Urteil des VG Berlin vom 17.03.2004
VG Berlin: moschee, besucher, ausnahme, grundstück, befreiung, vorbescheid, hof, kellergeschoss, bebauungsplan, unzumutbarkeit
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Gericht:
VG Berlin 19.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
19 A 355.04
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 7 Abs 8 S 2 BauO BE 1929
vom 01.12.1958, § 4 Abs 2 Nr 3
BauNVO, § 31 Abs 1 BauGB, Art
4 GG
Zulässigkeit einer Moschee im allgemeinen Wohngebiet
Tenor
Der Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des Bezirksamtes Neukölln von
Berlin vom 17. März 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides derselben
Behörde vom 24. November 2004 verpflichtet, dem Kläger einen Vorbescheid zur
Bebauung des Grundstücks R. in Berlin-Neukölln mit einem viergeschossigen Gebäude
zur Nutzung als islamisches Kulturhaus mit Moschee nach Maßgabe der
Betriebsbeschreibung vom 2. September 2008 mit einer Geschossflächenzahl von bis zu
2,0 zu erteilen und den Antrag zur Zulässigkeit der Überschreitung der Grundflächenzahl
auf bis zu 0,39 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Beklagte 9/10 und der Kläger 1/10.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Dem jeweiligen Vollstreckungsschuldner wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen
Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrages abzuwenden, wenn
nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Erteilung eines Bauvorbescheides für die Errichtung eines
islamischen Kulturhauses mit einer Moschee.
Der Kläger ist ein Verein schiitischer Glaubensrichtung, der seit dem Jahre 2000 in einem
unterkellerten zweigeschossigen Quergebäude auf dem Grundstück R. in Berlin-Neukölln
ohne Baugenehmigung Gebetsräume unterhält sowie religiöse Unterweisungen,
Sozialberatung, Jugendarbeit und Kulturaktivitäten anbietet. Bei den Besuchern handelt
es sich vorwiegend um Schiiten aus der Türkei.
Das 440qm große Grundstück ist nach den Festsetzungen des Baunutzungsplanes in
Verbindung mit den städtebaulichen Vorschriften der Bauordnung Berlin 1958 – BO 58 -
als allgemeines Wohngebiet der Baustufe V/3 ausgewiesen.
Mit Datum vom 10. November 2003 beantragte der Kläger die Erteilung eines
Vorbescheides für die Errichtung eines viergeschossigen islamischen Kulturhauses
(Clubräume und Moschee) als Lückenschluss zwischen vorhandenen Wohngebäuden der
Nachbargrundstücke unter Überschreitung der Grundflächen- und der
Geschossflächenzahl. Nach den hierzu vorgelegten Bauplänen und der
Betriebsbeschreibung sollen im Erdgeschoss des Neubaus Büroräume entstehen, im 1.
und 2. Oberschoss getrennte Gebetsräume für Männer und Frauen sowie im 3.
Obergeschoss Jugend- und Seminarräume eingerichtet werden. Der Abriss des
vorhandenen Quergebäudes bis auf das Kellergeschoss sollte erst nach Fertigstellung
des Neubaus erfolgen.
Mit Bescheid vom 17. März 2004 lehnte das Bezirksamt Neukölln von Berlin (in
Folgenden: Bezirksamt) die Erteilung eines positiven Vorbescheides für die beabsichtigte
Art der Nutzung ab. Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Gemäß § 7 Nr.
8 BO 58 könnten im allgemeinen Wohngebiet Gebäude für kulturelle Zwecke zugelassen
werden. Der danach erforderlichen Ausnahme für die geplante Nutzungsart werde nicht
zugestimmt. Die vorgesehene Kultureinrichtung ziele nach Umfang und Angebot auf
einen überörtlichen Einzugsbereich ab. Durch den zu erwartenden Zu- und
Abfahrtsverkehr in einer Straße, die eigentlich nur dem Anliegerverkehr dienen solle,
könnten Nachteile und Belästigungen verursacht werden, die für das hier fast
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könnten Nachteile und Belästigungen verursacht werden, die für das hier fast
ausschließlich dem Wohnen dienende Gebiet nicht zuträglich seien. Dies gelte
insbesondere für die Nutzung der Einrichtung in den späteren Abendstunden und an
Wochenenden. Eine nicht hinzunehmende Beeinträchtigung sei auch die Nutzung der
Veranstaltungsräume für Gebete, weil damit der störungsträchtige Fahrzeug- und
Publikumsverkehr zu bestimmten Zeiten bereits schon vor Sonnenaufgang, also vor
6.00 Uhr stattfinden werde. In Berlin sei im Jahre 2003 ein Zeitraum von ca. 4 Monaten
betroffen gewesen, in denen 2 von 5 Gebeten zur Nachtzeit auszuführen gewesen seien.
Auch wenn die Beantwortung der Vorbescheidsanfragen zum Maß der Nutzung nicht
mehr erforderlich sei, erhalte die Überschreitung der zulässigen Grundflächenzahl die
notwendige Befreiung, jedoch nur unter der Bedingung, dass die im Hof stehende
Remise einschließlich des Kellergeschosses vor Beginn des Neubaus abgerissen werde.
Die Überschreitung der Geschossflächenzahl könne unter den gleichen Bedingungen
zugelassen werden. Dies gelte jedoch nicht für die Kultureinrichtung mit Clubräumen und
Moschee.
Mit dem am 2. April 2004 beim Bezirksamt eingegangenen Schreiben legte der Kläger
gegen diese Entscheidung Widerspruch ein. Der Verein habe 120 Mitglieder, von denen
höchstens 50 bis 60 % an besonderen Veranstaltungen (z.B. Ramadan, Opferfest,
Aschura etc.) teilnähmen. An den restlichen Tagen würden ca. 10 bis 15 Personen die
Moschee zum Mittagsgebet aufsuchen. Aufgrund der Wohnorte würde ein Großteil der
Mitglieder entweder öffentliche Verkehrsmittel benutzen oder aber auch zu Fuß zu den
Veranstaltungen kommen. Eine Beeinträchtigung der Nachbarschaft durch das
Morgengebet sei ausgeschlossen, da die Öffnungszeiten im Winter auf 10.00 bis 21.00
Uhr und im Sommer auf 10.00 bis 22.00 Uhr festgelegt seien. Nach den schiitischen
Glaubensregeln würden von fünf auch nur drei Gebetszeiten wahrgenommen. Eine
Lärmbelästigung durch die Nutzung der Clubräume durch Jugendliche sei nicht zu
besorgen. Bisher habe es keinerlei Beschwerden aus der Nachbarschaft gegeben.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens reichte der Kläger einige Änderungen des
Bauvorhabens ein. Danach soll u. a. der bisher mit 119 qm geplante Gebetsraum für
Männer auf 80 qm verkleinert werden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 24. November 2004 hielt das Bezirksamt seine
ablehnende Haltung aufrecht. Das prognostizierte Störungspotenzial stehe einer
Ausnahmeerteilung entgegen. Der beantragte Vorbescheid solle eine Nutzung für etwa
160 Besucher ermöglichen. Es sei nicht glaubhaft, dass ein Kraftfahrzeug- und
Publikumsverkehr vor 6.00 Uhr durch Öffnungszeiten erst ab 10.00 Uhr vermieden
werde. Durch die Lage des Zugangs zum Gebäude über den Hof seien unzumutbare
Störungen des ruhigen Innenhofbereichs der angrenzenden Nachbarschaft durch
lärmende Besucher der geplanten Einrichtungen zu erwarten. Der Hof lade geradezu
dazu ein, dass sich die Besucher der Moschee vor und nach dem Betreten des
Gebäudes dort träfen und unterhalten würden; dies gelte auch für die Benutzer der
Clubräume. Gegenüber diesen Beeinträchtigungen der Nachbarn müsse das Interesse
des Klägers an der Schaffung der Einrichtung zurücktreten. Etwas anderes ergebe sich
auch nicht aus der Gewährleistung der Religionsausübung nach Art. 4 Abs. 2 GG. Die
Ausführungen der Bauaufsichtsbehörde zum Maß der baulichen Nutzung hätten keinen
Vorbescheidscharakter.
Mit seiner am 22. Dezember 2004 beim Verwaltungsgericht eingegangenen Klage
verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. In der im gerichtlichen Verfahren vorgelegten
Betriebsbeschreibung vom 2. September 2008 wird das Vorhaben wie folgt konkretisiert:
Neben zwei Gebets- und den Büroräumen sollen die weiteren Räume für kulturelle und
soziale Zwecke genutzt werden. In der Planung sind zwei Bibliotheken, zwei
Freizeiträume als Treffpunkt und für Unterhaltungsmöglichkeiten von Jugendlichen, zwei
Schulungsräume für Nachhilfe-, Sprach- und Integrationskurse, religiöse sowie kulturelle
Seminare und ein Clubraum mit Fernseher. Dieser Raum soll auch für weitere
Freizeitaktivitäten für Kinder genutzt werden. Für die Gebetsräume werden an den zwei
großen islamischen Feiertagen ca. 150 Besuchern prognostiziert. Zu den
Freitagsgebeten sowie an Sonntagen werden zwischen 12.00 und 14.00 Uhr ca. 40 bis
60 Personen und an den Wochentagen höchstens 25 Personen zum Mittagsgebet
erwartet. Die Öffnungszeiten werden für die Wintermonate auf 10.00 bis 14.00 Uhr und
16.00 bis 20.00 Uhr und für die Sommermonate auf 11.00 bis 15.00 Uhr und 17.00 bis
22.00 Uhr festgelegt.
Der Kläger tritt der Einschätzung des Bezirksamtes, es seien unzumutbare
Belästigungen zu besorgen, entgegen. Die vom Bezirksamt angenommene Nutzerzahl
von 160 Personen sei ein Fall, der praktisch nie eintreten werde. Im Übrigen sei das
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von 160 Personen sei ein Fall, der praktisch nie eintreten werde. Im Übrigen sei das
Grundstück durch dessen Lage in der Nähe der K.-M.- Straße ohnehin mit einem
erheblichen Lärmaufkommen vorbelastet. Die Erwägungen des Bezirksamtes seien
zudem fehlerhaft, weil die Bedeutung des Grundrechts auf freie Religionsausübung
verkannt werde.
Die Klägerin beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides des Bezirksamtes Neukölln von
Berlin vom 17. März 2004 in der Fassung des Widerspruchsbescheides derselben
Behörde vom 24. November 2004 zu verpflichten, einen Vorbescheid zur Bebauung des
Grundstücks R. in Berlin-Neukölln mit einem viergeschossigen Gebäude als islamisches
Kulturhaus mit Moschee nach Maßgabe der Betriebsbeschreibung vom 2. September
2008 mit einer Geschossflächenzahl von bis zu 2,0 und einer Grundflächenzahl von 0,39
zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er bekräftigt seine Auffassung, dass das Bauvorhaben nicht gebietsverträglich sei. Ein
Flächenvergleich mit einer Wohnnutzung belege eine wesentlich höhere
Nutzungsintensität. Die geplante Gebetsfläche von 130,6 qm für Männer und 98,3 qm
für Frauen sei für ca. 300 Besucher ausgelegt. Aufgrund der weiteren Einrichtungen wie
Schulungs- oder Clubräume mit einer Fläche von 221,4 qm könne von einer noch
höheren Frequentierung des Kulturhauses mit entsprechenden störenden Auswirkungen
ausgegangen werden. Die bisherige – nicht genehmigte - Nutzung erstrecke sich
demgegenüber auf insgesamt nur ca. 240 qm. Gegen eine Überschreitung der
Geschossflächen- und Grundflächenzahl sei grundsätzlich nichts einzuwenden.
Die Kammer hat das Grundstück in Augenschein genommen. Wegen der weiteren
Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Streitakte, die
Verwaltungsvorgänge und die Sitzungsniederschrift verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist hinsichtlich der Vorbescheidsfrage zur Art der baulichen Nutzung
als islamisches Kulturhaus mit Moschee in der in der Betriebsbeschreibung vom 2.
September 2008 konkretisierten Form als Verpflichtungsbegehren begründet. Die
Ablehnung ist rechtswidrig, denn dem Kläger steht ein Anspruch auf Erteilung eines
entsprechenden Vorbescheides zu. Die Sache ist spruchreif, da insoweit eine
Ermessensreduzierung auf Null vorliegt (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Das Vorhaben ist bauplanungsrechtlich genehmigungsfähig. Die Zulässigkeit richtet sich
nach den Vorschriften der Bauordnung für Berlin 1958 - BO 58 - in Verbindung mit dem
Baunutzungsplan in der Fassung vom 28. Dezember 1960 (Abl. 1961, Seite 742) als
übergeleitetem Bebauungsplan. Letzterer weist das Gebiet, in dem das
Vorhabengrundstück liegt, als allgemeines Wohngebiet aus. Nach § 7 Nr. 8 Satz 2 BO 58
können im allgemeinen Wohngebiet Gebäude für soziale, kulturelle, gesundheitliche und
sportliche Zwecke zugelassen werden. Obwohl Anlagen für kirchliche Zwecke anders als
in § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO in der BO 58 nicht ausdrücklich erwähnt sind, zählen diese
Anlagen zu den Gebäuden für kulturelle Zwecke. Dies gilt unabhängig von der
Glaubensrichtung und gleichgültig, ob die Anlage für Zwecke einer öffentlich-rechtlichen
Religionsgemeinschaft oder einer anderen religiösen Gemeinschaft genutzt wird (OVG
Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. März 2007 – 2 N 249.05 -, zitiert nach Juris Rdn.
8; von Feldmann/Knuth, Berliner Planungsrecht, 3 Auflage, Rdn. 100). Letztere
Auslegung folgt aus der Pflicht des Staates zur weltanschaulich-religiöser Neutralität.
Der freiheitliche Staat des Grundgesetzes ist nämlich gekennzeichnet von Offenheit
gegenüber der Vielfalt weltanschaulich-religiöser Überzeugungen. Die Privilegierung
bestimmter Bekenntnisse ist ebenso wie die Ausgrenzung Andersgläubiger untersagt
(vgl. BVerfG, Urteil vom 24. September 2003 – 2 BvR 1436/02 -, E 108, 282 [299 f.]
m.w.N.). Eine solche weltanschaulich-religiös neutrale Auslegung des § 7 Abs. 8 Satz 2
BO 58 i.V.m. § 31 Abs. 1 BauGB hat zur Folge, dass ein islamisches Kulturhaus nach Art
der Nutzung in einem allgemeinen Wohngebiet auf Grund der im Bebauungsplan
ausdrücklich vorgesehenen Regelung für Gebäude für soziale und kulturelle Zwecke im
Wege einer Ausnahme von den Festsetzungen des Bebauungsplans zugelassen werden
kann. Dies steht auf der Tatbestandsseite allerdings unter dem Vorbehalt, dass die
allgemeine hier anzuwendende Regelung des § 7 Nr. 5 BO 58 eingehalten wird, also die
Nutzung der baulichen Anlage keine Nachteile oder Belästigungen verursachen kann, die
für die nähere Umgebung unzumutbar sind. Das ist vorliegend nicht der Fall.
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für die nähere Umgebung unzumutbar sind. Das ist vorliegend nicht der Fall.
Unzumutbar sind solche von einer baulichen Anlage und ihrer Nutzung ausgehenden
Einwirkungen, die spürbar über das Maß dessen hinausgehen, womit ein nicht
überdurchschnittlich empfindlicher Bewohner der näheren Umgebung aufgrund der in
diesem Baugebiet planungsrechtlich zulässigen Nutzungsart üblicherweise rechnen
muss (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. März 2007, a.a.O. Rdn. 8 m.w.N.).
Dementsprechend hat ein Grundstücksnachbar einer im allgemeinen Wohngebiet
zulässigen Anlage für soziale, kulturelle, gesundheitliche und sportliche Zwecke die mit
deren Benutzung üblicherweise verbundenen Beeinträchtigungen grundsätzlich
hinzunehmen (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Februar 1992, BRS 54 Nr. 193 – Koranschule -
; VG Berlin, Urteil vom 7. November 2005 – 19 A 331.03 -, zitiert nach Juris Rdn. 24).
Für die Anwendung des § 7 Nr. 8 Satz 2 BO 58 ist zunächst zu berücksichtigen, dass bei
der Auslegung des übergeleiteten Rechts im Interesse einer Harmonisierung mit dem
neuen Recht die Regelungen der Baunutzungsverordnung heranzuziehen sind (OVG
Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 26. Februar 1993 – 2 S 1.93 -, BRS 55 Nr. 161;
Beschluss vom 30. März 2007, a.a.O. Rdn. 15 m.w.N.). Auch das
Bundesverwaltungsgericht hat eine an den Nutzungskategorien der
Baunutzungsverordnung orientierte Auslegung von übergeleiteten städtebaulichen
Plänen nicht ausgeschlossen (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Dezember 1998 – 4 C 9.98 –
Buchholz 406.11, § 233 Nr. 2). Nach der Baunutzungsverordnung gilt indes, dass
Anlagen für kirchliche, kulturelle und soziale Zwecke gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO
nicht nur ausnahmsweise, sondern allgemein zulässig sind. Dies führt vorliegend zu
einer Ermessensreduzierung auf Null für die Erteilung der erforderlichen Ausnahme,
denn auch das Gebot der Rücksichtnahme ist nicht verletzt.
Für einen Verstoß gegen die Bestimmung des § 7 Nr. 5 BO 58 liegen keine
hinreichenden belastbaren Tatsachen vor. So ist in diesem Zusammenhang zunächst
klarzustellen, dass die Annahme des Beklagten, das Vorhaben sei deshalb unzulässig,
weil die vorgesehene Einrichtung nach Umfang und Angebot auf einen überörtlichen
Einzugsbereich hinziele, einer rechtlichen Grundlage entbehrt. Ein überörtlicher
Einzugsbereich steht der Erteilung einer Ausnahme nicht entgegen. Auch zentrale, das
heißt über den örtlichen Bereich des betreffenden Baugebiets in ihrer Bedeutung weit
hinausgehende Einrichtungen können im allgemeinen Wohngebiet zugelassen werden
(vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 14. Dezember 1973 – OVG II S 14.73 -, [Fachhochschule
für Sozialarbeit]; VG Berlin, Urteil vom 6. Juli 1984 – VG 13 A 452.83 –
[Behindertenschule] VG Berlin, Beschluss vom 12. August 1988 – VG 13 A 109.88 –
[Institut für Meteorologie]; von Feldmann/Knuth, a.a.O., Rdn. 97 mit Fn. 204; Dageförde
in Wilke/Dageförde/Knuth/Meyer, BauOBln, 6. Auflage 2008, Anhang Seite 652 Rdn. 33).
Dies gilt namentlich auch für islamische Kulturhäuser und Moscheen; auch diese
Anlagen müssen nicht (nur) der Gebietsversorgung dienen (VG Berlin, Urteil vom 2. Juli
2005, a.a.O., Rdn. 27 bestätigt durch OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. März
2007, a.a.O.; VG Berlin, Urteil vom 6. Juni 2007 – VG 19 A 358.04 – Seite 13 des
Entscheidungsabdrucks).
Zu berücksichtigen ist ferner, dass selbst das Morgengebet ein unverzichtbarer
Bestandteil der islamischen Religionsausübung ist und die Wertentscheidung des
Grundgesetzes hinsichtlich der Gewährung der freien Religionsausübung (Art. 4 Abs. 1
und 2 GG) bei der Anwendung des einfachen Rechts – hier bei der Auslegung und
Anwendung von § 7 Abs. 5 BO 58 – mit zu berücksichtigen ist (OVG Berlin-Brandenburg,
Beschluss vom 30. März 2007, a.a.O., Rd. 10). Diese Bewertung gilt erst recht für die
sonstigen, die Nachbarschaft weniger belastenden Gebetszeiten. Vorliegend ist durch
die geplanten Öffnungszeiten ab 10.00 bzw. 11.00 Uhr sogar gewährleistet, dass ein
Besucherverkehr in den frühen Morgenstunden noch gar nicht stattfindet. Hierzu ist es
unverständlich, wenn der Beklagte trotz eindeutiger entsprechender Festlegung
gleichwohl von einer Nutzung der Einrichtung vor 6.00 Uhr ausgeht und eine solche in die
Entscheidungsfindung einbezogen hat.
Der Beklagte hat auch nicht hinreichend dargelegt, dass die Benutzung des
Kulturhauses einschließlich des An- und Abfahrtsverkehrs der Besucher während der
geplanten Öffnungszeiten zu einer unzumutbaren Beeinträchtigung führt. Nach der
Rechtsprechung der Berliner Verwaltungsgerichte ist die Nutzung von Gebetsräumen zu
den Hauptgebetszeiten von voraussichtlich 30 bis 50 Personen und zum Freitagsgebet
von 50 bis 100 Personen auch in einem allgemeinen Wohngebiet gebietsverträglich und
daher bauplanungsrechtlich nicht zu beanstanden (OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss
vom 30. März 2007, a.a.aO., Rdn. 11). Eine Unzumutbarkeit kann auch nicht
angenommen werden, wenn anlässlich besonderer religiöser Fest- und Feiertage 150 bis
200 Besucher erwartet würden, denn solche auf besonderen Umständen beruhende
Ausnahmelagen sind als seltene Ereignisse außer Betracht zu lassen oder jedenfalls
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Ausnahmelagen sind als seltene Ereignisse außer Betracht zu lassen oder jedenfalls
unter dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit der Lärmbeeinträchtigung mit geringerem
Gewicht in die Bewertung einzustellen, zumal der Plangeber in § 7 Nr. 8 Satz 2 BO 58
Gebäude zu kulturellen und damit auch zu kirchlichen Zwecken in einem Wohngebiet
zugelassen hat und damit auch in Kauf genommen hat, dass bei hohen Festtagen der
jeweiligen Religionsgemeinschaften ein größeres Maß an Beeinträchtigungen für die
Bewohner der näheren Umgebung hingenommen werden muss (OVG Berlin-
Brandenburg, ebenda Rdn. 12 m.w.N.; zur Gebietsverträglichkeit einer Einrichtung im
allgemeinen Wohngebiet von ca. 70 Besuchern für tägliche Gebetshandlungen, 200 bis
300 Besuchern zum Freitagsgebet und 400 bis 500 Personen: VG München, Beschluss
vom 7. Juni 2005 – M 8 SN 05.1628 -, zitiert nach Juris). Vorliegend kann nach den
nachvollziehbaren Angaben der Klägerin von gegenüber der zitierten Rechtsprechung
sogar geringeren Besucherzahlen ausgegangen werden. Soweit der Beklagte
demgegenüber seiner Beurteilung eine Nutzerzahl von bis zu 300 Personen in den
Gebetsräumen zu Grunde legt, ist der Ansatz dieser Berechnung schon deshalb
fehlerhaft, weil er hierzu Gebetsräume von ca. 228 qm und damit eine um 50 qm
größere Fläche gegenüber der geplanten Größe von 178 qm ansetzt. Zudem ist auch
insoweit auf die grundsätzliche Unbeachtlichkeit seltener Ereignisse zu verweisen.
Soweit der Beklagte meint, durch den Eingang vom Innenhof aus seien unzumutbare
Belästigungen zu besorgen, kann diesem Einwand gleichfalls nicht gefolgt werden.
Hierzu ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Innenhof nicht als Versammlungs- oder
Veranstaltungsfläche ausgestaltet werden soll. Zwar ist es nicht auszuschließen, dass
sich Besucher des Kulturzentrums vereinzelt auch im Innenhof aufhalten. Dies ist aber
nicht zu beanstanden, da dort ggf. stattfindende Gespräche in einem allgemeinen
Wohngebiet als sozialadäquat hinzunehmen sind. Selbst wenn zu bestimmten Anlässen
Feiern im Innenhof stattfinden sollten, wären diese ebenfalls nicht rücksichtslos, soweit
es sich dabei um seltene Ereignisse handelt (VG München, Beschluss vom 7. Juni 2005,
a.a.O., Rdn. 44). Die besondere Nähe zur umgebenden Wohnhausbebauung ist durch die
planungsrechtliche Vorgabe einer geschlossenen Bauweise bzw. die historische
Bestandsbebauung mit Quergebäuden und Hinterhäusern der Nachbargrundstücke
bedingt und würde auch für ein Wohngebäude auf dem Vorhabengrundstück gelten.
Soweit der Beklagte meint, seine ablehnende Haltung werde durch die Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts zu einem Dialysezentrum mit 33 Behandlungsplätzen
(BVerwG, Beschluss vom 28. Februar 2008 – 4 B 60/07-, zitiert nach Juris) gestützt,
vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Abgesehen davon, dass es sich bei dieser
Entscheidung lediglich um eine nach revisionsrechtlichen Maßstäben eingeschränkte
Überprüfung der Entscheidung der Vorinstanz handelt, ist der Sachverhalt schon
insoweit nicht vergleichbar, als dort maßgeblich eine Unzumutbarkeit durch Zu- und
Abfahrtsverkehr in den frühen Morgenstunden (vor 7.00 Uhr) in den Blick genommen
wurde. Belästigungen der Nachbarschaft dieser Art sind vorliegend infolge der
Festlegung der Öffnungszeiten indes ausgeschlossen. Im Übrigen wäre auch mit einem
Wohnbauvorhaben an gleicher Stelle, für das der Beklagte von einer Wohnungsanzahl
von 19 ausgeht, ein erhöhter Stellplatzbedarf und eine Zunahme des
Verkehrsaufkommens (Parkplatzsuchverkehr) verbunden. Angesichts der vom Kläger
nachvollziehbar benannten Besucherzahlen der Gebetsräume vermag die Kammer
keine Wohngebietsunverträglichkeit der geplanten Nutzung zu erkennen.
Gleiches gilt auch für die sonstigen geplanten Nutzungsarten. Soweit es sich hierbei um
Jungendfreizeitangebote handelt, ist auch diese Nutzung als Anlage für soziale oder
kulturelle Zwecke im allgemeinen Wohngebiet nach § 7 Nr. 8 Satz 2 BO 58
ausnahmsweise bzw. gemäß § 4 Abs. 2 Nr. 3 BauNVO generell zulässig. Es bestehen
keine Anhaltspunkte, dass die Nutzungen des Kulturzentrums nach Art, Umfang und
Zweck für die nähere Umgebung nicht zumutbar wären.
Die Klage ist hinsichtlich der Überschreitung der Geschossflächenzahl für das geplante
Gebäude auf bis zu 2,0 als Verpflichtungsbegehren ebenfalls vollumfänglich begründet (§
113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
Dem Kläger steht ein Anspruch auf Erteilung einer Ausnahme nach § 31 Abs. 1 BauGB
bzw. Befreiung § 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB von der gemäß § 7 Nr. 15 Satz 1 BO 58 für die
Baustufe V/3 festgesetzten Geschossflächenzahl von grundsätzlich 1,5 zu. In der
Baustufe V/3 ist eine bauliche Nutzung im Rahmen der Geschossflächenzahl 1,8
zulässig, wenn nur Gebäude errichtet werden, die Wohnungen nicht enthalten. In
besonderen Fällen kann unter den gleichen Voraussetzungen eine bauliche Nutzung bis
zu einer Geschossflächenzahl 2,0 zugelassen werden (§ 7 Nr. 15 Satz 2 BO 58).
Unabhängig von dieser planungsrechtlichen Möglichkeit einer Ausnahmeerteilung liegen
auch die Voraussetzungen für eine Befreiung vor, denn die Überschreitung der
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auch die Voraussetzungen für eine Befreiung vor, denn die Überschreitung der
Geschossflächenzahl ist im Sinne des § 31 Abs. 2 Nr. 1 BauGB städtebaulich vertretbar.
Bei einem Baulückenschluss mit einem fünfgeschossigen Wohnhaus wäre bei
Ausnutzung der zulässigen Bebauungstiefe von 13 m (§ 8 Nr. 1a BO 58) die
Geschossflächenzahl von 1,5 ebenfalls deutlich (auf über 2.0) überschritten. Eine
entsprechende Genehmigungspraxis entspricht auch der regelmäßigen Handhabung der
Bauaufsichtsbehörden, so dass auch insoweit eine Ermessensreduzierung auf Null
vorliegt und der Beklagte zur Erteilung des beantragten Vorbescheides zu verpflichten
war.
Soweit der Beklagte den Vorbescheid zur Überschreitung der Grundflächenzahl von 0,3
gemäß § 7 Nr. 15 Satz 1 BO 58 auf 0,39 versagt hat, ist diese Ablehnung
ermessenfehlerhaft und war unter Verpflichtung zur Neubescheidung aufzuheben (§ 113
Abs. 5 Satz 2 VwGO).
Das Bezirksamt hat die Ablehnung damit begründet, dass eine Überschreitung wegen
der Art der baulichen Nutzung als islamisches Kulturhaus nicht zugelassen werden
könne. Dies ist wegen einer Verkennung der Rechtslage ermessenfehlerhaft (§ 114
VwGO), denn – wie ausgeführt – ist die geplante Art der baulichen Nutzung zu
genehmigen. Die Überschreitung der Grundflächenzahl ist städtebaulich vertretbar (§ 31
Abs. 2 Nr. 1 BauGB), denn der Baukörper dient dem Baulückenschluss. Bei Errichtung
eines Gebäudes unter Ausnutzung der zulässigen Bebauungstiefe von 13 m ergäbe sich
eine Grundflächenzahl von 0,44 (14,99m X 13m = 194,87qm : 440 qm). Gegenüber
diesem Maß der baulichen Nutzung bleibt das streitgegenständliche Vorhaben sogar
noch zurück, da lediglich eine Gebäudetiefe von 11m geplant ist. Gleichwohl ist insoweit
eine Spruchreife nicht gegeben, denn eine Ermessensreduzierung auf Null liegt nicht vor.
Vielmehr ist das Bezirksamt im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung für
die Erteilung einer Befreiung berechtigt, den Gesamtversiegelungsgrad des Grundstücks
in den Blick zu nehmen. In diesem Zusammenhang ist es nicht zu beanstanden, wenn
insoweit trotz der rechtlich fehlenden Anrechnung der Fläche des vollkommen
unterirdisch angelegten Kellergeschosses der hinteren Bestandsbebauung auf die
Grundflächenzahl (vgl. § 19 Abs. 4 Satz 2 BauNVO 1968) die Erteilung einer Befreiung für
das Bauvorhaben vom vollständigen vorherigen Abriss des Quergebäudes einschließlich
des Kellergeschosses abhängig gemacht würde, auch wenn man unterstellt, dass dieses
mit der erforderlichen Baugenehmigung errichtet wurde, zumal neben dem
tatsächlichen Versiegelungsgrad insoweit auch eine Überschreitung der zulässigen
Bebauungstiefe auf dem Grundstück verbunden ist.
Im Übrigen war die Klage abzuweisen, weil die ausgesprochene Verpflichtung zur
Neubescheidung hinter dem beantragten Verpflichtungsbegehren zurückbleibt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Kammer bewertet den
Unterliegensanteil des Klägers mit einem Zehntel des Gesamtbegehrens, da der Klage
zu einem weitüberwiegenden Teil zu entsprechen war und mögliche mit der Zulassung
einer Überschreitung der Grundflächenzahl im Ermessenswege verbundene
Nebenbestimmungen (Bedingungen, Auflagen) die Rechtsposition des Klägers nicht
maßgeblich beeinträchtigen, zumal er im Termin der mündlichen Verhandlung bereits
selbst den Verzicht auf das Kellergeschoss des Quergebäudes angeboten hat.
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 Abs. 2 VwGO
i.V.m. 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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