Urteil des VG Berlin vom 13.03.2007

VG Berlin: gehweg, grünfläche, sondernutzungsgebühr, gemeingebrauch, behörde, link, einwirkung, kauf, gegenleistung, gewalt

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Gericht:
VG Berlin 1. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 A 312.07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Norm:
§ 2 Abs 2 Nr 1 StrG BE
Sondernutzungserlaubnis und Sondernutzungsgebühr für die
Benutzung eines Grünstreifens
Tenor
Der Bescheid des Bezirksamts Spandau von Berlin vom 13. März 2007 in Gestalt des
Widerspruchsbescheids derselben Behörde vom 25. Oktober 2007 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Entscheidung ist hinsichtlich der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110
v. H. des beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rechtmäßigkeit eines
Sondernutzungsgebührenbescheides.
Im Zusammenhang mit Bauarbeiten auf dem Grundstück Heerstr. 552 – 564 nutzte die
Klägerin ab 1. November 2006 eine neben dem ausgebauten Gehweg verlaufende
Grünfläche, die zum öffentlichen Straßenland gehört, um dort
Baustelleneinrichtungsgegenstände zu lagern; den Bereich grenzte sie vom sonstigen
Straßenland durch einen Bauzaun ab. Nach Hinweis des Beklagten auf die
Genehmigungspflichtigkeit dieser Lagerung beantragte sie eine
Sondernutzungserlaubnis. Diese wurde ihr mit Bescheid vom 13. März 2007 rückwirkend
vom 1. November 2006 bis 31. Mai 2007 erteilt; zugleich setzte der Beklagte eine
Sondernutzungsgebühr in Höhe von 26.852 € fest. Zur Begründung verwies er auf die
Tarifstelle 5.1 b der Anlage 1 zur Sondernutzungsgebührenverordnung – SNGebV -,
wonach für Straßen, auf denen die zugelassene Höchstgeschwindigkeit nicht auf 30 km/h
beschränkt ist, die Gebühr bei einer Sondernutzung des Gehweges pro Monat und
Quadratmeter 4 € beträgt.
Gegen den Gebührenbescheid erhob die Klägerin Widerspruch. Sie wandte sich gegen
die Einordnung der von ihr genutzten Fläche als Gehweg. Zur Begründung verwies sie
auf das Berliner Straßengesetz – BerlStrG -, auf dem die
Sondernutzungsgebührenverordnung beruhe und das in § 2 Abs. 2 Ziffer 1b zwischen
Gehwegen und Grünanlagen differenziere. Der neben dem Gehweg liegende
Grünstreifen könne auch nicht unter den in derselben Tarifstelle genannten Begriff
„übriger Straßenraum“ subsumiert werden. Denn der dort genannte Gebührensatz von
7,50 € /qm/Monat überschreite deutlich den für den Gehweg festgesetzten Satz.
Gebühren für eine Inanspruchnahme des neben einem Gehweg gelegenen Grünstreifens
könnten jedoch nicht höher angesetzt werden als diejenigen für eine Benutzung des
Gehweges. Denn die Inanspruchnahme eines Gehweges schränke den Gemeingebrauch,
nämlich den Fußgängerverkehr, ein, während eine Nutzung des daneben verlaufenden
Grünstreifens diesen nicht beeinträchtige. Außerdem griff die Klägerin die Berechnung
an, da diese von unzutreffenden Daten ausgehe: Die Grünfläche werde in den Monaten
April und Mai nicht mehr benötigt, so dass die angenommene Nutzungsdauer insoweit
zu kürzen sei. Auch sei die bei der Berechnung der Gebühr zugrunde gelegte Fläche zu
groß angesetzt.
Mit Widerspruchsbescheid vom 25. Oktober 2007, zugestellt am 31. Oktober 2007, hob
der Beklagte den angegriffenen Bescheid insoweit auf, als für die Sondernutzung ein
Betrag von mehr als 19.180,00 € festgesetzt wurde; im Übrigen wies er den Widerspruch
zurück. Die Reduzierung der Gebühr beruhe auf der um zwei Monate kürzeren
Nutzungszeit. Ansonsten hielt er an seiner Rechtsansicht fest. Eine fehlende Befestigung
stelle die Einordnung der Grünfläche als Gehweg nicht in Frage.
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Die Klägerin verfolgt ihr Begehren mit der am 30. November 2007 erhobenen Klage
weiter. Dabei wiederholt und vertieft sie im Wesentlichen ihre Argumentation aus dem
Widerspruchsverfahren.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Bezirksamtes Spandau von Berlin vom 13. März 2007 in
Gestalt des Widerspruchsbescheides derselben Behörde vom 25. Oktober 2007
aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen
Er hält an den angefochtenen Bescheiden aus deren Gründen fest.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
wird auf den Inhalt der Streitakte sowie des von dem Beklagten vorgelegten
Verwaltungsvorganges verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet. Die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig
und verletzen die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Zum einen ist die von der Klägerin angegriffene Gebührenfestsetzung in den
angefochtenen Bescheiden nicht zutreffend auf der Grundlage von § 2 SNGebV i.V.m.
der Anlage 1 (Gebührenverzeichnis) berechnet, da fälschlich der Gebührensatz für
Gehwege angesetzt wurde (1.). Darüber hinaus ist die streitentscheidende Tarifstelle
nicht mit höherrangigem Recht vereinbar (2.).
1. Rechtsgrundlage des Bescheides ist § 11 Abs. 9 BerlStrG i. V. m. § 2 SNGebV und
Tarifstelle 5.1b (Sondernutzungen im Zusammenhang mit baulichen Anlagen) der
Anlage 1 zur Sondernutzungsgebührenverordnung (Gebührenverzeichnis). Danach
beträgt die Gebühr bei der Inanspruchnahme aller anderen Straßen (d.h. außer Straßen
innerhalb von Tempo 30-Zonen, verkehrsberuhigten Bereichen sowie mit einer
Geschwindigkeitsbeschränkung unter 30 km/h, für die Tarifstelle 5.1a einen stark
ermäßigten Gebührensatz festsetzt) bei einem Gehweg 4 €, beim übrigen Straßenraum
7,50 € je Monat und Quadratmeter.
Ausgehend davon hat der Beklagte die Sondernutzungsgebühr nicht zutreffend
berechnet. Bei der Heerstraße handelt es sich zwar um eine „andere“ Straße i. S. d.
Tarifstelle 5.1b des Gebührenverzeichnisses, da dort keine
Geschwindigkeitsbegrenzungen i.S. der Tarifstelle 5.1a des Gebührenverzeichnisses
gelten. Die von der Klägerin genutzte Fläche ist jedoch kein Teil des Gehweges. Ein
Gehweg stellt den Teil der öffentlichen Straße dar, der dem Fußgängerverkehr
vorbehalten ist. Da innerhalb der Widmung als öffentliches Straßenland keine
Differenzierung nach den unterschiedlichen Nutzungsarten erfolgt, kann sich letztere nur
aus den tatsächlichen Verhältnissen, insbesondere dem Ausbauzustand der Straße
ergeben. Der Beklagte trägt hierzu vor, dass der Fußgängerverkehr in dem von der
Klägerin in Anspruch genommenen Bereich gering sei und daher keine Befestigung des
Gehweges bis zur Straßenbegrenzungslinie erfolgt, vielmehr ein begrünter Seitenstreifen
belassen worden sei. Daraus ergibt sich, dass der von der Klägerin genutzte begrünte
Seitenstreifen weder für den Fußgängerverkehr benötigt noch entsprechend genutzt
wird. Dies bestätigen das im Verwaltungsvorgang befindliche Foto (Bl. 50 VV) und die in
der Verhandlung überreichte Farbaufnahme, die keine Hinweise für eine Nutzung des
Grünstreifens als Gehweg (z.B. niedergetretenes Gras, „Trampelpfade“, etc.) erkennen
lassen und auf denen deutlich sichtbar ein aus weißen Steinen bestehender Randstreifen
den mit Platten befestigten Fußgängerbereich von der Grünfläche abgrenzt. Somit
handelt es sich bei der von der Sondernutzung in Anspruch genommene Fläche nicht
um den Gehweg, sondern eine daneben befindliche Grünanlage i. S. d. § 2 Abs. 2 Nr 1b
BerlStrG.
2. Die Tarifstelle 5.1b des Gebührenverzeichnisses widerspricht höherrangigem Recht in
Gestalt des gebührenrechtlichen Äquivalenzprinzips.
Nach allgemeiner Auffassung (vgl. etwa BVerwGE 80, 36, 39; BVerwG, Beschluss vom
17. Oktober 2008 – BVerwG 9 B 24.08) ist bei der Bemessung von
Sondernutzungsgebühren das Äquivalenzprinzip als gebührenrechtliche Ausprägung des
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Sondernutzungsgebühren das Äquivalenzprinzip als gebührenrechtliche Ausprägung des
Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu berücksichtigen. Danach dürfen
Benutzungsgebühren in keinem Missverhältnis zu der von der öffentlichen Gewalt
gebotenen Leistung stehen. Eine Sondernutzungsgebühr ist die Gegenleistung dafür,
dass die Benutzung einer öffentlichen Straße über den Gemeingebrauch hinaus erlaubt
und damit gleichzeitig eine Beeinträchtigung der gemeingebräuchlichen
Nutzungsmöglichkeiten in Kauf genommen wird. Die Höhe einer solchen Gebühr darf
daher weder außer Verhältnis zum Ausmaß dieser Beeinträchtigung noch zu den mit der
Straßennutzung verfolgten wirtschaftlichen Interessen stehen (vgl. BVerwG, a. a. O., m.
w. N.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 13. Juni 2008 - OVG 1 S 37.08). Bei der
Staffelung der Gebührenhöhe ist namentlich dem Umstand Rechnung zu tragen, dass
die Einwirkung auf die Straße wie auch die Beeinträchtigung des Gemeingebrauchs je
nach Dichte und Intensität des Straßenverkehrs unterschiedlich zu bewerten ist; dabei
ist eine pauschalierende Bewertung von Art und Ausmaß der Sondernutzung aus
Gründen der Verwaltungspraktikabilität unumgänglich und nach dem allgemein im
Abgabenrecht geltenden Grundsatz der Typengerechtigkeit auch unbedenklich (vgl.
BVerwGE 80, 36, 38).
Die Ausgestaltung der Gebührensätze in der Tarifstelle 5.1b des
Gebührenverzeichnisses überschreitet das Maß der zulässigen Pauschalierung. Denn es
ist mit den ausgeführten Anforderungen des Äquivalenzprinzips nicht vereinbar, dass für
die Sondernutzung von Grünstreifen und Fahrbahn als „übriger Straßenraum“ derselbe
Gebührensatz angesetzt wird, obwohl der Gemeingebrauch bei der Sondernutzung von
Grünstreifen nicht oder nur sehr eingeschränkt, bei Fahrbahnen aber in besonderem
Maße beeinträchtigt wird (vgl. auch Urteil der Kammer vom 18.12.2008 – 1 A 209.07).
Ob die Tarifstelle 5.1b des Gebührenverzeichnisses aus den vorgenannten Gründen auch
gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG, Art. 10 Abs. 1 VvB) verstößt,
kann dahinstehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch über die
vorläufige Vollstreckbarkeit der Entscheidung auf den §§ 167 VwGO, 709 ZPO. Die
Berufung ist wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) zur Klärung
der Frage zugelassen worden, ob die Tarifstelle 5.1b des Gebührenverzeichnisses zur
Sondernutzungsgebührenverordnung mit höherrangigem Recht vereinbar ist.
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