Urteil des VG Braunschweig vom 28.01.2013

VG Braunschweig: genfer flüchtlingskonvention, abschiebung, aussetzung, reisepass, geburt, besitz, identitätsnachweis, aufenthaltserlaubnis, familie, inhaber

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Fahrerlaubnis, Identitätsnachweis
Eine sog. Duldungsbescheinigung, die den Vermerk enthält, dass die
Personalangaben auf den eigenen Angaben des Betroffenen beruhen, genügt
nicht den Anforderungen des § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV.
VG Stade 1. Kammer, Urteil vom 28.01.2013, 1 A 1845/12
§ 21 Abs 3 S 1 Nr 1 FeV, § 2 Abs 6 StVG
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Erteilung einer Fahrerlaubnis der Klasse B.
Er ist nach seinen Angaben I.Volkszugehöriger und am J.in K./L.geboren. Die
Familie des Klägers hat ihren Angaben zufolge zuletzt in M.gelebt. Zusammen
mit seiner Familie beantragte der Kläger im Jahr 2002 erfolglos die Anerkennung
als Asylberechtigter. Der Kläger wird derzeit im Bundesgebiet geduldet und
verfügt über eine durch die Ausländerbehörde des Beklagten ausgestellte
Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung. Darin heißt es u.a.: "Der
Inhaber genügt mit dieser Bescheinigung nicht der Pass- und Ausweispflicht"
und "Die Personalangaben beruhen auf den eigenen Angaben des Inhabers".
Am 4. Juli 2011 beantragte der Kläger bei dem Beklagten die Erteilung einer
Fahrerlaubnis der Klasse B. Nachdem das Straßenverkehrsamt des Beklagten
sein Ausländeramt um Stellungnahme ersucht hatte, teilte der Beklagte dem
Kläger mit, dass er keine Fahrerlaubnis erhalten könne, weil er keinen
Reisepass besitze und sich nicht ausweisen könne. In der Folgezeit kam es zu
einem Schriftwechsel zwischen dem Kläger und dem Beklagten. Die
Entscheidung über den Antrag wurde zunächst zurückgestellt, um dem Kläger
die Möglichkeit zu geben, einen Reisepass vorzulegen. Mit Bescheid vom 11.
Mai 2012 lehnte der Beklagte schließlich den Antrag des Klägers auf Erteilung
einer Fahrerlaubnis ab. Der Kläger habe die vorgeschriebenen Unterlagen nicht
vollständig eingereicht. Es fehle ein Identitätsnachweis. Damit seien die
Voraussetzungen für die Erteilung einer Fahrerlaubnis nicht gegeben.
Gegen die ihm am 15. Mai 2012 zugestellte Entscheidung hat der Kläger am 22.
Mai 2012 Klage erhoben und trägt zur Begründung vor:
Er habe in der Vergangenheit zur Vorbereitung auf die Fahrerlaubnisprüfung
erhebliche finanzielle Mittel investiert. Er habe auch die notwendigen Nachweise
seiner Identität erbracht. Er sei im Besitz eines Ausweisersatzes, der von dem
Beklagten ausgestellt worden sei. Das Ausweispapier, das er innehabe, sei
geeignet, den Zielvorgaben des § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV zu genügen. Er
habe die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis beantragt. In den Besitz anderer
Identitätspapiere könne er nicht kommen. Seine Bemühungen u.a. bei der
Botschaft der Republik N.seien ohne Erfolg geblieben. Er, der Kläger, benötige
die Fahrerlaubnis für seine Ausbildung.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 11. Mai 2012 aufzuheben und den
Beklagten zu verpflichten, ihn zur Prüfung zuzulassen und nach
bestandener Prüfung eine Fahrerlaubnis zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
Der Kläger habe keinen amtlichen Nachweis über Ort und Tag seiner Geburt im
Sinne von § 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 StVG i. V. m. § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV
erbracht. Er verfüge über keinen der üblichen Nachweise wie eine
Geburtsurkunde, einen Personalausweis oder einen Reisepass. Mit seiner
Bescheinigung über die vorübergehende Aussetzung der Abschiebung genüge
er gerade der Pass- und Ausweispflicht nicht. Diese Bescheinigung erfülle nicht
die Anforderungen des § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV.
Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen
des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakte sowie auf die
beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen. Es hat auch die
Ausländerakte des Beklagten vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
Der Kläger kann nicht verlangen, dass der Beklagte ihn zur
Fahrerlaubnisprüfung zulässt, d.h., dass er die zuständige Technische Prüfstelle
für den Kraftfahrzeugverkehr mit der Prüfung beauftragt und ihr den
vorbereiteten Führerschein übersendet (§ 22 Abs. 4 Fahrerlaubnisverordnung -
FeV-). Er hat auch keinen Anspruch auf Erteilung der Fahrerlaubnis im Falle der
bestandenen Prüfung, weil der Kläger die Voraussetzungen für die Erteilung
einer Fahrerlaubnis nicht erfüllt.
Nach § 2 Abs. 6 Satz 1 Straßenverkehrsgesetz - StVG - i.V. mit § 21 FeV hat
dieser die in § 2 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 StVG genannten personenbezogenen
Daten mitzuteilen und auf Verlangen nachzuweisen. § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1
FeV bestimmt dabei ausdrücklich, dass dem Antrag ein amtlicher Nachweis über
Ort und Tag der Geburt beizufügen ist. Die genannten Vorschriften sollen zum
einen die zuverlässige Feststellung gewährleisten, dass der Bewerber oder die
Bewerberin das für die Erteilung der beantragten Fahrerlaubnis erforderliche
Mindestalter erreicht hat sowie die Feststellung, ob die Fahrerlaubnis ggf. aus
Altersgründen befristet oder ihre Verlängerung von der Erfüllung besonderer
Voraussetzungen abhängig gemacht werden muss. Zum anderen soll § 21 Abs.
3 Satz 1 Nr. 1 FeV die Behörde in die Lage versetzen, die für die Erteilung einer
Fahrerlaubnis entscheidungserheblichen Informationen zutreffend und
vollständig zu ermitteln. Verhindert werden soll, dass die Fahrerlaubnis einer
Person erteilt wird, die bereits eine solche Berechtigung besitzt, sie besessen
hat oder gegen deren Fahreignung Bedenken bestehen. Diese Ziele wären
nicht zu erreichen, wenn das Verfahren zur Erteilung einer Fahrerlaubnis unter
anderen Personalien als denjenigen betrieben werden könnte, unter denen der
Bewerber sonst im Bundesgebiet lebt oder gelebt hat (zum Vorst.: BayVGH,
Beschl. v. 5.11.2009 - 11 C 08.3165 -, juris).
Einen amtlichen Nachweis im Sinne des § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV hat der
Kläger im Rahmen seines Antrages auf Erteilung einer Fahrerlaubnis nicht
vorgelegt. Die Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung nach § 60a
Abs. 4 AufenthG, die dem Kläger durch die Ausländerbehörde des Beklagten
ausgestellt wurde, stellt einen derartigen Nachweis nicht dar. Sie erfüllt zwar die
formellen Kriterien eines amtlichen Nachweises, ihr kommt aber materiell nicht
die notwendige Beweiskraft zu (zu dieser Unterscheidung vgl. BayVGH, Beschl.
v. 5.11.2009 - 11 C 08.3165 -, juris). In der dem Kläger erteilten Bescheinigung
über die Aussetzung der Abschiebung heißt es ausdrücklich, dass die
Personalangaben auf den eigenen Angaben des Inhabers beruhen. Damit sind
die Angaben zur Identität, d.h. auch die zu Tag und Ort der Geburt des Klägers,
von der amtlichen Nachweisfunktion des Dokuments durch die ausstellende
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Behörde ausdrücklich ausgenommen worden. Die sog. Duldungsbescheinigung
des Klägers ist nicht - wie es § 48 Abs. 2 AufenthG ermöglicht - ausdrücklich als
Ausweisersatz bezeichnet und hat deswegen auch nicht aufgrund rechtlicher
Regelungen die Qualität eines Dokuments, das der Identitätsfeststellung dient.
Seine Ausweispflicht nach § 48 AufenthG kann der Kläger damit nicht erfüllen.
Die vorliegende Fallgestaltung ist deswegen nicht vergleichbar mit den Fällen,
die den Entscheidungen der Kammer in den Beschlüssen vom 24. März 2003 (-
1 B 149/03 -, juris) und vom 29. Juli 2004 (- 1 B 1167/04 -, juris) zu Grunde lagen
und bei denen die Bewerber um eine Fahrerlaubnis Inhaber eines
Reiseausweises für Flüchtlinge nach Art. 28 Abs. 1 Satz 1 der Genfer
Flüchtlingskonvention vom 28. Juli 1951 - GFK - bzw. eines Ausweisersatzes
nach § 39 Abs. 1 AuslG waren.
Eine Bescheinigung über die Aussetzung der Abschiebung nach § 60a
AufenthG, die den Vermerk enthält, dass die Personalangaben auf den eigenen
Angaben des Betroffenen beruhen und die nicht ausdrücklich als Ausweisersatz
nach § 48 Abs. 2 AufenthG bezeichnet ist, genügt den Anforderungen des § 21
Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV nach allem nicht (so auch BayVGH, Beschl, v.
26.2.2002 - 11 CE 02.225 - und v. 5.11.2009 - 11 C 08.3165 -; VG
Neustadt/Wstr., Beschl. v. 22.8.2011 - 3 K 613/11.NW - alle zit. nach juris).
Legt der Bewerber oder die Bewerberin um eine Fahrerlaubnis lediglich eine
derartige Bescheinigung vor, kommt es auch mit Rücksicht auf den Sinn und
Zweck der §§ 2 Abs. 6 StVG, 21 FeV nicht darauf an, in welchem Alter er oder
sie in das Bundesgebiet eingereist ist oder welche Feststellungen zur Identität
der Betroffenen ansonsten in der Ausländerakte enthalten sind (a.A. VG
Hannover, Urt. v. 14.9.2011 - 9 A 1640/11 -, juris; VG Weimar, Beschl. v.
15.3.2007 - 2 E 267/07 -, juris). § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV begründet nach
seinem eindeutigen Wortlaut eine Nachweispflicht des Bewerbers, wobei der
Nachweis durch ein amtliches Dokument zu erbringen ist. Das Dokument muss
deswegen geeignet sein, den notwendigen Nachweis formell und materiell aus
sich heraus zu erbringen. Dies schließt eine ergänzende Würdigung des im
Einzelfall vorliegenden ausländerrechtlichen Sachverhaltes im Rahmen der
Prüfung der §§ 2 Abs. 6 StVG, 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV aus. In dem
vorliegenden Fall kommt es insbesondere auch nicht darauf an, inwieweit es
dem Kläger möglich oder zumutbar ist, einen Pass seines Herkunftslandes zu
erlangen. Diese Prüfung bleibt dem ausländerrechtlichen Verfahren vorbehalten,
in dem der Kläger die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis begehrt.
Der Kläger kann sich zuletzt nicht mit Erfolg darauf berufen, dass seinen Eltern
in der Vergangenheit Fahrerlaubnisse erteilt wurden, obwohl sie ebenfalls
lediglich im Besitz von Bescheinigungen über die Aussetzung der Abschiebung
gewesen seien. Eine rechtliche Bindung folgt hieraus für den Beklagten nicht,
denn im Hinblick auf die Frage, ob die Voraussetzungen des § 21 Abs. 3 Satz 1
Nr. 1 FeV erfüllt sind, ist dem Beklagten kein Ermessensspielraum eröffnet.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über
die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711
ZPO.
Die Kammer hat die Berufung wegen grundsätzlicher Bedeutung der hier
maßgeblichen Rechtsfragen zur Auslegung des § 21 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 FeV
zugelassen (§§ 124a Abs. 1, 124 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3 VwGO).