Urteil des VG Berlin vom 18.01.1990

VG Berlin: besondere härte, rechtskräftiges urteil, berufliche tätigkeit, kosovo, eltern, ausbildung, aufenthaltserlaubnis, integration, familiennachzug, botschaft

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Gericht:
VG Berlin 29.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
29 V 26.08
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 32 Abs 2 AufenthG, § 32 Abs 4
AufenthG
Voraussetzungen für den Kindernachzug
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen
Kosten des Beigeladenen.
Tatbestand
Die am 18. Januar 1990 geborene Klägerin aus dem Kosovo begehrt die Erteilung eines
Visums zum Zweck des Familiennachzugs zu ihren in der Nähe von Pforzheim
wohnhaften Eltern und einem bereits seit 2004 hier lebenden Bruder.
Der Vater der Klägerin betrieb nach seiner Einreise nach Deutschland im Jahr 1993
zunächst erfolglos ein Asylverfahren und erhielt sodann aufgrund Eheschließung mit
einer portugiesischen Staatsangehörigen im Jahr 1996 zunächst eine befristete und
später eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis. Nach Wiederheirat der Mutter der Klägerin
im Mai 2005 reiste diese im Sommer 2006 im Rahmen eines Visumsverfahrens zum
Zwecke der Familienzusammenführung unter Zurücklassung der Klägerin im Kosovo
nach Deutschland ein.
Einen im Oktober 2006 gestellten ersten Visumsantrag der Klägerin zum
Familiennachzug zu ihren Eltern lehnte das Deutsche Verbindungsbüro in Pristina durch
Bescheid vom 8. November 2006 und Remonstrationsbescheid vom 5. Februar 2007
wegen Nichtbeherrschung der deutschen Sprache und fehlender Gewährleistung der
Integration in die hiesigen Lebensverhältnisse ab. Die hiergegen erhobene
Verpflichtungsklage wurde durch rechtskräftiges Urteil der 15. Kammer des
Verwaltungsgerichts Berlin vom 1. August 2007 zum Geschäftszeichen VG 15 V 13.07 im
Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, die Klägerin habe erst wenige Monate
zuvor angefangen, deutsche Sprachkenntnisse zu erwerben und beherrsche die
deutsche Sprache nicht wie erforderlich. Auch bestehe keine Gewähr für eine
erfolgreiche Integration in der Bundesrepublik Deutschland, da sie bisher ausschließlich
im Kosovo sozialisiert worden sei und die Bundesrepublik Deutschland nicht einmal bei
Besuchsaufenthalten kennen gelernt habe. Aufgrund ihres Alters - in wenigen Monaten
werde sie volljährig - dürften auch kaum Chancen auf den Erhalt eines qualifizierten
Schulabschlusses und eine erfolgreiche Ausbildung bestehen. Eine besondere Härte im
Sinne des § 32 Abs. 4 AufenthG sei nicht ersichtlich, zumal wesentlich veränderte
Lebensverhältnisse nach dem Zuzug der Mutter nach Deutschland nicht erkennbar
seien. Der Antrag auf Berufungszulassung blieb erfolglos (Urteil vom 24. Oktober 2007 -
OVG 12 N 194.07).
Den Mitte Dezember 2007 gestellten, vorliegend streitgegenständlichen Antrag auf
Familiennachzug lehnte das Verbindungsbüro der Bundesrepublik Deutschland in
Pristina durch Bescheid vom 8. Januar und auf Remonstration die Botschaft der
Bundesrepublik Deutschland in Pristina durch Remonstrationsbescheid vom 7. März
2008, zugestellt am 18. März 2008, im Wesentlichen mit der Begründung ab, die
tatbestandlichen Voraussetzungen des § 32 Abs. 2 AufenthG lägen nicht vor. Im
Rahmen der Befragung der Klägerin sei zwar deutlich geworden, dass sie inzwischen
über einfache Grundkenntnisse der deutschen Sprache verfüge. Das reiche jedoch nicht
aus, vielmehr werde gesetzlich die Beherrschung der deutschen Sprache verlangt. Auch
die Integration der Klägerin in die Lebensverhältnisse der Bundesrepublik Deutschland
sei nicht gewährleistet. Sie sei noch nie hier gewesen, habe ihre gesamte Kindheit und
Schulzeit im Kosovo verbracht und sei allein dort sozialisiert worden. Auch in Anbetracht
ihres fortgeschrittenen Alters sei eine reibungslose Integration nicht zu erwarten. Eine
besondere Härte im Sinne des § 32 Abs. 4 AufenthG sei nicht ersichtlich.
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Zur Begründung ihrer am 17. April 2008 erhobenen Verpflichtungsklage macht die
Klägerin im Wesentlichen geltend, sie habe in der Zeit von Mai bis November 2007 einen
Deutschkurs an der „New York School“ besucht und verbessere ihre deutschen
Sprachkenntnisse fortlaufend. Sie sei intelligent und ehrgeizig. Die von ihr in
Deutschland zu besuchende Schule läge ebenso wie das Kreiskrankenhaus, an dem sie
eine Ausbildung als „Gesundheits- und Krankenpflegerin“ absolvieren wolle, in der Nähe
ihres künftigen Aufenthaltsortes bei ihren Eltern. Sie habe durchaus konkrete
Zukunftsvorstellungen und auch gute Integrationschancen. Dagegen habe sie im Kosovo
kein Zuhause mehr. Im Haushalt ihres Onkels, in dem sie bisher gelebt habe, sei es
durch die Heirat seines Sohnes so beengt geworden, dass dieser sie nicht länger
aufnehmen wolle. Ihre drei Brüder im Kosovo lebten in einem Haus unter äußerst
beengten Wohnverhältnissen, dort gebe es für sie ebenfalls keinen Platz. Auf die
Sicherung des Lebensunterhalts in Deutschland ohne Inanspruchnahme öffentlicher
Mittel komme es nach § 32 AufenthG nicht an.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich sinngemäß,
die Beklagte unter Aufhebung des Remonstrationsbescheides der Botschaft der
Bundesrepublik Deutschland in Pristina vom 7. März 2008 zu verpflichten, ihr ein Visum
zum Zweck der Familienzusammenführung zu erteilen.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung beruft sie sich im Wesentlichen auf den Inhalt des
Remonstrationsbescheides.
Die Beigeladene macht, ohne einen Sachantrag zu stellen, im Wesentlichen Folgendes
geltend:
Die Klägerin habe vor einem Jahr noch eine Ausbildung in den Bereichen Körperpflege,
Modenäherin und Modeschneiderin bzw. Mediengestalterin und den Besuch einer
Mittelschule mit der Fachrichtung „Elektrotechnik“ angestrebt, mithin wohl keine
genauen Zukunftsvorstellungen. Auch bezögen die Eltern der Klägerin bereits seit 2005
fortlaufend Leistungen nach dem SGB II.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der
Streitakte, die beigezogene Gerichtsakte VG 15 V 13.07 und die Verwaltungsvorgänge
der Beklagten und der Beigeladenen (3 Hefter) verwiesen.
Entscheidungsgründe
Im Einverständnis der Beteiligten konnte das Gericht ohne mündliche Verhandlung
entscheiden (§ 101 Abs. 2 VwGO).
Die Verpflichtungsklage ist zulässig, aber unbegründet. Die Klägerin besitzt keinen
Anspruch auf Kindesnachzug nach § 32 Abs. 2 und Abs. 4 AufenthG; der ablehnende
Remonstrationsbescheid der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Pristina vom
7. März 2008 ist rechtmäßig (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Gemäß § 32 Abs. 2 AufenthG kann einem minderjährigen ledigen Kind nach Vollendung
des 16. Lebensjahres eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn es die deutsche
Sprache beherrscht oder gewährleistet erscheint, dass es sich aufgrund seiner
bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse in die Lebensverhältnisse in der
Bundesrepublik Deutschland einfügen kann und beide Eltern über eine
Aufenthaltserlaubnis verfügen.
Zwar ist Letzteres vorliegend der Fall, jedoch sind die weiteren tatbestandlichen
Voraussetzungen des § 32 Abs. 2 AufenthG nicht erfüllt:
Die Klägerin beherrscht ersichtlich nicht die deutsche Sprache. Hinsichtlich der
Anforderungen, die an ein derartiges „Beherrschen“ zu stellen sind, wird auf die
zutreffenden Ausführungen im Urteil der 15. Kammer vom 1. August 2007 im
Klageverfahren VG 15 V 13.07 verwiesen. Die Klägerin hat durch ein Zertifikat der „New
York School“ vom 29. November 2007 lediglich nachgewiesen, dass sie an einem 72-
stündigen Deutschsprachkurs des Levels I teilgenommen hat. Auch ihre Befragung
durch die Beklagte ergab, dass sie lediglich das Niveau A 1 des gemeinsamen
europäischen Referenzrahmens erreicht hat, mithin einfache Fragen verstehen und mit
einfachen Sätzen zu beantworten wusste. Das Bestehen derartiger Grundkenntnisse
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einfachen Sätzen zu beantworten wusste. Das Bestehen derartiger Grundkenntnisse
genügt jedoch nicht für ein Beherrschen der deutschen Sprache im Sinne der Definition
der Stufe C 1.
Aufgrund ihrer bisherigen Ausbildung und Lebensverhältnisse ist eine Einfügung der
Klägerin in die hiesigen Lebensverhältnisse auch nicht gewährleistet . Insoweit wird
zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen im
Urteil der 15. Kammer des Verwaltungsgerichts Berlin zum Geschäftszeichen VG 15 V
13.07 verwiesen. An den dort getroffenen Feststellungen hat sich nichts Wesentliches
geändert. Insbesondere wird zu Recht darauf verwiesen, dass die Klägerin sich bisher zu
keiner Zeit im Bundesgebiet aufgehalten hat, vielmehr allein im Kosovo aufgewachsen
und zur Schule gegangen ist. Aufgrund der fehlenden Beherrschung der deutschen
Sprache und ihres Lebensalters - der vorliegend streitgegenständliche Visumsantrag ist
erst einen Monat vor Vollendung des 18. Lebensjahres gestellt worden, ihr früherer
Antrag datiert auch erst vom Oktober 2006, mithin ca. 15 Monate vor Vollendung des
18. Lebensjahres - kann nicht mit der für ein „Gewährleisten“ erforderlichen Sicherheit
angenommen werden, dass ihre Integration in die hiesigen Verhältnisse zu erwarten ist.
Dass solches wohl möglich bzw. nicht ausgeschlossen ist, genügt nach § 32 Abs. 2
AufenthG nicht.
Ob die Zukunftsvorstellungen der Klägerin konkret oder schwankend waren bzw. sind, wie
der Beigeladene meint, ist dabei unerheblich. Nicht anderes gilt für den Hinweis des
Beigeladenen, dass in der Gemeinde Straubenhardt ca. 50 kosovarische
Staatsangehörige leben.
Darüber hinaus erfüllt die Klägerin auch nicht die allgemeinen
Erteilungsvoraussetzungen einer Aufenthaltserlaubnis zum Familiennachzug nach § 32
AufenthG. Denn ihr Lebensunterhalt ist nicht, wie nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 3
AufenthG erforderlich, ohne Inanspruchnahme öffentlicher Mittel gesichert, da ihre Eltern
hier bereits seit Jahren Leistungen nach dem SGB II beziehen. Auf die Gründe hierfür
kommt es nicht an. Unzutreffend ist die klägerische Annahme, auf die allgemeinen
Erteilungsvoraussetzungen komme es bei § 32 Abs. 2 AufenthG nicht an (vgl. nur Marx,
Gemeinschaftskommentar, Loseblatt, Stand August 2008, § 32 AufenthG Rdn. 141 und
Hailbronner, Ausländerrecht, Loseblattkommentar, Stand August 2008, § 32 AufenthG
Rdn. 8).
Die Klägerin besitzt auch keinen Anspruch auf Kindesnachzug nach § 32 Abs. 4
AufenthG. Dies würde voraussetzen, dass es aufgrund der Umstände des Einzelfalles zur
Vermeidung einer besonderen Härte erforderlich ist, ihr eine Aufenthaltserlaubnis zu
erteilen. Auch insoweit wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden
Ausführungen im Urteil der 15. Kammer vom 1. August 2007 zum Geschäftszeichen VG
15 V 13.07 verwiesen. Die Klägerin war bei Antragstellung im vorliegenden
Visumsverfahren bereits 17 Jahre und 11 Monate alt und ist inzwischen längst volljährig.
Schon deshalb kann von einem Betreuungsnotstand hier nicht die Rede sein. Von einer
unvorhergesehenen und unvorhersehbaren Änderung der bisherigen Lebensverhältnisse
in ihrer Heimat, die zudem wesentlich sein muss und andere Minderjährige nicht
vergleichbar schwer treffen darf, wie § 32 Abs. 4 AufenthG tatbestandlich voraussetzt,
kann vorliegend nicht die Rede sein. Dass sie angeblich nicht mehr im Haus ihres Onkels
wohnen kann und auch nicht in dem ihrer drei Brüder, reicht nicht für das Vorliegen einer
besonderen Härte. Vielmehr ist es ihr gegebenenfalls zuzumuten, in der Nähe eine
eigene Wohnung anzumieten und sich einen Ausbildungsplatz oder eine berufliche
Tätigkeit in ihrer Heimat zu suchen. Finanziell muss sie sich gegebenenfalls auf die
Unterstützung ihrer Familie verweisen lassen.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1 und 162 Abs. 3 VwGO. Der Klägerin die
außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen aufzuerlegen, entsprach nicht der Billigkeit,
da dieser keinen Sachantrag gestellt hat (vgl. § 154 Abs. 3 VwGO).
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird gemäß §§ 39 ff., 52 f. des Gerichtskostengesetzes
auf 5.000,-- Euro festgesetzt.
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