsschutzbedürfnis. Dabei mag zunächst dahinstehen, ob ein Antrag
nach § 123 Abs. 1 VwGO grundsätzlich voraussetzt, dass sich der Antragsteller zunächst
erfolglos an die zuständige Behörde gewandt hat (vgl. hierzu Kopp/Schenke, VwGO
Kommentar, 14. Auflage 2005, § 123 Rdnr. 22 m.w.N.; Berger JA 2005, 377, 382) und ob
dies auch in Fällen - wie hier – gilt, in denen die Behörde in Aussicht gestellt hat, nach
Ablauf einer bestimmten Frist vollstrecken zu wollen. Denn jedenfalls hat sich die
Antragstellerin hier vor Anrufung des Verwaltungsgerichts mit Schreiben ihres
Prozessbevollmächtigten vom 26. Mai 2006 an den Antragsgegner gewandt und dort um
Aussetzung der Vollziehung des Beitragsbescheides nachgesucht. Dass die
Antragstellerin hierbei fälschlicherweise von der Notwendigkeit ausging, einen
Aussetzungsantrag gemäß § 80 Abs. 6, Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO stellen zu müssen, ist
ohne Belang. Denn diesem Schreiben ist mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen,
dass die Antragstellerin sich gegen die Vollstreckung des Beitragsbescheides wenden
wollte. Auf dieses Schreiben hat der Antragsgegner bis zum 30. Mai 2006 - also einen
Tag vor Ablauf der von ihm mit Schriftsatz vom 17. Mai 2006 selbst gesetzten
Vollstreckungsabwendungsfrist - nicht reagiert. Der Antragstellerin war insoweit nicht
zuzumuten, noch länger auf die Verbescheidung ihres Antrages vom 26. Mai 2006 vor
Anrufung des Verwaltungsgerichtes zu warten, da eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür
spricht, dass dieser Antrag vom Antragsgegner vor Anrufung des Verwaltungsgerichts
nicht mehr rechtzeitig positiv erledigt worden wäre. Unabhängig hiervon ist für das
Vorliegen eines Rechtsschutzbedürfnisses auf den Zeitpunkt der gerichtlichen
Entscheidung abzustellen und handelt es sich bei dem etwaigen Erfordernis einer
vorherigen erfolglosen Anrufung der Behörde nicht – wie bei § 80 Abs. 6 VwGO – um eine
Zugangsvoraussetzung, die vor Anrufung des Verwaltungsgerichts erfüllt sein muss (vgl.
hierzu Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/von Albedyll, VwGO Komm., 2. Aufl. 2002, § 123 Rn. 38
ff. und 44 f.). Da vorliegend der Antragsgegner jedenfalls mit seiner Antragserwiderung
und darüber hinaus mit an den Aufsichtsrats- und Vorstandsvorsitzenden der
Antragstellerin gerichtetem Schreiben vom 9. Januar 2007 zu erkennen gegeben hat,
dass er dem Begehren der Antragstellerin auf Vollstreckungsschutz bis zu einer
abschließenden Klärung der Wirksamkeit des Beitragsbescheides (in einem
Klageverfahren) nicht nachzukommen gedenke, kann der Antragstellerin das
erforderliche Rechtsschutzbedürfnis im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen
Entscheidung nicht abgesprochen werden. Dem steht – anders als der Antragsgegner zu
meinen scheint - nicht entgegen, dass hierdurch das Verfahren nach § 80 VwGO
„ausgehöhlt“ würde. Zwar trifft es zu, dass auch im Falle eines wirksam bekannt
gegebenen, aber gemäß § 125 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 3 lit b) KAG nichtigen
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gegebenen, aber gemäß § 125 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 3 lit b) KAG nichtigen
Abgabenbescheides ein behördliches Aussetzungsverfahren gemäß § 80 Abs. 6 VwGO
vor Anrufung des Verwaltungsgerichts gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO
durchzuführen ist. § 80 Abs. 6 VwGO stellt aber eine nicht analogiefähige
Ausnahmevorschrift dar (vgl. Kopp a.a.O. § 80 Rn. 183). Ist der Abgabenbescheid – wie
hier (vgl. dazu nachfolgend) – mangels Bekanntgabe nicht wirksam und damit nicht
existent geworden mit der Folge, dass das Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht
einschlägig ist, sind daher Unterschiede in der Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes
als in der Systematik der Verwaltungsgerichtsordnung liegend hinzunehmen.
Dem Rechtschutzbedürfnis der Antragstellerin steht in diesem Zusammenhang auch
nicht entgegen, dass diese mit ihrem Antrag der Sache nach vorbeugenden vorläufigen
Rechtschutz begehrt, um künftige Verwaltungsmaßnahmen in Form von
Vollstreckungsmaßnahmen abzuwehren. Die insoweit gebotene besondere Qualifizierung
des Rechtsschutzbedürfnisses, das gerade auf die Inanspruchnahme vorbeugenden
Rechtsschutzes gerichtet sein muss und für das kein Raum ist, wo und solange der
Betroffene in zumutbarer Weise auf den von der Verwaltungsgerichtsordnung als
grundsätzlich angemessen und ausreichend angesehenen nachträglichen Rechtsschutz
– einschließlich der Verfahren nach §§ 80 Abs. 5 und 123 VwGO - verwiesen werden kann
(vgl. VGH Baden- Württemberg, Beschluss vom 6. Juli 1993 – 5 S 1112/93 – NVwZ 1994,
801; BayVGH, Beschluss vom 28. April 1992 – 21 CE 92.949 – NVwZ-RR 1993, 54) liegt
vor. Denn der Antragsgegner hat vorliegend mit Schreiben vom 17. Mai 2006 und auch
in der Folgezeit zu erkennen gegeben, aus dem Beitragsbescheid vom 01. November
2005 nach Ablauf der zunächst auf den 31. Mai 2006 gesetzten und in der Folgezeit auf
Bitte des Gerichts wiederholt, zuletzt auf den 31. März 2007, verlängerten Frist
vollstrecken zu wollen. Bei dieser Sachlage ist es der Antragstellerin mit Blick auf das
Gebot effektiven Rechtsschutzes aus Art. 19 Abs. 4 GG nicht zumutbar, das Einleiten
konkreter Vollstreckungsmaßnahmen (vgl. §§ 281 ff. AO i.V.m. § 5
Verwaltungsvollstreckungsgesetz für das Land Brandenburg - VwVG BB) als ggf. der
Anfechtung und Aussetzung nach § 80 Abs. 5 VwGO zugänglicher Verwaltungsakte auf
der Grundlage eines – wie noch darzulegen sein wird – nicht wirksam gewordenen
Abgabenbescheides abzuwarten, sich sodann gegen diese zur Wehr zu setzen und so
ggf. auch den – wenn auch nur vorübergehenden – Verlust von Vermögenswerten
hinzunehmen. Insoweit gelten die unten zum Anordnungsgrund gemachten
Ausführungen entsprechend.
Der Antrag ist auch begründet. Die Untersagung von Vollstreckungsmaßnahmen aus
dem Beitragsbescheid vom 01. November 2005 ist geboten, um Rechte der
Antragstellerin zu sichern, weil anderenfalls die Gefahr besteht, dass durch die
Vollstreckung des genannten Bescheides die Verwirklichung der Rechte der
Antragstellerin vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (§ 123 Abs. 1 Satz 1
VwGO).
Der Antragstellerin steht zunächst der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung
notwendige Anordnungsanspruch zur Seite. Sie hat glaubhaft gemacht, vgl. § 123 Abs. 3
VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 Zivilprozessordnung [ZPO]), dass ihr aus dem
allgemeinen öffentlich-rechtlichen Abwehr- und Unterlassungsanspruch ein Abwehrrecht
dahingehend zusteht, dass der Antragsgegner einstweilen bis zu einer abschließenden
Entscheidung in einem ggf. noch anhängig zu machenden Hauptsacheverfahren aus
dem genannten Beitragsbescheid nicht vollstreckt. Dabei mag dahinstehen, welches die
Rechtsgrundlage eines solchen Abwehrbegehrens ist: Die Grundrechte in ihrer
Abwehrfunktion, eine analoge Anwendung des § 1004 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
oder die Verpflichtung des Staates aus dem Rechtsstaatsprinzip gemäß Art. 20 Abs. 3
Grundgesetz (GG), rechtswidriges Verwaltungshandeln zu unterlassen. Denn jedenfalls
im Ergebnis ist gewohnheitsrechtlich anerkannt, dass der Staat rechtswidrige hoheitliche
Eingriffe in subjektive Rechte unterlassen muss (vgl. etwa BVerwG, Urt. vom 19. Januar
1989 - 7 C 77/87 - DVBl. 1989, 463, 464; Urt. vom 29. April 1988 - 7 C 33/87 - DVBl.
1988, 967, 968).
Die Voraussetzungen für den Abwehr- und Unterlassungsanspruch liegen vor. Die
Antragstellerin muss die vom Antragsgegner angedrohte Vollstreckung in ihre
Vermögenswerte nicht dulden, da eine solche zum gegenwärtigen Zeitpunkt bei
summarischer Prüfung nach dem Erkenntnisstand des Eilverfahrens rechtswidrig wäre.
Denn der Beitragsbescheid vom 01. November 2005, den der Antragsgegner zur
Grundlage seiner Vollstreckung machen will, ist mangels Bekanntgabe (noch) nicht
wirksam geworden (vgl. § 124 Abs. 1 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 3 lit. b) KAG.
Ein Verwaltungsakt wird gemäß § 124 Abs. 1 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 3 lit. b) KAG
gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem
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gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen wird, in dem
Zeitpunkt wirksam, in dem er ihm bekannt gegeben wird. Nach § 122 Abs. 1 Satz 1 AO
i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 3 lit. b) KAG ist ein Verwaltungsakt demjenigen Beteiligten
bekanntzugeben, für den er bestimmt ist oder der von ihm betroffen ist. Anstelle der
formlosen Bekanntgabe nach § 122 Abs. 1 und Abs. 2 a AO i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 3 lit. b)
KAG kann die zuständige Behörde gemäß § 122 Abs. 5 Satz 1 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr.
3 lit. b) KAG anordnen, dass die Bekanntgabe im Wege der förmlichen Zustellung des
schriftlichen Verwaltungsakts erfolgt. Die von der Behörde angeordnete Zustellung
richtet sich dann gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 3 lit. b) KAG i.V.m. § 122 Abs. 5 Satz 2 AO nach
den Vorschriften des Verwaltungszustellungsgesetzes (VwZG), die als spezielle und
abschließende Regelung die Bekanntgabevorschriften der AO, nämlich die §§ 122 Abs. 1
bis Abs. 4 AO sowie die Sollvorschrift des § 80 Abs. 3 AO i.V.m. § 12 Abs. 1 Nr. 3 lit. a)
KAG verdrängen (vgl. BFH, Urt. vom 03. Februar 2004 - VII R 30/02 - NVwZ - RR 2005,
765). Vorliegend erfolgte die Zustellung des Abgabenbescheides vom 01. November
2005 aufgrund behördlicher Anordnung im Beitragsbescheid („Mit Zustellungsurkunde“)
gemäß § 12 Abs. 1 Nr. 3 lit. b) KAG i.V.m. § 122 Abs. 5 Sätze 1 und 2 AO i.V.m. §§ 1 Abs.
3, 3 VwZG a.F. und §§ 177 ff. ZPO am 02. November 2005 mittels
Postzustellungsurkunde. Über die Zustellung ist eine Zustellungsurkunde aufgenommen
worden (§ 3 Abs. 3 VwZG a.F., 182 ZPO) die gemäß § 418 Abs. 1 ZPO den vollen Beweis
der darin bezeugten Tatsachen erbringt (vgl. BFH, Beschluss vom 23. Oktober 2006 - XI
B 27/06 - zitiert über juris; OVG Niedersachsen Beschluss vom 12. Mai 2005 -7 M E 35/05
- NVwZ - RR 2005, 760).
Diese Zustellung erweist sich indes bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein
gebotenen summarischen Prüfung als fehlerhaft, mit der Folge, dass auch nicht von
einer wirksamen Bekanntgabe des Bescheides ausgegangen werden kann. Denn
ungeachtet der Frage, ob vorliegend dem Vorbringen der Antragstellerin zu folgen wäre,
eine Zustellung des Beitragsbescheides hätte gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 VwZG a.F.
zwingend an ihren Prozessbevollmächtigten erfolgen müssen oder ob davon
auszugehen ist, dass die Bekanntgabe an den Betroffenen den Verwaltungsakt in jedem
Fall wirksam werden lässt, da die Ergänzung des § 8 Abs. 1 VwZG a.F., dass der
Verwaltungsakt (auch) einem Bevollmächtigten bekannt gegeben werden könne,
lediglich eine Erweiterung der der Behörde eröffneten Möglichkeiten der Bekanntgabe
darstellt (vgl. etwa BVerwG, Urt. vom 30. Oktober 1997 - 3 C 35/96 - NVwZ 1998, 1292),
erfolgte vorliegend die Zustellung unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften.
Legt man die in der Postzustellungsurkunde, die - wie ausgeführt - den vollen Beweis der
darin bezeugten Tatsachen erbringt, enthaltenen Angaben und die eidesstattliche
Versicherung des Zustellers E. vom 14. Juni 2006 zugrunde und folgt insoweit nicht den
Ausführungen des Vorstandsvorsitzenden der Antragstellerin in dessen eidesstattlicher
Versicherung vom 30. Mai 2006, so verweigerte der Vorstandsvorsitzende der
Antragstellerin, Herr P., die Annahme der Sendung, da die Anschrift nicht korrekt
gewesen sei. Dem Vorliegen einer „Annahmeverweigerung“ i.S.d. § 179 ZPO i.V.m. § 3
Abs. 3 VwZG a.F. und § 122 Abs. 5 AO sowie § 12 Abs. 1, 3 lit. b) KAG steht insoweit
entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht entgegen, dass der Zusteller - die
Richtigkeit dessen Angaben in der eidesstattlichen Versicherung unterstellt - dem
Vorstandsvorsitzenden der Antragstellerin den Abgabenbescheid ausgehändigt haben
will und dieser den Bescheid nach kurzer Prüfung der Adressierung sodann unter Hinweis
auf die Fehlerhaftigkeit der angegebenen Anschrift dem Zusteller zurückgereicht haben
soll. Hierin kann keine Übergabe (und Annahme) der Sendung i.S.d. § 177 ZPO gesehen
werden, durch die die Zustellung und damit Bekanntgabe bereits bewirkt wäre. Für das
Vorliegen einer „Annahme“ i.S.d. §§ 177, 179 ZPO kommt es nicht darauf an, dass der
Adressat der Sendung diese kurzzeitig in seinen Händen hält, sich sodann aber - ohne
die Sendung zu öffnen - nach einem Blick auf die Adressierung entschließt, sie nicht zu
behalten, sondern an den Zusteller - wegen (vermeintlicher) Fehlerhaftigkeit der
Adressierung - zurückzureichen. Sonst würde man die Anwendbarkeit des § 179 ZPO von
der Zufälligkeit abhängig machen, ob der Zusteller dem Adressaten die Sendung nur
gewissermaßen „aus der Ferne“ gezeigt und die Adressierung dem Empfänger ggf.
vorgelesen hat oder die Sendung zur weiteren Prüfung ausgehändigt hat und wäre in
einem solchen Fall wegen des dann anzunehmenden Eintritts der Zustellung und damit
Bekanntgabe des Schriftstücks dem Adressaten die Möglichkeit genommen, die
Sendung auch in solchen Fällen zurückzuweisen, in denen - ohne körperliche
Entgegennahme - die Verweigerung der Annahme berechtigt wäre. Ein solcher Fall kann
nämlich u.a. gerade dann vorliegen, wenn bei einer falschen Anschrift Zweifel an der
Nämlichkeit des Adressaten bestehen (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann,
Zivilprozessordnung Kommentar, 65. Auflage 2007, § 179 Rdnr. 4). Die Prüfung und
Feststellung solcher Zweifel wird aber regelmäßig erst dann möglich sein, wenn der
Empfänger die betreffenden Angaben in der Adressierung selbst gelesen hat. Dies setzt
voraus, dass er die Sendung in den Händen gehalten hat. Der Empfänger muss insoweit
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voraus, dass er die Sendung in den Händen gehalten hat. Der Empfänger muss insoweit
nicht darauf verwiesen werden, sich die Adressierung auf der Sendung vom Zusteller
vorlesen zu lassen, um die Annahme (berechtigt) zu verweigern. Schließlich kann die
Frage, ob die Sendung – durch körperliche Entgegennahme – „angenommen“ wurde
oder nicht, auch nicht davon abhängig gemacht werden, ob sich die
Annahmeverweigerung als berechtigt oder unberechtigt i.S.d. § 179 ZPO darstellen
würde. Denn das Gesetz trennt insoweit deutlich zwischen dem Vorliegen einer
Annahmeverweigerung und der Frage nach ihrer Berechtigung.
Die Annahmeverweigerung war bei summarischer Prüfung auch „unberechtigt“ i.S.d. §
179 ZPO. Berechtigt ist die Annahmeverweigerung nämlich (nur) dann, wenn die
Voraussetzungen einer Zustellung nach §§ 177 ff. ZPO fehlen (vgl.
Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann a.a.O. § 179 Rdnr. 4; Zöller,
Zivilprozessordnung Kommentar 26. Auflage 2007, § 179 Rdnr. 2). Dies war hier nach
dem Erkenntnisstand des Eilverfahrens nicht der Fall. Denn § 177 ZPO ermöglicht die
Zustellung eines Schriftstücks an jedem Ort, an dem die Person, der zugestellt werden
soll, angetroffen wird. Diese Vorschrift dient der Vereinfachung und Beschleunigung und
damit der Verfahrens- bzw. Prozessökonomie und gilt auch - wie hier - für den
Geschäftsführer einer juristischen Person (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann
a.a.O. 177 Rdnr. 2 f.). Hiernach ist eine Annahmeverweigerung wegen falscher
Adressierung - wie bereits ausgeführt - allenfalls dann berechtigt, wenn aufgrund der
falschen Anschrift Zweifel an der Nämlichkeit des Adressaten bestehen. Dies dürfte hier
nicht der Fall (gewesen) sein, da für die Antragstellerin keine Zweifel bestanden haben
dürften, dass die Sendung für sie bestimmt war. Denn die Antragstellerin war nach dem
übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten bereits im April 2005 von ihren bisherigen
Geschäftsräumen in der Rosa-Luxemburg-Straße 21, A-Stadt in die neuen
Geschäftsräume unter der Adresse Leipziger Straße 38 in A-Stadt umgezogen, ohne
dass insoweit Zweifel über die Identität des Empfängers bestanden haben dürften.
War hiernach die Annahmeverweigerung bei summarischer Prüfung unberechtigt, so
hätte der Zusteller - damit das Schriftstück als zugestellt gelten würde (§ 179 Satz 3
ZPO) - gemäß § 179 Satz 1, 2. Hs. ZPO das Schriftstück in den Geschäftsräumen der
Antragstellerin zurücklassen müssen. Zurückgelassen wird das Schriftstück durch
Niederlegung am Zustellungsort; es kann auch als Briefsendung in einem zum
Geschäftsraum gehörenden Briefkasten eingelegt, unter die (zugeschlagene) Tür
durchgeschoben, an diese geheftet oder - wenn der Verlust nicht zu besorgen ist - vor
dieser Tür niedergelegt werden. Dem Zustellungsadressaten soll damit die Möglichkeit
eröffnet und erhalten bleiben, die Annahmeverweigerung nochmals zu überdenken und
Kenntnis vom Inhalt des Schriftstücks zu nehmen (vgl. BTDrs. 14/4554, S. 21; Zöller
a.a.O. § 179 Rdnr. 1; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann a.a.O. § 179 Rdnr. 4). Der
Zustellende muss in diesem Fall gemäß § 182 Abs. 2 Nr. 5 ZPO vermerken, dass und
wer die Annahme verweigert hat und dass der Brief am Ort der Zustellung
zurückgelassen oder an den Adressaten zurückgesandt wurde. Das Zurücklassen des
zuzustellenden Schriftstücks am Ort der Zustellung steht dabei der Übergabe gleich; mit
dem Zurücklassen des Schriftstücks ist die Zustellung bewirkt (vgl. BVerwG Beschluss
vom 25. Januar 2005 - 7 B 93.04 - zitiert über juris; OLG Saarbrücken, Beschluss v. 01.
Oktober 1993 - 5 W 96/93 - NJW - RR 1994, 636; Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Albers
a.a.O. sowie Zöller a.a.O.). Diese Voraussetzungen erfüllt die vorliegende Zustellung
nicht. Abgesehen davon, dass auf der Zustellungsurkunde lediglich unter Ziffer 1.4.3
vermerkt wurde, dass Herr P. die Annahme verweigert habe, da die Anschrift nicht
korrekt sei, aber – da der Zusteller offenbar von einem erfolglosen Zustellversuch
ausging - jegliche Angaben unter Ziffer 12 fehlen, in welcher Beziehung Herr P. zur
Antragstellerin steht und wie mit dem Schriftstück verfahren wurde, wurde das
Schriftstück nicht in den Geschäftsräumen zurückgelassen, sondern an den
Antragsgegner zurückgesandt. Davon, dass der Zusteller keinerlei Möglichkeit gehabt
hätte, das Schriftstück in einer der beschriebenen Formen in den Geschäftsräumen der
Antragstellerin zurückzulassen mit der Folge, dass der Zusteller das zuzustellende
Schriftstück gemäß § 179 Satz 2 ZPO hätte zurücksenden dürfen und (dennoch) die
Zustellungsfiktion des § 179 Satz 3 ZPO eingriffe, kann bei summarischer Prüfung nicht
ausgegangen werden. Weder lässt sich hierfür irgendetwas den Angaben in der
eidesstattlichen Versicherung des Zustellers – deren Richtigkeit unterstellt – entnehmen
noch hat der Antragsgegner vorgetragen oder bestehen nach dem Erkenntnisstand des
Eilverfahrens irgendwelche Anhaltspunkte, dass die Beschaffenheit der Geschäftsräume
in einer Weise einem Zurücklassen des Schriftstücks entgegengestanden hätte, die dem
Nichtvorhandensein eines Geschäftsraums i.S.d. § 179 Satz 2 ZPO gleichzusetzen wäre,
oder der Vorstandsvorsitzende der Antragstellerin Anstrengungen unternommen hätte,
ein Zurücklassen des Schriftstücks seitens des Zustellers – und sei es auch nur durch
Einwerfen in den Briefkasten oder Hindurchschieben durch die geschlossene Tür oder
Befestigung an dieser – treuwidrig zu unterbinden. Wie bereits ausgeführt, war das
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Befestigung an dieser – treuwidrig zu unterbinden. Wie bereits ausgeführt, war das
Zurücklassen des Schriftstückes im Geschäftsraum der Antragstellerin auch nicht
deshalb entbehrlich, weil es dem Vorstandvorsitzenden der Antragstellerin bereits zuvor
körperlich ausgehändigt worden war. Da dieser Umstand dem Vorliegen einer
Annahmeverweigerung nicht entgegensteht, greift die Zielsetzung des § 179 Satz 1, 2.
Hs. ZPO, dem Zustellungsadressaten (oder seiner Ersatzperson) die Möglichkeit zu
erhalten, die Annahmeverweigerung nochmals zu überdenken und Kenntnis vom Inhalt
des Schriftstücks zu nehmen, gerade auch in einem solchen Fall ein. Das Unterbleiben
des Zurücklassens des Schriftstückes in den Geschäftsräumen des Adressaten und
damit der Verstoß gegen die Bestimmung des § 179 Sätze 1, 2. Hs. und 2 ZPO hat die
Unwirksamkeit der Zustellung zur Folge (vgl. BVerwG a.a.O.; OLG Saarbrücken a.a.O.; LG
München, Urteil vom 6. März 1997 – 2 HKO 3812/96 – IPRax 1998, 477; Zöller a.a.O.;
Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann a.a.O.).
Der mithin vorliegende Zustellungsmangel ist auch nicht gemäß § 9 VwZG a. F. geheilt
worden (vgl. zur Anwendbarkeit des dem § 9 VwZG a. F. entsprechenden § 189 ZPO auf
Verstöße gegen die zwingende Vorschrift des § 179 ZPO statt vieler nur
Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann a.a.O. § 179 Rdnr. 7). Denn nach dem
übereinstimmenden Vortrag der Beteiligten ist der in Rede stehende Bescheid zu
keinem späteren Zeitpunkt der Antragstellerin oder deren Prozessbevollmächtigtem
nochmals per Post oder per Fax oder auf sonstige Weise - und sei es nur in Form einer
Kopie, die das Original nach Inhalt und Fassung vollständig wiedergibt (vgl. hierzu
BVerwG, Urteil vom 18. April 1997 - 8 C 43.59 - BVerwGE 104, 301; OVG Berlin-
Brandenburg, Beschluss v. 30. Januar 2006 a.a.O. S. 3 ff. des E.A.) - noch einmal in einer
Weise übermittelt worden, die die Annahme ermöglichte, dass die Antragstellerin den
Bescheid i.S.d. § 9 VwZG a.F. nachweislich erhalten hätte. Die Annahme des
Antragsgegners, eine Heilung i.S.d. genannten Vorschrift sei dadurch eingetreten, dass
der Antragstellerin im Zuge des Zustellungsversuchs die Sendung ausgehändigt worden
sein soll, überzeugt nicht. Die Heilung eines Zustellungsmangels gemäß § 9 VwZG a.F.
kann begriffsnotwendig erst nach Abschluss des zu Grunde liegenden
Zustellungsvorganges, der sich als fehlerhaft erweist, erfolgen. Wollte man in Fällen wie
dem vorliegenden, in denen dem Adressaten das zuzustellende Schriftstück vor der
Annahmeverweigerung ausgehändigt wird, stets und allein wegen des Umstandes der
Aushändigung des Schriftstückes eine Heilung i.S.d. § 9 VwZG a.F. annehmen, liefe die
zwingende Zustellungsvorschrift des § 179 Sätze 1, 2. Hs. und 2 ZPO leer. Für die
Annahme des Antragsgegners, die Antragstellerin habe - unter Zugrundelegung der
Angaben in der Postzustellungsurkunde und der eidesstattlichen Versicherung des
Zustellers - jede Möglichkeit der Zustellung vereitelt und damit ihr Recht auf Schutz
gegen die Vollstreckung des Beitragsbescheides verwirkt, fehlen mangels
entsprechenden weiteren Zustellungsversuchs jegliche Anhaltspunkte. Allein der
Umstand einer – wie hier - unberechtigten Annahmeverweigerung rechtfertigt bei
summarischer Prüfung die Annahme einer Verwirkung nicht, da in einem solchen Fall -
bei Zustellung mittels Postzustellungsurkunde - gerade nach § 179 Sätze 1, 2. Hs. und 2
ZPO zu verfahren ist.
Zu keinem anderen Ergebnis gelangt man, wenn man vorliegend von einer berechtigten
Annahmeverweigerung der Antragstellerin ausginge. In diesem Fall bestünde von
vornherein nicht die Möglichkeit, nach § 179 ZPO zu verfahren und der Antragsgegner
hätte einen erneuten Zustellungsversuch vornehmen müssen (vgl. Zöller a.a.O. § 180
Rdnr. 2; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann a.a.O. § 179 Rdnr. 4).
Gleiches gilt im Ergebnis, wenn man davon ausginge, durch die eidesstattliche
Versicherung des Vorstandsvorsitzenden der Antragstellerin sei die Beweiskraft der
Postzustellungsurkunde als öffentliche Urkunde erschüttert und die Richtigkeit dieses
Vorbringens - entgegen auch der eidesstattlichen Versicherung des Zustellers -
unterstellte. Denn dann wäre zu keinem Zeitpunkt eine wirksame Zustellung und damit
Bekanntgabe des Beitragsbescheides erfolgt. Sowohl Zustellung als auch einfache
Bekanntgabe nach § 122 AO setzen nämlich - unbeschadet spezifischer, die Zustellung
betreffender Vorschriften, wie sie etwa mit § 179 ZPO bestehen - voraus, dass der
Abgabenbescheid derart in den Machtbereich des Adressaten gelangt, dass ihm die
Kenntnisnahme normalerweise möglich ist und unter gewöhnlichen Umständen auch
erwartet werden kann (vgl. Klein, AO Kommentar, 9. Auflage 2006 § 122 Rdnr. 6 ff.).
Dieses wäre - die Richtigkeit der diesbezüglichen Angaben des Vorstandsvorsitzenden
der Antragstellerin unterstellt - hier nicht der Fall, da hiernach der Zustellbedienstete
nach Prüfung der Anschrift die zuzustellende Sendung, ohne sie dem
Vorstandsvorsitzenden zu übergeben, wieder mitgenommen hat.
Der Antragstellerin steht auch der für den Erlass einer einstweiligen Anordnung
erforderliche Anordnungsgrund, an den vorliegend in Anbetracht des Umstandes, dass
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erforderliche Anordnungsgrund, an den vorliegend in Anbetracht des Umstandes, dass
die einstweilige Anordnung ein Mittel bloß vorläufigen Rechtschutzes und eine
Vorwegnahme der Hauptsache daher grundsätzlich unzulässig ist (vgl. hierzu
Kopp/Schenke a.a.O. § 123 Rdnr. 13; Schrader Jus 2005 37, 38), gesteigerte
Anforderungen zu stellen sind, zur Seite. Ohne den Erlass der einstweiligen Anordnung
besteht die Gefahr, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die
Verwirklichung der Rechte der Antragstellerin vereitelt oder zumindest wesentlich
erschwert werden kann. Insbesondere mit Blick auf die Höhe der Abgabenforderung und
in Anbetracht des Umstandes, dass es vorliegend um den Erlass einer
Sicherungsanordnung zur Verhinderung eines Eingriffs in den Rechtskreis der
Antragstellerin auf der Grundlage eines als Vollstreckungstitel ausscheidenden
unwirksamen Abgabenbescheides und nicht um die Erweiterung ihrer Rechte durch den
Erlass einer Regelungsanordnung gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO, etwa zur Verfolgung
von Einwendungen gegen die Vollstreckung oder gegen die Rechtmäßigkeit des
Abgabenbescheides geht (vgl. zu solchen Fällen etwa BFH, Beschluss vom 17. Mai 1988
– VII B 27/88 – BFH/NV 1989, 114; Beschluss vom 18. März 1992 – X B 59/91 – BFH/NV
1992, 618: Stundung; Beschluss vom 21. Juli 1992 – VII B 78/92 – zitiert über juris:
Gewinnrückstellungen; Beschluss vom 12. März 1993 – V B 124/92 – BFH/NV 1994, 260
und Beschluss vom 27. Juli 1993 – VII B 267/92 – zitiert über juris: Rechtswidrigkeit der
Steuerfestsetzung; Beschluss vom 12. Mai 1993 – I B 15/93 – zitiert über juris:
Möglichkeit eines Verlustrücktrags), ist es der Antragstellerin wegen des Gebots
effektiver Rechtschutzgewährung (Art. 19 Abs. 4 GG) nicht zuzumuten, zunächst eine
Vollstreckung des – nicht wirksam gewordenen und daher als Vollstreckungstitel
ausscheidenden (vgl. § 6 Abs. 1 Nr. 1 VwVG BB) - Beitragsbescheides hinzunehmen und
eine Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten oder sich nach Einleiten konkreter
Vollstreckungsmaßnahmen (vgl. §§ 281 ff. AO i.V.m. § 5 VwVG BB) gegen diese als der
Anfechtung und Aussetzung nach § 80 Abs. 5 VwGO zugängliche Verwaltungsakte zur
Wehr zu setzen. Da der Antragsgegner insoweit vom Vorliegen der Voraussetzungen des
§ 6 Abs. 1 VwVG BB (Vorliegen eines wirksamen, ein Leistungsgebot enthaltenden und
bekannt gegebenen Abgabenbescheides, Fälligkeit der Leistung ein Monat nach der von
ihm angenommen Bekanntgabe, Ablauf einer Frist von einer Woche seit dieser
Bekanntgabe) ausgeht, könnte er jederzeit Vollstreckungsmaßnahmen einleiten, die
(zunächst) hinzunehmen der Antragstellerin nicht zuzumuten ist. Dass insoweit nach
Lage der Akten noch keine Mahnung gemäß § 6 Abs. 3 VwVG BB i.V.m. § 259 AO
ergangen ist, steht der besonderen Eilbedürftigkeit nicht entgegen. Zwar mag eine ohne
Mahnung ergangene Vollstreckungsmaßnahme rechtswidrig sein, wenn das Unterlassen
der Mahnung auf einem Ermessensfehler beruht; unabhängig hiervon sind ohne
vorangegangene Mahnung erlassene Vollstreckungsmaßnahmen indes wirksam (vgl.
Tipke/Kruse, AO Kommentar, § 259 Rn. 14), so dass die Antragstellerin sich nicht
zunächst darauf verweisen lassen muss, eine Mahnung seitens des Antragsgegners
abzuwarten. Aus der Vorschrift des § 80 Abs. 6 VwGO lässt sich – anders als der
Antragsgegner im Erörterungstermin wohl gemeint hat - für das Vorliegen eines
Anordnungsgrundes nichts Abweichendes ableiten. Zwar droht eine Vollstreckung i.S.d. §
80 Abs. 6 Satz 2 Nr. 2 VwGO erst dann, wenn die Behörde konkrete
Vorbereitungshandlungen für die Durchführung der Vollstreckung getroffen hat und aus
Sicht eines objektiven Betrachters die Vollstreckung so unmittelbar bevorsteht, dass es
dem Antragsteller nicht zuzumuten ist, zunächst bei der Behörde und nicht unmittelbar
bei Gericht die Aussetzung zu beantragen (vgl. OVG Berlin- Brandenburg, Beschluss
vom 3. August 2006 – 9 S 4.06 – S. 3 f. des E.A.). Abgesehen davon, dass es sich bei §
80 Abs. 6 VwGO – wie ausgeführt – um eine nicht analogiefähige Sonderregelung
handelt, die auch keinen allgemeinen Rechtsgedanken enthält, hat die Vorschrift allein
verfahrensrechtliche Bedeutung. Liegen die Voraussetzungen des § 80 Abs. 6 Satz 2 Nr.
2 VwGO nicht vor, darf sich der Bürger zwar nicht unmittelbar an das Gericht wenden.
Dem Erfolg eines Aussetzungsantrages in der Sache steht diese Vorschrift, wenn das
behördliche Aussetzungsverfahren vor Anrufung des Gerichts durchlaufen wurde und
ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Abgabenbescheides bestehen, indes nicht
entgegen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Wert des Streitgegenstandes
wird in Höhe der Abgabe festgesetzt, die mit dem streitigen Beitragsbescheid erhoben
wird. Insoweit geht die Kammer davon aus, dass es der Antragstellerin im vorliegenden
Verfahren letztlich darum geht, durch den streitgegenständlichen Abgabenbescheid zu
keiner Leistung verpflichtet zu sein, da dieser (bereits) keine Wirksamkeit erlangt hat und
damit nicht Grundlage eines Zahlungsbegehrens sein kann. Mit Blick auf die mit der
vorliegenden einstweiligen Anordnung begehrten Vorwegnahme der Hauptsache hat die
Kammer auch davon abgesehen, den Streitwert in Anbetracht des Vorliegens eines
vorläufigen Rechtsschutzbegehrens zu reduzieren (vgl. Ziffer 1.5 des Streitwertkataloges
für die Verwaltungsgerichtsbarkeit i.d.F. vom 7./8. Juli 2004).
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