Urteil des VG Berlin vom 14.03.2017

VG Berlin: hausrecht, organisiertes verbrechen, allgemeines verwaltungsrecht, vollziehung, vollstreckbarkeit, verwaltungsverfahren, störer, begriff, verfassung, gesetzesvorbehalt

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Gericht:
VG Berlin 34.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
34 K 78.09
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 40 Abs 1 S 1 VwGO
Rechtsweg bei Anfechtung eines Hausverbots für ein
öffentliches Gebäude
JobCenter; Beleidigung; Bedrohung; Gewaltsbereitschaft des
Leistungsempfängers; Hausverbot für 2 Jahre;
Anfechtungsklage; (kein Rechtsweg) zu den Sozialgerichten;
Fristbestimmung nicht unverhältnismäßig; Abweisung
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der in Berlin lebende Kläger ist seit längerer Zeit arbeitsuchend und wird durch das die
Beklagten vertretende JobCenter betreut. Spätestens seit dem Frühjahr 2008 kam es
dabei zu Konflikten, die von Bediensteten des JobCenters in Vermerkform festgehalten
wurden:
Seitens des Klägers sei es in mehreren Fällen zu verbalen Entgleisungen und
Beleidigungen, teilweise auch zu körperlichen Übergriffen gekommen. Der Kläger habe in
einem dieser Fälle damit gedroht, bestimmte Bedienstete durch Einsatz von
Schusswaffen „alle“ oder in sonstiger Weise „kalt“ zu machen. Diese habe er teilweise
als „Lügnerin und Diebin“, teils als „Du Schlampe“ abqualifiziert. Bei anderer
Gelegenheit darum gebeten, auf dem Flur bestimmte Musik etwas leiser abzuspielen,
habe er entgegnet: „Was is’? Willst Du was auf die Schnauze, Du Opfer!“. Nach späterer
Wiederholung der Bitte habe er gedroht: „Ich hau Dir gleich auf die Fresse!“ Bezogen auf
eine andere Bedienstete habe er geäußert: „Wenn ich sehe, wie die aus dem Regio
steigt, reiße ich ihr alle Haare aus und mach’ sie kaputt. Ich schwöre es“.
Unter dem 16. Mai 2008 erteilte der Geschäftsführer des JobCenters unter Berufung auf
sein Hausrecht dem Kläger unter Anordnung der sofortigen Vollziehung für das dortige
Dienstgebäude „zum Schutz meiner Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und zur
Aufrechterhaltung eines geordneten Dienstbetriebs“ ein Hausverbot bis zum 14. Mai
2010. Der dagegen gerichtete Widerspruch des Klägers blieb ohne Erfolg (vgl.
Widerspruchsbescheid vom 14. Juli 2008).
Die am 29. Juli 2008 erhobene Klage ging nach Verweisung durch das Sozialgericht Berlin
am 26. Februar 2009 beim Verwaltungsgericht ein.
Der Kläger, der die Klage schriftsätzlich nicht begründet hat, beantragt,
den Hausverbotsbescheid vom 16. Mai 2008 in der Fassung des
Widerspruchsbescheids vom 14. Juli 2008 aufzuheben.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen,
und verteidigen die angefochtenen Bescheide.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
wird auf den Inhalt der Streitakte und der Verwaltungsvorgänge der Beklagten verwiesen,
die vorgelegen haben und – soweit erheblich – Gegenstand der mündlichen Verhandlung
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die vorgelegen haben und – soweit erheblich – Gegenstand der mündlichen Verhandlung
und der Entscheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig
und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Der Verwaltungsrechtsweg ist – unabhängig von der Bindungswirkung des
Verweisungsbeschlusses des Sozialgerichts Berlin (vgl. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG) –
gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO gegeben, weil es sich bei Streitsachen, die für
Liegenschaften eines JobCenters bzw. einer sog. ARGE ausgesprochene Hausverbote
betreffen, um öffenlich-rechtliche Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art handelt,
die nicht durch Bundesgesetz ausdrücklich einem anderen Gericht zugewiesen sind (vgl.
VG Neustadt, Beschluss vom 23. Februar 2010 – 4 L 103/10.NW -, juris; a.A.: BSG,
Beschluss vom 1. April 2009 – B 14 SF 1/08 R -, SozR 4 – 0000).
Dem öffentlich-rechtlichen Bereich und nicht dem Privatrecht sind behördliche
Hausverbote zuzuordnen, wenn sie – wie hier – angeordnet werden, um den
störungsfreien Ablauf des Dienstbetriebs und die gedeihliche Abwicklung der
Dienstgeschäfte sicherzustellen (vgl. bereits BezVG Berlin-Zehlendorf, Urteil vom 4.
November 1949 – 1 B 100/49 -, NJW 1950, 395). Dagegen gerichtete Klagen sind ohne
Berücksichtigung der Art der betroffenen Dienstgeschäfte in jedem Fall bei den
Verwaltungsgerichten anhängig zu machen; der Rechtsweg zu den Sozial- oder
Finanzgerichten ist nicht gegeben (vgl. VG Neustadt a.a.O., VG Berlin, Beschluss vom
21. April 2010 – VG 34 K 147.09 -, OVG NRW, Beschluss vom 11. Februar 1998 – 25 E
960/97 -, NVwZ–RR 1998, 595, Jutzi, Die „Parzellierung“ des öffentlichen Hausrechts,
LKRZ 2009, 16, im Ergebnis ebenso: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 9. April
2010 – OVG 10 M 81.09 -; a.A.: BSG a.a.O., LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 10.
September 2009 – L 5 KA 38/09 B ER -, juris unter Aufgabe der bisherigen
Rechtsprechung, VG Berlin, Beschluss vom 17. Februar 2010 – VG 33 L 34.10 -).
Bestimmend für den eröffneten Rechtsweg ist die Natur des Rechtsverhältnisses, aus
dem der Klageanspruch hergeleitet wird (vgl. GmSOGB, Beschluss vom 4. Juni 1974 –
GmS-OGB 2/73 -, NJW 1974, 2087). Danach ist in Streitsachen der vorliegenden Art
maßgebend darauf abzustellen, dass sich die behördliche Anordnung eines Hausverbots
als Betätigung bzw. Ausübung des (allgemeinen) Hausrechts oder der (allgemeinen)
Ordnungsgewalt durch den jeweiligen Behördenleiter – hier des Geschäftsführers des
JobCenters (vgl. § 44b Abs. 2 SGB II) – und nicht als eine einem (konkreten)
Verwaltungsverfahren – hier der Leistungsgewährung nach dem SGB II – zuzuordnende
Verfahrenshandlung darstellt (vgl. OVG NRW, Urteil vom 26. April 1990 – 15 A 460/88 -,
DVBl. 1991, 495, Ronellenfitsch, Das Hausrecht der Behörden, VerwArch 73, 465, 477;
a.A.: BSG a.a.O.).
Die nur eingeschränkte Anfechtbarkeit behördlicher Verfahrenshandlungen nach § 44a
Satz 1 VwGO, der in sozialgerichtlichen Verfahren entsprechend anzuwenden ist (vgl.
LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 9. August 2007 – L 7 AS 874/07 -, FEVS 59, 178,
LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 14. April 2008 – L 18 B 513/08 AS -, juris) bzw.
die Frage der Vollstreckbarkeit von Hausverboten im Sinne von § 44a Satz 2 VwGO (vgl.
Knemeyer, Das Hausrecht der öffentlichen Verwaltung, VBlBW 1982, 249, 252) bedarf
nach hier vertretener Auffassung daher keiner weiteren Betrachtung.
Offen bleiben kann danach ferner, ob und inwieweit die Vorfälle, die Anlass zur
Verhängung des angefochtenen Hausverbots waren und die teilweise das Auftreten des
Klägers in der Eingangszone „während der Anliegensklärung“ oder sein Verhalten als
Begleiter einer in eigener Sache vorsprechenden Freundin betrafen, überhaupt einem
seinerzeit laufenden, d.h. noch nicht durch Bescheiderteilung abgeschlossenen
Verwaltungsverfahren zuzuordnen waren oder ob insoweit darauf abgestellt werden
kann, dass zwischen dem Leistungsempfänger und dem JobCenter jedenfalls für den
Bewilligungszeitraum durch den Leistungsbescheid ein
„Dauerverwaltungsrechtsverhältnis“ begründet wird (vgl. BSG a.a.O.).
Der Zulässigkeit der Klage steht schließlich auch nicht entgegen, dass der Kläger
hinsichtlich der Anordnung der sofortigen Vollziehung des Hausverbotsbescheids um
vorläufigen Rechtsschutz nicht nachgesucht hat. Dieser Umstand allein rechtfertigt nicht
die Annahme, dass der Kläger an der Wiedererlangung des Zutrittsrechts zum Gebäude
des Jobcenters tatsächlich nicht ernsthaft interessiert ist.
Die somit zulässige Klage ist unbegründet, weil das JobCenter befugt ist, gegen
Störungen des Dienstbetriebs mit dem Mittel des Hausverbots vorzugehen, und weil
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Störungen des Dienstbetriebs mit dem Mittel des Hausverbots vorzugehen, und weil
nicht festgestellt werden kann, dass das JobCenter von dieser Befugnis im vorliegenden
Fall in rechtswidriger Weise Gebrauch gemacht hat.
Betreffend das Hausrecht und die Ordnungsgewalt in öffentlichen Gebäuden und die
Befugnis, gegen Störer das Mittel des Hausverbots einzusetzen, bestehen nur in
wenigen Bereichen ausdrückliche gesetzliche Regelungen. Das Hausrecht wird dabei
üblicherweise in dem Sinne verstanden, dass es sich gegen ungebetene Besucher und
andere Außenstehende richtet, während der Ordnungsgewalt diejenigen Personen
unterliegen, denen zum Zwecke einer Antragstellung oder aufgrund einer Vorladung
grundsätzlich der Zutritt zu dem jeweiligen Behördengebäude gestattet ist (vgl.
Knemeyer a.a.O., Ehlers, Gesetzesvorbehalt und Hausrecht der Verwaltungsbehörden,
DÖV 1977, 737). Teilweise wird der Begriff des Hausrechts – ohne praktische
Auswirkungen auf die Rechtsfolgen – allerdings auch in einem weiteren, den Bereich der
Ordnungsgewalt mitumfassenden Sinne gebraucht (vgl. OVG NRW – 15 A 460/88 -,
a.a.O. m.w.N.).
Das Hausrecht und die Ordnungsgewalt im Bundestag übt nach Artikel 40 Abs. 2 Satz 1
des Grundgesetzes der Bundespräsident aus. Entsprechende Regelungen finden sich
u.a. hinsichtlich des Abgeordnetenhauses in Artikel 41 Abs. 4 Satz 1 der Verfassung von
Berlin und hinsichtlich universitärer Liegenschaften zugunsten des Leiters oder der
Leiterin der Hochschule in § 56 Abs. 2 BerlHG. Aber auch darüber hinaus – d.h. bei nicht
ausdrücklicher Regelung – verfügt nach ganz überwiegender Auffassung, der das Gericht
folgt und auf die der angegriffene Widerspruchsbescheid vom 14. Juli 2008 zutreffend
gestützt ist, in öffentlichen Gebäuden der jeweilige Behördenleiter – oder der Präsident
eines Gerichts (vgl. Schl.-Holst. OVG, Beschluss vom 28. April 1993 – 3 M 16/93 -, DÖV
1993, 963) – über das Hausrecht und die Ordnungsgewalt und verbunden damit über die
Befugnis, gegen Störer im Wege des Hausverbots vorzugehen (vgl. OVG NRW, Urteil
vom 26. April 1990 – 15 A 864/88 -, DÖV 1990, 979 m.w.N., Ronellenfitsch a.a.O.,
Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 3 Rdnr. 34 m.w.N.). Ob insoweit
gewohnheitsrechtliche Grundsätze heranzuziehen sind (vgl. Mißling, Das Hausverbot in
öffentlichen Gebäuden, NdsVBl 2008, 267) oder auf eine mit der Behördenfunktion
einhergehende Annexkompetenz abzustellen ist (vgl. OVG NRW – 15 A 460/88 -, a.a.O.),
bedarf mangels praktischer Relevanz an dieser Stelle keiner Vertiefung.
Ausgehend von diesen Maßstäben erweist sich die Entscheidung des Geschäftsführers
des JobCenters, gegen den Kläger ein Hausverbot zu verhängen, als rechtmäßig.
Dies folgt insbesondere daraus, dass der Kläger auch in der mündlichen Verhandlung die
gegen ihn erhobenen Vorwürfe nicht ausdrücklich bestritten, sondern sich lediglich
darauf berufen hat, er neige (nur) dann zu solchen Reaktionen, wenn er in Behörden
schlecht behandelt werde. Zur Begründung im Übrigen nimmt das Gericht – diesen
folgend – gemäß § 117 Abs. 5 VwGO Bezug auf die zutreffenden Darstellungen und
Bewertungen in dem angefochtenen Widerspruchsbescheid vom 14. Juli 2008.
Die Frist, für die das Hausverbot Geltung beansprucht, ist ebenfalls nicht zu
beanstanden. Das auf zwei Jahre angelegte Hausverbot bewegt sich zwar an der
Obergrenze der nach den Erfahrungen der Kammer aus anderen Verfahren in
Hausverbotsbescheiden Berliner JobCenter ansonsten anzutreffenden
Fristbestimmungen. Auf der anderen Seite sind jedoch die Schwere der Vorwürfe sowie
die Regelungen in dem angefochtenen Bescheid zu berücksichtigen, nach denen für den
Kläger im Falle berechtigter Anliegen und bei Einhaltung bestimmter Vorgaben
persönliche Vorsprachen im JobCenter nach wie vor möglich bleiben. Deswegen stellt
sich die hier angeordnete Dauer des Hausrechts nicht als unverhältnismäßig dar.
Das Auftreten des Klägers in der mündlichen Verhandlung, in der er die Abläufe in dem
ihn betreuenden JobCenter mehrfach als organisiertes Verbrechen eingestuft hat, bedarf
danach keiner weiteren Betrachtung und Bewertung mehr.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Entscheidung über die
vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.
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