Urteil des VG Braunschweig vom 09.10.2012

VG Braunschweig: hausarbeit, in dubio pro reo, prüfungsordnung, strafrechtliche verfolgung, bedingter vorsatz, juristische methodik, prüfer, schuldrecht, sachenrecht, zusammenarbeit

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Täuschung durch Abgabe weitgehend
übereinstimmender Arbeiten in juristischer Prüfung
1. Eine Täuschungshandlung liegt bei juristischen Hausarbeiten vor, wenn
wesentliche Teile der zur Bewertung gestellten Leistung nicht vom Prüfling
selbst, sondern von einer anderen Person stammen und der Prüfling dies
nicht kenntlich macht. Ebenso liegt der Fall, wenn Prüflinge wesentliche Teile
einer Hausarbeit gemeinsam erarbeiten oder sich hinsichtlich wesentlicher
Teile der Leistung untereinander so abstimmen, dass die individuelle
Leistung nicht mehr erkennbar wird.
2. Der Beweis des ersten Anscheins für eine Täuschungshandlung dieser Art
ist erbracht, wenn Arbeiten eine Vielzahl von Übereinstimmungen in den für
die Bewertung wesentlichen Teilen aufweisen.
VG Braunschweig 6. Kammer, Urteil vom 09.10.2012, 6 A 194/11
Tatbestand
Der Kläger wendet sich gegen die Bewertung einer Hausarbeit mit der Note
„nicht ausreichend“ wegen eines Täuschungsversuchs.
Der Kläger studierte bei der Beklagten im Bachelor-Studiengang „Recht,
Finanzmanagement und Steuern“ und schloss das Studium im Herbst 2012 mit
der Note 1,7 ab. Im Rahmen des Moduls F08 Schuldrecht/Sachenrecht im 4.
Semester erstellte er über mehrere Wochen eine Hausarbeit und gab diese am
16.02.2011 bei der Beklagten ab. Prüfer dieser Modulteilprüfungsleistung waren
F. und Frau G.. Ein Bekannter des Klägers, Herr H., der Kläger des
Parallelverfahrens 6 A 257/12, bearbeitete - wie zahlreiche andere Studenten
des Studiengangs - dieselbe Hausarbeit. Unter dem 03.05.2011 teilte F. dem
Kläger und Herrn I. per E-Mail mit, dass eine separate Bewertung ihrer Arbeiten
ergeben habe, dass die Prüfung bestanden sei. Er beabsichtigte jedoch, wegen
eines für ihn erkennbaren Täuschungsversuchs in Abstimmung mit Frau G. ihre
Arbeiten mit „nicht bestanden - 5,0 -“ zu bewerten. Er verwies auf eine
weitgehende Übereinstimmung der Ausführungen und Zitierweisen sowie die
Identität ungewöhnlicher Konstruktionen und fehlerhafter Ausführungen und
erläuterte diese. Außerdem gab er Gelegenheit, die Vorwürfe zu entkräften.
Noch am selben Tag wandten sich der Kläger und Herr I. gegen den Vorwurf
eines Täuschungsversuchs und vertraten die Ansicht, dass eine periphere,
gemeinsame Literaturrecherche und fachliche Diskussion den Bestimmungen
der einschlägigen Prüfungsordnung entspreche. Dies sei bei den Studierenden
gängige Praxis und werde von einer Großzahl von Lehrenden ausdrücklich
empfohlen. Dass dabei gewisse, jedoch geringfügige Gemeinsamkeiten im
Rahmen der Hausarbeiten auftreten könnten, ergebe sich zwangsläufig. Es sei
nach dem Grundsatz „in dubio pro reo“ zu verfahren. Im Folgenden stellte der
Kläger einen Befangenheitsantrag gegen F. und den Vorsitzenden des
Prüfungsausschusses der Fakultät Recht, Herrn J.. Am 07.05.2011 wurde die
Note „nicht ausreichend“ über die elektronische Prüfungsverwaltung der
Beklagten bekanntgegeben. Gegen die Bewertung erhob der Kläger (ebenso
wie Herr I.) am 18.05.2011 Widerspruch und trug zur Begründung ergänzend
vor, die Bekanntgabe der Note 5 in der elektronischen Prüfungsverwaltung ohne
eine Reaktion auf seine Exkulpation vom 03.05.2011 sei offensichtlich
rechtswidrig und verstoße gegen die geltende Unschuldsvermutung. Ihm stehe
eine vollumfängliche transparente und schriftliche Begründung des
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Zustandekommens der Note, auch im Hinblick auf den unterbreiteten
Täuschungsvorwurf, zu.
In seiner Sitzung am 05.07.2011 lehnte der Prüfungsausschuss die
Befangenheitsanträge ab. Außerdem wurde eine erneute Überprüfung der
Hausarbeit durch F. und Frau G. befürwortet und die Einholung einer
ergänzenden Stellungnahme durch den neutralen Prüfer K. angeregt.
Am 22.08.2011 haben der Kläger und Herr I. gemeinsam Untätigkeitsklage
gegen die Beklagte erhoben und eine Entscheidung über die von ihnen
eingereichten Widersprüche begehrt (6 A 194/11). In der Folgezeit gaben L. und
Frau G. eine gemeinsame Stellungnahme zum Vorwurf des
Täuschungsversuchs des Klägers und des Herrn I. ab und erklärten darin, ihnen
sei zwar nicht möglich, eine unerlaubte Zusammenarbeit direkt nachzuweisen.
Aus den Hausarbeiten ergebe sich aber der nicht durch Zufälligkeiten erklärbare
Anschein einer Zusammenarbeit. Zur Verdeutlichung der Übereinstimmungen
seien die Texte der Hausarbeiten gegenüber gestellt und inhaltliche
Übereinstimmungen, wörtliche Übereinstimmungen und Fehler jeweils farblich
markiert worden. Es sei berücksichtigt worden, dass die Falllösung bei korrekter
Anwendung der juristischen Methodik bei verschiedenen Bearbeitern zu
ähnlichen Ergebnissen und auch gutachtentypische Wendungen zu
Gemeinsamkeiten bei den Formulierungen führen könnten. Dennoch seien die
Übereinstimmungen der Arbeiten bei einer Gesamtbetrachtung, insbesondere
der 30 im Einzelnen dargestellten Auffälligkeiten zu groß, um von Zufälligkeiten
ausgehen zu können.
Unter dem 14.09.2011 stellte K. in einer Stellungnahme unter Aufzählung von
Einzelheiten fest, dass in beiden Hausarbeiten zahlreiche systematische wie
inhaltliche Übereinstimmungen bestünden. U. a. stimmten die Gewichtung und
der Umfang der Ausführungen weitestgehend überein. Auch kämen beide
Bearbeiter bei den zu entscheidenden Rechtsfragen stets zu identischen
Ansätzen bzw. Ergebnissen, wobei sie z. T. beide die Fragestellung verfehlten.
Insgesamt sei die Annahme eines Täuschungsversuchs gerechtfertigt.
Auf der Grundlage der Beschlüsse des Prüfungsausschusses vom 21.09.2011
wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheiden vom 24.10.2011 die
Widersprüche zurück. Zur Begründung trug sie vor, die Annahme eines
Täuschungsversuchs durch die Prüfer sei nicht zu beanstanden. Das Ziel einer
Hausarbeit liege darin, dass Prüflinge ein Thema eigenständig, ohne fremde
Hilfe bearbeiten, wobei es maßgeblich sei, eine nach wissenschaftlichem
Standard vorgenommene Quellenrecherche und deren Verarbeitung ohne
Zusammenarbeit mit weiteren Bearbeitern der Hausarbeit vorzunehmen. Der
Kläger und Herr I. hätten erklärt, dass eine periphere, gemeinsame
Literaturrecherche und eine fachliche Diskussion untereinander stattgefunden
hätten. Allein diese Literaturrecherche stehe einer eigenständigen Bearbeitung
entgegen und erfülle somit den Tatbestand eines Täuschungsversuchs. Auch
der neutrale Fachmann K. habe eine erhebliche Übereinstimmung der
Hausarbeiten festgestellt und gehe nicht von einer eigenständigen Bearbeitung
aus.
Nach Erlass des Widerspruchsbescheides führt der Kläger das gerichtliche
Verfahren fort. Zur Begründung trägt er nunmehr vor, die Klage sei zulässig, da
die Mitteilung der für die Hausarbeit vergebenen Note einen Verwaltungsakt
darstelle. Der Notenfestsetzungsbescheid sei bereits formell rechtswidrig, da der
Vorwurf der Täuschung nicht in einer den Anforderungen des § 39 VwVfG
genügenden Art und Weise begründet worden sei. Diese Vorschrift sei trotz der
in § 2 Abs. 3 Nr. 2 VwVfG normierten Bereichsausnahme anwendbar, da diese
nach richtigem Verständnis nur für die prüfungsspezifischen Teile eines
Verwaltungsverfahrens gelte, die hier nicht betroffen seien. Nach § 39 VwVfG
seien die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe anzugeben, die
die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben; dazu gehöre im Regelfall
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insbesondere die Angabe der einschlägigen Rechtsgrundlagen, auf die die
Behörde ihre Entscheidung stützen wolle. Daran fehle es hier. Nach § 9 Abs. 1
Satz 3 der Prüfungsordnung werde eine Prüfung mit „nicht ausreichend“
bewertet, wenn der Prüfling versuche, das Ergebnis einer Prüfung durch
Täuschung oder Benutzung nicht zugelassener Hilfsmittel zu beeinflussen.
Gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 der Prüfungsordnung stelle die Prüfungsleistung
„Hausarbeit“ eine selbstständige, schriftliche Bearbeitung einer
Aufgabenstellung dar. Die tatbestandlichen Voraussetzungen der genannten
Vorschriften lägen hier nicht vor, wenn man das Merkmal „selbstständig“ unter
der gebotenen Einbeziehung der Lebenswirklichkeit auslege. Es sei zu
berücksichtigen, dass dieselben Aufgabenstellungen an alle Studierende dieses
Semesters in diesem Studiengang ausgegeben worden seien. Der erforderliche
zeitgleiche Zugriff auf die für die sachgemäße Bearbeitung erforderliche Literatur
bringe notgedrungen mit sich, dass es zu persönlichen Kontakten der Bearbeiter
komme. Dies gelte umso mehr, wenn Studierende, die dieselbe Hausarbeit
anfertigen, sich - wie er und Herr I. - bereits vorher gekannt hätten und sogar
befreundet seien. Gespräche der Bearbeiter über deren jeweilige Falllösung
seien daher der Regelfall, nicht die Ausnahme. Darüber hinaus sei auch
gerichtsbekannt, dass sich die Studierenden bei der erforderlichen
Literaturrecherche unterstützten. Dies sei bereits deshalb teilweise
unvermeidbar, weil einschlägige Literaturquellen in den Bibliotheken oft
verschwänden etc. Diese Umstände führten in der Summe dazu, dass im
Einzelfall die von den Studierenden vorgelegten Lösungen - teils auch
erhebliche - Ähnlichkeiten aufwiesen. Diese Situation dürfe bei der Beurteilung
nicht ausgeblendet werden und müsse insbesondere bei der Frage des
Vorliegens eines Täuschungsversuchs berücksichtigt werden. Das Merkmal der
Selbstständigkeit im Sinne von § 9 Abs. 3 Satz 1 der Prüfungsordnung sei nur
dann nicht erfüllt, wenn über die letztlich unvermeidbare Zusammenarbeit in dem
vorstehend skizzierten Sinne hinaus die Hausarbeit im bewussten und gewollten
Zusammenwirken von den Studierenden angefertigt und insbesondere auch der
Text der Hausarbeit mehr oder weniger gemeinsam verfasst werde.
Dementsprechend könne eine Täuschung im Sinne von § 7 Abs. 3 Satz 1 der
Prüfungsordnung vorliegen, wenn der Studierende mit dem zielgerichteten
Willen einer gemeinsamen Erstellung der Arbeit in der eben beschriebenen Art
und Weise und dem entsprechenden Vorsatz handele, um gegenüber dem
Prüfer den unrichtigen Eindruck zu erwecken, dass die Hausarbeit das Ergebnis
einer selbstständigen Bearbeitung der Aufgabenstellung darstelle. Auf dieser
Grundlage sei im vorliegenden Verfahren kein Raum für die Annahme einer
Täuschung.
Der Kläger beantragt,
die Bewertung der im Rahmen des Moduls Schuldrecht/Sachenrecht
erbrachten Prüfungsleistung (Hausarbeit) mit „nicht ausreichend“ in der
Fassung des Widerspruchsbescheides der Beklagten vom 24.10.2011
aufzuheben und die Beklagte zur Neubewertung dieser
Prüfungsleistung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts
zu verpflichten.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt sie vor, die Notenvergabe sei in ausreichender Weise
jedenfalls im Widerspruchsbescheid vom 24.10.2011 begründet worden.
Rechtsgrundlage für die Bewertung der Hausarbeit mit der Note „nicht
ausreichend“ sei § 9 Abs. 3 Satz 1 der einschlägigen Prüfungsordnung. Danach
sei eine Prüfung mit „nicht ausreichend“ zu bewerten, wenn der Studierende
versuche, das Ergebnis einer Prüfung durch Täuschung zu beeinflussen.
Grundvoraussetzung einer zutreffenden Leistungsbewertung sei somit, dass der
Prüfling die für den Erfolg seiner Prüfung maßgeblichen Leistungen persönlich
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und ohne fremde Hilfe erbringe. Nur in diesem Fall sei es gerechtfertigt, ihm die
erbrachten Leistungen persönlich zuzurechnen und ihn hinsichtlich der daran
geknüpften Berechtigungen günstiger zu stellen als andere, weniger erfolgreiche
Prüflinge. Bereits die eingeräumte periphere gemeinsame Literaturrecherche
erfülle den Tatbestand eines Täuschungsversuchs. Zwar seien Gespräche über
die Lösung der Hausarbeit zwischen den Prüflingen nicht vollständig zu
unterbinden. Zwangsläufige Folge einer gemeinsamen Literaturrecherche sei
jedoch nicht, dass die eingereichten Lösungen in systematischer und inhaltlicher
Hinsicht so starke Übereinstimmungen aufwiesen, wie es bei den Arbeiten des
Klägers und des Herrn I. der Fall sei. Für die Erfüllung der
Tatbestandsvoraussetzungen des § 9 Abs. 3 Satz 1 der Prüfungsordnung sei
keine Absicht im Sinne eines bewussten und gewollten Zusammenwirkens der
Prüflinge erforderlich. Es reiche in subjektiver Hinsicht aus, wenn die Prüflinge in
Kauf nähmen, dass bei den Prüfern durch die Täuschungshandlung der Irrtum
erregt werde, die Bearbeiter hätten den Text jeweils selbstständig verfasst. Eine
solche Täuschungshandlung liege vor, wenn sich - wie im vorliegenden Fall -
zwei Bearbeiter hinsichtlich wesentlicher Teile der Leistung unter einander so
abstimmten, dass die individuelle Leistung nicht mehr erkennbar sei, gleichwohl
aber die Arbeiten als eigenständige Leistungen eingereicht würden. Durch die
teilweise wörtlichen Übereinstimmungen in den Hausarbeiten werde daher bei
verständiger Würdigung der Anschein erweckt, dass die Kläger getäuscht
hätten. Damit verschiebe sich durch den „Beweis des ersten Anscheins“ die
materielle Beweislast zugunsten der Prüfungsbehörde.
Mit Beschluss des Gerichts vom 05.09.2012 ist das Verfahren des Herrn I.
abgetrennt worden und wird unter dem Aktenzeichen 6 A 257/12 fortgeführt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes, insbesondere der
Stellungnahmen von F., Frau G. und K. wird auf die Gerichtsakte im
vorliegenden Verfahren und im Verfahren 6 A 257/12 sowie auf die zu beiden
Verfahren eingereichten Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug
genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig. Der Kläger kann sein Begehren auf Aufhebung der
Bewertung der im Rahmen des Moduls Schuldrecht/Sachenrecht erstellten
Hausarbeit mit „nicht ausreichend“ und die Verpflichtung der Beklagten zu deren
Neubewertung mit einer Verpflichtungsklage gem. § 42 Abs. 1 VwGO geltend
machen. Denn bei dieser Bewertung handelt es sich um einen Verwaltungsakt
im Sinne von § 1 Abs. 1 Nds. VwVfG i. V. m. § 35 Satz 1 VwVfG. Jedenfalls nach
den Ausführungen in dem Bescheid vom 24.10.2011, mit dem die Beklagte den
Widerspruch des Klägers gegen die Bewertung seiner Hausarbeit als
unbegründet zurückgewiesen hat, stellt sich diese Bewertung aus der Sicht
eines verständigen Adressaten als verbindliche Regelung im Sinne eines
Verwaltungsaktes dar (vgl. BVerwG U. v. 19.12.1995 - 10 A 1/94 -, juris;
Niehues/Fischer, Prüfungsrecht, 5. Aufl., Rn. 819). Die Kammer braucht daher
im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden, ob Modulteilprüfungsleistungen
auf Grund der Besonderheiten bei studienbegleitenden Leistungsnachweisen in
Bachelorstudiengängen in der Regel eigene Rechtswirkung zukommt (vgl. OVG
Nordrhein-Westfalen, B. v. 04.03.2011 - 14 B 174/11 -, juris; Niehues/Fischer, a.
a. O., Rn. 817, 123; dazu allgemein Zimmerling/Brehm, Der Prüfungsprozess,
Rn. 214 ff.).
Das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers ist auch nicht dadurch entfallen, dass
er eine weitere Hausarbeit im Modul Schuldrecht/Sachenrecht geschrieben hat,
diese mit 2,7 Punkten (befriedigend) bewertet worden ist und er den
Bachelorstudiengang im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bereits
erfolgreich abgeschlossen hat. Denn bei einem Erfolg der Klage müsste die hier
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umstrittene Hausarbeit neu bewertet werden. Von dieser Bewertung wäre dann
abhängig, ob sich die Note für das Modul Schuldrecht/Sachenrecht, welche auf
dem Bachelorzeugnis vermerkt wird, und in der Folge ggf. die Gesamtnote der
Bachelorprüfung ändern.
Die Klage ist jedoch unbegründet. Die Bewertung der Hausarbeit des Klägers im
Modul Schuldrecht/Sachenrecht in der Gestalt des Widerspruchsbescheides der
Beklagten vom 24.10.2011 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen
Rechten. Die Hausarbeit wurde rechtsfehlerfrei wegen eines
Täuschungsversuchs mit „nicht ausreichend“ bewertet. Dementsprechend steht
dem Kläger kein Anspruch auf eine Neubewertung zu (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1,
Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Rechtsgrundlage für die Bewertung der Hausarbeit ist § 9 Abs. 3 Satz 1 der
Prüfungsordnung für die Bachelorstudiengänge „Wirtschaftsrecht“, „Recht,
Personalmanagement und -psychologie“ sowie „Recht, Finanzmanagement und
Steuern“ an der Fachhochschule Braunschweig/Wolfenbüttel, Fachbereich
Recht (Brunswick European Law School) vom 07.05.2009 (im Folgenden: PO).
Danach wird eine Prüfung mit „nicht ausreichend“ bewertet, wenn der
Studierende versucht, das Ergebnis einer Prüfung durch Täuschung oder
Benutzung nicht zugelassener Hilfsmittel zu beeinflussen.
Die Bewertungsentscheidung der Beklagten in der Gestalt ihres
Widerspruchsbescheides vom 24.10.2011 ist nicht bereits aufgrund formeller
Mängel rechtswidrig. Es kann dahinstehen, ob sich in einem Prüfungsverfahren
trotz der Regelung in § 2 Abs. 3 Nr. 2 Nds. VwVfG aus § 39 VwVfG eine Pflicht
zur Begründung der Annahme eines Täuschungsversuches ergibt oder ob ein
Prüfling aufgrund seines Informationsrechtes aus Art. 12 Abs. 1 GG und Art. 19
Abs. 4 GG die Begründung einer solchen Annahme verlangen kann (vgl.
BayVGH, U. v. 18.03.1998 - 7 B 97.2673 -, juris). Denn im vorliegenden Fall ist
ein Begründungsmangel jedenfalls über § 45 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 VwVfG i. V. m.
§ 2 Abs. 3 Nr. 2 bzw. § 1 Abs. 1 Nds. VwVfG mit der Begründung des
Widerspruchsbescheides und den Ausführungen im Klageverfahren geheilt
worden. Dort hat die Beklagte die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen
Gründe mitgeteilt, aus denen sie auf einen Täuschungsversuch geschlossen
hat, und die einschlägigen Rechtsgrundlagen genannt. Anhaltspunkte für
weitere formelle Fehler liegen nicht vor.
Auch in materieller Hinsicht begegnet die Bewertungsentscheidung der
Beklagten keinen rechtlichen Bedenken. Die Hausarbeit des Klägers ist
rechtsfehlerfrei mit der Note „nicht ausreichend“ bewertet worden. Die Annahme
eines Täuschungsversuchs i. S. v. § 9 Abs. 3 Satz 1 PO seitens der Beklagten
ist nicht zu beanstanden.
Der genannten Regelung zur Bewertung eines Täuschungsversuchs liegt
zugrunde, dass eine Täuschung sowohl dem Prüfungszweck, das wahre
Leistungsvermögen der Prüflinge festzustellen, als auch dem
prüfungsrechtlichen Gebot der Chancengleichheit aus Art. 3 Abs. 1 GG zuwider
läuft. Dementsprechend ist eine geforderte Prüfungsleistung grundsätzlich von
dem Prüfling persönlich zu erbringen. Maßgebliche Ausgangsüberlegung ist
daher, vorgetäuschte oder sonst wie erschlichene Leistungen als Basis zur
Rechtfertigung eines Prüfungserfolges wirksam auszuschließen. Der Grundsatz
der Chancengleichheit verbietet es, dass sich ein Prüfling gegenüber anderen
Prüflingen nicht leistungsbedingte Vorteile verschafft. Somit setzt eine
Täuschung oder ein Täuschungsversuch in objektiver Hinsicht die Verletzung
einer Regel voraus, die von den Prüflingen zu beachten ist. In subjektiver
Hinsicht bedarf es zum einen der Kenntnis der tatsächlichen Umstände, aus
denen sich die Regelverletzung ergibt. Zum anderen muss die Regelverletzung
mit dem Vorsatz begangen werden, sich einen unberechtigten Vorteil zu
verschaffen. Es ist unerheblich, ob die Täuschung wirklich gelungen oder nur
versucht worden ist. Die Beurteilung, ob eine Täuschung oder ein
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Täuschungsversuch anzunehmen ist, unterliegt in tatsächlicher und rechtlicher
Hinsicht der uneingeschränkten verwaltungsgerichtlichen Nachprüfung. Die
materielle Beweislast für das Vorliegen eines Täuschungsversuchs trägt die
Prüfungsbehörde bzw. das für die Leitung der Prüfung zuständige
Prüfungsorgan. Allerdings können die tatbestandlichen Voraussetzungen des
Täuschungsversuchs durch den sog. Beweis des ersten Anscheins bewiesen
werden, wenn sich auf Grund feststehender Tatsachen bei verständiger
Würdigung der Schluss aufdrängt, dass der Prüfungsteilnehmer getäuscht hat.
Je nach den Umständen des Einzelfalles kann mit den Mitteln des
Anscheinsbeweises sowohl der Nachweis einer Regelverletzung als auch der
Nachweis des Täuschungsvorsatzes geführt werden. Spricht der erste Anschein
für das Vorliegen einer Regelverletzung und des Täuschungsvorsatzes, so ist
es Sache des Prüflings, die Schlussfolgerung, die auf diesem Anschein beruht,
zu entkräften. Hierfür reicht es nicht aus, die Denkmöglichkeit eines dem
Anschein nicht entsprechenden Ablaufs aufzuzeigen. Vielmehr muss der
Prüfling nachvollziehbar und in sich stimmig die Tatsachen schildern und ggf.
beweisen, aus denen sich die ernsthafte Möglichkeit eines vom Regelfall
abweichenden Ablaufes ergibt. Gelingt dies, so obliegt der Prüfungsbehörde der
sog. Vollbeweis (vgl. für alles Vorstehende Sächs.OVG, B. v. 30.04.2003 - 4 BF
40/03 -, juris; VG Braunschweig, U. v. 20.05.2008 - 6 A 404/07 -,
www.rechtsprechung.niedersachsen.de; Niehues/Fischer, a. a. O., Rn. 228 ff.).
Im vorliegenden Verfahren hat der Kläger nach dem Beweis des ersten
Anscheins mit der Abgabe seiner Hausarbeit eine Regelverletzung mit
Täuschungsvorsatz begangen. Gemäß § 7 Abs. 3 Satz 1 PO ist eine Hausarbeit
eine selbstständige schriftliche Bearbeitung einer fachspezifischen oder
fächerübergreifenden Aufgabenstellung. Grundvoraussetzung für eine
schriftliche Hausarbeit ist damit, dass der Prüfling die für den Erfolg
maßgeblichen Leistungen persönlich ohne fremde Hilfe und unverfälscht
erbringt (vgl. Nds. OVG, B. v. 18.05.2009 - 2 ME 96/09 -, juris). Nur dann ist es
im Hinblick auf die Chancengleichheit aller Prüflinge gerechtfertigt, ihm diesen
Erfolg zuzurechnen. Bei Hausarbeiten, in denen - wie hier - Fragestellungen zu
einem praktischen juristischen Fall zu beantworten sind, bezieht sich das
Erfordernis einer selbstständigen Bearbeitung in der Regel vor allem auf die
Analyse des entscheidungserheblichen Sachverhaltes, das Erstellen einer den
Fragestellungen entsprechenden Gliederung unter gleichzeitiger
Schwerpunktbildung sowie die Darstellung und Erörterung der sich ergebenden
Probleme anhand einer Auswertung der einschlägigen Rechtsprechung und
Literatur. Bei lebensnaher Betrachtung der Umstände bei der Anfertigung einer
Hausarbeit, die von einer Vielzahl von Prüflingen gleichzeitig und unter Nutzung
vielfach derselben Einrichtungen und Recherchemöglichkeiten erstellt wird, ist
nicht jeder Austausch einzelner Literaturhinweise als Regelverstoß und damit
als Täuschungsversuch zu bewerten. Auch Gespräche zwischen Prüflingen
über einzelne Fragestellungen der Hausarbeit überschreiten - unabhängig von
ihrer Nachweisbarkeit - die Schwelle zur unselbstständigen Bearbeitung
regelmäßig nicht. Allerdings liegt eine Täuschungshandlung im Sinne der
Prüfungsordnung jedenfalls dann vor, wenn wesentliche Teile der zur
Bewertung gestellten Leistung nicht vom Prüfling selbst, sondern von einer
anderen Person stammen und der Prüfling dies nicht kenntlich macht. Ebenso
liegt der Fall, wenn Prüflinge wesentliche Teile einer Hausarbeit gemeinsam
erarbeiten oder sich hinsichtlich wesentlicher Teile der Leistung untereinander
so abstimmen, dass die individuelle Leistung nicht mehr erkennbar wird (vgl.
BayVGH, U. v. 04.06.1997 - 7 B 96.3733 - und - 7 B 96.3803 - n. v.;
Zimmerling/Brehm, Prüfungsrecht, 3. Auflage, Rn. 389). Der Beweis des ersten
Anscheins für eine Täuschungshandlung dieser Art ist erbracht, wenn Arbeiten
eine Vielzahl von Übereinstimmungen in den für die Bewertung maßgeblichen
Teilen aufweisen.
Mit der Abgabe der Hausarbeit unter seinem Namen hat der Kläger konkludent
versichert, die Gliederung und Gesamtkonzeption der Fallbearbeitung sowie die
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Darstellung eigenständig entwickelt zu haben. Im vorliegenden Fall drängt sich
jedoch bei verständiger Würdigung aufgrund feststehender Tatsachen der
Verdacht auf, dass der Kläger und Herr I. sich hinsichtlich wesentlicher Teile der
Hausarbeit untereinander so abgestimmt haben, dass die jeweils individuelle
Leistung nicht mehr erkennbar ist. Denn die Arbeiten stimmen weitgehend
überein. Damit ist der Beweis des ersten Anscheins für eine Regelverletzung
erbracht. Dies ergibt sich anhand einer vergleichenden Analyse der beiden
Hausarbeiten, die nicht nur zahlreiche Übereinstimmungen bei der Darstellung,
sondern auch bei der Fallgliederung und der allgemeinen Schwerpunktsetzung
aufzeigt. Wie bereits K. in seiner überzeugenden Stellungnahme vom
14.09.2011 ausführt, ist die Gliederung zu allen drei Fragestellungen zwar nicht
wörtlich, jedoch inhaltlich identisch, und die Ausführungen zu den einzelnen
Gliederungspunkten sind jeweils ähnlich lang. Damit hat eine weitgehend
identische Schwerpunktbildung in den Arbeiten beider Prüflinge stattgefunden.
Darüber hinaus kommen beide Bearbeiter - auch nach den Feststellungen von
K. - bei den zu entscheidenden Rechtsfragen immer zu identischen Ansätzen
bzw. Ergebnissen. Unter Zuhilfenahme der von F. und Frau G. erstellten
Synopse der beiden Hausarbeiten ergeben sich zahlreiche weitere inhaltliche
und wörtliche Übereinstimmungen sowie gemeinsam gemachte Fehler, die in
dreißig Punkten von den Prüfern in ihrer Stellungnahme im Einzelnen
nachvollziehbar und überzeugend erläutert werden. So prüfen z. B. beide
Bearbeiter eine Fallgestaltung, die sich nach dem vorgegebenen Sachverhalt
nicht aufdrängt (s. Ziffer 6 der Stellungnahme von F. und Frau G.). Ebenso fallen
übereinstimmende Eigentümlichkeiten in der Wortwahl und der Zitierung auf (vgl.
Ziffern 5, 7, 8 und 13). Darüber hinaus enthalten beide Bearbeitungen identische
Fehler (vgl. Ziffern 3, 12, 22 und 30), die auf eine gemeinsame Erarbeitung
schließen lassen. Selbst wenn einzelne der insgesamt dargestellten
Auffälligkeiten auf die grundsätzliche juristische Methodik oder den juristischen
Sprachgebrauch zurückgeführt werden könnten (vgl. Nds. OVG, B. v.
31.03.2011 - 2 LA 343/10 -), liegt hier eine so große Vielzahl von
Übereinstimmungen im Hinblick auf unterschiedliche Anforderungen der
Fallbearbeitung vor, dass nicht von zufälligen Übereinstimmungen
ausgegangen werden kann. Ob die vom Kläger bereits im Verwaltungsverfahren
eingeräumte „periphere gemeinsame Literaturrecherche“ und fachliche
Diskussion mit Herrn I. als zum Täuschungsversuch führende
Regelverletzungen zu qualifizieren sind, muss hier nicht entschieden werden.
Auf Nachfrage in der mündlichen Verhandlung hat der Kläger dazu erläutert,
dass sie bzgl. des ersten und zweiten Teils der Hausarbeit die ermittelte Literatur
jeweils gegenseitig an den anderen weitergegeben hätten. Außerdem hätten sie
über die BGH-Entscheidung zum „dual use“ und weitere Kleinigkeiten
gesprochen und sich dazu Notizen gemacht. Jedenfalls wären diese
Verhaltensweisen allein nicht geeignet, zu der oben dargestellten Vielzahl von
Übereinstimmungen in wesentlichen Teilen der Hausarbeiten zu führen. Damit
drängt sich aufgrund feststehender Tatsachen auf, dass der Kläger keine
selbstständige Bearbeitung der Hausarbeit abgegeben hat. Vielmehr sprechen
diese dafür, dass über unschädliche Kontakte zu anderen Prüflingen hinaus (s.
o.) eine weitgehende gemeinsame Bearbeitung der Hausarbeit zusammen mit
Herrn I. stattgefunden hat, die es unmöglich macht, den Bearbeitern die jeweilige
Arbeit als individuelle Leistung zuzuordnen. Damit ist von einer
Täuschungshandlung auszugehen.
Dem Kläger ist es auch nicht gelungen, diesen Anscheinsbeweis zu entkräften.
Die von ihm dazu in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Unterlagen sind
nicht geeignet,
die ernsthafte Möglichkeit eines vom oben dargestellten Regelfall abweichenden
Ablaufes zu beweisen. Denn dabei handelt es sich um handschriftliche und
ausgedruckte Aufzeichnungen, die der Kläger nach seinen Angaben während
der Bearbeitung der Hausarbeit gemacht hat, Ausdrucke von zum Thema
passenden Übungsklausuren und juristischen Ausarbeitungen sowie Belege
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zum Kauf von juristischer Fachliteratur. Inwiefern diese Unterlagen die Annahme
eines Täuschungsversuchs aufgrund der dargelegten zahlreichen
Übereinstimmungen in den beiden Hausarbeiten widerlegen sollen, ist nicht
ersichtlich. Darüber hinaus hat der Kläger keine Ausführungen gemacht, die die
festgestellten Übereinstimmungen ohne die Annahme eines
Täuschungsversuches plausibel machen könnten.
Neben einer Regelverletzung ist auch ein Täuschungsvorsatz des Klägers
anzunehmen. Entgegen der Ansicht des Klägers setzt dies nicht den
zielgerichteten Willen voraus, gegenüber dem Prüfer den unrichtigen Eindruck
zu erwecken, dass die Hausarbeit das Ergebnis einer selbstständigen
Bearbeitung der Aufgabenstellung darstellt. Vielmehr reicht ein bedingter
Vorsatz; d. h. genügt, wenn billigend in Kauf genommen wurde, dass die Prüfer
über die selbstständige Bearbeitung der Hausarbeit getäuscht werden und die
Leistung als eine selbstständige anerkannt und bewertet wird (vgl. Nds. OVG, B.
v. 18.05.2009, a. a. O.). Drängt sich aufgrund der tatsächlichen Umstände auf,
dass aufgrund einer der geltenden Prüfungsordnung widersprechenden
Abstimmung zwischen dem Kläger und Herrn I. eine in weiten Teilen gleiche
Bearbeitung des Falles mit einer Vielzahl von Übereinstimmungen erfolgt ist,
spricht gleichzeitig der Beweis des ersten Anscheins für den (bedingten)
Vorsatz, die Prüfer im Hinblick auf die Selbstständigkeit der Bearbeitung zu
täuschen. Auch insoweit hat der Kläger den Beweis des ersten Anscheins nicht
entkräftet. Er kann sich hier auch nicht auf den lediglich für die strafrechtliche
Verfolgung geltenden Grundsatz „in dubio pro reo“ (im Zweifel für den
Angeklagten) berufen.