Urteil des VG Braunschweig vom 14.01.2014

VG Braunschweig: physik, klausur, religion, oberstufe, zeugnis, musik, versetzung, eltern, trennung, tod

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Anforderungen an ärztliche Atteste, die nachträglich
eine Prüfungsunfähigkeit belegen sollen
1. Unverzüglich ist ein nachträglicher Rücktritt von einer (erbrachten)
Prüfungsleistung nur, wenn er geltend gemacht wird, sobald die Zweifel an
der Prüfungsunfähigkeit entstehen.
2. Ein ärztliches Attest, das eine unerkannte Prüfungsunfähigkeit
bescheinigt, muss die festgestellten Tatsachen ausweisen, aus denen sich
sowohl die Prüfungsunfähigkeit zum Zeitpunkt des Ablegens der Prüfung,
als auch die nicht mögliche Erkenntnis der Erkrankung zu diesem Zeitpunkt
ergibt.
VG Osnabrück 1. Kammer, Urteil vom 14.01.2014, 1 A 252/13
§ 4 AllgSchulVersV ND, § 59 SchulG ND, § 9 GymOStV ND
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu
vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit
in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin wendet sich gegen die Nichtversetzung in die Qualifikationsstufe
der gymnasialen Oberstufe und die Benotungen, die dieser Entscheidung
zugrunde liegen.
Die E. geborene Klägerin besuchte im Schuljahr 2012/2013 nach vorheriger
Wiederholung erneut die Klasse 10 des Gymnasiums „F.“ in Osnabrück. Im
Zeugnis vom 26.06.2013 erhielt sie folgende Noten:
Deutsch
4
Englisch
4
Französisch
4
Kunst
4
Musik
5
Geschichte
4
4
5
6
7
Erdkunde
4
Politik
4
Evangelische Religion 5
Mathematik
4
Biologie
4
Chemie
4
Physik
5
Sport
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Auf Beschluss der Klassenkonferenz vom 13.06.2013 wurde sie nicht in die
Qualifikationsphase versetzt. Auf die Gefährdung dieser Versetzung und des
Erwerbs des erweiterten Sekundarabschlusses I war die Klägerin im
Halbjahreszeugnis vom 24.01.2013 hingewiesen worden. Gleichwohl erlaubte
die Klassenkonferenz der Klägerin mit 2/3-Mehrheit erneut, also zum dritten
Mal, die 10. Klasse zu wiederholen. Gegen die Entscheidung im Zeugnis vom
26.06.2013 ließ die Klägerin - nunmehr anwaltlich vertreten - unter dem 16.,
eingegangen beim Beklagten am 22.07.2013, Widerspruch einlegen, den sie
unter dem 07.08.2013 begründete. Im Wesentlichen machte sie geltend, im
Fach Französisch sei die Note „ausreichend“ nicht gerechtfertigt. Im Fach
Kunst sei eine im zweiten Halbjahr von ihr zu fertigende Arbeit mit der Note
„gut“ bewertet worden, das Fach hätte also insgesamt mit „befriedigend“
bewertet werden müssen und im Fach Physik habe die Klägerin zu Unrecht
ein „mangelhaft“ erhalten. Im ersten Halbjahr seien ihre Leistungen in diesem
Fach mit „befriedigend“ bewertet worden. Die erste Klausur im zweiten
Schulhalbjahr habe sie aus gesundheitlichen Gründen nicht mitschreiben
können. Die in der Wiederholungsklausur gezeigten Leistungen seien mit
„ungenügend“ bewertet worden. An dieser habe sie nicht erfolgreich
teilnehmen können, weil sich die Trennung ihrer Eltern und darüber hinaus der
Tod ihres Großvaters sehr belastend auf sie ausgewirkt habe. Dies werde
durch ein ärztliches Attest vom 10.06.2013 belegt, dem zu entnehmen sei,
dass die Klägerin am 08.06.2013, dem Tag der Nachschreibeklausur,
außerstande gewesen sei, die Klausur nachzuschreiben. Daher habe auch die
Bewertung dieser Klausur mit „ungenügend“ bei der Notenfindung nicht
berücksichtigt werden dürfen.
Die Note im Fach Religion sei vergeben worden, obwohl ihr angeboten worden
war, ein Referat zum Ausgleich der bislang erbrachten Leistungen halten zu
können. Dies habe sie krankheitsbedingt nicht an dem dafür vorgesehenen
Tag gehalten, es aber ihrer Religionslehrerin zukommen lassen. Auch diese
Leistung habe bei der Notenvergabe keine Berücksichtigung gefunden.
Die Bewertung der Leistungen im Fach Musik mit „mangelhaft“ wurden nicht
angegriffen.
Insgesamt habe die unglaublich belastende Familiensituation in die
Beurteilung einbezogen werden müssen. Dies würde die Prognose
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rechtfertigen, dass künftig zu erwarten sei, dass sie den Anforderungen der
nächsthöheren Klasse gewachsen wäre.
Im Rahmen der Abhilfeprüfung hörte die Schule die Fachlehrer, die die
angegriffenen Schuljahresnoten erteilt haben, an. Wegen der Einzelheiten des
Protokolls der Abhilfeprüfung vom 08.08.2013 und der Stellungnahmen der
betroffenen Lehrkräfte wird auf Blatt 30, insbesondere Blatt 33 ff., Bezug
genommen. Die Klassenkonferenz beschloss, dem Widerspruch nicht
abzuhelfen.
Die Niedersächsische Landesschulbehörde wies den Widerspruch mit
Bescheid vom 01.10.2013, zugestellt am 07.10.2013, ab. Dabei erklärte sie
sich allerdings bereit, die Note im Fach Französisch bei Vorlage des
Zeugnisses im Original von „ausreichend“ auf „befriedigend“ heraufzusetzen.
Diese Notwendigkeit habe sich aus einer schulfachlichen Prüfung aufgrund
der Leistungssteigerung im zweiten Halbjahr als berechtigt erwiesen. Wegen
der Noten „mangelhaft“ in den Fächern Religion, Physik und Musik, hinsichtlich
derer sich keine Veränderung ergeben habe, sei eine andere Entscheidung
als die Nichtversetzung der Klägerin in die Qualifikationsphase der
gymnasialen Oberstufe nicht möglich gewesen. Eine geltend gemachte
notenunabhängige Versetzung im Wege einer Ermessensentscheidung sei
rechtlich nicht möglich.
Mit ihrer am 29.10.2013 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Begehren
weiter und wiederholt und vertieft zur Begründung ihr Vorbringen aus dem
Widerspruchsverfahren. Dabei rügt sie insbesondere die Notenvergabe im
Fach Physik. Für die erste der beiden im zweiten Schulhalbjahr geschriebenen
Klausuren habe sie ein ärztliches Attest vorgelegt und diese Arbeit nicht
mitgeschrieben. Den Nachschreibetermin am 08.06.2013 habe sie
wahrgenommen, sei jedoch an diesem Tag krank gewesen und habe sich
trotz ihrer Krankheit zur Klausuranfertigung begeben. Unmittelbar nach der
Klausur habe sie sich aufgrund ihrer körperlichen sowie psychischen
Beeinträchtigungen, die auf der Trennung der Eltern und der damit
einhergehenden gravierenden belastenden Folgen beruhe, unverzüglich zu
dem sie behandelnden Arzt, Herr Dr. G., begeben. Dieser habe festgestellt,
dass die Klägerin krankheitsbedingt außerstande gewesen sei, an dem
08.06.2013 eine Klausur zu fertigen. Dieser Umstand hätte berücksichtigt
werden müssen, weshalb die strittige Physiknote nicht in der Weise hätte
gefunden werden dürfen, dass die Notenvergabe „ungenügend“ für die von der
Klägerin erstellte Klausur hätte berücksichtigt werden dürfen. Der Beklagten
sei bekannt gewesen, dass die Klägerin aufgrund der traumatischen Trennung
ihrer Eltern sowie dem Tod des Großvaters unter gravierenden körperlichen
und psychischen Beeinträchtigungen gelitten habe. Gerade deshalb habe ihr
ein weiterer Nachschreibetermin angeboten werden müssen. Da es sich beim
08.06.2013 um einen Samstag gehandelt habe, habe die Klägerin
selbstverständlich nicht am selben Tag die ärztliche Stellungnahme gegenüber
der Lehrkraft abgeben können. Insofern sei durch Übersendung der ärztlichen
Stellungnahme am 10.06.2013 den Anforderungen an die Unverzüglichkeit der
Übermittlung einer entsprechenden Bescheinigung Genüge getan.
Die Klägerin beantragt,
1. das beklagte Gymnasium unter Aufhebung des Zeugnisses vom
26.06.2013 in Gestalt des Widerspruchsbescheides der
Landesschulbehörde vom 01.10.2013 zu verpflichten, sie in die
Qualifikationsphase zu versetzen,
2. die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren für
notwendig zu erklären.
Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt die Notenfindung und weist darauf hin, dass es sich um nicht
ausreichende Leistungen in drei Fächern handele, was einen Ausgleich nicht
zuließe. Im Rahmen der möglichen Überprüfung ergäben sich keine
Anhaltspunkte dafür, dass die Leistungsbewertungen in den Fächern Kunst,
Religion und Physik, deren Ergebnis die Klägerin rüge, rechtsfehlerhaft erfolgt
sei. Die Anhebung der Note im Fach Französisch von „ausreichend“ auf
„befriedigend“ sei im Rahmen der Abhilfeprüfung geboten gewesen, wirke sich
auf die Versetzungsentscheidung aber nicht aus. Da die Klägerin den 10.
Schuljahrgang bereits wiederholt hätte, konnte der Verbleib am Gymnasium
nur mit einer nochmaligen Wiederholung des 10. Schuljahrs im Wege der
Ausnahmegenehmigung nach § 15 Abs. 1 Satz 2 DVVO mit einer 2/3-Mehrheit
der Klassenkonferenz eröffnet werden. Davon habe die Klassenkonferenz
Gebrauch gemacht. Dies sei die einzige Möglichkeit gewesen, den
gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Klägerin während des Schuljahrs
Rechnung zu tragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die
Gerichtsakte in diesem und im Verfahren 1 B 47/13 sowie den
Verwaltungsvorgang der Beklagten Bezug genommen, sie sind in ihren
wesentlichen Bestandteilen Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage, über die der Einzelrichter, § 6 VwGO, entscheiden kann,
bleibt ohne Erfolg.
Gem. § 59 Abs. 2 Satz 3 Niedersächsisches Schulgesetz (NSchG) wird durch
den erfolgreichen Besuch des 10. Schuljahrgangs des Gymnasiums die
Berechtigung erworben, jede Schule im Sekundarbereich II zu besuchen.
Nach § 59 Abs. 4 Satz 1 NSchG kann eine Schülerin oder ein Schüler den
nächsthöheren Schuljahrgang einer Schulform oder eines Schulzweiges erst
besuchen, wenn die Klassenkonferenz entschieden hat, dass von ihr oder ihm
eine erfolgreiche Mitarbeit in diesem Schuljahrgang erwartet werden kann
(Versetzung). Für die bei der vorliegenden Entscheidung im Streit stehende
Versetzung in die Qualifikationsphase der gymnasialen Oberstufe ist nach § 9
Abs. 1 Satz 1 der Verordnung über die gymnasiale Oberstufe vom 17. Februar
2005 (VO-GO) die Durchlässigkeits- und Versetzungsverordnung (vgl.
Verordnung über die Durchlässigkeit sowie über Versetzungen und
Überweisungen an den allgemein bildenden Schulen [Durchlässigkeits- und
Versetzungsverordnung - DVVO -] vom 19. Juni 1995) maßgeblich. Nach
deren § 3 ist der Versetzungsentscheidung das am Ende des Schuljahres
erteilte Zeugnis zugrunde zu legen. § 4 Abs. 2 Nr. 1 DVVO erlaubt den
Ausgleich von mangelhaften Leistungen in zwei Fächern durch befriedigende
Leistungen in zwei Ausgleichsfächern, wenn eine erfolgreiche Mitarbeiter im
höheren Schuljahrgang erwartet werden kann. Ob die Klassenkonferenz von
der Möglichkeit des Ausgleichs Gebrauch macht, steht nach § 4 Abs. 3 Satz 1
DVVO in ihrem pflichtgemäßen Ermessen. Voraussetzung für die eröffnete
Entscheidung der Klassenkonferenz ist nach § 5 die Erfüllung bestimmter
Anforderungen an die Ausgleichsfächer, insbesondere was den Umfang des
wöchentlichen Unterrichts angeht. Bei dieser Versetzungsentscheidung zum
Ende des Schuljahres, mit der der Übergang in die Qualifikationsphase der
gymnasialen Oberstufe verbunden wäre, handelt es sich um eine
pädagogisch-fachliche Prognose, der für sie zuständigen Klassenkonferenz,
§ 35 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 5 NSchG. Hier, wie auch bei der Notenvergabe,
steht den Lehrkräften selbst und auch in ihrer Zusammenführung als
Klassenkonferenz ein der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle entzogener
Bewertungsspielraum zu, der mit der Rechtsstellung von Prüfern und
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Prüfungsgremien im Bereich einer fachlich-wissenschaftlichen Bewertung von
Prüfungsleistungen vergleichbar ist (Nds. OVG, Beschluss vom 20.03.2008
- 2 ME 83/08 -, m.w.N.).
Die Benotung im Fach Französisch ist bei verständiger Würdigung bereits im
Widerspruchsverfahren geändert worden, insoweit harrt es lediglich der
Umsetzung durch den Tausch eines geänderten Zeugnisses.
Die Notenvergabe, die die Klägerin im Übrigen in ihrer
Widerspruchsbegründung und im Klageverfahren angreift, ist aus
Rechtsgründen nicht zu beanstanden: Hinsichtlich der Note im Fach Religion
ist ausweislich der beigezogenen Verwaltungsvorgänge davon auszugehen,
dass sich die Klägerin der Abhaltung des angebotenen Referats nicht gestellt
hat. Sie hat nach der dienstlichen Äußerung der Lehrkraft nach einer
Erkrankung an dem Termin, an dem das Referat gehalten werden sollte,
lediglich zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich dem 06.06.2013 ein
Thesenpapier vorgelegt. Die durch eine ergänzende Leistung eröffnete
Möglichkeit der Notenverbesserung ist dadurch nicht ergriffen worden. Weitere
Angebote oder weitere Ersatztermine sind - möglicherweise anders als bei
einer abzufordernden Pflichtleistung - nicht erforderlich.
Auch die Notenfindung im Fach Physik ist aus Rechtsgründen nicht zu
beanstanden. Der Fachlehrer hat in seinem Vermerk vom 08.08.2013 die
Notenfindung auf der Basis der von der Klägerin erbrachten schulischen
Leistungen dargelegt und nachvollziehbar begründet. Durch den deutlichen
Abfall im Themenbereich des zweiten Halbjahres (Mechanik), in dem die
Klägerin bis auf eine ausreichende Einzelleistung nur noch mangelhafte bis
ungenügende sonstige Leistungen erbracht hat, war der Notensprung von
„befriedigend“ auf „mangelhaft“ nachvollziehbar.
Diese Note erweist sich auch nicht deshalb als fehlerhaft, weil sie das Ergebnis
der Nachschreibeklausur vom 08.06.2013, die mit „ungenügend“ bewertet
worden ist, einbezieht. Will eine Schülerin oder ein Schüler an einer
vorgesehenen Prüfung nicht teilnehmen oder ein Prüfungsergebnis wegen des
Vorliegens von Entschuldigungsgründen nicht gegen sich gelten lassen, muss
sie oder er den Rücktritt von der Prüfung unverzüglich erklären. Dieser aus
§ 20 der Verordnung über die Abschlüsse in der gymnasialen Oberstufe, im
beruflichen Gymnasium, im Abendgymnasium und im Kolleg (AVO-GOBAK)
vom 19. Mai 2005, (Nds. GVBl. 2005, S. 169), ist auf die Teilnahme an
sonstigen schulischen Prüfungen anzuwenden. Unverzüglich im Sinne der
Rücktrittsregelung bedeutet wie im bürgerlichen Recht, dass es auf den
schnellstmöglichen Zeitpunkt ankommt. Dabei muss der Prüfling nicht nur den
Prüfungsrücktritt erklären oder das Versäumnis anzeigen, sondern auch
unverzüglich den Rücktritts- oder Säumnisgrund namentlich mitteilen, damit die
Möglichkeit besteht, den Rücktrittsgrund effektiv nachzuvollziehen (vgl.
Littmann in: Brockmann u.a., NSchG, § 59, Anm. 7.1.4, m.w.N.). Wer also
während einer Prüfung Zweifel an seiner Prüfungsfähigkeit hat, muss dies
während der Prüfung anzeigen und die Prüfung gegebenenfalls dann
abbrechen. Nun ist es auch möglich, dass der Prüfling aufgrund seiner
Erkrankung nicht in der Lage war, seine Prüfungsunfähigkeit während der
Ablegung der Prüfung zu erkennen. In diesem Falle zeigt er seine
Prüfungsunfähigkeit dann noch unverzüglich an, wenn er diesen Umstand -
also sowohl die Prüfungsunfähigkeit als auch die Unfähigkeit diese während
der Ablegung der Prüfung zu erkennen - unverzüglich nachweist, also zu dem
frühest möglichen Zeitpunkt, zu dem ihm diese Erkenntnis möglich gewesen
ist. Für diesen Fall der unverzüglichen Geltendmachung einer
krankheitsbedingten Prüfungsunfähigkeit sind indes strenge Maßstäbe
anzulegen, um bei nachträglichen Prüfungsrücktritten die innenwohnende
Missbrauchsgefahr und die Ausübung des Rücktrittsrechts mit dem Ziel der
Verbesserung der Prüfungschancen gegenüber anderen Prüfungsteilnehmern
zu reduzieren (OVG NRW, Beschluss vom 07.11.2012 - 14 A 2325/11 -, juris,
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Rdnr. 4, m.w.N. auch auf die ältere bundesverwaltungsgerichtliche
Rechtsprechung). Dabei gilt es nämlich im Blick zu behalten, dass die
veränderten Bedingungen, die Schaffung einer weiteren Möglichkeit, die
geforderte Leistung zu erbringen, die Prüfungschance im Verhältnis zu den
Mitbewerbern verschöbe, den wiederholenden Prüfling eine Chance mehr
einräumte, als den anderen zusteht. In einem solchen Fall nachträglich
erkannter Prüfungsunfähigkeit sind deshalb an die ärztliche Bescheinigung,
mit der eine Erkrankung diagnostiziert wird, die dazu geführt haben soll, dass
der Prüfling seinen Rücktritt nicht unverzüglich habe erklären können,
besondere Anforderungen zu stellen. Es müssen in diesem Falle jedenfalls
konkrete ärztlich festgestellte Tatsachen bekundet werden, aus denen
nachvollziehbar auf eine derart starke Beeinträchtigung des Prüflings
geschlossen werden kann und nachvollziehbar wird, dass er zudem nicht in
der Lage gewesen ist, die eigenen Prüfungsunfähigkeit vor oder während des
Erbringens der Prüfungsleistung zu erkennen. Hingegen stellt die Würdigung,
ob es dem Prüfling zumutbar war, den Prüfungsrücktritt zu erklären, eine
Rechtsfrage dar, deren Beantwortung dem Arzt nicht zusteht (vgl. OVG NRW,
Beschluss vom 07.11.2012, juris, Rdnr. 16, m.w.N.). Vor der hier fraglichen
Nachschreibeklausur im Fach Physik am 08.06.2013 hatte die Klägerin mit
Datum vom 06.06.2013 ein ärztliches Attest vorgelegt, nach dem sie aus
medizinischen Gründen, die zu einer seelischen Krise geführt haben
(Trennung der Eltern und Tod des Großvaters, welche eine enge
Bezugsperson für sie gewesen sei), „nur bedingt am Schulunterricht
teilnehmen“ könne. Dieses Attest lässt mithin nicht die Anzeige einer
Prüfungsunfähigkeit am 08.06.2013 erkennen. Mit weiterem Attest vom
10.06.2013 wurde eine Erkrankung der Klägerin nicht diagnostiziert. In diesem
Attest, das am Montag nach dem Nachschreibetermin erstellt wurde, heißt es
nur: „O.g. Patient sollte aus gesundheitlichen Gründen am Samstag,
08.06.2013, nicht am Nachschreibetermin teilnehmen“. Weder lässt es für sich
betrachtet eine Diagnose erkennen, die den Rückschluss auf die Unfähigkeit
zum Erkennen der Prüfungsunfähigkeit in der Prüfungssituation zuließe, noch
begründet es, warum die Klägerin am 08.06.2013 nicht in der Lage gewesen
sein sollte, ihre Prüfungsunfähigkeit vor dem Ablegen der Prüfungsleistung
oder während der Anfertigung der Nachschreibeklausur zu erkennen. Die
Berücksichtigung dieser Leistung im Rahmen der Notenfindung für das Fach
Physik ist deshalb aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden.
Da gegen die Note im Fach Musik keine Einwendungen im
Widerspruchsverfahren erhoben worden sind und die übrigen Noten im
Rahmen der Abhilfeprüfung durch die Fachlehrer nachgeprüft worden sind,
verbleibt es bei mangelhaften Leistungen im Zeugnis vom 26.06.2013 in den
Fächern Musik, Religion und Physik. Bei drei mangelhaften Leistungen ist ein
Ausgleich auch durch dem Grunde nach ausgleichsfähige Fächer im Sinne
von § 5 Abs. 1 DVVO nach § 4 Abs. 2 Nr. 1 DVVO nicht vorgesehen. Nur wenn
mangelhafte Leistungen in lediglich zwei und nicht drei Fächern vorgelegen
hätten, wäre die Klassenkonferenz befugt gewesen, nach pflichtgemäßer
Beurteilung die unter pädagogischen und fachlichen Gesichtspunkten
wesentlichen Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, § 4 Abs. 3 DVVO.
Erst dabei hätten außergewöhnliche Bedingungen, wie ungünstige häusliche
Verhältnisse oder längere Krankheit, berücksichtigt werden dürfen, Ziffer 3 zu §
4 der Ergänzenden Bestimmungen zur Durchlässigkeits- und
Versetzungsverordnung –EB-DVVO- vom 10.05.2012 (SVBl 2012, S 357 mit
Berichtigung S. 463). Unabhängig von der durch die erst nach Änderung der
Noten überhaupt erst eröffneten Prognose über den erfolgreichen
Schulbesuch im nächsten Schuljahrgang war daher die Entscheidung über die
Nichtversetzung in den nächsten Schuljahrgang und damit zugleich in die
Qualifikationsstufe des Gymnasiums im Zeugnis vom 26.06.2013 und im
Widerspruchsbescheid vom 01.10.2013 nicht zu beanstanden.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf § 154 Abs. 1 VwGO bzw. § 167 VwGO
26
i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Berufung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 4 i.V.m. § 124a
Abs. 1 Satz 1 VwGO) liegen nicht vor.