Urteil des VG Berlin vom 29.03.2017
VG Berlin: überwiegendes öffentliches interesse, bezirk, sondernutzung, behörde, widerruf, recycling, gefahr, einfluss, verunreinigung, allgemeininteresse
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Gericht:
VG Berlin 1. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 K 618.09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 46 StVO, § 11 StrG BE, § 13
StrG BE
Nutzung öffentlichen Straßenlandes zum Aufstellen von
Altkleidercontainern in Berlin
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die
Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des beizutreibenden Betrages
abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils
beizutreibenden Betrages leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Verlängerung einer Sondernutzungserlaubnis zum Aufstellen
von 62 Altkleidersammelbehältern in Neukölln.
Mit Bescheid vom 3. Mai 2004 erteilte das Bezirksamt Neukölln der Rechtsvorgängerin
der Klägerin im Rahmen eines Pilotprojekts „Arbeit durch Altkleider“ eine
Sondernutzungserlaubnis für die Zeit bis zum 3. April 2009 zum Aufstellen von 100
Altkleidersammelcontainern auf näher bezeichneten Straßen in Neukölln. Die Erlaubnis
enthielt unter anderen Auflagen, nach denen der Erlaubnisnehmer für die unverzügliche
Beseitigung von Verunreinigungen verantwortlich war, die durch den
bestimmungsgemäßen und üblichen Gebrauch der Sammelcontainer verursacht
wurden. Mit Bescheid vom 19. Juli 2006, aufrechterhalten im Widerspruchsbescheid vom
9. November 2006, widerrief das Bezirksamt die Sondernutzungserlaubnis mit der
Begründung, ein ansprechendes Äußeres der Container sei nicht erreicht worden; fast
alle seien mit Graffiti beschmiert. Es werde immer wieder eine starke Vermüllung um die
Container herum festgestellt, und die Klägerin komme ihrer Säuberungspflicht nicht
rechtzeitig nach, so dass das ohnehin angegriffene Stadtbild Neuköllns noch mehr
beeinträchtigt werde. Im Zuge des von der Klägerin am 13. Dezember 2006 gegen den
Widerruf angestrengten Rechtsstreits (VG 1 A 288.06) einigten sich die Beteiligten, und
der Widerruf wurde aufgehoben.
Am 22. Juli 2008 erhob ein Konkurrent der Klägerin Klage auf Erteilung einer
Sondernutzungserlaubnis zum Aufstellen von Altkleidersammelbehältern im Bezirk
Neukölln (VG 1 A 186.08) In der mündlichen Verhandlung am 5. März 2009 äußerte das
Gericht die Auffassung, dass die Beeinträchtigung städtebaulicher Belange ein
überwiegendes öffentliches Interesse darstellen könne, das der Erteilung einer
Sondernutzungserlaubnis entgegenstehe. Es sei gerichtsbekannt, dass es im Bezirk
Neukölln ein besonderes Vermüllungsproblem gebe. Dieses Problem könne durch
Auflagen zur Sondernutzungserlaubnis nur teilweise gelöst werden. Der Beklagte
erklärte, dass er nunmehr ein einheitliches Konzept verfolge und keinerlei
Altkleidersammelcontainer im Bezirk mehr zulassen werde. Die Beteiligten erklärten
danach den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.
Am 31. März 2009 beschloss das Bezirksamt, für das Aufstellen von Altkleidercontainern
auf öffentlichem Straßenland im Bezirk Neukölln keine Sondernutzungserlaubnisse mehr
zu erteilen. In der Beschlussvorlage 47/09 wurde zur Begründung ausgeführt, dass
zunehmende Müllablagerungen von Gegenständen an Sammelcontainern, die nicht mit
der Sammlung im Zusammenhang stünden, das Ordnungsamt vor große Probleme
stellten. Die Entsorgung könne nicht dem Recycling-Unternehmen auferlegt werden,
sondern erfolge unentgeltlich durch die BSR. Zwar würden die Müllablagerungen
unverzüglich der BSR gemeldet. Auf den Zeitpunkt der Abholung habe der Bezirk aber
keinen Einfluss, so dass der Müll häufig über einen längeren Zeitraum liegenbleibe und
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keinen Einfluss, so dass der Müll häufig über einen längeren Zeitraum liegenbleibe und
sogar noch zunehme.
Mit einem am 6. April 2009 beim Beklagten eingegangenen Schreiben beantragte die
Klägerin die Fortführung der bisherigen Sondernutzungserlaubnis. In einer Anlage waren
62 Standorte aufgeführt.
Das Bezirksamt Neukölln von Berlin versagte die Erlaubnis mit Bescheid vom 17. April
2009. Zur Begründung bezog sich der Beklagte auf den Beschluss des Bezirksamts vom
31. März 2009. Ferner wurde ausgeführt, dass die Sondernutzungserlaubnis eine
straßenrechtliche Ausnahmegenehmigung darstelle, auf deren Erteilung grundsätzlich
kein Rechtsanspruch bestehen könne. Aus städtebaulichen Gründen seien
Altkleidersammelcontainer nicht mehr auf öffentlichem Straßenland zuzulassen. Die
Müllablagerungen an Sammelcontainern stellten ein großes Problem dar. Das Aufstellen
von Glascontainer stelle dagegen ein Projekt des Senats von Berlin dar, auf das das
Bezirksamt keinen direkten Einfluss habe. Altpapiercontainer gebe es in Neukölln nicht
auf öffentlichem Straßenland.
Am 7. Mai 2009 legte die Klägerin hiergegen Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie
aus, dass es bereits im Gerichtsverfahren zum Widerruf um die Verunreinigung des
Straßenbildes gegangen sei. Im Oktober 2007 habe man sich darauf geeinigt, dass die
Klägerin kleinteiligen Müll zusammen mit der wöchentlichen Entleerung der Container
beseitige und bei Sperrmüllfunden die BSR informiere. Beschwerden über
Verschmutzungen habe das Ordnungsamt an die Kläger weiterleiten sollen. Seither
seien lediglich drei Verschmutzungsmeldungen bei der Klägerin eingegangen, auf die
man spätestens am Folgetag reagiert habe. Nur in zwei Fälle habe die BSR informiert
werden müssen. Das Verunreinigungsproblem betreffe zudem immer nur sehr wenige
Standorte und nicht sämtliche Standorte im Bezirk.
Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 30. Juni 2009,
zugestellt am 3. Juli 2009 zurück. Durch die Kleidercontainer würden städtebauliche
Belange in hohem Maße beeinträchtigt. Beschmierungen und das Vermüllungsproblem
führten seit Jahren zu vermehrten Anwohnerbeschwerden. Gleichartige
Erlaubniserteilungen seien vom Bezirk durchgängig und nachvollziehbar abgelehnt
worden.
Mit der am 3. August 2009 erhobenen Klage verfolgt die Klägerin ihr Anliegen weiter. Sie
ist der Auffassung, dass die Erlaubnis rechtswidrig versagt worden sei. Sie habe wegen
einer Ermessenreduzierung auf „Null“ Anspruch auf Erteilung der beantragten
Sondernutzungserlaubnis. Gemäß § 11 Abs. 2 BerlStrG sei die Erlaubnis „in der Regel“
zu erteilen, wenn überwiegende öffentliche Interessen der Sondernutzung nicht
entgegenstünden oder ihnen durch Nebenbestimmungen zur Erlaubnis entsprochen
werden könne. In den Bescheiden werde lediglich auf das generelle Vermüllungsproblem
hingewiesen. Es fehle eine Auseinandersetzung mit der besonderen Situation der
Klägerin, für deren Altkleidercontainer aussagekräftige Erfahrungswerte vorlägen. Bei der
Einigung im Widerrufsverfahren sei man davon ausgegangen, dass die Container der
Klägerin gerade nicht zu einer beachtenswerten Vermüllung des Bezirks beigetragen
hätten. Die Klägerin habe stets unmittelbar auf etwaige Verschmutzungsmeldungen
reagiert und kurzfristig für eine Beseitigung des Mülls gesorgt. Eine
berücksichtigungsfähige Beeinträchtigung des Orts- bzw. Stadtbildes in tatsächlicher
Hinsicht sei für die in Rede stehenden Containerstandorte gerade nicht festgestellt
worden. Die Erfahrung, dass durch die Standorte der Klägerin gerade keine unzumutbare
Vermüllung hervorgerufen werde, sei von besonderem Gewicht, weil die Thematik über
einen langen Zeitraum intensiv beobachtet und diskutiert worden sei. Dass Erlaubnisse
bei gleichartigen Anträgen abgelehnt worden seien, sei rechtlich nicht erheblich. Die
pauschale Entscheidung, überhaupt keine Sondernutzungserlaubnisse für
Altkleidercontainer zu erteilen, könne den Vorgaben des § 11 BerlStrG nicht genügen.
Die vollständige Versagung der Erlaubnis sei nicht erforderlich. Dem öffentlichen
Interesse an einer Begrenzung der Vermüllung könne durch Nebenbestimmungen
entsprochen werden. Zudem hätte die Versagung auf einzelne betroffene Standorte
begrenzt werden müssen. In die Abwägung müssten auch das wirtschaftliche Interesse
der Klägerin und das Allgemeininteresse an der Aufstellung von Altkleidercontainern zur
Vermeidung von Abfällen durch Recycling eingestellt werden.
In der mündlichen Verhandlung am 11. Mai 2010 hat die Sachbearbeiterin des Beklagten
Frau Sch. dargelegt, wie der Bezirk bei der Meldung von Müll auf Straßenland verfährt.
Der Beklagtenvertreter legte Fotos von Altkleidersammelcontainern u.a. der Klägerin
vor. Der Mitarbeiter der Klägerin Herr T. erläuterte, wie die Klägerin bei
Verschmutzungen im Zusammenhang mit ihren Altkleidercontainer vorgeht. Hinsichtlich
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Verschmutzungen im Zusammenhang mit ihren Altkleidercontainer vorgeht. Hinsichtlich
der Einzelheiten wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 17. April 2009 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides vom 30. Juni 2009 zu verpflichten, dem Kläger eine
Sondernutzungserlaubnis für das Aufstellen von Altkleidersammelcontainern im Bezirk
Neukölln von Berlin an den im Antrag genannten Standorten zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte verweist zur Begründung im Wesentlichen auf den Beschluss des
Bezirksamts und die beiden Bescheide.
Die Kammer hat den Rechtsstreit durch Beschluss vom 22. Januar 2010 gemäß § 6 Abs.
1 VwGO auf den Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
wird auf den Inhalt der Streitakte sowie des von dem Beklagten vorgelegten
Verwaltungsvorganges verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet. Der angegriffene Bescheid des
Bezirksamts Neukölln von Berlin vom 17. April 2009 in Gestalt des
Widerspruchsbescheides derselben Behörde vom 30. Juni 2009 ist rechtmäßig und
verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Sie hat keinen
Anspruch auf Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zur Nutzung öffentlichen
Straßenlandes zum Aufstellen von Altkleidercontainern (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Ein Anspruch der Klägerin auf die begehrte Ausnahmegenehmigung richtet sich nach §
46 StVO i.V.m. §§ 11 Abs. 1, 13 BerlStrG. Nach der Neufassung des § 11 Abs. 2 Satz 1
BerlStrG (in der seit 24. Juni 2006 geltenden Fassung) soll die Erlaubnis für eine
Sondernutzung in der Regel erteilt werden, wenn überwiegende öffentliche Interessen
der Sondernutzung nicht entgegenstehen oder ihnen durch Nebenbestimmungen zur
Erlaubnis entsprochen werden kann. Damit steht die Erteilung einer
Sondernutzungserlaubnis nicht mehr – wie vor der Änderung des Berliner
Straßengesetzes im Jahre 2006 – im „weiten“ Ermessen der Behörde. Denn eine „Soll-
Vorschrift“ verpflichtet die Behörde, grundsätzlich so zu verfahren, wie es im Gesetz
bestimmt ist. Nach dem Willen des Gesetzgebers sollen (einfache) öffentliche Interessen
für eine Versagung der Sondernutzungserlaubnis nicht mehr genügen. Vielmehr verlangt
§ 11 Abs. 2 Satz 1 BerlStrG in der jetzt geltenden Fassung erstmals überwiegende
öffentliche Interessen und hält damit nicht mehr an der bisherigen Regelung fest, jeden
sachlichen Grund für eine Versagung genügen zu lassen. Dies verdeutlicht, dass sich die
Straßenbaubehörde künftig nicht mehr von allgemeinen ordnungsrechtlichen
Erwägungen und damit von jedem öffentlichen Interesse leiten lassen darf, um die
Ablehnung oder eingeschränkte Erteilung einer Sondernutzungserlaubnis zu
rechtfertigen (vgl. zum Ganzen OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 20. März 2007
– OVG 1 B 8.06).
Gleichwohl braucht das erforderliche überwiegende öffentliche Interesse nicht
straßenbezogen zu sein (so zur früheren Rechtslage OVG Berlin, Beschluss vom 16.
August 2000 – OVG 1 S 5.00). § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis 4 BerlStrG in seiner alten
Fassung nannte ausdrücklich als entgegenstehende öffentliche Belange die
Beeinträchtigung städtebaulicher oder sonstiger öffentlichen Belange sowie schädliche
Umwelteinwirkungen, die von der Sondernutzung ausgehen. Bei Änderung des Berliner
Straßengesetzes wollte der Gesetzgeber nicht den Kreis der berücksichtigungsfähigen
entgegenstehenden öffentlichen Interessen begrenzen. Nach den Gesetzesmaterialien
sollte die Sondernutzung öffentlichen Straßenlandes zwar für Private erleichtert und eine
wirtschaftsfreundlichere Genehmigungspraxis angestoßen werden; mit der Streichung
der in § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis 4 BerlStrG alter Fassung benannten öffentlichen
Belange sollten jedoch lediglich für die Entscheidungsfindung nicht relevante
Aufzählungen dereguliert werden (Abgeordnetenhaus von Berlin, Drs. 15/3584, S. 15).
Eine sachliche Änderung war insoweit nicht beabsichtigt.
Die Feststellung, ob öffentliche Interessen überwiegen, bedarf einer wertenden
Gegenüberstellung der betroffenen öffentlichen Belange mit den schutzwürdigen
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Gegenüberstellung der betroffenen öffentlichen Belange mit den schutzwürdigen
Interessen des Antragstellers. Dabei kann offen bleiben – und ist bislang weder in der
Rechtsprechung dieser Kammer noch des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg
entschieden, ob es sich insoweit um eine Ermessensentscheidung oder um eine
gebundene Entscheidung, gegebenenfalls verbunden mit einem Beurteilungsspielsraum
der Behörde handelt. Die Ausgestaltung des § 11 Abs. 2 BerlStrG als
Anspruchstatbestand für den Regelfall spricht dafür, dass die Abwägung grundsätzlich
einer vollständigen gerichtlichen Kontrolle unterliegt. Andererseits wollte der
Gesetzgeber, dass der Straßenbaubehörde auch in Zukunft ein gewisser
Entscheidungsspielraum für den Einzelfall verbleibt (Abgeordnetenhaus von Berlin
a.a.O.). Aber auch soweit eine vollständige gerichtliche Überprüfbarkeit besteht, bleibt es
Sache der Behörde, die betroffenen öffentlichen Interessen etwa des Städtebaus für den
Bezirk zu definieren, zu konkretisieren und zu gewichten. Insoweit ist die gerichtliche
Prüfung darauf beschränkt, ob es sich um einen anerkannten öffentlichen Belang
handelt, ob die Konkretisierung nachvollziehbar ist und die straßenrechtliche Praxis etwa
aufgrund eines Konzepts einheitlich und willkürfrei gehandhabt wird.
Das wirtschaftliche Interesse des Antragstellers an der Nutzung des Gehwegs oder des
Begleitgrüns kann ganz erheblich sein. Gleichwohl ist auch im Rahmen der Abwägung zu
berücksichtigen, dass die Verfügungsmacht über öffentliches Straßenland dem Staat
zugewiesen ist, der das Grundstück für den Gemeingebrauch gewidmet hat. Die
Möglichkeit für den Antragsteller, das öffentliche Straßenland zu nutzen, ist
verfassungsrechtlich weder dem Eigentum noch dem Recht am eingerichteten und
ausgeübten Gewerbebetrieb zugeordnet, sondern stellt eine bloße Gewinnchance dar.
Beanspruchen kann er die Nutzung allein nach Maßgabe des einfachen Landesrechts
sowie unter dem Gesichtspunkt der Selbstbindung der Verwaltung und der
Gleichbehandlung mit anderen Sondernutzern.
Nach diesen Maßstäben stehen einer Nutzung öffentlichen Straßenlandes zum
Aufstellen von Altkleidercontainern, bei der es sich unstreitig um eine Sondernutzung im
Sinne von § 11 Abs. 1 BerlStrG handelt, im Bezirk Neukölln von Berlin überwiegende
öffentliche Interessen entgegen. Die Beeinträchtigung städtebaulicher Belange stellt ein
überwiegendes öffentliches Interesse dar. Dass diese Belange einer Sondernutzung
entgegenstehen können, ergab sich ausdrücklich aus § 11 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 BerlStrG
alter Fassung; die Streichung der ausdrücklichen Erwähnung in der Neufassung des
Gesetzes hatte – wie dargelegt – allein redaktionelle Gründe. Die Bezirke Berlins sind
befugt, in den Grenzen ihrer Kompetenzen städtebauliche Belange für den Bezirk zu
konkretisieren und insoweit auch eigene Konzepte zu entwickeln. Das Bezirksamt
Neukölln kann sich im Rahmen einer einheitlichen Praxis aus Gründen des Schutzes des
Stadtbildes dafür entscheiden, wegen der in der Umgebung von Sammelcontainer
gehäuft auftretenden Vermüllung und wegen der drohenden Verunstaltung von
Containern durch Graffitis überhaupt keine Altkleidercontainer mehr auf öffentlichem
Straßenland im Bezirk zuzulassen.
Es ist allgemein bekannt, dass der Bezirk Neukölln im besonderen Maße mit der
unbefugten Ablagerung von Müll auf öffentlichem Straßenland zu kämpfen hat. Der
Bezirk beschäftigt eigens eine Sachbearbeiterin damit, jährlich 11.000 Meldungen über
Sperrmüll, Elektroschrott und anderen herrenlosen Müll zu bearbeiten. Die Meldungen
werden regelmäßig an die BSR weitergeleitet, die zugesagt hat, den Müll innerhalb einer
Woche abzutransportieren. Telefonische Beschwerden von Bürgern zeigen aber, dass
Gegenstände häufiger nicht in dieser Frist abgeholt werden. Dies ergibt sich auch aus
den Berichten von so genannten „Kiezgängern“, die für gemeinnützige Vereine in
Neukölln den Bezirk begehen, um herrenlosen Müll zu melden. Nach den Erfahrungen
des Bezirksamts sind Sammelcontainer besondere Müllanziehungspunkte. Dort wird
gerne weiterer Müll abgelegt, und diese Müllberge nehmen häufig noch zu. In der
Statistik des Bürgertelefons gibt es allein 180 Meldungen pro Jahr, die Müll in der Nähe
von Sammelcontainern betreffen, wobei allerdings nicht zwischen Glas- und
Altkleidercontainer unterschieden wird. Das erhebliche Müllproblem in Neukölln sowie
den Umstand, dass Sammelcontainer Müll anziehen können, stellt auch die Klägerin
nicht in Abrede.
Altkleidersammelcontainer werden darüber hinaus im Bezirk Neukölln häufig durch
Graffitis verunstaltet. Dies belegen u.a. Fotos, die der Beklagtenvertreter im Termin
vorgelegt hat. Auch der Mitarbeiter der Klägerin Herr T. hat bestätigt, dass Container der
Klägerin häufiger auf diese Weise verunstaltet werden.
Die aufgezeigte drohende Beeinträchtigung des Stadtbildes kann auch durch
Nebenbestimmungen nicht vollständig vermieden werden. Dies zeigen auch die
Erfahrungen mit den Altkleidercontainern der Klägerin. Die Klägerin war verpflichtet
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Erfahrungen mit den Altkleidercontainern der Klägerin. Die Klägerin war verpflichtet
worden, Verunreinigungen unverzüglich zu beseitigen, die durch den
bestimmungsgemäßen und üblichen Gebrauch der Sammelcontainer verursacht
wurden. Sie war ursprünglich nicht verpflichtet, sonstigen Müll zu beseitigen, der neben
ihren Containern abgelegt wurde. Bei der Einigung im Zusammenhang mit dem Widerruf
der früheren Sondernutzungserlaubnis im Oktober 2007 hatte sich die Klägerin
zusätzlich bereit erklärt, weiteren kleinteiligen Müll mit abzutransportieren und Sperrmüll
der BSR zu melden. Zwar ist der Klägerin einzuräumen, dass es seither nur wenige
gemeldete Fälle im Bezug auf ihre Container gegeben hat, und dass die Klägerin das ihr
Mögliche getan hat, um schnell für Abhilfe zu sorgen. Gleichwohl bleibt der Müll in der
Umgebung eines Containers bis zur nächsten Entleerung und damit bis zu einer Woche
liegen und im Falle von Sperrmüll nach der Benachrichtigung der BSR noch bis zu einer
weiteren Woche. Dass es sich um ein nicht völlig unbedeutendes Problem handelt,
belegt auch die Angabe des Mitarbeiters der Klägerin Herrn T., dass pro Sammeltour
durchschnittlich 300 kg Müll mit abtransportiert werden, für deren Beseitigung die
Klägerin sorgt. Zwar handelt es sich offenbar im Wesentlichen um Müll, der von
Anwohnern in die Container geworfen wird, aber nach der Vereinbarung in Neukölln muss
hierzu auch kleinteiliger Müll in der Umgebung der Sammelcontainer gehören. Dass sich
die längerfristige Verunstaltung durch Graffitis nicht mit Hilfe von Nebenbestimmungen
vermeiden lässt, ergibt sich ebenfalls aus den Angaben von Herrn T. Die Klägerin hatte
sich verpflichtet, dem Bezirksamt regelmäßig alle drei Monate Fotos der Container
vorzulegen, und hat diese Fristen genutzt, um regelmäßig eine größere Zahl
verunstalteter Container auszutauschen. Das bedeutet aber, dass diese verunstalteten
Container über längere Zeiträume von bis zu drei Monaten stehen bleiben.
Die Einschätzung des Bezirksamts, dass der Aufstellung von Altkleidercontainern eine
Beeinträchtigung des Stadtbildes entgegensteht, kann nicht mit Erfolg
entgegengehalten werden, dass Altkleidercontainer auch in anderen Bezirken
Müllanziehungspunkte sind und mit Graffitis beschmiert werden. Denn es steht gerade in
der Kompetenz des einzelnen Bezirks, die Belange des Stadtbildes für seinen Bezirk zu
definieren und zu gewichten. Dabei ist auch nicht der Nachweis erforderlich, dass die
Container zu einer Erhöhung des unbefugt auf öffentlichem Straßenland im Bezirk
abgelagerten Mülls insgesamt führen. Abgesehen davon, dass sich ein solcher Nachweis
praktisch kaum führen lässt, genügt die Feststellung, dass die Container am jeweiligen
Standort zu einer erhöhten Müllkonzentration und damit zu einer Verschärfung der
Beeinträchtigungen des Stadtbildes zu führen drohen. Der Einschätzung des
Bezirksamts steht auch nicht entgegen, dass es weiterhin Glascontainer im Bezirk
Neukölln gibt, die vergleichbare Probleme aufwerfen. Denn die Aufstellung der
Glascontainer beruht auf einer Regelung der Senatsverwaltung für das gesamte Land
Berlin und ist insoweit der Entscheidungsbefugnis des Bezirksamts entzogen.
Auch der Einwand der Klägerin, dass der Beklagte die besonderen Umstände ihres
Einzelfalls und ihre Erfahrungen nicht geprüft und insbesondere keine individuelle, auf
den einzelnen Altkleidercontainer zugeschnittene Prüfung vorgenommen habe, greift im
Ergebnis nicht durch. Zwar hat die Klägerin Anspruch darauf, dass sich der Beklagte mit
ihrem auf ihre individuellen Verhältnisse zugeschnittenen Vortrag auseinandersetzt.
Soweit die Bescheide insoweit zu kurz greifen, ist dieser Mangel aber durch den Vortrag
in den mündlichen Verhandlungen geheilt worden (vgl. § 114 Satz 2 VwGO). Nach der
ständigen Rechtsprechung der Kammer sind die Bezirksämter dazu angehalten, für die
Begrenzung der Nutzung des öffentlichen Straßenlandes wegen überwiegender
öffentlicher Interessen Konzepte zu entwickeln, die eine einheitliche Handhabung
sicherstellen. Die Kammer hat dies insbesondere für die Einhausung von
Schankvorgärten und die Nutzung von Gehwegunterstreifen für Tische und Stühle von
Gaststätten aus Gründen des Stadtbildes sowie für die Nichtzulassung von Heizstrahlern
aus Gründen des Klimaschutzes entschieden (Beschluss der Kammer vom 2. Juni 2006 –
VG 1 A 75.06 – sowie Urteil vom 14. Mai 2009 – VG 417.08, juris). Die
Prognoseentscheidung, dass bestimmte Nutzungen zu einer Beeinträchtigung
öffentlicher Belange führen, ist bei der Entwicklung von Konzepten notwendig
generalisierend. Hat der Belang, den das Bezirksamt anführt, ein entsprechendes
Gewicht, so ist es unschädlich, wenn die Beeinträchtigung im Einzelfall gering ausfällt
oder streng genommen empirisch gar nicht nachweisbar ist. Für die Frage der
Beeinträchtigung des Klimaschutzes durch Heizpilze beispielsweise liegt es auf der
Hand, dass der Betrieb eines einzelnen Heizpilzes in einem Schankvorgarten auf
öffentlichem Straßenland keinen spürbaren Einfluss auf das Weltklima entfaltet, dass es
sich aber gleichwohl aus der Sicht des Klimaschutzes um eine unerwünschte Entwicklung
handelt, der das Bezirksamt durch Versagung einer Sondernutzungserlaubnis
entgegenwirken darf. Damit vergleichbar sind die Bemühungen des Bezirksamts
Neukölln, einer Verwahrlosung des Bezirks auch in Bezug auf die Frage unbefugter
Müllablagerungen auf öffentlichem Straßenland und Graffitis entgegenzutreten und der
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Müllablagerungen auf öffentlichem Straßenland und Graffitis entgegenzutreten und der
Vermeidung der Beeinträchtigung des Stadtbildes im Zusammenhang mit
Altkleidersammelbehältern eine hohe Priorität einzuräumen. Der Bezirk darf hier ein
einheitliches Konzept verfolgen, ohne die prognostizierte Beeinträchtigung des
Stadtbildes für jeden Standort individuell nachweisen zu müssen. Zwar ist der Bezirk
verpflichtet, im Falle einer solchen Grundsatzentscheidung bei jedem Antrag auf
Erteilung einer Ausnahmegenehmigung zu prüfen, ob ein atypischer Ausnahmefall
vorliegt, in dem keine Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses zu befürchten ist. In
Bezug auf die Klägerin ergibt sich aber, dass sowohl die Gefahr der Verunreinigung der
Altkleidercontainer durch Graffiti als auch die Gefahr der Anziehung von Müll durch die
Container trotz aller Bemühungen von Seiten der Klägerin anzunehmen ist.
Selbst wenn die Gefahr einer Beeinträchtigung des Stadtbildes an jedem einzelnen
Standort oder an bestimmten einzelnen Standorten eher gering ist, so ist der Bezirk
doch befugt, diese Beeinträchtigungsquelle umfassend und nachhaltig auszuschalten.
Diesem städtebaulichen Interesse kommt so großes Gewicht zu, dass es das
wirtschaftliche Interesse der Klägerin und das Allgemeininteresse an der
Abfallvermeidung durch Recycling deutlich überwiegt.
Die Berufung ist wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zur
Klärung der Frage zugelassen worden, inwieweit den Behörden bei der Prognose der
Beeinträchtigung überwiegender öffentlicher Interessen im Sinne von § 11 Abs. 2
BerlStrG eine Einschätzungsprärogative zukommt und welche Anforderungen an die
Darlegung und den Nachweis einer zu erwartenden Beeinträchtigung zu stellen sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird gemäß §§ 39 ff., 52 f. des Gerichtskostengesetzes
auf 5.000,-- Euro festgesetzt.
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