Urteil des VG Braunschweig vom 11.09.2013

VG Braunschweig: ausnahme, genehmigung, halle, gemeinde, radioaktive strahlung, bebauungsplan, satzung, ausschluss, erlass, unternehmen

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--- kein Dokumenttitel vorhanden ---
Eine Ausnahme von der Veränderungssperre ist zulässig, wenn das
Vorhaben seiner Art nach zwar Gegenstand der Planung ist, den in der
Planbegründung genannten Zielen im Einzelfall aber nicht widerspricht.
VG Braunschweig 2. Kammer, Urteil vom 11.09.2013, 2 A 1311/12
§ 1 Abs 3 BauGB, § 1 Abs 7 BauGB, § 14 BauGB
Tenor
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärten
haben wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 28.11.2012
verpflichtet, über den Bauantrag der Klägerin nach Maßgabe der
Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von
110 % des festzusetzenden Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht
die Klägerin zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung für den Neubau
eines Gebäudes zur Durchführung von Messung, Konditionierung und sicherer
Verpackung schwach radioaktiver Abfälle aus Medizin, Wissenschaft und
Industrie.
Die Klägerin ist ein weltweit tätiges Unternehmen, das radioaktive
Komponenten für medizinische, wissenschaftliche und messtechnische
Zwecke herstellt. Ihre Geschäftsfelder umfassen Strahlentherapie,
Isotopenprodukte, Radiopharmaprodukte und Umweltdienste. Zu letzterem
gehört die Messung, Konditionierung und Verpackung schwach radioaktiver
Abfälle zur Einlagerung im Endlager Konrad. Die Klägerin besitzt
Betriebsstätten der Tochterunternehmen F., der G., die schwach radioaktive
Quellen für Industrie und Messtechnik herstellt, und der H., die
radiopharmazeutische Produkte herstellt, am südwestlichen Rand des
Braunschweiger Ortsteils I. Sie liegen in einem Industriegebiet, das in den
aneinander grenzenden Bebauungsplänen TH 18 „Gewerbegebiet J.“ vom
09.09.1969 und WE 18 „Industriefläche am Kanal“ vom 31.01.1978 festgesetzt
ist. Das Plangebiet, in dessen Nordosten ein Teilbereich als Gewerbegebiet
festgesetzt ist, umfasst eine Fläche von ca. 20,8 ha, die zunächst auch im
Flächennutzungsplan als Gewerbefläche ausgewiesen war. Mit der 49.
Änderung des Flächennutzungsplans im Jahr 1997 wurde die Gewerbefläche
auf eine Größe von ca. 9,4 ha reduziert, die südlich des G.-wegs liegt und von
der ca. 4,6 ha bebaut sind. Der Geltungsbereich der Bebauungspläne TH 18
und WE 18 grenzt im Osten - getrennt durch die K. und den L. - an die
Wohnbebauung des Ortsteiles I. Im bebauten Teil des Industriegebiets
befinden sich neben den Tochterunternehmen der Klägerin die Gebäude der
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Fa. M., die ebenfalls radiopharmazeutische Produkte herstellt, und der N., die
Arzneimittel und Chinin produziert.
Die Klägerin besitzt eine strahlenschutzrechtliche Genehmigung zum Umgang
mit schwach radioaktiven Stoffen, die sie nach ihren Angaben im Umfang von
durchschnittlich 5 bis 10 % der genehmigten Freigrenzen nach Anlage III der
Strahlenschutzverordnung in Anspruch nimmt. Im Rahmen des Betriebs der
drei Tochterunternehmen entfallen davon ca. 95 % auf die nicht
streitgegenständliche Herstellung schwach radioaktiver Produkte und ca. 5 %
auf die Konditionierung schwach radioaktiver Abfälle, die teilweise angeliefert
werden, zum anderen Teil aber auch bei der Produktion anfallen.
Am 22.11.2011 beantragte die Klägerin eine Baugenehmigung für ein neues
ca. 1.800 m² großes und knapp 13 m hohes Gebäude zur Messung,
Konditionierung und Verpackung schwach radioaktiver Abfälle auf dem
Flurstück O. in der Gemarkung I. Das Baugrundstück liegt westlich der
vorhandenen Bebauung des Plangebiets in einer Entfernung von ca. 250 m
zum nächsten Wohnhaus. Nach der dem Bauantrag beigefügten
Betriebsbeschreibung sollen in der Halle schwach radioaktive Abfälle (z. B.
Metalle, Beton und Betriebsabfälle aus der Medizin) in Beton eingeschlossen
und so zu gesicherten Gebinden weiterverarbeitet werden. In der Betriebszeit
von 06:00 bis 20:00 Uhr soll dies mit einem Lieferverkehr von ca. 5
Kleintransporter oder LKWs bis max. 7,5 t je Woche verbunden sein.
Nachdem sich eine Bürgerinitiative gegen das Vorhaben gebildet hatte,
beschloss der Rat der Beklagten am 13.12.2011 die Aufstellung des
Bebauungsplans TH 22 „P. /K.“ u. a. mit dem Ziel, die Zulässigkeit von
Nutzungen für Anlagen zur Behandlung von Abfällen neu zu regeln. Der
Beschluss wurde am 20.12.2011 bekannt gemacht. Nach dem derzeitigen
Planungsstand unterscheiden sich die künftigen Festsetzungen von den
bereits bestehenden im Wesentlichen dadurch, dass Folgendes nicht
zugelassen werden soll:
- Einzelhandel (der als großflächiger Einzelhandel bereits nach den
geltenden Bebauungsplänen unzulässig ist)
- Vergnügungsstätten, Bordelle
- bauliche oder sonstige Anlagen, die der Lagerung, Verwertung oder
Weiterverarbeitung von Abfällen dienen,
- Speditionen, Logistikbetriebe und Autohöfe
- Tankstellen.
Durch Bescheid vom 05.01.2012 stellte die Beklagte das Baugesuch der
Klägerin unter Anordnung der sofortigen Vollziehung bis zum 09.01.2013 mit
der Begründung zurück, nach dem derzeitigen Planungsstand sei zu erwarten,
dass das Vorhaben nicht den Festsetzungen des künftigen Bebauungsplans
TH 22 entsprechen werde und seine Genehmigung deshalb die Durchführung
der Bauleitplanung wesentlich erschweren würde. Hiergegen legte die Klägerin
Widerspruch ein.
Am 14.03.2012 erließ der Rat der Beklagten eine bis zum 13.03.2014 geltende
Veränderungssperre. Daraufhin beantragte die Klägerin, den
Zurückstellungsbescheid aufzuheben und unter Erteilung einer Ausnahme das
Vorhaben baurechtlich zu genehmigen.
Wegen des Ausbleibens einer zeitnahen Entscheidung der Beklagten hat die
Klägerin am 22.11.2012 den Verwaltungsrechtsweg beschritten und beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Zurückstellungsbescheides zur Erteilung
der begehrten Baugenehmigung zu verpflichten.
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Mit zwei Bescheiden vom 28.11.2012 hat die Beklagte sodann die Zulassung
einer Ausnahme von der Veränderungssperre und die Erteilung einer
Baugenehmigung abgelehnt und dazu ausgeführt: Einer positiven
Entscheidung über die Baugenehmigung stehe die beschlossene
Veränderungssperre entgegen, von der eine Ausnahme nicht zugelassen
werden könne, weil überwiegende öffentliche Belange entgegenstünden. Das
geplante Vorhaben solle der Weiterverarbeitung von Abfällen dienen und sei
damit von den Zielen der Bauleitplanung erfasst, zu deren Sicherung die
Veränderungssperre erlassen worden sei. Den Zurückstellungsbescheid vom
05.01.2012 hat die Beklagte durch Verfügung vom 03.09.2013 aufgehoben.
Die Beteiligten haben den Rechtsstreit insoweit in der Hauptsache für erledigt
erklärt.
Die Klägerin hat die ablehnenden Bescheide vom 28.11.2012 in ihre Klage
einbezogen und begehrt deren Aufhebung. Zur Begründung ihrer Klage trägt
sie vor: Die Veränderungssperre stehe der Erteilung der Baugenehmigung
nicht entgegen, da sie nichtig sei, weil sie der Sicherung einer unzulässigen
Verhinderungsplanung diene. Zwar sei beim Streit über eine
Veränderungssperre grundsätzlich keine antizipierte Prüfung der mit ihr
gesicherten Bauleitplanung vorzunehmen; etwas anderes gelte aber dann,
wenn die Rechtswidrigkeit der Planung offensichtlich sei und dem Mangel
auch im weiteren Verfahren erkennbar nicht abgeholfen werden könne. Das
sei hier der Fall. Die im öffentlichen Raum geführte Diskussion belege, dass es
dem Rat der Beklagten allein darum gehe, das geplante Vorhaben aus
politischer Opportunität zu verhindern. Soweit die Beklagte angebe, mit der
Bauleitplanung weitere Ziele zu verfolgen, seien diese lediglich vorgeschoben.
So sollten nach dem derzeitigen Stand der Planung neben
abfallverarbeitenden Betrieben vor allem verkehrsintensive Betriebe
ausgeschlossen werden, obwohl nichts dafür ersichtlich sei, dass solche
Betriebe ein Interesse bekundet hätten, sich in dem Industriegebiet
anzusiedeln. Großflächiger Einzelhandel sei bereits nach den Festsetzungen
der geltenden Bebauungspläne nicht zugelassen und begründe kein
Planungsbedürfnis für den Ausschluss von Einzelhandel. Würde das
Plangebiet entsprechend dem geltenden Flächennutzungsplan verkleinert,
lägen die verbleibenden bebaubaren Flächen im Süden der Grundstücke der
Klägerin und der beiden weiteren im Baugebiet ansässigen Unternehmen. Da
sie keinen Zugang zur öffentlichen Straße hätten, könnten Betriebe der mit
dem Planentwurf TH 22 ausgeschlossenen Art dort ohnehin nicht verwirklicht
werden. Der geplante Ausschluss von Abfallentsorgungsbetrieben sei sachlich
nicht gerechtfertigt, weil andere, gleichermaßen störende Betriebe weiterhin
zugelassen werden sollen. Es sei widersprüchlich, einerseits stark
emittierende Betriebe zuzulassen und andererseits den Betrieb der Klägerin,
der nicht mit Emissionen wie Gerüchen, Geräuschen oder Erschütterungen
verbunden sei, zu untersagen. Soweit es radioaktive Strahlung betreffe,
handele es sich nicht um Emissionen, die Regelungsgegenstand des
Baurechts seien. Hierfür würden die Bestimmungen der
Strahlenschutzverordnung gelten, deren Anwendung und Überwachung in die
Zuständigkeit des Staatlichen Gewerbeaufsichtsamts falle. Sie beabsichtige
auch nicht, die ihr erteilte strahlenschutzrechtliche Genehmigung zu erweitern.
Dem in Aufstellung befindlichen Bebauungsplan fehle die Planrechtfertigung,
wenn er einerseits Betriebe zur Herstellung schwach radioaktiver
Medizinprodukte, für welche dieselben Grenzwerte gelten, zulasse, gleichzeitig
aber die Konditionierung schwach radioaktiver Abfälle verbiete. Ein sachlicher
Grund für eine solche Ungleichbehandlung sei nicht ersichtlich. Der
Bebauungsplan werde zudem offensichtlich abwägungsfehlerhaft sein. Wäre
es allein Ziel der Beklagten, stark emittierende Abfallentsorgungsanlagen zu
verhindern, sei es möglich, diese als solche im Plan zu benennen und den
nicht emittierenden Betrieb der Klägerin weiterhin zuzulassen. Hierfür sprächen
gewichtige Belange der Klägerin, u. a. das Interesse auf Beibehaltung der
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vorhandenen planungsrechtlichen Situation. Auch der vor Aufnahme der
Planung bereits vorgelegte Bauantrag sei ein gewichtiger Belang. Zudem
könne das Unternehmen durch die Verwirklichung der Planung in seinem
Bestand bedroht werden, wenn z. B. notwendige bauliche Änderungen, die
das Atomrecht gebiete, wegen baurechtlicher Unzulässigkeit nicht
durchgeführt werden könnten. Dem stünden keine relevanten Belange der
benachbarten Anwohner gegenüber. Denn diese würden weder durch Staub
noch durch Lärm, Erschütterungen oder Gerüche belästigt. Die durch den
Lieferverkehr zu erwartenden Geräusche seien angesichts der geringen Zahl
von Transportvorgängen zu vernachlässigen. Immissionen schwach
radioaktiver Stoffe seien nicht Gegenstand der Baugenehmigung, sondern der
daneben erforderlichen Genehmigung nach der Strahlenschutzverordnung.
Diffuse Ängste der Nachbarschaft seien nicht abwägungsrelevant. Der
immissionsschutzrechtliche Trennungsgrundsatz gelte hier nicht, weil das
Bundes-Immissionsschutzgesetz erst nach Inkrafttreten der geltenden
Bebauungspläne geschaffen worden sei. Zudem sei ein Industriegebiet neben
einem Wohngebiet nicht zwingend unverträglich. Die geplante Halle diene
dazu, die Abfallkonditionierung von der bisher zu diesem Zweck genutzten
alten Halle nach dort zu verlagern. In der freiwerdenden Halle sollten sodann
Abfallcontainer untergebracht werden, die bisher im Freien stünden. Die neue,
in strahlenschutzrechtlicher Hinsicht sicherere Halle würde eine - nicht
geplante - Kapazitätserweiterung um 50 % gegenüber dem bisherigen Umfang
zulassen. Würde man hiervon Gebrauch machen wäre künftig mit 8
Lieferfahrten pro Woche zu rechnen, was hinsichtlich der von den Fahrzeugen
ausgehenden Lärm- und Abgasemissionen baurechtlich zu vernachlässigen
sei. Strahlenschutzrechtlich wären diese Transporte von der bestehenden
Umgangsgenehmigung erfasst.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide vom 28.11.2012 zu
verpflichten, ihr die am 22.11.2011 beantragte Baugenehmigung zu
erteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin aus den Gründen der angefochtenen
Entscheidung entgegen und erwidert ergänzend: Die bestehende
Veränderungssperre schließe die Erteilung einer Baugenehmigung aus. Eine
umfassende antizipierte Rechtmäßigkeitskontrolle des in Aufstellung
befindlichen Bebauungsplans zur Prüfung der Rechtmäßigkeit der
Veränderungssperre sei unzulässig. Da die Planung noch nicht
abgeschlossen und eine Abwägung der widerstreitenden Belange noch nicht
vorgenommen worden sei, könne nicht unterstellt werden, dass die zu einem
späteren Zeitpunkt vorzunehmende Abwägung fehlerhaft sein werde. Der
Bebauungsplan sei im gegenwärtigen Stadium nicht offensichtlich rechtswidrig
und leide auch nicht an einem nicht behebbaren Mangel. Die Belange der
Klägerin würden mit dem ihnen zukommenden Gewicht in die spätere
Abwägung einbezogen. Es treffe zwar zu, dass die im geltenden
Flächennutzungsplan ausgewiesene Gewerbefläche wesentlich kleiner sei, als
das bisher von den Bebauungsplänen TH 18 und WE 18 umfasste Gebiet,
doch bleibe die Ansiedlung neuer Betriebe auch weiterhin möglich. Zudem sei
heute auch noch nicht abzusehen, ob es tatsächlich zu einer Verkleinerung
des Plangebiets komme. Ziel der Planung sei es, Nutzungen, die Immissionen
befürchten lassen und mit einer Wohnbebauung deshalb unverträglich seien,
auszuschließen. Da die Klägerin mit radioaktiven Abfällen umgehe und eine
bauliche Erweiterung beabsichtige, habe dies Anlass zur Aufnahme der
Bauleitplanung gegeben. Der Trennungsgrundsatz sei bei der Aufstellung des
neuen Bebauungsplans zu beachten. Die Erteilung einer Ausnahme von der
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Veränderungssperre stehe in ihrem Ermessen, das sie nicht zugunsten der
Klägerin ausüben wolle, weil heute noch nicht feststehe, ob das Vorhaben der
Klägerin nach Abschluss der Planung verwirklicht werden könne. Grund für
einen Ausschluss des Vorhabens könne z. B. eine Verkleinerung des
Plangebiets sein, die das Baugrundstück nicht mehr mit einbeziehe.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der
Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte
und die Verwaltungsvorgänge des Beklagten, die Gegenstand der mündlichen
Verhandlung waren.
Entscheidungsgründe
Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt
haben, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen ist die nach Ablauf der in § 75 S. 2 VwGO genannten Frist
erhobene Verpflichtungsklage, auch nachdem die Beklagte über das
Begehren der Klägerin während des anhängigen Klageverfahrens abschlägig
entschieden hat, ohne Durchführung eines Vorverfahrens zulässig (vgl.
BVerwG, Urt. vom 13.01.1983 - 5 C 114.81 -, NJW 1983, 2276).
Die Klage ist in dem tenorierten Umfang auch begründet. Soweit die Klägerin
einen Verpflichtungsantrag gestellt hat, konnte die Kammer dem nicht
stattgeben, weil die Beklagte den Bauantrag bisher ausschließlich in
planungsrechtlicher Hinsicht geprüft hat. Da die Sache deshalb noch nicht
spruchreif war, war die Beklagte gemäß § 113 Abs. 5 S. 2 VwGO zu
verpflichten, die Klägerin unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts
neu zu bescheiden.
Die Bauleitplanung der Beklagten enthält positive Planungsansätze und ist
daher keine ausschließliche Verhinderungsplanung. Aus diesem Grund ist
auch der Erlass der Veränderungssperre rechtlich nicht zu beanstanden. Für
das Vorhaben der Klägerin liegen die Voraussetzungen zur Erteilung einer
Ausnahme von der Veränderungssperre vor. Das der Beklagten hierbei
zustehende Ermessen kann rechtmäßig nur in der Weise ausgeübt werden,
dass die begehrte Baugenehmigung erteilt wird, wenn nicht andere als
planungsrechtliche Gründe dem entgegenstehen. Im Einzelnen:
Das Vorhaben der Klägerin bedarf einer baurechtlichen Genehmigung. In der
höchstrichterlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass das Landesrecht ohne
Verstoß gegen Bundesrecht vorsehen kann, eine Anlage, deren Betrieb von
einer atomrechtlichen Genehmigung abhängt, hinsichtlich der baulichen
Anlage, in welcher der Betrieb beabsichtigt ist, einer baurechtlichen
Genehmigung zu unterwerfen. In diesem Fall steht die Baugenehmigung
neben der atomrechtlichen Genehmigung, die dann ihrerseits aus
baurechtlichen Gründen nicht mehr versagt werden darf (vgl. BVerwG, Urt.
vom 11.05.1989 - 4 C 1.88 -, BVerwGE 82, 61).
Gemäß § 70 Abs.1 NBauO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn die
Baumaßnahme, soweit sie genehmigungsbedürftig ist und soweit eine Prüfung
erforderlich ist, dem öffentlichen Baurecht entspricht. Zum öffentlichen
Baurecht gehört das Bauplanungsrecht (§ 2 Abs. 16 NBauO) und damit auch
die auf der Grundlage von § 14 BauGB am 28.02.2012 vom Rat der Beklagten
erlassene Satzung über die Anordnung einer zweijährigen
Veränderungssperre für den in Aufstellung befindlichen Bebauungsplan „P.
/K.“ TH 22. Nach den §§ 1 und 3 Nr. 1 der Satzung und § 14 Abs. 1 Nr. 1
BauGB dürfen in dem von der Veränderungssperre betroffenen Gebiet
Vorhaben im Sinne des § 29 BauGB - also auch der von der Klägerin geplante
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Hallenneubau - grundsätzlich nicht durchgeführt werden.
Soweit die Klägerin meint, die Satzung über die Anordnung einer
Veränderungssperre sei unwirksam, weil sie der Sicherung eines künftigen
Bebauungsplans diene, der seinerseits als reine Verhinderungsplanung nichtig
sein werde, vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Dabei ist zunächst
festzuhalten, dass im Verfahren über die Veränderungssperre eine antizipierte
Normenkontrolle des künftigen Bebauungsplanes nicht stattzufinden hat.
Wegen ihres Sicherungszweckes (§ 14 Abs. 1 BauGB) ist lediglich
nachzuprüfen, ob sich die abzeichnende Planung schon jetzt als offensichtlich
nichtig, und dementsprechend die Veränderungssperre sich als zur Sicherung
der Planung nicht als erforderlich im Sinne des § 14 Abs. 1 BauGB erweist (vgl.
BVerwG, Beschl. vom 25.11.2003 - 4 BN 60/03 -, BRS 66 Nr. 115; NdsOVG,
Urt. vom 17.12.1998 - 1 K 1103/98 -, BRS 60 Nr. 59). An die Feststellung der
offensichtlichen Rechtswidrigkeit einer Planung sind hohe Anforderungen zu
stellen, die hier nicht erfüllt werden. Als Sicherungsmittel ungeeignet ist eine
Veränderungssperre nur dann, wenn sich das aus dem Aufstellungsbeschluss
ersichtliche Planungsziel im Wege planerischer Festsetzung nicht erreichen
lässt, wenn der beabsichtigte Bauleitplan einer positiven Planungskonzeption
entbehrt und der Förderung von Zielen dient, für deren Verwirklichung die
Planungsinstrumente des Baugesetzbuchs nicht bestimmt sind, oder wenn
rechtliche Mängel schlechterdings nicht behebbar sind (vgl. BVerwG, Beschl.
vom 21.12.1993 - 4 NB 40/93 -, NVwZ 1994, 698 m. w. N.). Das ist hier nicht
der Fall. Die Überarbeitung der Bebauungspläne TH 18 und WE 18 stellt sich
nicht als reine Verhinderungsplanung dar. Hierzu hat das
Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 18.12.1990 (Az. 4 NB
8.90, BRS 50 Nr. 9) ausgeführt:
„Zur Beantwortung der Frage, wann eine unzulässige
Verhinderungsplanung vorliegt, ist der Gegensatz von positiven und
negativen Planungszielen letztlich wenig hilfreich. Gerade in kritischen
Fällen wird es oft nur schwer möglich sein, das wahre Motiv und den
wirklichen Zweck der Planung zu ermitteln. Nicht selten wird eine konkrete
Planung erst dadurch ausgelöst, dass Bauanträge für Grundflächen gestellt
werden, die die Gemeinde nicht in der beantragten Weise nutzen lassen
möchte. Der Gemeinde ist es aber keineswegs verwehrt, auf derartige
Bauanträge mit der Aufstellung eines Bebauungsplans zu reagieren, der
ihnen die materielle Rechtsgrundlage entzieht. … Vielmehr kommt es darauf
an, ob eine bestimmte Planung - auch wenn sie durch den Wunsch, ein
konkretes Vorhaben zu verhindern, ausgelöst worden ist - für die
städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich im Sinne von § 1 Abs.
3 BauGB ist.“
Erforderlich i. S. von § 1 Abs. 3 BauGB ist ein Bebauungsplan dann, wenn ihm
eine planerische Konzeption der Gemeinde zugrunde liegt. Die getroffenen
(bzw. beabsichtigten) Festsetzungen müssen in ihrer eigentlichen Zielsetzung
heute und hier gewollt und erforderlich sein. Sie dürfen nicht nur das
vorgeschobene Mittel sein, um einen Bauwunsch zu durchkreuzen. Letzteres
kann nicht schon dann angenommen werden, wenn die negative Zielrichtung
im Vordergrund steht. Auch eine zunächst nur auf die Verhinderung einer - aus
der Sicht der Gemeinde - Fehlentwicklung gerichtete Planung kann einen
Inhalt haben, der rechtlich nicht zu beanstanden ist (NdsOVG, Urteil vom
17.12.1998 a. a. O.).
Soweit es die mit der Bauleitplanung der Beklagten verfolgten Ziele betrifft,
ergibt sich aus dem Vorentwurf des Bebauungsplans TH 22 in der dem Gericht
vorliegenden Fassung, dass sich die Planung nicht darin erschöpft, lediglich
eine Betriebserweiterung der Klägerin verhindern zu wollen. In Nr. 3 Absatz 1
der Begründung zum Vorentwurf in der Fassung vom 07.09.2012 heißt es:
„Planerisches Ziel ist unter anderem die Neuregelung der Zulässigkeit von
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Nutzungen für Anlagen zur Behandlung von Abfällen.
Diesem Planungsziel liegt die Überlegung zugrunde, die Belastungen für
die angrenzenden schutzwürdigen Wohnstandorte und die südlich des
Mittellandkanals befindliche Schule bei einem Ausbau des gewerblich-
industriellen Standort in Thune nicht weiter zu erhöhen.“
Auch wenn in der öffentlichen Diskussion im politischen Raum das Bestreben
der Eigentümer von benachbarten Grundstücken deutlich wurde, eine
Ausweitung des Betriebs der Klägerin zur Konditionierung schwach
radioaktiver Abfälle zu verhindern, hat die Beklagte dies nicht zum
ausschließlichen Gegenstand und Ziel der Planung erhoben. Stattdessen
heißt es im Hinblick auf die insoweit eingeschränkte Zuständigkeit der
Beklagten unter Nr. 3 des Vorentwurfs: „Die insbesondere von der Seite der
Anwohner vorgebrachten Bedenken gegen die strahlenschutzrechtlichen
Genehmigungen sind nicht Regelungsgegenstand des Bebauungsplans.“
Gleichwohl besteht derzeit die Absicht, mit Mitteln des Planungsrechts im
Rahmen des Zulässigen eine Betriebserweiterung der Klägerin im
Unternehmensbereich Umweltdienste zu unterbinden. Hierin erschöpft sich die
Planung jedoch nicht. Vielmehr wird zu den weiteren Zielen der Planung unter
Nr. 4 des Vorentwurfs hervorgehoben, dass mit ihr beabsichtigt sei, die in den
Bebauungsplänen TH 18 und WE 18 festgesetzten Industriegebietsflächen in
Gewerbegebietsflächen umzuwandeln und zum Schutz der benachbarten
Wohnflächen auf der Grundlage eines schalltechnischen Gutachtens
immissionswirksame flächenbezogene Schalleistungspegel festzusetzen.
Ein weiterer Planungsschwerpunkt liegt darin, bauliche oder sonstige Anlagen,
die der Lagerung, Verwertung oder Weiterverarbeitung von Abfällen dienen,
auszuschließen, um so eine Erhöhung von „Belastungen“ für die
Nachbarschaft zu vermeiden. Davon sind vor allem solche ansiedlungswilligen
Abfallunternehmen betroffen, deren Betrieb Immissionen wie Lärm, Staub,
Gerüche oder Erschütterungen verursacht, die als „Belastungen“ auf die
Nachbarschaft einwirken. Das ist bezogen auf die Konditionierung schwach
radioaktiver Abfälle im Betriebsteil Umweltdienste der Klägerin gegenwärtig
jedoch nicht der Fall. Mögliche Emissionen gehen dort nur von schwach
radioaktiver Strahlung aus, deren Regelung nicht in das Regime des
Baurechts fällt, sondern im Rahmen der zusätzlich erforderlichen
Genehmigung nach der Strahlenschutzverordnung zu beurteilen ist. Für den
Ausschluss anderer, stark emittierender Abfallbetriebe kann jedoch im Hinblick
auf den in § 50 BImSchG verankerten Trennungsgrundsatz, der im Regelfall
gebietet, Industriegebiete nicht in unmittelbarer Nachbarschaft zu
Wohngebieten auszuweisen, ein Planungsbedürfnis nicht verneint werden.
Der Trennungsgrundsatz gilt auch für die Änderung von Bauleitplänen, die vor
Inkrafttreten des Bundes-Immissionsschutzgesetzes verabschiedet wurden,
weil durch den ersetzenden neuen Bebauungsplan die frühere Rechtslage ihre
Verbindlichkeit verliert (vgl. OVG Münster, Beschl. vom 02.06.2010 - 7 A
295/09 -, juris). Zu berücksichtigen ist im hier zu entscheidenden Fall, dass
derzeit auf großen Flächen des in den Bebauungsplänen THG 18 und WE 18
festgesetzten Industriegebiets, die noch nicht bebaut sind, erheblich
emittierende Betriebe zulässig sind, andererseits aber die angrenzende
Wohnbebauung eines Schutzes vor übermäßiger Belastung durch
Immissionen bedarf. Auch wenn gegenwärtig ansiedlungswillige Betriebe
dieser Art (noch) nicht mit Bauanträgen an die Beklagte herangetreten sind, ist
es ihr nicht verwehrt, möglichen Fehlentwicklungen in der Zukunft schon heute
planerisch entgegenzuwirken. Dem Einwand der Klägerin, in einem
verkleinerten Plangebiet sei die Ansiedlung weiterer Betriebe kaum möglich,
da ihnen der Zugang zu öffentlichen Verkehrswegen fehle, ist
entgegenzuhalten, dass noch nicht feststeht, ob das Plangebiet tatsächlich
räumlich dem Flächennutzungsplans angepasst werden soll. Der dem Gericht
vorliegende Planentwurf geht vielmehr von einer Beibehaltung des Plangebiets
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in unveränderter Größe aus.
Bezogen auf die Unternehmen der Klägerin ist ein städtebauliches
Planungsbedürfnis ebenfalls nicht von vornherein zu verneinen. Auch wenn
sie angibt, eine Ausweitung ihrer strahlenschutzrechtlichen Genehmigung
nicht zu beabsichtigen, zeigt der bisher geringe Ausnutzungsgrad bestehender
Freigrenzen, dass sie im Rahmen der vorhandenen strahlenschutzrechtlichen
Genehmigung ein Vielfaches der derzeit behandelten Abfallmengen
konditionieren könnte, wenn sie dazu Eigentum an weiteren Flächen im
Plangebiet erwerben und darauf entsprechende Anlagen errichten würde. Eine
erhebliche Ausweitung des Umgangs mit schwach-radioaktiven Stoffen im
Rahmen der vorhandenen strahlenschutzrechtlichen Genehmigung wiederum
kann ein Planungsbedürfnis nicht nur im Hinblick auf die damit möglicherweise
verbundenen Verkehrsimmissionen auslösen. Vielmehr gehört es auch zu den
Aufgaben der Gemeinde, im Rahmen der Bauleitplanung u. a. zu prüfen, ob
ein Standort von Anlagen, in denen mit radioaktiven Stoffen umgegangen wird,
für den vorgesehenen Zweck geeignet ist und ob die in Aussicht genommene
Nutzung mit der Nutzung der Umgebung verträglich ist (vgl. BVerwG, Beschl.
vom 12.12.1990 - 4 NB 14/88 -, BRS 50 Nr. 44). Standortfragen sind damit Teil
der planerischen Abwägung.
Soweit die Klägerin meint, die Planungsziele der Beklagten seien lediglich
vorgeschoben und es bestehe kein Planungsbedürfnis, weil ansiedlungswillige
Betriebe der künftig auszuschließenden Art nicht vorhanden seien, macht sie
damit geltend, die Bauleitplanung der Beklagten verstoße gegen § 1 Abs. 3
BauGB, wonach die Gemeinden dann Bauleitpläne aufzustellen haben, sobald
und soweit es für die städtebauliche Entwicklung und Ordnung erforderlich ist.
Dabei verkennt sie jedoch, dass das Merkmal der Erforderlichkeit nicht dahin
zu verstehen ist, dass für die konkrete Planung ein akutes Bedürfnis bestehen
oder gar zwingende Gründe vorliegen müssten, um eine neue
Planungsinitiative zu entwickeln. Vielmehr ist in Rechtsprechung und
Schrifttum anerkannt, dass die Entscheidung, ob und in welcher Form und
welchem Umfang eine Planung betrieben wird, grundsätzlich dem gerichtlich
nicht überprüfbaren Planungsermessen der Gemeinde obliegt und das
Tatbestandsmerkmal der Erforderlichkeit praktisch nur bei groben und
einigermaßen offensichtlichen Missgriffen eine Schranke der
Planungsbefugnis darstellt (vgl. OVG Koblenz, Urt. vom 16.01.1985 - 10 C
13/84 -, NVwZ 1985, 766). Das kann im Hinblick auf eine Planung, welche die
Ausnutzung des planerisch zulässigen Störpotenzials eines großflächigen
Industriegebiets in unmittelbarer Nachbarschaft zu einem Wohngebiet durch
Einschränkungen der städtebaulichen Möglichkeiten zu reduzieren sucht, nicht
festgestellt werden.
Der weitere Einwand der Klägerin, die künftige Planung werde dem
Abwägungsgebot des § 1 Abs. 7 BauGB widersprechen, weil erhebliche
Belange, die für eine Beibehaltung ihrer Entwicklungsmöglichkeiten sprechen,
während baurechtlich nicht relevante „diffuse Ängste“ der Nachbarn kaum
Gewicht haben, nicht mit dem ihnen zukommenden Gewicht bei der Planung
berücksichtigt würden, vermag schon deshalb nicht die Unwirksamkeit der
Veränderungssperre zu begründen, weil die Rechtmäßigkeit einer erst in der
Zukunft vorzunehmenden Abwägung völlig offen ist. Es erscheint aus heutiger
Sicht nicht von vornherein ausgeschlossen, dass die Planung der Beklagten
ohne Abwägungsfehler auch unter Berücksichtigung des
Entwicklungsinteresses der Klägerin eine erhebliche Ausweitung des
Umgangs mit schwach radioaktiven Stoffen im Plangebiet aus städtebaulichen
Gründen künftig ausschließt.
Stellt sich der Planentwurf somit nicht als unzulässige Verhinderungsplanung
dar, ermächtigt der Beschluss über die Aufstellung des Bebauungsplans auch
zum Erlass der Satzung über die Anordnung einer Veränderungssperre, die
vom Rat der Beklagten am 28.02.2012 beschlossen und im Amtsblatt der
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Stadt Braunschweig vom 14.03.2012 bekanntgemacht wurde. Die
Veränderungssperre steht dem konkreten Vorhaben der Klägerin jedoch nicht
entgegen. Zwar dürfen nach § 3 Nr. 1 der Satzung und § 14 Abs. 1 BauGB
Vorhaben im Sinne des § 29 BauGB während der Dauer der
Veränderungssperre nicht durchgeführt werden, doch liegen im Falle der
Klägerin für das konkret geplante Vorhaben die Voraussetzungen für die
Erteilung einer Ausnahme nach § 4 der Satzung und § 14 Abs. 2 BauGB vor.
Die Vorschrift regelt solche Einzelfälle, in denen der Sicherungszweck das
Verbot nicht rechtfertigt (vgl. Ernst-Zinkahn-Bielen-berg, Kommentar zum
BauGB § § 14 Rn 90). Nach ihr kann eine Ausnahme zugelassen werden,
wenn überwiegende öffentliche Belange nicht entgegenstehen. Öffentliche
Belange stehen einer Ausnahme dann entgegen, wenn das Vorhaben den
Zielen der Planung widerspricht. Die Ziele wiederum ergeben sich aus den
planerischen Vorstellungen der Gemeinde über den Inhalt des
Bebauungsplans, die bei Erlass der Veränderungssperre vorliegen (vgl.
BVerwG, Beschl. vom 15.08.2000 - B. 4 BN 35.00 -, BRS 64 Nr. 109). Dem
Vorentwurf zum Bebauungsplan TH 22 ist als einziges Ziel, das für die zu
treffende Ausnahmeentscheidung von Bedeutung sein kann, zu entnehmen,
„die Neuregelung der Zulässigkeit von Nutzungen für Anlagen zur
Behandlung von Abfällen.“
Diesem Ziel liegt nach der Planbegründung die Absicht zugrunde, die
„Belastungen für die angrenzenden schutzwürdigen Wohnstandorte und die
südlich des Mittellandkanals befindliche Schule bei einem Ausbau des
gewerblich-industriellen Standorts in Thune nicht weiter zu erhöhen.“
Das Vorhaben der Klägerin steht nicht in Widerspruch zu diesem Ziel, weil von
ihm höhere Belastungen nicht zu erwarten sind. Dabei ist zunächst
festzustellen, dass die Konditionierung schwach radioaktiver Abfälle auch
bisher nicht mit Gerüchen, Geräuschen oder Erschütterungen verbunden war,
welche die Nachbarschaft belasten. Soweit es Geräusche und Abgase betrifft,
die dem Lieferverkehr von 5 Kleintransportern oder LKWs bis 7,5 t pro Woche
zuzurechnen sind, unterschreiten diese Immissionen die planungsrechtliche
Relevanzschwelle offensichtlich bei Weitem. Hinsichtlich der Immissionen in
Gestalt schwach radioaktiver Strahlung, die von den zu konditionierenden
Abfällen ausgeht, hat der Plangeber ausgeführt: „Die von Seiten der Anwohner
vorgebrachten Bedenken gegen die strahlenschutzrechtlichen
Genehmigungen sind nicht Regelungsgegenstand des Bebauungsplans.“
Unabhängig davon sollen in die neue Halle lediglich solche Arbeiten verlagert
werden, die bereits bisher in einer alten, technisch überholten Halle
durchgeführt werden. Zugleich ist beabsichtigt, die strahlenschutzrechtliche
Umgangsgenehmigung für die bisherige Halle in der Kapazität in Absprache
mit der Aufsichtsbehörde entsprechend zu reduzieren. Schließlich sollen die
heute noch im Freien aufgestellten Container mit schwach radioaktivem
Material in der alten Halle untergebracht werden, was eine zusätzlich
Entlastung für die angrenzende Wohnbebauung darstellen würde. All dies
zeigt, dass mit der Errichtung und Nutzung der neuen Halle eine Erhöhung von
Belastungen baurechtlich oder strahlenschutzrechtlich relevanter Immissionen
zunächst nicht verbunden sein wird. Die Klägerin hat in der mündlichen
Verhandlung allerdings eingeräumt, dass die neue Halle gegenüber der alten
eine Kapazitätsausweitung um 50 % ermöglichen würde. Würde sie davon
Gebrauch machen - was sie nach ihren Angaben nicht plant - hätte das unter
Berücksichtigung des geringen Ausgangswerts (von den zulässigen
Freigrenzen werden max. 10 % ausgenutzt, wovon 5 %, in absoluter Größe
also 0,5 %, auf die Konditionierung schwach radioaktiver Abfälle entfallen) zur
Folge, dass künftig statt 10 % nun 10,25 % der Freigrenzen ausgenützt
würden, bzw. bezogen auf die Abfallkonditionierung statt 0,5 % nun 0,75 %.
Hinsichtlich des auf die Konditionierung entfallenden Verkehrsaufkommens
wären statt bisher 5 nun 8 Transporte pro Woche zu erwarten. Diese Zahlen
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zeigen, dass eine baurechtliche relevante „Erhöhung von Belastungen“ mit der
Errichtung und Inbetriebnahme der neuen Halle nicht verbunden ist.
Zu den Zielen der Planung enthält Nr. 4.1.3 des Vorentwurfs den Hinweis, es
sollen bauliche oder sonstige Anlagen, die der Lagerung und Verwertung von
Abfällen dienen, ausgeschlossen werden,
„weil der Plangeber davon ausgeht, dass derartige Nutzungen ein
erhebliches vielfältiges Störpotential für die angrenzende Wohnbebauung
und ggf. für die nahegelegene Schule bergen.“
Ein solches „Störpotenzial“ mag bei normalen Abfallanlagen zu erwarten sein
und deshalb auch ihren künftigen Ausschluss rechtfertigen. Für das konkrete
Vorhaben der Klägerin trifft das aber aus den genannten Gründen nicht zu.
Gleiches gilt für die Absicht, einen „weiteren Ausbau als Entsorgungsstandort“
verhindern zu wollen, da die Klägerin einen Ausbau ihrer Umweltdienste nicht
plant und selbst wenn sie dies täte, einen solchen Ausbau mit dem
streitgegenständlichen Vorhaben allenfalls in einem zu vernachlässigend
geringen Umfang realisieren könnte. Da das Vorhaben den bei Erlass der
Veränderungssperre erkennbaren Zielen des Planentwurfs nicht widerspricht,
stehen überwiegende öffentliche Belange der Zulassung einer Ausnahme von
der Veränderungssperre nicht entgegen.
Obwohl die Zulassung einer solchen Ausnahme nach § 14 Abs. 2 BauGB und
§ 4 der Satzung im Ermessen der Beklagten steht, kann hier nur eine solche
Entscheidung ermessensfehlerfrei sein, die dem Antrag auf Zulassung einer
Ausnahme und Erteilung einer Baugenehmigung stattgibt, sofern nicht andere
als planungsrechtliche Gründe dem entgegenstehen. Nach ständiger
Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann bei der Anwendung
einer Ermessensnorm im Einzelfall eine Schrumpfung des Ermessens auf ein
einziges rechtmäßiges Ergebnis eintreten, wenn nach Lage der Dinge alle
denkbaren Alternativen nur unter pflichtwidriger Vernachlässigung eines
eindeutig vorrangigen Sachgesichtspunkts gewählt werden könnten. In einem
solchen Fall ist die Entscheidung der Behörde - trotz des sonst bestehenden
Ermessensspielraums - rechtlich zwingend vorgezeichnet, so dass für
behördliche Ermessenserwägungen kein Anlass besteht (vgl. BVerwG,
Beschl. vom 03.10.1988 - 1 B 114/88 -, juris). So liegt es hier.
Die Beklagte hat in dem Bescheid vom 28.11.2012, mit dem sie die Zulassung
einer Ausnahme abgelehnt hat, keine Ermessenserwägungen angestellt. Sie
hat vielmehr angenommen, dass die Voraussetzungen für eine
Ermessensentscheidung nicht vorliegen würden, weil dem Vorhaben
öffentliche Belange entgegenstehen. Da dies nach den vorstehenden
Ausführungen jedoch nicht der Fall ist, hätte die Beklagte im Rahmen einer
Ermessensentscheidung berücksichtigen müssen, dass es sich bei dem
geplanten Vorhaben um einen „untypischen“ Abfallbetrieb handelt, der mit
„erhöhten Belastungen“ oder „vielfältigem Störpotenzial“ nicht verbunden ist.
In der mündlichen Verhandlung zu möglichen Ermessenserwägungen befragt,
die einer Ausnahme auch dann entgegenstehen könnten, wenn das Vorhaben
den Zielen der Planung nicht widerspricht, gab die Beklagte lediglich an, die
Planung könne durch eine Genehmigung des Vorhabens deshalb erschwert
werden, weil nicht auszuschließen sei, dass das Plangebiet soweit verkleinert
werde, dass selbst die in Aussicht genommene Baufläche nicht mehr von ihm
erfasst sei. Eine Planung, die dem Baugrundstück nachträglich die
Baulandqualität nähme, erscheint jedoch schlechterdings ausgeschlossen.
Denn ein solcher Bebauungsplan wäre offensichtlich rechtsfehlerhaft, weil er
dem Bestands- und Vertrauensschutz der Betriebe, die sich dort mit hohen
Kosten angesiedelt und Eigentum erworben haben, nicht hinreichend
Rechnung trüge. Anhaltspunkte dafür, dass der Rat der Beklagten derartiges
plant, sind indes auch nicht ersichtlich.
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Für die Zulassung einer Ausnahme spricht, dass die Klägerin im Vertrauen auf
den künftigen Bestand der Bebauungspläne TH 18 und WE 18 erhebliche
Investitionen getätigt hat, um sich an diesem Standort niederzulassen. Zwar
besteht einerseits kein Rechtsanspruch darauf, dass eine vorgefundene
Planungssituation auf Dauer Bestand hat, andererseits kann eine Gemeinde
aber im Fall einer teilweisen Planänderung ihr Planungsermessen nicht so frei
ausüben, wie bei der Neuaufstellung eines Bebauungsplans, weil das
Vertrauen eines Betroffenen in die bisherigen Festsetzungen grundsätzlich
umso schutzwürdiger und stärker zu gewichten ist, je weiter sie realisiert
worden sind. Deshalb muss die Gemeinde im Rahmen der vorzunehmenden
Abwägung den Interessen eines bereits im Plangebiet ansässigen
Unternehmens am Fortbestand und der Entwicklung seines Betriebes
ausreichend Rechnung tragen (vgl. NdsOVG, Urt. vom 18.09.2001 - 1 L
3779/00 -, BRS 64 Nr. 31). Denn das damit verbundene Eigentumsinteresse
hat erhebliches Gewicht. Zudem verlangt die Beachtung der Belange der
Wirtschaft (vgl. § 1 Abs. 5 und Abs. 6 Nr. 8 a BauGB) mehr als nur die
Berücksichtigung des durch Art. 14 GG garantierten Bestandsschutzes; sie
beinhaltet vielmehr auch die Abwägung von Kapazitätserweiterungen und
Modernisierungen von Anlagen, die zur Erhaltung der Konkurrenzfähigkeit
notwendig sind (vgl. OVG Münster, Urt. vom 08.03.1993 - 11a NE 53/89 -, BRS
55 Nr. 12). Das gilt auch zugunsten der Klägerin.
Diesen Bestands- und Entwicklungsinteressen der Klägerin stehen angesichts
fehlender zusätzlicher Belastungen und Störungen von Relevanz keine
öffentlichen Belange von gleichem Gewicht gegenüber. Deshalb sind
Ermessenserwägungen, die eine Ablehnung des Vorhabens stützen könnten,
nicht ersichtlich. Hat die Klägerin - wenn andere als städtebauliche Gründe
nicht entgegenstehen - letztendlich einen Anspruch auf Erteilung der
Baugenehmigung, so erscheint es als ermessensfehlerhaft, ihr diese
Genehmigung auf Jahre hinaus vorzuenthalten.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 154 Abs. 1 und 161 Abs. 2 VwGO,
wobei die Kosten des in der Hauptsache erledigten Teils des Rechtsstreits
ebenfalls der Beklagten auferlegt werden, da aus den vorgenannten Gründen
auch die Voraussetzungen für eine Zurückstellung des Baugesuchs nicht
vorlagen.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO
i. V. m. den §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.