Urteil des VG Braunschweig vom 16.04.2013

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Aufhebung bzw. Beibehaltung einer
Radwegebenutzungspflicht - Kriterien für die
Ermessensbetätigung der Straßenverkehrsbehörde
1. Ob gegenüber der Straßenverkehrsbehörde ein Anspruch auf Aufhebung
einer durch die Verkehrszeichen Nr. 237, 240 oder 241 der Anlage 2 zu § 41
Abs. 1 StVO angeordneten Radwegebenutzungspflicht besteht, beurteilt sich
nach dem Maßstab des § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO i.V.m. § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO.
2. Besteht aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage
im Sinne des § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO, hat die Straßenverkehrsbehörde einen
Ermessensspielraum, wie sie die verkehrliche Konfliktlage bewältigt.
3. Kriterien für die Ermessensentscheidung der Straßenverkehrsbehörde.
VG Braunschweig 6. Kammer, Urteil vom 16.04.2013, 6 A 64/11
§ 244 Abs 3 S 1 StPO, § 45 Abs 1 StVO, § 45 Abs 9 S 2 StVO, § 114 VwGO
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht auf der
gesamten Strecke des Altewiekrings sowie des Hagenrings im Stadtgebiet der
Beklagten.
Der Altewiekring bzw. der Hagenring sind im Stadtzentrum der Beklagten
gelegene Bundesstraßen (B 1 / B 4 / B 248) mit in jeder Fahrtrichtung
mindestens zwei Fahrspuren und einer Fahrbahnbreite von insgesamt jeweils
circa 7 Metern pro Fahrtrichtung. Der Altewiekring und der Hagenring gehen
ineinander über und haben zusammen eine Länge von circa 1,9 Kilometern.
Ausweislich der Verkehrsmengenkarte der Beklagten mit Bearbeitungsstand
vom Juni 2009 (Anlage 2 zum Schreiben der Beklagten vom 31. Oktober 2012)
betrug die durchschnittliche Verkehrsbelastung im Werktagsverkehr zwischen
29.200 Kfz täglich im südlichen Bereich zwischen der Leonhardstraße und der
Helmstedter Straße und bis zu 38.200 Kfz täglich nördlich der Gliesmaroder
Straße. Die werktägliche Spitzenbelastung betrug nach der Verkehrszählung der
Beklagten aus dem Jahr 2009 im südlichen Teilstück zwischen der
Leonhardstraße und der Helmstedter Straße circa 2.550 Kfz pro Stunde, in dem
sich unmittelbar anschließenden Teilstück nördlich der Helmstedter Straße circa
2.750 Kfz pro Stunde (Bl. 91 f. GA). Die Auswertung von auf dem Altewiekring
zwischen den Einmündungen Fasanenstraße und Berg- bzw. Rankestraße
installierten Verkehrsmessstellen ergab für jeweils zwei Dienstage im Oktober,
November und Dezember 2012 für die werktägliche Spitzenstunde Belastungen
zwischen 1.963 bis 2.295 Kfz pro Stunde (vgl. Beiakte G).
Parallel zur Fahrbahn verlaufen auf dem Hochbord in beiden Richtungen Rad-
und Fußwege. Die Wege sind – vermutlich seit Jahrzehnten – durch das
Verkehrszeichen 241 als benutzungspflichtig ausgewiesen. Unterlagen über
das erstmalige Anordnen der Benutzungspflicht sind bei der Beklagten nicht
(mehr) vorhanden.
In weiten Teilen des Altewiek- und des Hagenrings liegen zwischen der
Fahrbahn und dem Radweg parallel zur Fahrbahn Parkbuchten für Kfz. Hieran
schließt sich, durch einen Bordstein getrennt, zunächst der Rad- und
anschließend der Gehweg an. Zwischen Fahrbahn bzw. Parkbucht und Radweg
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liegt teilweise ein Sicherheitstrennstreifen. Der Sicherheitstrennstreifen verläuft
höhengleich zum Radweg. Er hat – deutlich erkennbar – einen anderen Belag
als der Radweg. In ihn sind feste Einbauten aufgenommen (vgl. Foto Ü1, Ü5 der
Beiakte D). Zum Teil sind die Fahrbahn bzw. die Parkbuchten und der Radweg
durch einen Grünstreifen voneinander getrennt (vgl. Ü4 der Beiakte D).
Schließlich finden sich Abschnitte, in denen der Radweg und die Fahrbahn bzw.
die Parkbuchten nur durch Kantsteine voneinander abgegrenzt sind (vgl. Ü2 der
Beiakte D).
In der Regel sind der Rad- und der Gehweg durch einen zwischenliegenden
Begrenzungsstreifen voneinander getrennt. Der Begrenzungsstreifen verläuft
höhengleich zum Rad- und Gehweg und unterscheidet sich von diesen durch
seine Farbe und häufig durch den Belag. Überwiegend schließt der
Begrenzungsstreifen zum Radweg hin durch einen schmalen Trennstein mit
allenfalls geringfügiger Höhe ab (vgl. Bilder 2 ff. der Beiakte D). Der
Begrenzungsstreifen hat überwiegend eine Breite einschließlich des Trennsteins
von circa 40 Zentimetern (vgl. Bild 6 der Beiakte D), ist teilweise, insbesondere,
wenn kein Trennstein verbaut ist (vgl. Bild 10 Beiakte D), auch schmaler,
teilweise breiter bis zu circa 50 Zentimetern (vgl. Bild 2 der Beiakte D). An
manchen Stellen sind Rad- und Fußweg nicht durch einen Begrenzungsstreifen
voneinander getrennt (vgl. Bild 1 der Beiakte D).
Die Beklagte und der Kläger haben jeweils die Breiten der vorhandenen Rad-
und Gehwege gemessen und die Messungen durch Fotos umfangreich
dokumentiert (vgl. Beiakten D und F). Hinsichtlich der Angaben zu den
gemessenen Breiten besteht zwischen den Beteiligten Einigkeit; insbesondere
hat die Beklagte die Messergebnisse des Klägers anerkannt (vgl. Bl. 120 der
Gerichtsakte). Die Beteiligten sind jedoch unterschiedlicher Auffassung darüber,
ob und ggf. inwieweit neben der reinen Verkehrsfläche weitere Flächen,
insbesondere Begrenzungsstreifen zum Radweg und Sicherheitsräume in
Richtung Fahrbahn, in der „lichten Breite“ des Radweges zu berücksichtigen
sind. Nach den Messergebnissen liegt die Breite der reinen Verkehrsfläche der
Radwege überwiegend im Bereich zwischen circa 135 bis 175 Zentimeter.
Soweit Sicherheitsräume zur Fahrbahn bzw. zu den Parkbuchten vorhanden
sind, beträgt deren Breite in der Regel circa 20 bis 50 Zentimeter. An insgesamt
sieben Abschnitten, die sich insbesondere im Bereich von Bushaltestellen
befinden, beträgt die Breite der Verkehrsfläche des Radweges zzgl.
vorhandener Sicherheitsräume in Richtung Fahrbahn sowie vorhandener
Begrenzungsstreifen zum Gehweg weniger als 150, aber mehr als 100
Zentimeter (vgl. S. 29, 30, 36, 41 f., 45, 48, 62 der Beiakte F bzw. Bilder Nr. 1, 3,
4, 17 der Beiakte D). Diese Passagen sind zwischen 25 und 55 Metern lang (vgl.
Bl. 85 der Gerichtsakte). Wegen der Einzelheiten der Messergebnisse wird auf
die Beiakten D und F sowie Bl. 98 ff. der Gerichtsakte verwiesen.
Der Kläger wohnt im Stadtgebiet der Beklagten in der Nähe des Altewiekrings
und des Hagenrings. Mit Schreiben vom 17. September 2010 an die Beklagte
beantragte der Kläger, die auf der gesamten Strecke des Altewiek- sowie des
Hagenrings durch das Verkehrszeichen 241 beiderseits angeordnete
Radwegebenutzungspflicht aufzuheben.
Mit Bescheid vom 29. November 2010 – zur Post gegeben am 9. Februar 2011
– lehnte die Beklagte den Antrag ab und begründete dies im Wesentlichen wie
folgt:
Nach Überprüfung der verkehrlichen Gegebenheiten sei die mit
Verkehrszeichen Nr. 241 angeordnete Radwegebenutzungspflicht
aufrechtzuerhalten. Nach § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO seien Verkehrszeichen und
Verkehrseinrichtungen nur dort anzuordnen, wo dies aufgrund der besonderen
Umstände zwingend geboten sei. Besondere Umstände könnten sich aufgrund
verkehrlicher Erfordernisse ergeben. In dem fraglichen Bereich sei mit circa
30.000 bis 38.000 Pkw täglich eine extrem hohe Kfz-Belastung festzustellen. Ein
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nicht unerheblicher Anteil hiervon sei Schwerlast- bzw. Busverkehr. Nach der
Verwaltungsvorschrift zu § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO (im Folgenden: VwV-StVO),
dort II. Nr. 2 Buchst. a) cc), solle als Voraussetzung für die Anordnung einer
Radwegebenutzungspflicht die lichte Breite, d.h. der befestigte Verkehrsraum
zuzüglich des Sicherheitsraumes, in der Regel durchgehend mindestens 1,50
Meter betragen. Hierbei handele es sich nicht um eine starre Mindestvorgabe.
Punktuelle Unterschreitungen der Regelbreite seien hinzunehmen. Zur Breite
des eigentlichen Radweges seien hierbei die Breiten der Sicherheitsräume zu
addieren. Der streitgegenständliche Radweg weise hiernach im Bereich von
Bushaltestellen nur wenige Abschnitte mit einer lichten Breite von weniger als
1,50 Metern auf. Die lichte Breite liege dort jedenfalls über einem Meter. Sie
habe die Gefahren, die sich bei einem Befahren der Fahrbahn für Radfahrer
ergäben, mit den Gefahren, die für Radfahrer aus dem Befahren des im weitaus
überwiegenden Teil den Anforderungen an die Breite genügenden Radweges
resultieren, gegeneinander abgewogen und halte die
Radwegebenutzungspflicht aufrecht.
Hiergegen hat der Kläger am 9. März 2011 Klage erhoben, die er im
Wesentlichen wie folgt begründet:
Als Radfahrer benutze er des Öfteren die Radwege entlang des Hagen- und des
Altewiekrings. Die durch die Verkehrszeichen Nr. 241 angeordnete Pflicht, diese
zu befahren, sei rechtswidrig und verletze ihn in seinen Rechten.
Es sei bereits fraglich, ob die Benutzungspflicht überhaupt wirksam angeordnet
sei. Der Verwaltungsvorgang der Beklagten enthalte keine Unterlagen über das
erstmalige Anordnen der Radwegebenutzungspflicht. Weil deswegen davon
auszugehen sei, dass die Verkehrszeichen vor der Änderung der
Straßenverkehrs-Ordnung im Jahr 1997 aufgestellt worden sind, zu einem
Zeitpunkt, als bereits kraft gesetzlicher Regelung die Verpflichtung bestanden
habe, vorhandene Radwege zu benutzen, hätten sie zu diesem Zeitpunkt nur
einen deklaratorischen Inhalt gehabt. Somit sei mit den Verkehrszeichen von
Anfang an keine Regelungswirkung bezweckt gewesen; eine Regelungswirkung
hätten sie deswegen auch nicht nachträglich, im Zuge der Änderung der
Straßenverkehrs-Ordnung im Jahr 1997, erhalten. Es handele sich seiner
Ansicht nach nur um „Schein-Verwaltungsakte“.
Die Entscheidung der Beklagten, die Radwegebenutzungspflicht anzuordnen
bzw. aufrechtzuerhalten, sei rechtswidrig. § 45 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 9 Satz 2
StVO setze für die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht eine
Gefahrenlage voraus, die auf die besonderen örtlichen Verhältnisse
zurückzuführen sei und das allgemeine Verkehrsrisiko erheblich übersteige. Die
Entscheidung über das Vorliegen der Voraussetzungen setze eine sorgfältige
einzelfallbezogene Prüfung der Verkehrssituation voraus. Dies habe die
Beklagte unterlassen. In ihrem Verwaltungsvorgang fänden sich keine Belege
für eine systematische Überprüfung der Verkehrssituation.
Die von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO geforderte besondere Gefahrenlage sei nicht
gegeben. Bei dem Altewiekring und dem Hagenring handele es sich um ganz
gewöhnliche innerstädtische Straßen ohne erkennbare Besonderheiten. Die
Beklagte verweise insofern zu Unrecht auf eine Verkehrsbelastung mit circa
30.000 bis 38.000 Kfz täglich sowie auf den Umstand, dass es sich um
Bundesstraßen mit hoher Verkehrsbedeutung handele. Denn eine hohe
Verkehrsbelastung und eine überörtliche Verkehrsbedeutung seien keine
Umstände, die als solche eine Gefahr im Sinne des § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO
begründeten. Nach den Ergebnissen der Unfallforschung bringe die Aufhebung
von Radwegebenutzungspflichten innerorts jedenfalls auf Straßen mit einer
Verkehrsbelastung mit bis zu 50.000 Kfz/täglich Sicherheitsvorteile gegenüber
deren Beibehaltung.
Die Anordnung, die Radwege am Altewiek- und am Hagenring benutzen zu
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müssen, sei des Weiteren deshalb rechtswidrig, weil diese Radwege nicht
hinreichend breit seien. Schon nach Rn. 21 der VwV-StVO sei eine
Radwegbreite von mindestens 1,50 Meter erforderlich. Entgegen der
Einschätzung der Beklagten handele es sich insoweit nicht bloß um eine
unverbindliche Empfehlung, sondern um zwingendes Recht. Dieses
Mindestmaß von 1,50 Metern gelte zudem nur für geringste
Radverkehrsaufkommen. Auf den in Rede stehenden Radwegen sei aber ein
hohes Radverkehrsaufkommen festzustellen. Hiervon gehe auch die Beklagte
aus, die den Radverkehr dort als „bedeutend“ mit einigen 10.000 Radfahrern pro
Jahr bewerte. Diese Einschätzung sei plausibel, zumal der Anteil des
Radverkehrs am gesamten Verkehrsaufkommen mit mehr als 20 Prozent in
Braunschweig überdurchschnittlich hoch sei. Erforderlich seien deswegen
bereits nach den Vorgaben der VwV-StVO Radwegebreiten, die über das
Mindestmaß von 1,50 Metern hinausgingen.
Unabhängig hiervon seien die Vorgaben der VwV-StVO zu den erforderlichen
Radwegebreiten von denjenigen der „Empfehlungen für Radverkehrsanlagen“
der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen (FGSV) (Ausgabe
2010; im Folgenden: ERA 2010) abgelöst. Kraft dynamischer Verweisung in Rn.
13 der VwV-StVO habe der Gesetzgeber die Vorgaben der ERA 2010 zu
geltendem Recht erklärt. Sie seien zudem als Stand der Technik und
wissenschaftlichen Erkenntnis maßgeblich. Hiernach betrage das
Mindestregelmaß bereits für die reine Verkehrsfläche 2,00 Meter Breite und nur
bei geringer Radverkehrsstärke 1,60 Meter. Dass die Vorgaben der VwV-StVO
nicht länger beachtlich seien, folge auch daraus, dass sie sich ausdrücklich (Rn.
23) nur auf einspurige Fahrräder bezögen. Nach der StVZO dürften Fahrräder
und Radanhänger aber bis zu 1 Meter breit sein. Derart breite Fahrräder bzw.
Gespanne seien heutzutage nicht mehr ungewöhnlich. Die hierfür benötigten
Radwegebreiten seien nur in den Vorgaben der ERA 2010 berücksichtigt.
Die Radwege am Altewiek- und am Hagenring wiesen die hiernach
erforderlichen Breiten regelmäßig nicht auf. Es sei insoweit die reine
Verkehrsfläche der Radwege zu betrachten. Auch wenn die VwV-StVO – anders
als die ERA 2010 – auf die lichte Breite der Radwege abstellte, sei es nach dem
Sinn und Zweck ausgeschlossen, dass insoweit nicht überfahrbare Flächen wie
Kant- und Begrenzungssteine zur Fahrbahn berücksichtigt würden. Vorhandene
Sicherheitstrennstreifen könnten nur dann berücksichtigt werden, wenn sie die
nach den ERA 2010 erforderlichen Breiten aufwiesen. Dies sei bei den
Radwegen am Altewiek- und am Hagenring regelmäßig nicht der Fall. Die
Begrenzungsstreifen zum Gehweg seien nach Nr. 11.1.5 der ERA 2010 (S. 78)
ausschließlich in der lichten Breite des Gehwegs zu berücksichtigen. Die
Beklagte berücksichtige sie deswegen zu Unrecht in der lichten Breite der
Radwege.
Selbst nach den Messungen der Beklagten gebe es mehrere Stellen,
beispielsweise aber nicht nur im Bereich der Bushaltestellen, an denen die lichte
Breite des Radweges 1,50 Meter unterschreite. Zu Unrecht berufe sich die
Beklagte insoweit auf Ausnahmetatbestände nach der VwV-StVO (dort Rn. 22).
Die dort genannten Voraussetzungen seien nicht gegeben. Bei den
Bushaltestellen handele es sich nicht um kurze Engstellen i.S.d. VwV-StVO, die
Beklagte habe die verkehrliche Situation nicht sorgfältig überprüft, das
Festhalten an der Radwegebenutzungspflicht sei nicht erforderlich und auch die
Verkehrssicherheit sei nicht gewahrt, weil die Bushaltestellen nicht den
Vorgaben der ERA 2010 entsprächen. Selbst wenn die
Radwegebenutzungspflicht nur an diesen Passagen zu Unrecht angeordnet sei,
müsse sie wegen des Erfordernisses einer stetigen Führung des Radweges
(Rn. 25 der VwV-StVO) in der gesamten Länge des Altewiek- und des
Hagenrings aufgehoben werden.
Die Radwegebenutzungspflicht sei auch rechtswidrig, weil die Radwege nicht
hinreichend breite Sicherheitsräume zu angrenzenden Verkehrsflächen
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aufwiesen. Nach der Tabelle 9 (S. 25) der ERA 2010 sei vom Fahrbahnrand ein
Sicherheitstrennstreifen von mindestens 50 Zentimetern Breite erforderlich, von
parkenden Fahrzeugen in Längsaufstellung (wie dies am Altewiek- und am
Hagenring häufig der Fall sei) von mindestens 75 Zentimetern und von
Einbauten und sonstigen Hindernissen von mindestens 25 Zentimetern. Weil
diese Sicherheitsräume bei den Radwegen am Altewiek- und am Hagenring nur
unzureichend vorhanden seien, seien die Radwege nicht sicher und dürfe eine
Radwegebenutzungspflicht für diese nicht angeordnet werden. Ein hinreichend
breiter Sicherheitsraum bzw. eine Hindernisfreiheit auf dem Radweg seien –
auch nach Rn. 17 der VwV-StVO – absolute Mindestvoraussetzungen eines
Radwegs, dessen Benutzung verpflichtend vorgeschrieben werde.
Die Beklagte habe ermessensfehlerhaft gehandelt, weil sie in ihrer Entscheidung
im Wesentlichen nur das Verkehrsaufkommen auf der Fahrbahn und die Breiten
der Radwege berücksichtigt, zahlreiche weitere nach der VwVO-StVO sowie
den Vorgaben der ERA 2010 relevante Kriterien jedoch unberücksichtigt
gelassen habe. So habe die Beklagte beispielsweise nicht berücksichtigt, dass
die neben den Radwegen gelegenen Gehwege nicht die erforderlichen Breiten
aufwiesen. Maßgeblich seien insoweit die Vorgaben der Empfehlungen für
Fußgängeranlagen der FGSV aus dem Jahr 2002 (im Folgenden: EFA 2002),
auf die die ERA 2010 verwiesen. Hiernach müssten die Gehwege Breiten von
mindestens 6,50 Meter haben, tatsächlich seien es aber oftmals nur 2 Meter.
Ermessensfehlerhaft sei es auch, dass die Beklagte sich zur Begründung der
Radwegebenutzungspflicht darauf berufe, dass es viele Knotenpunkte und
Einmündungen bzw. Abzweigungen gebe. In der Unfallforschung sei anerkannt,
dass gerade diese Umstände die Risiken des Radfahrens auf gesondert
geführten Radwegen gegenüber dem Fahren auf der Fahrbahn erhöhten. Dies
komme auch in Rn. 26 der VwV-StVO zum Ausdruck.
Die vorhandenen Radwege entsprächen hinsichtlich weiterer Gesichtspunkte
nicht den Vorgaben der ERA 2010, weswegen ihre Benutzung nicht
verpflichtend vorgeschrieben werde könne. So seien beispielsweise die
Mittelinseln regelmäßig zu kurz. Nach Nr. 2.2.5 der ERA 2010 (S. 18) solle eine
Aufstellfläche regelmäßig mindestens 3 Meter lang sein und soll ihre Länge
jedenfalls 2,50 Meter nicht unterschreiten. Die vorhandenen Mittelinseln seien
oftmals kürzer als 2 Meter. Die Einlassung der Beklagten, aufgrund der
Ampelschaltungen sei ein Aufstellen auf der Mittelinsel nicht erforderlich, stehe
bereits im Widerspruch dazu, dass regelmäßig Ampeln für den Radverkehr auf
den Mittelinseln angebracht seien. Die Beklagte habe somit gerade davon
abgesehen, für die gesamte Straßenbreite nur eine Ampel einzurichten.
Entgegen den Vorgaben der ERA 2010 (4.3.2 = S. 38) seien die Furten der
Radwege an den Einmündungen oftmals nicht markiert und würden die
Radwege nicht bis auf 50 Zentimeter an die Straße herangeführt. Schließlich
habe die Beklagte durch das – rechtswidrige – Aufstellen von Grünpfeilen für
einmündende Straßen, beispielsweise im Bereich der Helmstedter Straße, die
Gefahren für den Radverkehr erhöht. Auch deswegen dürfe sie die Benutzung
der Radwege nicht verpflichtend anordnen.
Die angeordnete Radwegebenutzungspflicht sei schließlich unverhältnismäßig,
weil in der Verkehrsunfallforschung anerkannt sei, dass mit der Aufhebung einer
Radwegebenutzungspflicht bis zu einer verkehrlichen Belastung von bis zu
50.000 Kfz auf der Fahrbahn generell ein Sicherheitsgewinn, jedenfalls aber
keine Verschlechterung der Sicherheit einhergehe. Dies ergebe sich
beispielsweise aus dem Bericht der Bundesanstalt für Straßenwesen, Heft 184
(Alrutz u.a., Unfallrisiko und Regelakzeptanz von Fahrradfahrern, Juni 2009, im
Folgenden: BASt 184, dort 9.3.2. = S. 113).
Die Beklagte habe es unterlassen, eine andere Führung des (Rad-)Verkehrs
ernsthaft zu erwägen. So sei insbesondere zu prüfen, ob auf dem Altewiek- und
dem Hagenring Tempo 30 anzuordnen oder ein Radfahrstreifen auf der
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Fahrbahn einzurichten sei. Jedenfalls sei – entsprechend der bewussten
gesetzgeberischen Grundentscheidung in § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO – das Fahren
auf der Fahrbahn zuzulassen, wenn die vorhandenen Radwege nicht sicher
seien.
Die Beklagte behandele schließlich vergleichbar gelagerte Sachverhalte
unterschiedlich. So sei beispielsweise auf dem Bohlweg und der Kastanienallee
im Gebiet der Beklagten bei vergleichbaren verkehrlichen Belastungen die
Benutzung der Radwege nicht verpflichtend vorgeschrieben.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 29. November
2010 zu verpflichten, die Radwegebenutzungspflicht auf der gesamten
Strecke zu beiden Seiten des Altewiekrings und des Hagenrings
aufzuheben, und sie zu verurteilen, die dort aufgestellten
Verkehrszeichen Nr. 241 zu entfernen,
hilfsweise, die Beklage unter Aufhebung ihres Bescheides vom 29.
November 2010 zu verpflichten, über den Antrag vom 17. September
2010 auf Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht auf der gesamten
Strecke zu beiden Seiten des Altewiekrings und des Hagenrings unter
Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erwidert: Sie habe den Antrag auf Aufhebung der
Radwegebenutzungspflicht zu Recht abgelehnt. In ihre Ermessensentscheidung
habe sie alle relevanten Umstände einbezogen und gegeneinander
abgewogen. Die von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO vorausgesetzte besondere
Gefahrenlage sei gegeben. Bei dem Hagenring/Altewiekring handele es sich um
eine vierspurige, in den Kreuzungsbereichen sechsspurige Straße. Die
Verkehrsbelastung sei mit 30.000 bis 38.000 Kraftfahrzeugen werktäglich
außerordentlich hoch. Mit circa 1.600 bis 1.700 Fahrzeugen täglich sei ein hoher
Anteil hiervon Schwerlastverkehr (Lkw und Busse). Zusätzliche Gefahren für
den Radverkehr, aber auch den Kfz-Verkehr, resultierten aus den zahlreichen
Kreuzungen, Abzweigungen und Bushaltestellen. Dies führe zu häufigen
Fahrbahnwechseln der Kraftfahrzeuge. Ließe sie das Radfahren auf der
Fahrbahn zu, resultierten zusätzliche Gefahren daraus, dass Kraftfahrzeuge aus
den parallel zur Straße verlaufenden Parkbuchten auf diese einführen.
Die Radwege seien hinreichend breit. Sie orientiere sich insoweit maßgeblich an
der Vorgabe der VwV-StVO, wonach der Radweg in der Regel eine lichte Breite
von 1,50 Metern aufweisen solle. Zwar merke der Kläger richtigerweise an, dass
sich die VwV-StVO insoweit nur auf einspurige Fahrräder beziehe. Hieraus
ergebe sich aber nichts für das Anliegen des Klägers. Nach der VwV-StVO solle
das Fahren auf der Fahrbahn bei breiteren Fahrrädern in der Regel nicht
beanstandet werden, wenn die Benutzung des Radweges nach den Umständen
des Einzelfalles unzumutbar sei. Grundsätzlich gelte die
Radwegebenutzungspflicht jedoch für alle Fahrräder. Erschwernisse, die auf die
Bauart eines Fahrrades zurückzuführen seien, fielen nicht in ihren
Verantwortungsbereich.
Entgegen der Ansicht des Klägers sei nicht davon auszugehen, dass die nach
der VwV-StVO regelmäßig erforderliche lichte Breite von 1,50 Metern im Hinblick
auf parallel zum Radweg parkende Pkw zu erhöhen sei. Die Vorgabe der VwV-
StVO dürfte vielmehr auch insoweit sachgerecht sein, zumal derjenige, der aus
einem Fahrzeug aussteigt, sich nach § 14 Abs. 1 StVO so verhalten müsse,
dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen sei. Zu
einem Radweg hin dürfe eine Fahrzeugtür deswegen nur langsam,
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„zentimeterweise“, geöffnet werden. Auch sei der Radfahrer gehalten, sich
vorsichtig zu verhalten, wenn er sehe, dass eine Fahrzeugtür geöffnet werde.
Entsprechendes gelte in Bezug auf Einbauten. Es gebe nur ausnahmsweise
Einbauten mit einem geringeren Abstand als 25 Zentimeter zum Radweg. Sofern
dies aus Platzgründen erforderlich sei, sei es zumutbar, dass die Radfahrer in
diesen Bereichen besondere Sorgfalt walten ließen. Ungeachtet dessen werde
die Beklagte solche Einbauten, die mit relativ geringem Aufwand umgesetzt
werden können, an andere Stellen versetzen, wenn dies möglich und vertretbar
sei. Insbesondere bei Beleuchtungsmasten mit Betonfundament sei dies aber
allenfalls im Zuge anderer Baumaßnahmen wirtschaftlich vertretbar möglich.
Bei der Messung der lichten Breite der Radwege seien Trennsteine und der
Sicherheitsraum (Rasenkantsteine und Borde, abseits derer eine andere
Funktionsfläche verläuft) einzubeziehen. Dies berücksichtigt, gebe es nur
wenige Stellen, an denen die lichte Breite der Radwege 1,50 Meter
unterschreite. Soweit dies – insbesondere im Bereich der Bushaltestellen – der
Fall sei, stimme dies mit den Vorgaben der VwV-StVO überein, weil die
Unterschreitung des Regelmaßes hiernach an Engstellen ausnahmsweise
zulässig sei, wenn es aufgrund der örtlichen Verhältnisse erforderlich und
angemessen sei.
Angesichts dessen und unter Berücksichtigung der verkehrlichen Belastung des
Altewiek- und des Hagenrings sei es nach dem Maßstab, den das
Bundesverwaltungsgericht im Beschluss vom 16. April 2012 – 3 B 62/11 –
beschrieben habe, nicht zu beanstanden, wenn sie die umstrittene
Radwegebenutzungspflicht aufrechterhalte. Dies müsse erst Recht gelten, weil
in dem Verkehrsunfallbericht der Polizeiinspektion Braunschweig für den
Zeitraum von Januar 2011 bis Ende August 2012 keine Unfälle mit
Radfahrerbeteiligung festzustellen seien, die auf eine zu geringe Breite der
Radwege zurückzuführen seien, und sich aus dem Bericht der BASt Nr. 184
(dort S. 120) ergebe, dass ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der
Anlagenbreite und der Sicherheit von Radfahrern in Längsrichtung nicht habe
nachgewiesen werden können.
Der Kläger dringe nicht mit dem Einwand durch, die Radwegebenutzungspflicht
sei aufzuheben, weil die Radwege in verschiedener Hinsicht nicht den
Anforderungen der ERA 2010 entsprächen. Hinsichtlich der Länge der
Mittelinseln weise sie darauf hin, dass die Ampeln für Radfahrer grundsätzlich so
geschaltet seien, dass ein Warten auf der Mittelinsel nicht erforderlich würde,
weil die Grünphase der zweiten Ampel erheblich, circa 8 Sekunden, länger
geschaltet sei als die der ersten Ampel. Dies gelte allerdings nur, soweit der
Radweg in der Richtung, für die er freigegeben ist, benutzt werde. Unabhängig
hiervon sei die Ausgestaltung der Mittelinseln nach den Vorgaben der ERA 2010
sicherlich sinnvoll. Sie sei aber aufgrund der räumlichen Situation nicht in der
Lage, die Mittelinseln zulasten des sonstigen Verkehrs breiter auszubilden als
bisher. Fehlende Furtmarkierungen werde sie nachbessern. Soweit der Kläger
„Grünpfeilregelungen“ beanstande, weise sie darauf hin, dass sie nicht
sämtliche Gefahrensituationen auszuschalten vermöge, die für Radfahrer
dadurch entstehen können, dass gebotene Sorgfaltspflichten missachtet
werden. Ihr sei kein Unfallgeschehen in Zusammenhang mit einer
Grünpfeilregelung bekannt.
Indem der Kläger darauf verweise, dass mit dem Aufheben einer
Radwegebenutzungspflicht bei Straßen bis zu 50.000 Kfz täglich mit einem
Sicherheitsgewinn für die Radfahrer verbunden sei, zitiere er die Studie BASt
184 unrichtig. Dort heiße es (S. 73): „Die Entwicklung der Zahl aller Unfälle in
den beiden Straßengruppen unterscheidet sich nicht signifikant. Das statistische
Verfahren des „Vorher-Nachher-Vergleichs mit Kontrollgruppe“ ergibt keine
Wirkung der Aufhebung der Benutzungspflicht auf die Unfallentwicklung“.
Sie habe abweichende Führungen des (Rad-)Verkehrs erwogen. Diese seien im
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Ergebnis abzulehnen. Die Reduzierung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit
auf dem Altewiek- und dem Hagenring auf 30 km/h würde den Verkehrsfluss
behindern und Stauungen verursachen. Dies sei mit der verkehrlichen
Bedeutung und der erforderlichen verkehrlichen Leistungsfähigkeit dieser
Straßen nicht vereinbar. Die Anlage eines Radfahrstreifens auf der Fahrbahn sei
ebenfalls keine realisierbare Alternative zur Radwegebenutzungspflicht, weil
dies aus Platzgründen zur Folge hätte, dass sich die Fahrstreifen für den Kfz-
Verkehr reduzieren würden, was wiederum mit der verkehrlichen Bedeutung der
Straßen nicht vereinbar sei. Die Anlage eines Schutzstreifens auf der Fahrbahn
sei hingegen nicht geeignet, den von ihr beschriebenen Gefahren, die sich für
Radfahrer bei einer Benutzung der Fahrbahn ergeben, sicher
entgegenzuwirken.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte einschließlich der
Beiakten verwiesen.
Entscheidungsgründe
A. Die Klage ist als Verpflichtungsklage zulässig (vgl. zu der Bewertung der
Verpflichtungsklage als sachgerechter Klageart auch VG Gelsenkirchen, U. v.
01.12.2009 – 14 K 5458/08 –, juris Rn. 32 ff.).
Nicht statthaft ist hingegen eine Feststellungsklage im Sinne von § 43 Abs. 1
VwGO, gerichtet auf die Feststellung der Unwirksamkeit einer mit den
Verkehrszeichen Nr. 241 verbundenen Aussage zur Radwegebenutzungspflicht
im Bereich des Altewiek- und des Hagenrings. Denn der Kläger dringt nicht mit
dem Einwand durch, bei den verkehrsrechtlichen Anordnungen der
Verkehrszeichen Nr. 241, gegen die er sich wendet, handele es sich um bloße
„Schein-Verwaltungsakte“ ohne wirksame Regelung. Indem die Beklagte die
Verkehrszeichen über das Jahr 1997 hinaus im Straßenverkehr belassen hat, ist
die mit den Verkehrszeichen seitdem einhergehende Anordnung der
Radwegebenutzungspflicht vom Willen der Beklagten umfasst und den
Verkehrsteilnehmern gegenüber bekannt gemacht, sodass alle
Voraussetzungen des § 35 VwVfG für einen wirksamen Verwaltungsakt erfüllt
sind (vgl. auch VG Ansbach, U. v. 18.06.2012 – AN 10 K 11.01571 –, juris
Rn. 34).
Ebenfalls unzulässig wäre eine Anfechtungsklage im Sinne von § 42 Abs. 1 1.
Alt. VwGO. Die mit den Verkehrszeichen Nr. 241 verbundene Anordnung der
Radwegebenutzungspflicht gegenüber dem Kläger ist nämlich bestandskräftig
geworden. Ein Verkehrszeichen ist ein Verwaltungsakt und wird mit Aufstellung
gegenüber demjenigen, für den er bestimmt ist, in dem Zeitpunkt wirksam, in
dem dieser ihn mit der nach § 1 StVO gebotenen Sorgfalt eines
durchschnittlichen Verkehrsteilnehmers erstmalig hätte wahrnehmen können
(vgl. VG Oldenburg, U. v. 13.01.2012 – 7 A 2094/11 –, n.v., m.w.N.; VG
Gelsenkirchen, U. v. 01.12.2009 – 14 K 5458/08 –, juris Rn. 34 ff.; VG Freiburg,
U. v. 15.03.2007 – 4 K 2130/07 –, juris Rn. 19 ff.). Es ist davon auszugehen,
dass für den Kläger, der seit Ende des Jahres 2002 in der Nähe des Altewiek-
und des Hagenrings wohnt, eine solche erstmalige Kenntnisnahmemöglichkeit
bereits länger als ein Jahr vor Klageerhebung im März 2011 zurückgelegen hat,
sodass eine Anfechtungsklage nach § 74 Abs. 1 VwGO – auch unter
Berücksichtigung der nach § 58 Abs. 2 VwGO auf ein Jahr verlängerten
Klagefrist – nicht fristgerecht erhoben wäre.
Der Kläger hat dementsprechend seinen ursprünglichen Klageantrag in der
mündlichen Verhandlung vom 13. November 2012 im Sinne einer
Verpflichtungsklage präzisiert.
Eine Verpflichtungsklage ist zulässig, auch wenn die (erstmalige) Anordnung der
45
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Radwegebenutzungspflicht bestandskräftig geworden ist (so auch VG
Hannover, U. v. 23.07.2003 – 11 A 5004/01 – n.v., bestätigt durch Nds. OVG, B.
v. 05.12.2003 – 12 LA 467/03 –, juris Rn. 4; VG Berlin, U. v. 12.11.2003 – 11 A
606.03 –, juris Rn. 18; VG Gelsenkirchen, U. v. 01.12.2009 – 14 K 5458/08 –,
juris Rn. 41). Eine Klagebefugnis für die Verpflichtungsklage im Sinne von § 42
Abs. 2 VwGO ist gegeben. Insoweit braucht die Kammer nicht zu entscheiden,
ob hierfür ein qualifiziertes Betroffensein des Klägers von der umstrittenen
Radwegebenutzungspflicht zu fordern ist (so Nds. OVG, B. v. 05.12.2003 – 12
LA 467/03 –, juris Rn. 6 f.; VG Gelsenkirchen, U. v. 01.12.2009 – 14 K 5458/08
–, juris Rn. 50; offengelassen vom VG Berlin, U. v. 12.11.2003 – 11 A 606.03 –,
juris Rn. 19; für die Anfechtungsklage verneinend: BVerwG, U.v. 21.08.2003 – 3
C 15/03 –, juris Rn. 13 ff.). Denn der Kläger hat glaubhaft bekundet, regelmäßig
mit dem Fahrrad entlang des Hagenrings und des Altewiekrings zu fahren und
von der Radwegebenutzungspflicht – qualifiziert im Sinne der Rechtsprechung
des Nds. OVG – betroffen zu sein.
B. Die Klage ist teilweise begründet. Der Kläger hat einen Anspruch auf
ermessensfehlerfreie Neubescheidung seines Antrags vom 17. November 2010,
§ 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO. Der Bescheid der Beklagten vom 29. November
2010 ist ermessensfehlerhaft und deswegen rechtswidrig; er verletzt den Kläger
in seinen Rechten. Im Übrigen, soweit der Kläger die Verpflichtung der
Beklagten begehrt hat, die Radwegebenutzungspflicht aufzuheben, ist die Klage
unbegründet.
Rechtsgrundlage für den Anspruch des Klägers auf ermessensfehlerfreie
Neubescheidung ist § 45 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 9 Satz 2 StVO.
Anspruchsgrundlage sind hingegen nicht die Vorschriften über die Rücknahme
und den Widerruf von Verwaltungsakten (§§ 48, 49 VwVfG). Diese sind bei der
Aufhebung von Verkehrszeichen nicht anwendbar (vgl. Nds. OVG, B. v.
05.12.2003 – 12 LA 467/03 –, juris Rn. 11 ff.; VG Gelsenkirchen, U. v.
01.12.2009 – 14 K 5458/08 –, juris Rn. 59).
Zur Anwendbarkeit von § 45 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 9 Satz 2 StVO bezüglich
eines auf Aufhebung einer Radwegebenutzungspflicht gerichteten Begehrens
sowie
zu den tatbestandlichen Voraussetzungen der Vorschrift hat das
Bundesverwaltungsgericht im Urteil vom 18. November 2010 (3 C 42/09, juris
Rn. 17 ff.) wie folgt ausgeführt:
„Gemäß § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO dürfen - abgesehen von hier nicht
einschlägigen Ausnahmen - insbesondere Beschränkungen und Verbote
des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden, wenn auf Grund der
besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das
allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden
Absätzen genannten Rechtsgüter - also etwa der Sicherheit und Ordnung
des Verkehrs - erheblich übersteigt. Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO, der
durch die Anfügung von § 45 Abs. 9 StVO zwar modifiziert und ergänzt,
nicht aber ersetzt worden ist (vgl. Urteil vom 5. April 2001 - BVerwG 3 C
23.00 - Buchholz 442.151 § 45 StVO Nr. 41), können die
Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder
Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs
beschränken oder verbieten.
Die Radwegebenutzungspflicht nach Zeichen 240 (Gemeinsamer Fuß-
und Radweg) ist - ebenso wie bei Zeichen 237 (Radfahrer) und Zeichen
241 (Getrennter Rad- und Fußweg) - eine Beschränkung des fließenden
Verkehrs im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO und eine Beschränkung
der Benutzung der Straße im Sinne von § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO. Diese
Zeichen bedeuten nach § 41 Abs. 2 Nr. 5 Buchst. a StVO, dass Radfahrer
die für sie bestimmten Sonderwege nutzen müssen. Dem entspricht § 2
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Abs. 4 Satz 2 StVO; danach müssen Radfahrer Radwege benutzen, wenn
die jeweilige Fahrtrichtung mit Zeichen 237, 240 oder 241 gekennzeichnet
ist. Kehrseite dieses Nutzungsgebotes ist das Verbot für Radfahrer, auf
den so gekennzeichneten Strecken die Fahrbahn zu benutzen. … Das
Verkehrszeichen begründet zwar kein Verbot der Benutzung der Straße
(zu der auch Radwege zählen), wohl aber einen Ausschluss der
Fahrradfahrer von der Benutzung der Fahrbahn und damit eine
Beschränkung in Bezug auf die allgemeine Verkehrsregel, dass
Fahrzeuge einschließlich Fahrräder die Fahrbahn benutzen (§ 2 Abs. 1
StVO).
Ist § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO anwendbar, scheidet damit zugleich § 45 Abs.
9 Satz 1 StVO als Rechtsgrundlage für die Anordnung einer
Radwegebenutzungspflicht aus. Als in Bezug auf Beschränkungen und
Verbote des fließenden Verkehrs speziellere Regelung konkretisiert und
verdrängt § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO in seinem Anwendungsbereich die
allgemeine Regelung in § 39 Abs. 1 und § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO (vgl.
Urteile vom 23. September 2010).
§ 45 Abs. 9 Satz 2 StVO setzt für Verbote und Beschränkungen des
fließenden Verkehrs eine Gefahrenlage voraus, die - erstens - auf
besondere örtliche Verhältnisse zurückzuführen ist und - zweitens - das
allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der relevanten Rechtsgüter (hier
insbesondere: Leben und Gesundheit von Verkehrsteilnehmern sowie
öffentliches und privates Sacheigentum) erheblich übersteigt (vgl. Urteile
vom 5. April 2001 a.a.O. und vom 23. September 2010). In solchen Fällen
dient die Trennung von motor- und muskelbetriebenen Fahrzeugen der
Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs (vgl. Beschluss vom 31. Mai 2001
- BVerwG 3 B 183.00 - Buchholz 442.151 § 2 StVO Nr. 2). Besondere
örtliche Verhältnisse im Sinne von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO können - wie
der Senat im Zusammenhang mit Geschwindigkeitsbeschränkungen und
Lkw-Überholverboten bereits entschieden hat - bei verkehrsbehördlichen
Maßnahmen insbesondere in der Streckenführung, dem Ausbauzustand
der Strecke, witterungsbedingten Einflüssen (z.B. Nebel, Schnee- und
Eisglätte), der dort anzutreffenden Verkehrsbelastung und den daraus
resultierenden Unfallzahlen begründet sein (vgl. zuletzt Urteile vom 23.
September 2010). Diese Grundsätze sind auch in Bezug auf die
Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht anwendbar.“
Diesen Ausführungen schließt sich die erkennende Kammer an.
Nach diesem Maßstab liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 45
Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 9 Satz 2 StVO vor. Eine auf den besonderen örtlichen
Verhältnissen beruhende erhebliche Gefahrenlage im Sinne des § 45 Abs. 9
Satz 2 StVO ergibt sich aus der überdurchschnittlich hohen Belastung des
Hagenrings und des Altewiekrings mit Kraftfahrzeugverkehr sowie aus dem mit
circa 1.600 bis 1.700 Fahrzeugen täglich sehr hohen Anteil an
Schwerlastverkehr. Die örtliche Verkehrsbelastung kann – wie zuvor dargelegt
und entgegen der Rechtsauffassung des Klägers – tauglicher
Anknüpfungspunkt für eine Gefahrenlage im Sinne des § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO
sein und die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO für
die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht ausfüllen (vgl. BayVGH, U. v.
06.04.2011 – 11 B 08.1892 –, juris Rn. 36). Der Altewiekring und der Hagenring
zählen zu den am stärksten befahrenen Hauptverkehrsstraßen im Stadtgebiet
der Beklagten. Ausweislich der Verkehrsmengenkarte der Beklagten mit
Bearbeitungsstand vom Juni 2009 wird die hier festzustellende
Verkehrsbelastung mit Ausnahme der Bundesautobahnen im Stadtgebiet nur an
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wenigen anderen Stellen erreicht und nur vereinzelt noch übertroffen. Die
Kammer teilt deswegen nicht die Einschätzung des Klägers, bei den Straßen
handele sich um ganz gewöhnliche innerstädtische Straßen ohne erkennbare
Besonderheiten.
Die besondere Gefährlichkeit der überdurchschnittlich hohen örtlichen
Verkehrsbelastung auf dem Altewiekring und dem Hagenring lässt sich auch
anhand der von der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen
(FGSV) herausgegebenen „Empfehlungen für Radverkehrsanlagen“ (Ausgabe
2010; im Folgenden: ERA 2010) belegen. Auch wenn die Verfasser der ERA
2010 nicht legitimiert sind, die Aussagen der Straßenverkehrs-Ordnung
authentisch zu interpretieren, ist in der verwaltungsgerichtlichen
Rechtsprechung (vgl. BVerwG, B. v. 16.04.2012 – 3 B 62/11 –, juris Rn. 20
m.w.N.) anerkannt, dass die dort getroffenen Aussagen bei der gerichtlichen
Einschätzung einer Gefährdungslage als aktuelle wissenschaftliche
Erkenntnisquelle ergänzend berücksichtigt werden können, zumal die FGSV
ihre Anwendung als Stand der Technik empfiehlt und die VwV-StVO hinsichtlich
der Gestaltung von Radverkehrsanlagen auf diese verweist (vgl. I Nr. 5 VwV-
StVO = Rn. 13).
Nach Nr. 2.3.3 (S. 19) der ERA 2010 hängt die Eignung bestimmter
Führungsformen des Radverkehrs im Wesentlichen von der Stärke und der
Geschwindigkeit des Kfz-Verkehrs ab. In Abhängigkeit von der Kfz-Belastung für
den Fahrbahnquerschnitt in der werktäglichen Spitzenstunde und der
zulässigen Höchstgeschwindigkeit (bzw. einer tatsächlich gemessenen
Geschwindigkeit, sofern diese deutlich darunter liegt) lassen sich vier
Belastungsbereiche unterscheiden. Legt man eine Geschwindigkeit von 50 km/h
zugrunde, sind vierstreifige Straßen – wie der Altewiekring und der Hagenring –
ab einer Belastung von (im Fahrbahnquerschnitt) circa 1.600 Kfz in der
werktäglichen Spitzenstunde dem Belastungsbereich III und ab circa 2.250 Kfz
dem Bereich IV zuzuordnen (vgl. Bild 8, S. 19 ERA 2010), wobei die Übergänge
zwischen den Belastungsbereichen keine harten Trennlinien sind. Hiernach ist
davon auszugehen, dass der Altewiekring und der Hagenring dem
Grenzbereich zwischen den Belastungsbereichen III und IV zuzuordnen sind.
Nach den Ergebnissen der Verkehrszählung der Beklagten für den südlichen
Bereich des Altewiekrings zwischen der Leonhardstraße und der Helmstedter
Straße, der nach der Verkehrsmengenkarte aus dem Jahr 2009 (Bl. 91 f. der
Gerichtsakte) die niedrigste tägliche Gesamtbelastung des Altewiekrings und
des Hagenrings aufweist, lag die werktägliche Spitzenbelastung bei über 2.500
Kfz / Stunde und somit im Belastungsbereich IV. Für das sich in nördlicher
Richtung anschließende Teilstück des Altewiekrings zwischen der Helmstedter
Straße und der Franz-Trinks-Straße bzw. der Bienenstraße, bei dem die tägliche
Gesamtbelastung nach der Verkehrsmengenkarte um circa 2.000 Kfz täglich
erhöht ist, lag die Spitzenbelastung mit über 2.700 Kfz / Stunde noch darüber.
Andererseits hat die (aktuellere) Auswertung der Verkehrsmessstellen im
Bereich des Altewiekrings südlich der Jasperallee für jeweils zwei Dienstage im
Oktober, November und Dezember 2012 „nur“ Verkehrsbelastungen in der
Spitzenstunde zwischen circa 1.960 und 2.290 Kfz pro Stunde ergeben, die dem
Belastungsbereich III bzw. dem Grenzbereich zum Belastungsbereich IV
zuzuordnen sind. Im Belastungsbereich IV ist nach Nr. 2.3.3 der ERA 2010 (S.
20) die getrennte Führung von Rad- und Kfz-Verkehr aus Sicherheitsgründen
grundsätzlich geboten. Im Belastungsbereich III kann das Trennen des
Radverkehrs vom Kraftfahrzeugverkehr aus Sicherheitsgründen erforderlich
sein. Mischverkehr mit Kraftfahrzeugen auf der Fahrbahn soll nur bei günstigen
Randbedingungen zur Anwendung kommen. Ungünstig ist insoweit ein hoher
Anteil von Schwerlastverkehr (vgl. Tabelle 8, S. 18, der ERA 2010). Angesichts
des mit täglich circa 1.600 bis 1.700 Fahrzeugen sehr hohen Anteils an
Schwerlastverkehr ist die Trennung der Verkehre grundsätzlich geboten und ist
deswegen von einer Gefahrenlage im Sinne des § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO
auszugehen, auch wenn man eine Verkehrsbelastung im Bereich III bzw. dem
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Grenzbereich zwischen den Bereichen III und IV zugrunde legt.
Dennoch ist die Entscheidung der Beklagten im Bescheid vom 29. November
2010, die Radwegebenutzungspflicht aufrechtzuerhalten, rechtswidrig, weil sie
das ihr nach § 45 Abs. 9 Satz 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 StVO eröffnete Ermessen
fehlerhaft ausgeübt hat.
Liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen von § 45 Abs. 9 Satz 2 i.V.m.
Abs. 1 Satz 1 StVO vor, hat die Straßenverkehrsbehörde grundsätzlich einen
Ermessensspielraum, wie sie die Konfliktlage bewältigt. In ihrer
Ermessensentscheidung hat sie die betroffenen bzw. widerstreitenden
Interessen der verschiedenen Arten von Verkehrsteilnehmern unter
Berücksichtigung der relevanten örtlichen Gegebenheiten umfassend
gegeneinander abzuwägen und die Konfliktlage für alle Verkehrsteilnehmer
zumutbar aufzulösen (vgl. auch VG Gelsenkirchen, U. v. 01.12.2009 – 14 K
5458/08 –, juris Rn. 66 und 91; VG Ansbach, U. v. 14.12.2009 – AN 10 K
09.00581 –, juris Rn. 23 f.). Gemäß § 114 Satz 1 VwGO ist die
verwaltungsgerichtliche Kontrolle darauf beschränkt zu überprüfen, ob die
gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem
Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise
Gebrauch gemacht ist. Allerdings ist die Straßenverkehrsbehörde bei ihrer
Ermessensentscheidung darüber, ob eine mit dem Verkehrszeichen Nr. 241
angeordnete Radwegebenutzungspflicht aufgehoben werden soll, grundsätzlich
zunächst an die Vorgaben der allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur
Straßenverkehrsordnung (VwV-StVO) gebunden (vgl. Nds. OVG, B. v.
05.12.2003 – 12 LA 467/03 –, juris Rn. 14 ff. m.w.N.). Die Verwaltungsvorschrift
soll – im Rahmen der Bundesaufsicht bei landeseigenem Vollzug von
Bundesrecht – gewährleisten, dass verkehrsbehördliche Anordnungen im
ganzen Bundesgebiet nach den gleichen Grundsätzen erfolgen. Es handelt sich
dabei im Rahmen des § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO um eine ermessenslenkende
Verwaltungsvorschrift, die eine einheitliche Ermessensausübung auf der
Rechtsfolgenseite sicherstellen soll. Die Straßenverkehrsbehörde kann im
Ergebnis der Abwägung auch von den Vorgaben der VwV-StVO abweichen.
Dies setzt aber einen atypisch gelagerten Sachverhalt voraus (vgl. Stuhlfauth in:
Bader/Funke-Kaiser/Stuhlfauth/von Albedyll, VwGO, 5. Aufl., § 114 Rn. 15), eine
aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse nochmals deutlich gesteigerte
Gefährdung der Radfahrer bei Benutzung der Fahrbahn (vgl. BayVGH, U. v.
06.04.2011 – 11 B 08.1892 –, juris Rn. 38) bzw. eine Gefährdungssituation auf
der Fahrbahn, die auch mit Blick auf einen den Vorgaben der VwV-StVO nicht
genügenden Ausbauzustand des Radwegs nicht hinnehmbar ist (BVerwG, B. v.
16.04.2012 – 3 B 62/11 –, juris Rn. 8).
Nach diesen Maßstäben erweist sich die Entscheidung der Beklagten, die
Radwegebenutzungspflicht am Altewiekring und am Hagenring
aufrechtzuerhalten, zum derzeitigen Zeitpunkt in mehrfacher Hinsicht als
ermessensfehlerhaft.
Die Beklagte hat in ihre Ermessensentscheidung nicht eingestellt, ob am
Altewiek- und am Hagenring ausreichende Flächen für den Fußgängerverkehr
zur Verfügung stehen. Hinsichtlich der Breite der neben den Radwegen
gelegenen Gehwege sowie zu Art und Ausmaß des dort vorhandenen
Fußgängerverkehrsaufkommens hat die Beklagte (vgl. Bl. 57 der Gerichtsakte)
keine Feststellungen getroffen und zu den Messungen der Gehwegbreiten
durch den Kläger vom November 2012 (Beiakte F) und der von ihm gerügten
Unterschreitung der erforderlichen Mindestbreiten trotz Aufforderung durch das
Gericht nicht Stellung genommen. Die Beklagte hat diesen für die
Ermessensentscheidung über die Aufrechterhaltung der
Radwegebenutzungspflichten relevanten Gesichtspunkt im Ergebnis überhaupt
nicht berücksichtigt. Schon deshalb ist die Entscheidung der Beklagten
ermessenfehlerhaft, zumal nach Rn. 9 der VwV-StVO zu § 2 Abs. 4 Satz 2
benutzungspflichtige Radwege nur angeordnet werden dürfen, wenn
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ausreichende Flächen für den Fußgängerverkehr vorhanden sind.
In ihrer neuerlichen Ermessensentscheidung wird die Beklagte zu
berücksichtigen haben, dass die vorhandenen Gehwege nach den Messungen
des Klägers vom 10. November 2012, deren Richtigkeit die Beklagte nicht
bestreitet, jedenfalls teilweise nicht ausreichend breit sind und den Vorgaben der
VwV-StVO deswegen nicht entsprechen. Zwar macht die VwV-StVO keine
konkreten Vorgaben zur erforderlichen Breite von Gehwegen. Nach Nr. 3.4 der
ERA 2010 (S. 25) ist allerdings bereits von einer regelmäßig erforderlichen
Mindestbreite von Gehwegen von 2,30 Metern auszugehen, die die Begegnung
zweier Passanten ermöglicht und kleinstmögliche Sicherheitsräume zu
angrenzender Bebauung und zum Radweg beinhaltet. Die Gehwege am
Altewiek- und am Hagenring unterschreiten bereits dieses Mindestmaß an den
Messpunkten Nr. 7, 9, 10, 12, 14, 17, 23, 24, 27, 28, 29, 31, 32 und 37 (jeweils
nach der Dokumentation des Klägers vom 10. November 2012 = Beiakte F).
Darüber hinaus wird die Beklagte im Rahmen ihrer Ermessenserwägungen zu
berücksichtigen haben, dass hinsichtlich der Anlage von Gehwegen speziellere
technische Regelwerke als die ERA 2010 die regelmäßig erforderliche
Mindestbreite von Gehwegen nach den konkreten örtlichen Verhältnissen über
das Mindestmaß von 2,30 Metern hinaus erhöhen können. In Betracht kommt
insoweit insbesondere eine Orientierung an den „Empfehlungen für
Fußgängerverkehrsanlagen“ der FGSV aus dem Jahr 2002 (im Folgenden: EFA
2002) bzw. der „Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen“ der FGSV aus dem
Jahr 2006 (im Folgenden: RASt 06). Vergleichbar zu den ERA 2010 sind die
Vorgaben der EFA 2002 bzw. der RASt 06 aktuelle und spezifische
wissenschaftliche Erkenntnisquellen und geben den Stand der Technik wieder.
Hinzu kommt, dass die VwV-StVO in Rn. 13 hinsichtlich der Gestaltung von
Radverkehrsanlagen auf die ERA 2010 und diese hinsichtlich der Frage, ob
ausreichende Breiten im Sinne von Rn. 9 der VwV-StVO gegeben sind,
wiederum auf die Vorgaben der EFA 2002 bzw. der RASt 06 verweist (Nr. 2.3.6
= S. 21 der ERA 2010). Nach den RASt 06 (S. 35) sind jedenfalls in
Geschäftsstraßen die Mindestmaße der Gehwegbreiten zu erhöhen. Nach der
Tabelle 2 der EFA 2002 wäre im Hinblick auf die überwiegend gemischte Wohn-
und Geschäftsnutzung am Altewiek- und am Hagenring mit überwiegend 3 bis 5
Geschossen in jedenfalls mittlerer Dichte, die Nutzung der Fahrbahn durch
häufig frequentierte Busverbindungen des öffentlichen Personennahverkehrs
sowie die starke Verkehrsbelastung auf der Fahrbahn eine regelmäßige
Gehwegbreite von jedenfalls 4 Metern geboten. Diese wird, soweit ersichtlich,
am Altewiek- und am Hagenring jedenfalls ganz überwiegend nicht erreicht.
Jedenfalls wird die Beklagte bei ihrer neuerlichen Ermessensentscheidung zu
berücksichtigen haben, dass aus der erhöhten Bebauungsdichte am Altewiek-
und am Hagenring, der z.T. auch gewerblichen Nutzung sowie der intensiven
Nutzung der Fahrbahn ein über das regelmäßig erforderliche Mindestmaß von
2,30 Metern hinaus erhöhter Platzbedarf für den Fußgängerverkehr,
beispielsweise aus einem größeren Bedarf an Aufenthaltsflächen sowie in den
Gehweg ragenden Auslagen der gewerblichen Nutzung, resultieren kann, und
dass nach Nr. 3.4 der ERA 2010 die Kombination von Mindestmaßen der Rad-
und Gehwegbreiten vermieden werden soll.
Zur Klarstellung weist die Kammer darauf hin, dass das Anordnen bzw.
Aufrechterhalten einer Radwegebenutzungspflicht nicht in jedem Fall zwingend
voraussetzt, dass die vorhandenen Gehwege die nach den technischen
Regelwerken gebotenen Breiten aufweisen. Vielmehr hat die Behörde – wie
zuvor bereits dargelegt – die Belange der betroffenen Verkehrsteilnehmer
umfassend gegeneinander abzuwägen, insoweit vorhandene Gehwegbreiten
und eine hieraus gegebenenfalls resultierende Konfliktlage zu berücksichtigen
und den Konflikt – insbesondere in Hinblick auf die Sicherheit und Leichtigkeit
des Verkehrs – für alle Beteiligten zumutbar aufzulösen. Insoweit ist – wie zuvor
bereits dargelegt – im Einzelfall auch ein Abweichen von Vorgaben technischer
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Regelwerke denkbar.
Ermessensfehlerhaft ist des Weiteren die Art und Weise, in der die Beklagte den
Umstand berücksichtigt hat, dass es zu beiden Seiten des Altewiek- und des
Hagenrings zahlreiche Einmündungen, Kreuzungen und Grundstückszufahrten
gibt. Die Beklagte hat den Sachverhalt diesbezüglich nur unzureichend ermittelt
und keine Feststellungen zu Art und Anzahl der Knotenpunkte und
Grundstückszufahrten sowie zu Art und Ausmaß des dort stattfindenden
Verkehrs getroffen. Weil aber ein wesentliches Gefahrenmoment der Führung
des Radverkehrs im Seitenbereich darin liegt, dass im Bereich von
Knotenpunkten und Grundstückszufahrten Rad- und Kraftfahrzeugverkehr
einander oftmals nur unzureichend und spät wahrnehmen können, ist dieses
Kriterium in der Auswahl der geeigneten Führungsform bzw. der Anordnung
einer Radwegebenutzungspflicht von grundsätzlich großer Relevanz.
Dementsprechend ist es nach Rn. 25 und Rn. 26 der VwV-StVO Voraussetzung
für die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht, dass die Linienführung des
Radweges insbesondere an Kreuzungen, Einmündungen und verkehrsreichen
Grundstückszufahrten sicher gestaltet ist, weil das Abbiegen an Kreuzungen
und Einmündungen sowie das Einfahren an verkehrsreichen
Grundstückszufahrten mit Gefahren verbunden ist. Dies deckt sich mit den
Vorgaben der ERA 2010, wonach es umso mehr gegen eine Führung des
Radverkehrs im Seitenraum (auf einem Radsonderweg) spricht, je mehr
Einmündungen und Zufahrten es gibt und je höher die Zahl der dort ein- und
abbiegenden Fahrzeuge ist (vgl. Nr. 2.3.5 = S. 21). Dass die Beklagte ihre
Ermessenserwägungen mit Schriftsatz vom 7. Juli 2011 (Bl. 23 der Gerichtsakte)
ergänzt und dargelegt hat, die zahlreichen Kreuzungen und Einmündungen
sprächen für eine Führung im Seitenbereich, widerspricht dieser Bewertung
seitens der ERA 2010. Dies macht die Entscheidung der Beklagten zusätzlich
ermessensfehlerhaft. Es ist darüber hinaus derzeit nicht ersichtlich, dass die
Radwege am Altewiek- und am Hagenring dem in Rn. 26 Satz 3 der VwV-StVO
beschriebenen Erfordernis genügen, wonach der Radverkehr rechtzeitig vor
einer Kreuzung oder Einmündung im Sichtfeld des Kraftfahrzeugverkehrs zu
führen und die Radwegeführung an der Kreuzung oder Einmündung darauf
abzustimmen ist. Vielmehr legen die vom Kläger eingereichten Fotos Nr. 2, 3, 7,
13, 14 und 24 vom 10. November 2012 (Beiakte F) die Annahme nahe, dass die
parallel zur Fahrbahn gelegenen Parkbuchten für Pkw regelmäßig bis nah an
Einmündungen und Zufahrten heranreichen und deswegen der Radverkehr in
diesen Bereichen nicht rechtzeitig und ausreichend im Sichtfeld des
Kraftfahrzeugverkehrs geführt wird. Es ist deswegen zweifelhaft, ob allein das
von der Beklagten angekündigte Anbringen bislang fehlender Furtmarkierungen
im Bereich von Knotenpunkten und Zufahrten (vgl. insoweit Rn. 26 Satz 4 der
VwV-StVO i.V.m. Rn. 3 ff. der VwV-StVO zu § 9 Abs. 2 StVO) genügt, um den
Anforderungen der VwV-StVO zu entsprechen. Die ERA 2010 sehen insoweit
eine Reihe weiterer Möglichkeiten vor, um das Unfallrisiko in derartigen
Gefahrbereichen zu reduzieren (vgl. bspw. S. 37 ff., 44 ff., 50 ff. der ERA 2010).
Hiermit wird sich die Beklagte im Rahmen ihrer neuerlichen
Ermessensentscheidung sachgerecht auseinandersetzen müssen.
Ermessensfehlerhaft ist es schließlich, dass die Beklagte von einer
ausreichenden Breite der vorhandenen Radwege am Altewiekring und am
Hagenring stets – ohne Berücksichtigung der örtlichen Gegebenheiten – ab
einem lichten Maß von mindestens 1,50 Metern ausgegangen ist. Dass die
ausreichende Breite von Radwegen ein für die Frage ihrer Benutzungspflicht
relevantes Kriterium ist, ist unmittelbar plausibel und folgt zudem aus der VwV-
StVO. Nach Rn. 17 der VwV-StVO ist unter anderem Voraussetzung für die
Anordnung der Radwegebenutzungspflicht, dass der vorhandene Radweg
ausreichend breit ist. Zwar sieht Rn. 21 der VwV-StVO vor, dass die lichte Breite
des Radweges im Fall der durch das Zeichen Nr. 241 angeordneten
Radwegebenutzungspflicht in der Regel durchgehend mindestens 1,50 Meter
betragen soll. Dieses Mindestmaß ist bezüglich der Radwege am Altewiek- und
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am Hagenring jedoch im Hinblick auf die regelmäßig längsseitig neben dem
Radweg vorhandenen Parkbuchten für Pkw zu erhöhen. Nach Rn. 17 Satz 2 der
VwV-StVO bestimmt sich die erforderliche (lichte) Breite des Radweges unter
anderem nach der Art und Intensität der Umfeldnutzung. Längsseitiges Parken
neben einem Radweg ist eine gefahrenträchtige Art der Umfeldnutzung (vgl.
insoweit auch Alrutz u.a., „Unfallrisiko und Regelakzeptanz von Fahrradfahrern“,
2009, Berichte der Bundesanstalt für Straßenwesen Heft V 184, im Folgenden:
BASt V 184, S. 3) und kann – jedenfalls, wenn es in so intensivem Ausmaß wie
am Altewiek- und am Hagenring stattfindet – eine Erhöhung des grundsätzlich
erforderlichen Mindestmaßes der (lichten) Radwegebreiten rechtfertigen.
Hinsichtlich des Ausmaßes, in dem die nach der VwV-StVO regelmäßig
erforderliche lichte Radwegbreite von 1,50 Meter zu erhöhen ist, ist eine
Orientierung an entsprechenden Vorgaben der ERA 2010 bzw. der RASt 06 und
infolgedessen eine Erhöhung in der Größenordnung von circa 50 Zentimetern
möglich. Die technischen Regelwerke sehen als Mindestmaß der Breite eines
Sicherheitsraums gegenüber zu beiden Seiten an den Radweg angrenzenden
Nutzungen 25 Zentimeter vor. Gegenüber parkenden Fahrzeugen in
Längsaufstellung ist ein gegenüber diesem Mindestmaß um 50 Zentimeter auf
insgesamt 75 Zentimeter verbreiterter Sicherheitsraum geboten (vgl. Nr. 4.6
sowie Bild 19 und Tab. 3 der RASt 06 = S. 28 bzw. Bild 3 i.V.m. Nr. 3.4 der ERA
2010 = S. 16 und S. 25). Es ist sachgerecht, diese Vorgabe der technischen
Regelwerke jedenfalls ihrer ungefähren Größenordnung nach auf das nach der
VwV-StVO gebotene Mindestmaß der lichten Radwegbreite im Falle längsseitig
parkender Kraftfahrzeuge zu übertragen. Die Kammer legt insoweit zugrunde,
dass sich das in der VwV-StVO (für ein einspuriges Fahrrad, vgl. Rn. 23 der
VwV-StVO) beschriebene Mindestmaß lichter Radwegbreite von 1,50 Metern auf
einen Meter reine Verkehrsfläche zzgl. 25 Zentimetern an Sicherheitsräumen zu
beiden Seiten zusammensetzt. Die VwVO-StVO macht hierzu zwar keine
ausdrückliche Angabe. Nach den Vorgaben der ERA 2010 bzw. der RASt 06 als
aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisquellen sind diese Breiten der
Verkehrsfläche und der Sicherheitsräume unter Berücksichtigung der
Grundbreite eines Fahrrades, der erforderlichen Bewegungsspielräume sowie
der kleinstmöglichen Sicherheitsräume zu den zu beiden Seiten an den Radweg
angrenzenden Nutzungen für das Fahren mit einem einspurigen Fahrrad
regelmäßig mindestens erforderlich (vgl. Nr. 4.6 sowie Bild 19 und Tab. 3 der
RASt 06 = S. 28 bzw. Bild 3 i.V.m. Nr. 3.4 der ERA 2010 = S. 16 und S. 25).
Angesichts dessen liegt es nahe, der Vorgabe der VwV-StVO zur regelmäßig
erforderlichen lichten Radwegbreite von 1,50 Metern eine Aufteilung auf einen
Meter Verkehrsfläche zzgl. 25 Zentimetern Sicherheitsraum zu beiden Seiten
zugrunde zu legen. Dies entspricht der Zielrichtung der VwV-StVO, die
Mindestmaße für die lichte Radwegebreite vorgibt, die das Fahren auf einem
Radweg – bei gegebener Gefährdungslage auf der Fahrbahn – als regelmäßig
(noch) zumutbar erscheinen lassen. In ihrer neuerlichen Ermessenentscheidung
wird die Beklagte deswegen den wegen des längsseitigen Parkens neben dem
Radweg grundsätzlich erhöhten Raumbedarf für den Radweg zu
berücksichtigen haben. Allein mit dem Hinweis darauf, dass auch unter
Berücksichtigung des längsseitigen Parkens eine lichte Breite von 1,50 Meter
sachgerecht sei, weil aus einem Fahrzeug aussteigende Personen nach § 14
Abs. 1 StVO äußerste Vorsicht walten lassen müssen, genügt die Beklagte dem
Erfordernis umfassender und sachgerechter Abwägung sämtlicher relevanter
Belange jedenfalls nicht.
Außerdem wird die Beklagte in ihrer neuerlichen Ermessensentscheidung im
Hinblick darauf, ob die vorhandenen Radwege hinreichend breit sind, zu
berücksichtigen haben, dass sich die Mindestvorgabe in Rn. 21 der VwV-StVO
mit 1,50 Meter lichter Breite nach Rn. 23 der VwV-StVO ausdrücklich nur auf
einspurige Fahrräder bezieht. Nach den technischen Regelwerken der ERA
2010 bzw. der RASt 06 (vgl. Bild 3 der ERA 2010 = S. 16 entspricht Bild 19 der
RASt 06 = S. 28) ist jedoch anerkannt – und dies ist ohne Weiteres plausibel –,
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dass mehrspurige Fahrräder bzw. Gespanne mit einem Anhänger einen
gegenüber einspurigen Fahrrädern (um circa 30 cm) erhöhten Raumbedarf
haben. Da nach § 21 Abs. 3 Sätze 2 und 3 StVO solche Anhängergespanne zur
Beförderung von Kindern ausdrücklich zugelassen sind und mehrspurige
Fahrräder bzw. Anhängergespanne im innerstädtischen Bereich von
Braunschweig und damit auch im Bereich des Altewiek- und des Hagenrings
zum alltäglichen Erscheinungsbild zählen, liegt es nahe, von einer regelmäßig
ausreichenden Breite der Radwege erst dann auszugehen, wenn sie dem (um
circa 30 Zentimeter erhöhten) Raumbedarf auch mehrspuriger Fahrräder bzw.
Anhängergespanne genügen. Der Hinweis der Beklagten, die
Radwegebenutzungspflicht gelte zwar grundsätzlich auch für solche Räder bzw.
Gespanne, sich insoweit ergebende Erschwernisse bei der Benutzung der
vorhandenen Radwege, die auf die (von einem einspurigen Fahrrad
abweichende) Bauart zurückzuführen seien, fielen jedoch nicht in den
Verantwortungsbereich der Beklagten, ist jedenfalls sachwidrig und
ermessensfehlerhaft. Auch der pauschale Hinweis darauf, dass das Führen
breiterer Fahrräder außerhalb des benutzungspflichtigen Radweges nach Rn.
23 der VwV-StVO in der Regel nicht beanstandet werden soll, wenn die
Benutzung des Radweges nach den Umständen des Einzelfalles nicht
zumutbar sei, genügt den Erfordernissen an eine sachgerechte
Ermessensentscheidung und Abwägung der betroffenen Belange nicht.
Die Kammer weist in Bezug auf die beiden Absätze zu den nach der VwV-StVO
regelmäßig erforderlichen Radwegebreiten zur Klarstellung – erneut – darauf
hin, dass das Anordnen oder Aufrechterhalten einer Radwegebenutzungspflicht
nicht zwingend voraussetzt, dass sämtliche Vorgaben der VwV-StVO zur Breite
der Radwege eingehalten sind. Eine Radwegebenutzungspflicht kann auch
rechtmäßig sein, wenn nicht sämtliche Vorgaben der VwV-StVO gewahrt sind.
Neben dem „Ausnahmefall“ einer besonderen Gefährdungssituation setzt dies
aber jedenfalls voraus, dass sich die Straßenverkehrsbehörde – anders als die
Beklagte – des Abweichens vom Regelfall bewusst gewesen ist und das
Abweichen im Rahmen der nach § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO erforderlichen
Abwägung sachgerecht begründen kann.
Zu Recht hat die Beklagte allerdings bei der Berechnung der lichten Breite der
vorhandenen Radwege sowohl die Sicherheitstrennstreifen zur Fahrbahn
einschließlich der Kant- und Bordsteine als auch die Begrenzungsstreifen zu
den sich anschließenden Gehwegen berücksichtigt. Die VwV-StVO definiert den
Begriff der lichten Breite nicht. Nach Nr. 2.2.1 der ERA 2010 (S. 16) setzt sich die
lichte Breite aus dem Verkehrsraum sowie den Sicherheitsräumen zusammen,
die Radwege von angrenzenden Verkehrsflächen abgrenzen. Der – zur
Fahrbahn gelegene – Sicherheitstrennstreifen eines Radweges zählt hiernach
ausdrücklich zu dessen lichter Breite. Er dient der Aufnahme des
Sicherheitsraumes sowie der festen Einbauten. Die Kammer sieht keinen Grund,
die Breite der Kantsteine nicht zum Sicherheitsraum zu zählen, weil sie die
gleiche Funktion erfüllen wie ein auf andere Weise angelegter
Sicherheitstrennstreifen. Sie dienen der Abgrenzung der verschiedenen
Verkehrsarten und der Aufnahme der festen Einbauten und können, weil sie auf
gleicher Höhe wie der Radweg verlaufen, von Fahrrädern grundsätzlich
befahren werden. Auch die zwischen den Rad- und den Gehwegen gelegenen
Begrenzungsstreifen zählen zum Sicherheitsraum und somit – entgegen der
Ansicht des Klägers – zur lichten Breite der Radwege. Hierfür spricht nicht nur,
dass die ERA 2010 sie in Nr. 2.2.1 (S. 16) im Zusammenhang mit den
Sicherheitsräumen der Radwege erwähnt. Insbesondere erfüllen sie auch die
gleiche Funktion wie die Sicherheitstrennstreifen: Sie grenzen durch einen
Sicherheitsraum den Rad- gegenüber einem andersartigen Verkehr, dem
Fußgängerverkehr, ab und dienen der Aufnahme fester Einbauten. Dem steht
nicht entgegen, dass die Begrenzungsstreifen nach Nr. 11.1.5 der ERA 2010 (S.
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lichten Breite des Radweges berücksichtigt werden zu können, muss eine
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Fläche nicht zur Radverkehrsanlage selbst zählen. Dies ist auch bei
Sicherheitstrennstreifen nicht der Fall (vgl. Nr. 2.2.1 der ERA 2010, S. 16).
Darüber hinaus ist kein Grund ersichtlich, weswegen Begrenzungsstreifen nicht
zur lichten Breite sowohl eines Gehweges als auch eines Radweges zählen
sollten. Ihre abgrenzende und schützende Funktion erfüllen sie für beide
Verkehrswege. Dass Begrenzungsstreifen ausschließlich zur lichten Breite von
Gehwegen zu zählen sind, lässt sich Nr. 11.1.5 der ERA 2010 nicht entnehmen.
Die Kammer hält es des Weiteren mit den Vorgaben der VwV-StVO für
vereinbar, dass die vorhandenen Radwege im Bereich der Bushaltestellen an
insgesamt 5 Passagen (vgl. Nr. 5, Nr. 11, Nr. 16 bzw. Nr. 17, Nr. 20, Nr. 23 der
Dokumentation des Klägers vom 10. November 2012, Beiakte F) auf der Länge
von 25 bis 55 Metern geringere lichte Breiten als 1,50 Meter aufweisen. Die
lichte Breite beträgt in diesen Passagen – einschließlich des
Begrenzungsstreifens zum Gehweg – mindestens einen Meter. Die VwV-StVO
sieht in Rn. 22 vor, dass ausnahmsweise und nach sorgfältiger Prüfung an
kurzen Abschnitten unter Wahrung der Verkehrssicherheit von den
Mindestmaßen der lichten Breite abgewichen werden kann, wenn es aufgrund
der örtlichen oder verkehrlichen Verhältnisse erforderlich und verhältnismäßig
ist. Dies ist hinsichtlich der Passagen im Bereich der Bushaltestellen der Fall.
Die Unterschreitung des Mindestmaßes der lichten Breite ist im Hinblick auf den
zusätzlichen Platzbedarf der Bushaltestellen den verkehrlichen Verhältnissen
geschuldet; es ist nach den verfügbaren Flächen nicht möglich, die Radwege
dort auf der ursprünglichen Breite fortzuführen. Nach Nr. 3.10 der ERA 2010 (S.
33) ist es bei geringem Platzangebot im Bereich von Bushaltestellen zulässig,
auf einer Länge von bis zu 50 Metern die Breite des Radweges auf bis zu einem
Meter zu verringern. Diese Vorgabe ist bis auf die geringfügige Überschreitung
von 5 Metern Länge in einem Fall gewahrt. Die Beklagte weist zu Recht darauf
hin, dass die Verhältnismäßigkeit und die Verkehrssicherheit in diesen
Bereichen trotz der sehr schmalen Radwege gewahrt sind, weil alle Beteiligten in
den nur kurzen Passagen nach § 1 StVO zu besonderer Rücksicht verpflichtet
sind (vgl. Sächsisches OVG, B. v. 10.07.2012 – 3 A 945/10 –, juris Rn. 18).
Die wegen der zuvor dargelegten Mängel ermessensfehlerhafte Entscheidung
der Beklagten verletzt den Kläger in seinem Anspruch auf eine
ermessensfehlerfreie Entscheidung. Dass die Beklagte ermessensfehlerhaft
entschieden hat, ist nicht im Ergebnis unerheblich. Insbesondere scheidet eine
Rechtsverletzung des Klägers nicht deswegen aus, weil die
Radwegebenutzungspflicht zwingend beizubehalten und jede andere
Entscheidung der Beklagten ermessensfehlerhaft wäre (sog.
Ermessensreduzierung auf Null).
Eine derartige Ermessensreduzierung folgt insbesondere nicht daraus, dass die
Verkehrsbelastung auf der Fahrbahn des Altewiek- und des Hagenrings sowie
der hohe Anteil an Schwerlastverkehr eine Trennung des Radverkehrs vom
Kraftfahrzeugverkehr nach den Vorgaben der ERA 2010 grundsätzlich gebieten.
Dem steht bereits entgegen, dass eine Trennung der Verkehre in verschiedener
Weise möglich ist. Alternativ zu der vorhandenen Situation des –
benutzungspflichtigen – Radsonderwegs im Seitenbereich der Straße kommt
alternativ jedenfalls auch eine fahrbahnseitige Führung des Radverkehrs
(insbesondere in Form eines Radfahrstreifens) in Betracht (vgl. Tabelle 8 der
ERA 2010, S. 18). Die Entscheidung nach § 45 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 9 Satz
2 StVO muss sich auf die Auswahl der konkret geeigneten Führungsform
erstrecken und die nach den örtlichen Gegebenheiten relevanten Umstände
angemessen berücksichtigen. Dies hat die Beklagte in ihrer Entscheidung, die
Radwegebenutzungspflicht auf den vorhandenen Radwegen
aufrechtzuerhalten, bislang nicht nachvollziehbar getan. Kriterien für die
Entscheidung über die geeignete Führungsform finden sich in Nr. 2.3.5 der ERA
2010 (S. 20 f.), und als Anhaltspunkt für eine überschlägige Bewertung der
verschiedenen Parameter kann die Tabelle 30 der ERA 2010 (S. 93) dienen, die
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Punktwerte für die Abwägung zwischen einer fahrbahnseitigen Führung und der
Führung im Seitenbereich vorgibt. Es ist nicht ersichtlich ist, dass hiernach nur
die vorhandene Führungsform oder nur die fahrbahnseitige Führung in Betracht
zu ziehen ist. Auch wenn mangels Feststellungen der Beklagten gegenwärtig
nicht alle Parameter abschließend bewertet werden können, fällt das Ergebnis
einer überschlägigen Betrachtung anhand der Tabelle nicht eindeutig für oder
eindeutig gegen eine der in Betracht kommenden Führungsformen aus. Auch im
Hinblick auf den Einwand der Beklagten, dass die Einrichtung eines
Radfahrstreifens auf der Fahrbahn mit der hohen verkehrlichen Bedeutung des
Altewiek- und des Hagenrings nicht vereinbar sei, ist nicht von einer
Ermessensreduzierung auszugehen. Zwar darf die Beklagte in ihre
Ermessensentscheidung die verkehrliche Bedeutung der Straßen für den Pkw-
Verkehr einstellen. Soweit die Beklagte allerdings darauf verweist, dass die
Einrichtung eines Radfahrstreifens dazu führen würde, dass ein Fahrstreifen für
den Kfz-Verkehr entfallen würde, wird sie auch berücksichtigen müssen, dass in
weiten Teilen zu beiden Seiten des Altewiek- und des Hagenrings Parkflächen
für Pkw vorhanden sind, die – eventuell teilweise – auch für den fließenden
Verkehr aktiviert werden könnten. Diese ausschließlich dem (ruhenden)
Kraftfahrzeugverkehr zur Verfügung zu stellen bzw. zu belassen, muss zwar
nicht von vornherein ermessensfehlerhaft sein. Die Beklagte wird sich im
Rahmen ihrer verkehrspolitischen Gesamtabwägung aber sachlich begründet
hiermit auseinandersetzen müssen, soweit sie dem Radverkehr unter Hinweis
darauf, dass sie die vorhandenen Radwege wegen der beengten räumlichen
Verhältnisse nicht anforderungsgerecht ausbauen könne, verpflichtend
vorschreiben möchte, Radwege zu benutzen, die den Mindestanforderungen
der VwV-StVO nicht entsprechen.
Unabhängig von der Frage der geeigneten Führungsform spricht gegen eine
Reduzierung des Ermessens der Beklagten im Sinne einer Beibehaltung der
vorhandenen Verkehrssituation aber insbesondere, dass die vorhandenen
Radwege, wie zuvor dargelegt, in verschiedener Hinsicht die Vorgaben der
VwV-StVO an die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht derzeit nicht
erfüllen. Die Beklagte wird deswegen zu erwägen und für ihre neuerliche
Ermessensentscheidung zu berücksichtigen haben, ob sich die Abweichungen
von den Vorgaben der VwV-StVO beseitigen oder jedenfalls reduzieren lassen.
Soweit Konflikte zwischen verschiedenen Gruppen von Verkehrsteilnehmern
wie Kfz-Fahrern, Radfahrern und Fußgängern bestehen und sich durch
(bauliche) Veränderungen nicht beseitigen lassen, sind die unterschiedlichen
Interessen insbesondere im Hinblick auf die Sicherheit und auch die Leichtigkeit
des Verkehrs gegeneinander abzuwägen und ist die Konfliktlage für alle
Beteiligten zumutbar aufzulösen. Insoweit wird die Beklagte, wenn sie an der
baulichen Situation der verschiedenen Verkehrswege im Bereich des Altewiek-
und des Hagenrings nichts Wesentliches ändern möchte, auch die ersatzlose
Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht am Altewiek- und am Hagenring zu
erwägen haben bzw., sofern sie die Radwegebenutzungspflicht aufrechterhalten
möchte, jedenfalls nachvollziehbar und sachgerecht begründen müssen,
weshalb dem Radverkehr die Verpflichtung, die vorhandenen Radwege zu
benutzen, zumutbar ist, ohne dass die Mindeststandards nach der VwV-StVO
gewahrt sind.
Die erkennende Kammer weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass sie
es für die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht nicht für zwingend
erforderlich hält, dass die Radwege in sämtlichen Belangen den Anforderungen
der ERA 2010 entsprechen. Hiergegen spricht bereits, dass die Anordnung
einer Radwegebenutzungspflicht nach § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO eine andere
Zielrichtung hat als sie den Vorgaben der ERA 2010 innewohnt. Die ERA 2010
beschreiben auf der Grundlage aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse
(idealtypisch) die Anlage von Radverkehrswegen mit dem Ziel, Gefahren für den
Rad- und sonstige Verkehre so weit wie möglich zu reduzieren. Bei der
Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht hat die Verkehrsbehörde hingegen
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in einer gegebenen besonderen Gefährdungssituation bei Benutzung der
Fahrbahn abzuwägen, ob dem Radverkehr die verpflichtende Benutzung eines
Radweges zugemutet werden kann, weil hiermit geringere Gefahren als bei der
Benutzung der Fahrbahn einhergehen, sodass die Radwegebenutzungspflicht
im Ergebnis der Verkehrssicherheit dient. Deswegen dringt der Kläger auch
nicht mit dem Einwand durch, die Vorgaben der VwV-StVO zu den erforderlichen
Mindestbreiten eines Radweges seien durch diejenigen der ERA 2010 abgelöst,
sodass regelmäßig mindestens 2 Meter reiner Verkehrsfläche erforderlich seien.
Denn die Vorgabe der ERA 2010 bezieht sich auf Radwege, die
Überholvorgänge ermöglichen sollen (vgl. 3.4 = S. 25 ERA 2010). Die
Möglichkeit zu überholen ist aber nicht in jedem Fall zwingende Voraussetzung
dafür, dass die Abwägung der verschiedenen Gefährdungslagen im Rahmen
von § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO zugunsten einer Radwegebenutzungspflicht
ausfallen kann. Für Radfahrer ergibt sich – wie für andere Verkehrsteilnehmer
auch – zudem weder aus der StVO noch aus anderen Bestimmungen ein
Anspruch auf ein ungehindertes Fortkommen mit der maximal zulässigen
Geschwindigkeit. Vielmehr folgt aus dem in § 1 StVO verankerten
Rücksichtnahmegebot, dass sich jeder Verkehrsteilnehmer an die
Verkehrsverhältnisse anpassen muss (vgl. Sächsisches OVG, B. v. 10.07.2012
– 3 A 945/10 -, juris Rn. 18; VG Gelsenkirchen, U. v. 01.12.2009 – 14 K 5458/08
–, juris Rn. 108; VG Göttingen, U. v. 27.11.2003 – 1 A 1196/01 –, juris Rn. 51).
Den Vorgaben der ERA 2010 lassen sich andererseits aber oftmals
Anhaltspunkte für eine möglichst gefahrenarme Führung des Radverkehrs
entnehmen bzw. Abweichungen von den Vorgaben können Anhaltspunkte für
Gefahrenpotenziale anzeigen. Ist dies der Fall, muss die
Straßenverkehrsbehörde sich mit diesen Gefahrenpotenzialen im Rahmen der
Entscheidung nach § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO begründet auseinandersetzen.
Das Ermessen der Beklagten ist – aus inhaltlich vergleichbaren Erwägungen
wie zuvor dargelegt – schließlich auch nicht dahin gehend (auf Null) reduziert,
dass nur die Aufhebung der Radwegebenutzungspflicht in Betracht kommt. Die
Klage ist deswegen im Hauptantrag abzuweisen, weil der Kläger (derzeit) keinen
gebundenen Anspruch gegen die Beklagte auf Aufhebung der
Radwegebenutzungspflicht hat. Die Beklagte hat wie zuvor dargelegt einen
weiten verkehrspolitischen Ermessens- und Entscheidungsspielraum, wie sie
die verkehrliche Konfliktsituation im Bereich des Altewiek- und des Hagenrings
regelt. Dieser ist nicht von vornherein darauf beschränkt, (unter Beibehaltung der
derzeitigen baulichen Situation) die Radwegebenutzungspflicht aufzuheben.
Das erkennende Gericht folgt insoweit insbesondere nicht dem Einwand des
Klägers, die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht sei zur Reduzierung
von Straßenverkehrsgefahren in jedem Fall ungeeignet, sondern stets
gefährlicher als das Fahren auf der Fahrbahn. Diese Einschätzung des Klägers
ergibt sich bereits nicht aus dem Bericht der Bundesanstalt für Straßenwesen V
184. Die Beklagte weist insoweit zu Recht darauf hin, dass die Autoren der
Studie selbst darauf verweisen, dass sich bei Aufhebung einer
Radwegebenutzungspflicht keine signifikante Veränderung der
Unfallentwicklung ergeben habe (S.73). Unabhängig hiervon steht dem die
Einschätzung der (aktuelleren) ERA 2010 entgegen, wonach die Führung auf
einem Radsonderweg im Seitenbereich im Einzelfall geboten sein kann.
Schließlich hat der Gesetzgeber die Anordnung einer
Radwegebenutzungspflicht als im Einzelfall taugliches Mittel der
Gefahrenabwehr weiterhin anerkannt.
Die erkennende Kammer konnte die Klage im Hauptantrag abweisen, ohne den
hilfsweisen Beweisanträgen des Klägers entsprechen zu müssen. Die
Beweisanträge waren abzulehnen.
Soweit der Kläger beantragt hat, es solle durch Augenschein Beweis darüber
erhoben werden, dass 1. die streitgegenständlichen Radwege nicht die in der
VwV-StVO genannten Mindestbreiten hätten, dass 2. die streitgegenständlichen
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Radwege nicht die in den ERA 2010 genannten Mindestbreiten hätten, dass 3.
die streitgegenständlichen Radwege nicht die in den ERA 2010 vorgesehenen
Schutzstreifen zu Autoparkflächen auf der einen Seite und Gehwegen auf der
anderen Seite hätten, dass 4. die streitgegenständlichen Radwege in ihrer
Linienführung nicht eindeutig und nicht stetig seien, dass 5. die
streitgegenständlichen Radwege in ihrer Linienführung für Ortsfremde nicht
eindeutig erkennbar seien, dass 6. die streitgegenständlichen Radwege nicht
sicher benutzt werden könnten, dass 7. die Verkehrsfläche der
streitgegenständlichen Radwege nicht nach den allgemeinen Regeln der
Baukunst und Technik gebaut und unterhalten sei und dass es 8. in den
streitgegenständlichen Straßen nicht durchgehend ausreichend Flächen für den
Fußgängerverkehr gebe (vgl. Bl. 140 f. der Gerichtsakte), sind die
Beweisanträge bereits in entsprechender Anwendung von § 244 Abs. 3 Satz 1
StPO als unzulässig abzulehnen, weil sie nicht auf die Feststellung von
umstrittenen Tatsachen abzielen. Der Ausbauzustand der Radwege, ihre
Linienführung und die Breiten ihrer Bestandteile sind von den Beteiligten
umfassend vermessen bzw. durch Fotos dokumentiert. Streit über tatsächliche
Aspekte besteht insoweit ausdrücklich nicht zwischen den Beteiligten. Soweit
die Anträge vielmehr – als zu beweisende Umstände – implizieren, dass die
vorhandenen Radwege von den Vorgaben der ERA 2010 bzw. der VwV-StVO
abweichen, zielen sie auf (rechtliche) Bewertungen ab, die originär dem
erkennenden Gericht obliegen und eines Beweises durch eine
Inaugenscheinnahme nicht zugänglich sind (vgl. hierzu Vierhaus, Beweisrecht
im Verwaltungsprozess, Rn. 148). Die Anträge zu 4., 5., 6. und 7 sind darüber
hinaus auch deswegen unzulässig, weil die zu beweisenden „Tatsachen“ nicht
hinreichend bestimmt benannt sind. Der Kläger hat weder Punkte noch
Abschnitte der Radwege am Altewiek- und am Hagenring, auf die sich seine
Beweisanträge beziehen sollen, konkret benannt. Dies wäre für die hinreichend
bestimmte Behauptung einer zu beweisenden Tatsache (vgl. zu diesem
Erfordernis Vierhaus, a.a.O., Rn. 55 f. m.w.N.) erforderlich gewesen, weil nach
dem Inhalt der Beweisanträge nicht davon ausgegangen werden kann, dass sie
auf die Radwege in ihrer gesamten Länge bezogen sein sollen.
Soweit der Kläger beantragt hat, es solle durch Augenscheinseinnahme in die
Evaluationsstudie der Bundesanstalt für Straßenwesen „Unfallrisiko und
Regelakzeptanz von Fahrradfahrern“, BASt V 184, Bergisch Gladbach 2009, die
Tatsachen bewiesen werden, dass mit der Aufhebung von
Radwegebenutzungspflichten in Deutschland bei ansonsten gleich bleibenden
Randbedingungen regelmäßig keine Verschlechterung der Verkehrssicherheit
für Radfahrer einhergehe, und umgekehrt, dass die Anordnung/Beibehaltung
von Radwegebenutzungspflichten selbst auf hochbelasteten Straßen bis zu
einer täglichen Verkehrsbelastung von 50.000 Kfz/Tag auf der Strecke zwischen
den Knotenpunkten (also ohne Berücksichtigung wesentlicher
Gefahrenmomente der Führung im Seitenraum in den Knotenpunkten) keinerlei
Sicherheitsgewinn bringe (vgl. Bl. 141 der Gerichtsakte), musste die erkennende
Kammer dem Antrag schon deshalb nicht entsprechen, weil die vom Kläger
angeführte Studie (BASt V 184) dem Gericht vorgelegen hat und „in
Augenschein“ genommen sowie bei der Entscheidung über die Klage
berücksichtigt wurde.
Soweit der Kläger schließlich sinngemäß beantragt hat, durch Einholung eines
Sachverständigengutachtens solle bewiesen werden, „dass die
streitgegenständlichen Radwege und Straßenabschnitte keine
verkehrssicherheitsrelevanten Besonderheiten aufweisen gegenüber jenen
Radwegen und Straßenabschnitten, die in der Evaluationsstudie der
Bundesanstalt für Straßenwesen „Unfallrisiko und Regelakzeptanz von
Fahrradfahrern“, BASt V 184, Bergisch Gladbach 2009 untersucht wurden“,
musste die Kammer dem Beweisantrag nicht entsprechen, weil der Antrag die
zu beweisende Tatsache mit dem Begriff der „verkehrssicherheitsrelevanten
Besonderheiten“ nicht hinreichend bestimmt bezeichnet hat und dieser zudem
eine (rechtliche) Bewertung beinhaltet, die originär dem Gericht obliegt.