Urteil des VG Berlin vom 22.10.2009

VG Berlin: vorläufiger rechtsschutz, abschiebung, drittstaat, verordnung, zustellung, flüchtling, afghanistan, sicherheit, hauptsache, quelle

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Gericht:
VG Berlin 33.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
33 L 225.09 A
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 31 Abs 1 AsylVfG, § 27a
AsylVfG, § 34a Abs 1 AsylVfG, §
34 a Abs 2 AsylVfG, § 26a Abs 2
AsylVfG
Vorläufiger Rechtsschutz bei beabsichtigter Abschiebung nach
Griechenland
Tenor
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, gegenüber
der Beigeladenen sicherzustellen, dass eine Abschiebung des Antragstellers vorläufig
nicht vollzogen wird.
Im Übrigen wird der Antrag zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens zur Hälfte.
Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens je zu ¼.
Gründe
Der aus Afghanistan stammende Antragsteller begehrt die Gewährung vorläufigen
Rechtsschutzes gegen seine für den 26. Oktober 2009 beabsichtigte Abschiebung nach
Griechenland. Seinen Angaben zufolge gelangte er nach seiner Ausreise aus
Afghanistan über die Türkei zunächst nach Griechenland, wo er sich mehrere Wochen
aufhielt. Von Athen aus reiste er schließlich auf dem Luftweg am 31. August 2009 illegal
in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 1. September 2009 einen
Asylantrag.
Das Begehren des Antragstellers hat in der Form des auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung gemäß § 123 VwGO gerichteten Hilfsantrages Erfolg. Ein Antrag auf
Anordnung der aufschiebenden Wirkung der zugleich zum Aktenzeichen VG 33 K 226.09
A erhobenen Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO scheidet demgegenüber aus, weil ein auf
den 7. Oktober 2009 datierter Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge,
in dem der Asylantrag für unzulässig erklärt und die Abschiebung nach Griechenland
angeordnet werden, mangels Zustellung (vgl. § 31 Abs. 1 Sätze 2, 4 u. 5 AsylVfG) noch
keine Wirksamkeit erlangt hat. Dem Antragsteller ist indes nicht zuzumuten, zunächst
vor Stellung eines Eilantrages die Zustellung dieses Bescheides abzuwarten, weil die
Gewährung effektiven Rechtsschutzes angesichts der in Verfahrenskonstellationen nach
§§ 27 a, 34 a AsylVfG gesetzlich möglichen und regelmäßig vorgesehenen kurzfristigen
Zustellung nicht möglich wäre.
Vorgesehen ist die Abschiebung des Antragstellers auf der Grundlage von § 34 a Abs. 1
Satz 1 AsylVfG nach Griechenland, als Mitglied der Europäischen Gemeinschaften ein
sicherer Drittstaat im Sinne von Art. 16 a Abs. 2 Satz 1 GG und § 26 a Abs. 2 AsylVfG.
Aus Art. 10 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 des Rates der Europäischen Union
vom 18. Februar 2003 - Dublin II - ergibt sich, dass Griechenland grundsätzlich für die
Durchführung eines Asylverfahrens des Antragstellers im Sinne von § 27 a AsylVfG
zuständig ist. Griechenland ist auch zur Wiederaufnahme des Antragstellers verpflichtet,
weil auf ein entsprechendes Ersuchen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge
vom 31. August 2009 keine Reaktion erfolgte und daher gemäß § 18 Abs. 7 Dublin II die
Fiktion der Stattgabe des Aufnahmegesuchs eingetreten ist.
Allerdings heißt es in § 34 a Abs. 2 AsylVfG, dass die Abschiebung nach Abs. 1 nicht
nach §§ 80 oder 123 VwGO ausgesetzt werden darf. Die verfassungsrechtlich nicht zu
beanstandende Norm des § 34 a AsylVfG mutet es damit einem Asylantragsteller zu, die
Rechtsverfolgung vom Ausland her zu betreiben. Dennoch hindert die Vorschrift
vorliegend einen Eilantrag nicht.
Entgegen dem Wortlaut des § 34 a Abs. 2 AsylVfG kann in Ausnahmefällen einstweiliger
Rechtsschutz gewährt werden. Das Bundesverfassungsgericht stellt in seinem Urteil vom
14. Mai 1996 (- 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49 ff.) auf das sog.
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14. Mai 1996 (- 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 - BVerfGE 94, 49 ff.) auf das sog.
Konzept der normativen Vergewisserung über die Sicherheit des Flüchtlings im Drittstaat
ab. Diese normative Vergewisserung bezieht sich darauf, dass der Drittstaat einem
Betroffenen, der sein Gebiet als Flüchtling erreicht hat, den gebotenen Schutz vor
politischer Verfolgung und anderen ihm im Herkunftsstaat drohenden schwerwiegenden
Beeinträchtigungen seines Lebens, seiner Gesundheit oder seiner Freiheit gewährt.
Insoweit ist die Sicherheit des Flüchtlings im Drittstaat generell festgestellt. Soll der in
der Bundesrepublik um Schutz nachsuchende Flüchtling daher in diesen Drittstaat
zurückgewiesen oder zurückverbracht werden, so entfällt eine gesonderte Prüfung von
Abschiebungshindernisses gemäß § 60 AufenthG (vormals §§ 51, 53 AuslG). Die
Bundesrepublik Deutschland hat allerdings Schutz zu gewähren, wenn
Abschiebungshindernisse nach § 60 AufenthG durch Umstände begründet werden, die
ihrer Eigenart nach nicht vorweg im Rahmen des Konzepts normativer Vergewisserung
von Verfassung oder Gesetz berücksichtigt werden können und damit von vornherein
außerhalb der Grenzen liegen, die der Durchführung eines solchen Konzepts aus sich
selbst heraus gesetzt sind. Eine Prüfung, ob der Zurückweisung oder sofortigen
Rückverbringung in den Drittstaat ausnahmsweise Hinderungsgründe entgegenstehen,
kann der Ausländer jedoch nur erreichen, wenn es sich aufgrund bestimmter Tatsachen
aufdrängt, dass er von einem im normativen Vergewisserungskonzept nicht
aufgefangenen Sonderfälle betroffen ist.
Es kann an dieser Stelle offen bleiben, ob mit einem Teil der verwaltungsgerichtlichen
Rechtsprechung unter Berücksichtigung vorhandener Erkenntnisquellen davon
auszugehen ist, dass Asylbewerber derzeit in Griechenland generell gravierenden
Schwierigkeiten hinsichtlich des Zugangs zum Asylverfahren, dessen Durchführung und
der Sicherung ihres Lebensunterhalts ausgesetzt sind (so. z.B. VG Düsseldorf, Beschluss
vom 22. Dezember 2008 - 13 L 1993/08.A -; VG Berlin, Beschluss vom 27. Februar 2009
- VG 34 L 57.09 A -; VG Gießen, Beschluss vom 22. April 2009 - 1 L 775/09.GI.A -;
Schleswig-Holsteinisches Verwaltungsgericht, Beschluss vom 12. August 2009 - 9 B
37/09 -). Ebenso ist unerheblich, inwieweit der Antragsteller sich auf allgemein gehaltene
Rügen hinsichtlich der Ausgestaltung und Umsetzung des Flüchtlingsschutzes in
Griechenland beschränkt oder auch konkrete Umstände zur Art seiner Behandlung dort
als Flüchtling vorträgt. Weiter muss der Umstand, dass der Antragsteller offenbar von
Anfang an beabsichtigte, nach Deutschland zu gelangen, wo Verwandte von ihm leben,
nicht bewertet werden. Auch wenn es schließlich - wie die Beigeladene vorträgt - so sein
mag, dass ihm nach der Abschiebung aus der Bundesrepublik Deutschland in
Griechenland eher eine größere Aufmerksamkeit zu Teil werden würde als anderen
Asylbewerbern, geht das Gericht von einem die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes
zulassenden Sonderfall im Hinblick darauf aus, dass das Bundesverfassungsgericht
nunmehr in mehreren Eilverfahren die Vollziehung von Abschiebungen nach
Griechenland vorläufig untersagt hat (Beschlüsse vom 8. September 2009 - 2 BvQ 56/09
-, vom 23. September 2009 - 2 BvQ 68/09 - und vom 9. Oktober 2009 - 2 BvQ 72/09 -).
Auf zwischen dem verfassungsprozessualen und verwaltungsgerichtlichen
Eilrechtsschutz bestehende Unterschiede kommt es dabei nicht an. Entscheidend für die
ausnahmsweise anzunehmende Zulässigkeit verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutzes
ist, dass das Bundesverfassungsgericht unter Berücksichtigung umfangreichen
Beschwerdevorbringens zur Situation von Asylantragstellerin in Griechenland Anlass zur
Untersuchung sieht, ob und gegebenenfalls welche Vorgaben das Grundgesetz für die
fachgerichtliche Prüfung der Grenzen des Konzepts der normativen Vergewisserung bei
der Anwendung von § 34 a Abs. 2 AsylVfG trifft, wenn Gegenstand des
Eilrechtsschutzantrags eine beabsichtigte Abschiebung in einen nach der Verordnung
(EG) Nr. 343/2003 zuständigen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Gemeinschaften
ist. Der Entscheidung ist eine über den Einzelfall hinausgehende Tragweite beizumessen
(VG des Saarlandes, Beschluss vom 15. September 2009 - 2 L 876/09 -). Vor dem
Hintergrund, dass das Bundesverfassungsgericht auf die Verfassungsbeschwerden und
Eilanträge von vor den Verwaltungsgerichten unterlegenen Antragstellern
Abschiebungen nach Griechenland untersagt, erscheint es nur folgerichtig, wenn bereits
zuvor im fachgerichtlichen Verfahren vorläufiger Rechtsschutz nicht von vornherein in
Anwendung des § 34 Abs. 2 AsylVfG ausgeschlossen wird.
Die begehrte einstweilige Anordnung auf vorläufige Untersagung der Abschiebung des
Antragstellers ist zu erlassen. Das Bundesverfassungsgericht hat den Ausgang des
Verfassungsbeschwerdeverfahrens als offen angesehen. Mithin ist auch offen, inwieweit
der Antragsteller in einem verwaltungsgerichtlichen Klageverfahren mit seinem
Begehren, seine Abschiebung zu verhindern und im Ergebnis eine Prüfung seines
Asylantrages in Deutschland zu erreichen, durchdringen könnte. Deswegen ist auch im
verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren eine Folgenabwägung vorzunehmen. Das
Bundesverfassungsgericht hat diesbezüglich ausgeführt:
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„Bliebe dem Antragsteller der begehrte Erlass der einstweiligen Anordnung
versagt, obsiegte er aber in der Hauptsache, könnten möglicherweise bereits
eingetretene Rechtsbeeinträchtigungen nicht mehr verhindert oder rückgängig gemacht
werden. So wäre bereits die Erreichbarkeit des Antragstellers in Griechenland für die
Durchführung des Hauptsacheverfahrens nicht sichergestellt, sollte, wie von ihm,
gestützt auf ernst zu nehmende Quellen, befürchtet, ihm in Griechenland eine
Registrierung faktisch unmöglich sein und ihm die Obdachlosigkeit drohen. Die Nachteile,
die entstünden, wenn die einstweilige Anordnung erginge, dem Antragsteller der Erfolg in
der Hauptsache aber versagt bliebe, wiegen dagegen hier weniger schwer. Insbesondere
widerspricht die Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz im Überstellungsverfahren
nicht gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland. Eine
gemeinschaftsrechtliche Pflicht zum Ausschluss des vorläufigen Rechtsschutzes bei
Überstellungen nach der Verordnung (EG) Nr. 343/2003 besteht nicht. Vielmehr sieht
das Gemeinschaftsrecht die Möglichkeit der Gewährung vorläufigen fachgerichtlichen
Rechtsschutzes gegen Überstellungen an den zuständigen Mitgliedstaat nach deren Art.
19 Abs. 2 Satz 4 und Art. 20 Abs. 1 Buchstabe e Satz 4 der Verordnung (EG) Nr.
343/2003 selbst vor.“
Diesen Ausführungen schließt sich das Gericht an (so im Ergebnis auch VG Minden,
Beschluss vom 10. September 2009 - 9 L 474/09.A -; VG Berlin, Beschluss vom 2.
Oktober 2009 - VG 9 L 452.09 A -; VG Düsseldorf, Beschluss vom 14. Oktober 2009 - 18
L 1542/09.A -). Angesichts der Unwägbarkeiten, die mit einem künftigen Aufenthalt des
Antragstellers in Griechenland verbunden wären, sieht sich das Gericht durch den
Vortrag der Beigeladenen, die Erreichbarkeit des Antragstellers im Fall seiner
Überstellung sei gewährleistet, da ihm gerichtliche Verfügungen über den
grenzpolizeilichen Verbindungsbeamten bei der Deutschen Botschaft in Athen
zukommen könnten, nicht zu einer abweichenden Folgenabwägung veranlasst.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 3, 155 Abs. 1 Satz 1, 162 Abs. 3 VwGO.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (vgl. § 80 AsylVfG)
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