Urteil des VG Berlin vom 10.08.2006

VG Berlin: verbrechen gegen die menschlichkeit, öffentliche sicherheit, öffentliche ordnung, bundesamt für migration, vorbehalt des gesetzes, libanon, meinungsfreiheit, auflage, politische partei

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Gericht:
VG Berlin 1. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
1 A 212.06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 5 Abs 1 S 1 GG, § 15 Abs 1
VersammlG, Art 8 GG, Art 5 Abs
2 GG, § 129a Abs 5 S 2 StGB
Verbot des Zeigens von Symbolen der Hizbollah und Bildern von
Scheich Nasrallah im Rahmen einer Demonstration
Tenor
Es wird festgestellt, dass die Auflage Nr. 2 im Bescheid des Polizeipräsidenten in Berlin
vom 10. August 2006 rechtswidrig war.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
beizutreibenden Betrages abwenden, wenn der Kläger nicht zuvor Sicherheit in gleicher
Höhe leistet.
Tatbestand
Der Kläger, ein Verein, wendet sich im Rahmen einer Fortsetzungsfeststellungsklage
gegen eine versammlungsrechtliche Auflage.
Der Kläger meldete zusammen mit der Palästinensischen Gemeinde Berlin und der
Palästinensischen Gesellschaft für Menschenrechte und Rückkehrrechte bei der
Versammlungsbehörde einen Aufzug zum Thema „Stoppt den Krieg gegen Libanon und
Palästina“ für Samstag, den 12. August 2006 an. Mit Anmeldebestätigung und
Auflagenbescheid vom 10. August 2006 erließ der Polizeipräsident in Berlin unter Ziffer 2
die nunmehr angegriffene Auflage:
„Ebenfalls untersagt ist jedes Werben für die „Hizb Allah“-Organisation und ihr
nahe stehende Organisationen wie die Miliz des „Islamischen Widerstands“ („al-Muqama
al-islamiya“). Kennzeichen, Symbole oder Embleme dieser Organisationen dürfen weder
auf Fahnen und Transparenten noch an der Kleidung der Teilnehmer oder auf sonstige
Weise gezeigt werden. Ebenso ist das öffentliche Zurschaustellen von Bildnissen des
Generalsekretärs der „Hizb Allah“, Sayyid Hassan Nasrallah, untersagt.“
Ziffer 3, die der Kläger nicht angreift, lautete:
„Des Weiteren ist untersagt, Gewalttaten, die darauf gerichtet waren oder sind,
Menschen zu töten, zu verletzen oder zu entführen, in Wort, Bild oder Schrift zu
verherrlichen oder gutzuheißen bzw. zu solchen Taten aufzufordern. Untersagt ist
insbesondere das Rufen von Parolen wie „Tod Israel!“ und „Tod (den) Israelis“.“
Zur Begründung beider Auflagen führte der Beklagte aus: Zum Thema des Nahost-
Konflikts hätten bereits mehrere Versammlungen und Aufzüge in Berlin stattgefunden.
Bei dem Aufzug am 29. Juli 2006 hätten Teilnehmer Bildnisse von Herrn Nasrallah mit
der Aufschrift „Wir danken Dir“ oder „Wir sind stolz auf Dich“ mitgeführt und zur Schau
gestellt. Aus dem Blickwinkel eines unbefangenen Demonstrationsbeobachters hätten
die Aufzugsteilnehmer damit zum Ausdruck gebracht, dass sie alles billigten und
befürworteten, was der Elimination des Staates Israel und seiner Staatsangehörigen
dienlich sei. Herr Nasrallah habe vielfach die Vernichtung Israels gefordert. Die Ziele der
Hizbollah seien terroristisch und antisemitisch. Sie rechtfertige Selbstmordattentate. Sie
rufe regelmäßig die Palästinenser auf, die Intifada und die dabei verübten
Terroranschläge weiter fortzusetzen. Dabei würden auch „erfolgreiche“ Anschläge der
Hamas und des Islamischen Jihad dargestellt, die als terroristische Vereinigungen i.S.
von § 129 a und b StGB anzusehen seien. Darüber hinaus bedrohe die Hizbollah mit
Raketen und Bomben die im Norden Israels lebende Zivilbevölkerung. Die Hizbollah sei
eine Organisation, die terroristische Handlungen unternehme und unterstütze, um den
Staat Israel zu vernichten und die israelische Bevölkerung unter Einsatz von
Selbstmordattentaten und Raketenangriffen zu vertreiben bzw. zu töten. Zum Beleg
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Selbstmordattentaten und Raketenangriffen zu vertreiben bzw. zu töten. Zum Beleg
führte der Bescheid mehrere Zitate des Generalsekretärs Nasrallah, aus dem
Programm der Hizbollah von 1985 sowie des Fernsehsenders der Hizbollah, Al-Manar,
an. Wer auf die Elimination eines Volkes gerichtete Aktionen propagiere oder gutheiße,
begebe sich außerhalb des Schutzbereichs der Grundrechte nach Art. 2 Abs. 1 und Art.
8 Abs. 1 GG. Nach § 111 StGB mache sich strafbar, wer öffentlich oder in einer
Versammlung zu einer rechtswidrigen Tat auffordere. Unter den Voraussetzungen des §
140 Nr. 2 StGB sei das Billigen einer in § 126 Abs. 1 StGB bezeichneten Straftat strafbar.
Von diesen Vorschriften würden auch die Straftatbestände des § 6
Völkerstrafgesetzbuch (Völkermord) und des § 7 VStGB (Verbrechen gegen die
Menschlichkeit) in Bezug genommen. Die von der Hizbollah zum Nachteil israelischer
Zivilisten begangenen Tötungen, Verletzungen, Vertreibungen und Entführungen seien
rechtswidrige Taten nach dem Völkerstrafgesetzbuch. Zudem stellten die in der Auflage
untersagten Handlungen Störungen der öffentlichen Ordnung dar. Sie verletzten in
eklatanter Weise die grundlegenden sozialen und ethischen Anschauungen der
Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland und seien daher geeignet, den öffentlichen
Frieden nachhaltig zu stören.
Gegen die Auflage Nr. 2 hat der Kläger am 31. August 2006 Klage erhoben. Zur
Begründung führt der Kläger aus, eine Fortsetzungsfeststellungsklage sei zulässig. Es
bestehe Wiederholungsgefahr und ein Rehabilitationsinteresse. Er sei in seinen
Grundrechten auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit beeinträchtigt.
Die Auflage sei rechtswidrig. Es habe bereits an einer auf den konkreten Einzelfall
bezogenen Gefahrenprognose gefehlt, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung
unmittelbar gefährdet gewesen sei. Das Zeigen des Symbols der Hizbollah sei im
Zusammenhang mit dem Aufruf zur Versammlung, den Spruchbändern, den Reden und
den Flugblättern als Meinungsäußerung zu qualifizieren. Es sei unzutreffend, wenn der
Beklagte behaupte, Demonstrationsteilnehmer würden mit dem Zeigen von Bildern oder
Symbolen der Hizbollah und ihres Generalsekretärs der Hizbollah zugeschriebene
terroristische Aktivitäten unterstützen. Bei mehrdeutigen Äußerungen dürfe der Staat
nicht einfach von seiner Sichtweise ausgehen, sondern müsse die Auslegung der
Veranstaltungsteilnehmer zugrunde legen.
Die vom Beklagten aufgeführten Straftatbestände seien nicht erfüllt. §§ 111 Abs. 1, 140
Nr. 2 i.V.m. § 125 Abs. 1 StGB verlangten die Aufforderung zu konkreten Straftaten. § 6
Völkerstrafgesetzbuch setze einen bewaffneten Konflikt im Sinne des Kriegsvölkerrechts
voraus. Soweit die Veranstaltungsteilnehmer für die Hizbollah und deren
Generalsekretär werben würden, würden damit keine völkerrechtswidrigen Verbrechen
gebilligt. Vielmehr komme die Auffassung zum Ausdruck, dass die Hizbollah und der
„Islamische Widerstand“ einen positiven politischen Einfluss ausübten und mit
Völkermord nichts zu schaffen hätten. Die Teilnehmer verbänden mit der Hizbollah eine
zweckrationale Friedenskraft und eine Trägerin der Wiederaufbauarbeit im Libanon. Israel
habe einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen den Libanon begonnen und im Krieg
zahlreiche Verstöße gegen das humanitäre Kriegsvölkerrecht begangen. Der Kampf der
Hizbollah gegen das israelische Militär sei abgesehen von Angriffen auf Zivilpersonen
und zivile Objekte völkerrechtlich gerechtfertigt. Die Hizbollah sei keine terroristische
Vereinigung, sondern eine „organisierte bewaffnete Gruppe“ im Sinne des Genfer
Protokolls II und habe Anspruch auf Neutralität dritter Staaten.
Die Hizbollah sei im Parlament des Libanon vertreten, das Bild ihres Generalsekretärs
werde täglich im Fernsehen gezeigt und er werde zum Teil von westlichen Medien
interviewt. Er repräsentiere für die Bevölkerung des Libanon den legitimen Widerstand
gegen völkerrechtswidrige Handlungen Israels und dessen Aggressionskrieg gegen den
Libanon. Nasrallah wende sich nicht gegen die israelische Bevölkerung, sondern gegen
die Politik der israelischen Regierung und der Militärführung. Er habe nicht dazu
aufgerufen, Selbstmordattentate oder andere terroristische Aktivitäten zu unterstützen.
Die vom Beklagten genannten Quellen und Zitate würden ausdrücklich bestritten. Viele
Berichte und Zitate beruhten auf unseriösen, von interessierter Seite lancierten
Propagandameldungen insbesondere amerikanischer und israelischer Geheimdienste.
Die Übersetzung sei häufig fehlerhaft. Die Hizbollah strebe für den Libanon keinen
Gottesstaat mehr an. Die Passagen zu Israel im Programm der Hizbollah von 1985 seien
in ihrer Authentizität zweifelhaft und inzwischen überholt. Verhandlungen über den
Austausch von Gefangenen, wie sie zwischen der Hizbollah und Israel stattgefunden
hätten, bedeuteten de facto eine wechselseitige diplomatische und staatliche
Anerkennung.
Ein Verbot der Symbole der Hizbollah und des Bildes von Nasrallah verstoße gegen das
völkerrechtliche Neutralitätsgebot in internationalen bewaffneten Konflikten.
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Der Kläger beantragt,
festzustellen, dass die Auflage Nr. 2 im Bescheid des Polizeipräsidenten in Berlin
vom 10. August 2006 rechtswidrig war.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung trägt er ergänzend vor: Das Zeigen der von Auflage Nr. 2 erfassten
Bilder und Symbole sei keine Meinungskundgabe im Sinne von Art. 5 Abs. 1 GG. Sie
seien in Anknüpfung an die Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-
Brandenburg vielmehr ein „Widerstands- und Sammelsymbol“ mit Orientierungsfunktion
ohne Verknüpfung mit einer bestimmten Meinungsäußerung. Bei der Auslegung
mehrdeutiger Äußerungen sei nach der neueren Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts zu auf die Zukunft gerichteten zivilrechtlichen
Unterlassungsansprüchen davon ausgehen, dass derjenige, der sich mehrdeutig äußere
und bei dem eine der Auslegungen das Persönlichkeitsrecht anderer verletze, zur
Klarstellung verpflichtet sei. Die öffentliche Ordnung sei auch insoweit beeinträchtigt, als
insbesondere in Israel der Eindruck entstehen könne, das deutsche Recht und der
deutsche Staat stützten durch Gewährenlassen die Hizbollah, die hauptverantwortlich für
die Bombardierung israelischer Städte und Dörfer sei. Die Hizbollah und Nasrallah
bekämpften den Staat Israel aktiv mit dem Ziel, seine Existenz zu vernichten. Eine
Versammlung mit dieser Zielrichtung zuzulassen, verstoße gegen das völkerrechtliche
Interventionsverbot. Dieses Verbot umfasse die Verpflichtung zu verhindern, dass
Privatpersonen in organisierter Weise auf deutschem Hoheitsgebiet einem gesamten
Staat das Existenzrecht absprächen. Im In- und Ausland entstehe der Eindruck, dass
derartige Organisationen in Deutschland ein Rückzugsgebiet und eine Propagandabasis
hätten.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird
neben der Verwaltungsstreitakte auf den Verwaltungsvorgang des Beklagten verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist als Fortsetzungsfeststellungsklage analog § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO
zulässig. Denn es kommt ein schwerwiegender Eingriff in das Grundrecht auf freie
Meinungsäußerung (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG) in Betracht.
Die Klage ist begründet. Die Auflage Nr. 2 im Bescheid vom 10. August 2006 war
rechtswidrig und verletzte den Kläger in seinen Rechten aus Art. 5 Abs. 1 und Art. 8 GG.
Nach § 15 Abs. 1 VersammlG kann eine Versammlung oder ein Aufzug von der
zuständigen Behörde verboten oder von bestimmten Auflagen abhängig gemacht
werden, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen
die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Veranstaltung unmittelbar
gefährdet ist. Wegen der besonderen Bedeutung der grundrechtlich verbürgten
Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) für die Funktionsfähigkeit der Demokratie darf ihre
Ausübung nur zum Schutz gleichwertiger anderer Rechtsgüter unter strikter Wahrung
des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit begrenzt werden (BVerfGE 69, 315, 348 f.). Die
Versammlungsfreiheit hat nur dann zurückzutreten, wenn eine Güterabwägung unter
Berücksichtigung des Freiheitsrechts ergibt, dass dies zum Schutz anderer
gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist (BVerfG, a. a. O. S. 353). In diese
Güterabwägung ist besonders der mit der Versammlung oder dem Aufzug intendierte
Zweck einzubeziehen mit der Folge, dass die Anforderungen an versammlungsrechtliche
Beschränkungen um so höher sind, je nachhaltiger sie sich auf die Vermittlung des
Anliegens der Veranstalter in der Öffentlichkeit auswirken.
Staatliche Beschränkungen des Inhalts und der Form einer Meinungsäußerung betreffen
den Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG. Ihre Rechtfertigung finden sie, auch wenn die
Äußerung in einer oder durch eine Versammlung erfolgt, allein in den Schranken des Art.
5 Abs. 2 GG (vgl. BVerfGE 90, 241, 246; BVerfG, Beschluss vom 5. September 2003 - 1
BvQ 32/03 -, NVwZ 2004, 90). Eine Meinungsäußerung, die sich im Rahmen des Art. 5
GG bewegt, kann daher auch nicht zur Rechtfertigung von Maßnahmen herangezogen
werden, die das Grundrecht des Art. 8 GG beschränken (vgl. BVerfGE 90, 241, 246).
Die Meinungsfreiheit ist für die freiheitlich demokratische Grundordnung des
Grundgesetzes schlechthin konstituierend. Es gilt die Vermutung zugunsten freier Rede
in öffentlichen Angelegenheiten (vgl. BVerfGE 7, 198, 208; st. Rspr.). Die Bürger sind
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in öffentlichen Angelegenheiten (vgl. BVerfGE 7, 198, 208; st. Rspr.). Die Bürger sind
grundsätzlich auch frei, grundlegende Wertungen der Verfassung in Frage zu stellen oder
die Änderung tragender Prinzipien zu fordern (BVerfG, Beschluss vom 5. September
2003, a.a.O.). Eine inhaltliche Begrenzung von Meinungsäußerungen kommt, soweit sie
nicht dem Schutze der Jugend oder dem Recht der persönlichen Ehre dient, daher nur im
Rahmen der allgemeinen Gesetze im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG in Betracht. Dies sind
Gesetze, die sich nicht gegen die Meinungsfreiheit an sich oder gegen die Äußerung
einer bestimmten Meinung richten, die vielmehr dem Schutz eines schlechthin, ohne
Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts dienen (vgl. BVerfGE
7, 198, 209; 93, 266, 291; 97, 125, 146; st. Rspr.). Dieses Rechtsgut muss in der
Rechtsordnung allgemein und damit unabhängig davon geschützt sein, ob es durch
Meinungsäußerungen oder auf andere Weise verletzt werden kann. Soweit
Rechtsnormen auslegungsbedürftig sind, darf die Auslegung nicht zur Außerachtlassung
des Schutzgehalts von Art. 5 Abs. 1 GG führen. Dementsprechend hat der Gesetzgeber
insbesondere in den Strafgesetzen Meinungsäußerungen nur dann beschränkt, wenn sie
zugleich sonstige Rechtsgüter - etwa die Menschenwürde oder das allgemeine
Persönlichkeitsrecht - verletzen. Werden die entsprechenden Strafgesetze durch
Meinungsäußerungen missachtet, so liegt darin zugleich eine Verletzung der öffentlichen
Sicherheit; eine so begründete Gefahr kann durch die Ordnungsbehörden abgewehrt
werden, und zwar auch mit Auswirkungen auf Versammlungen. Das Grundrecht der
Versammlungsfreiheit schützt die Durchführung von Versammlungen, ermöglicht jedoch
nicht Rechtsgutverletzungen, die außerhalb von Versammlungen unterbunden werden
dürfen. Die in § 15 Abs. 1 VersammlG enthaltene, auf den Schutzbereich des Art. 8 Abs.
1 GG bezogene Ermächtigung darf andererseits aber nicht zu einer Ausweitung der in
der Rechtsordnung enthaltenen Schranken des Inhalts von Meinungsäußerungen führen
(BVerfGE 111, 149).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist Voraussetzung
jeder rechtlichen Würdigung von Äußerungen, dass ihr Sinn zutreffend erfasst wird (vgl.
Beschluss vom 7. April 2001 - 1 BvQ 17/01 und 18/01 – NJW 2001, 2072). Bei der
Auslegung müssen ausgehend vom Wortlaut auch der Kontext und die sonstigen
Begleitumstände einer Äußerung beachtet werden (ständige Rechtsprechung des
BVerfG, u.a. BVerfGE 82, 43, 52 f. und 93, 266, 295 f.). Maßgeblich für die Deutung ist
weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis der
von der Äußerung Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines
unvoreingenommenen und verständigen Durchschnittspublikums hat (vgl. BVerfGE 93,
266, 295). Fern liegende Deutungen sind auszuscheiden (vgl. a.a.O., S. 296). Urteile
über den Inhalt von Meinungsäußerungen, die deren Sinn erkennbar verfehlen und
darauf ihre rechtliche Würdigung stützen, verstoßen gegen das Grundrecht der
Meinungsfreiheit. Ist der Sinn unter Zugrundelegung dieses Maßstabs eindeutig, ist er
der weiteren Prüfung zu Grunde zu legen. Zeigt sich aber, dass ein
unvoreingenommenes und verständiges Publikum die Äußerung als mehrdeutig
wahrnimmt oder verstehen erhebliche Teile des Publikums den Inhalt jeweils
unterschiedlich, ist bei der weiteren Prüfung von einem mehrdeutigen Inhalt
auszugehen. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Deutung mehrdeutiger
Tatsachenbehauptungen oder Werturteile unterscheiden sich je nachdem, ob die
nachträgliche Sanktionierung schon erfolgter Äußerungen oder allein deren
zukunftsgerichtete Abwehr in Frage steht (BVerfG, Beschluss vom 24. Mai 2006 – 1 BvR
49/00 u.a. – NJW 2006, 3769). Soweit es um die strafrechtliche Würdigung geht, ist das
Grundrecht der Meinungsfreiheit verletzt, wenn bei mehrdeutigen Äußerungen nur die
zur Strafbarkeit führende Bedeutung zu Grunde gelegt wird, ohne vorher die anderen
möglichen Deutungen mit nachvollziehbaren Gründen ausgeschlossen zu haben
(BVerfGE 85, 1, 13 f; 93, 266, 295 f.; 94, 1, 10 f.; 107, 275, 281 f.). Mehrdeutige
Äußerungen sind dagegen anders zu behandeln, soweit über einen zivilrechtlichen
Anspruch auf deren zukünftige Unterlassung entschieden wird. In solchen Fällen wird die
Meinungsfreiheit nicht verletzt, wenn von dem Betroffenen im Interesse des
Persönlichkeitsschutzes anderer verlangt wird, den Inhalt seiner mehrdeutigen Aussage
gegebenenfalls klarzustellen. Anders als bei straf- oder zivilrechtlichen Sanktionen, die
nachträglich an eine schon gefallene Äußerung anknüpfen, ist ein den Prozess freier
Meinungsäußerung und -bildung beeinträchtigender Einschüchterungseffekt durch diese
Anforderungen an den sich Äußernden nicht zu erwarten (BVerfGE 114, 139).Erfolgt
keine Klarstellung, so sind sämtliche nicht fern liegenden Deutungsmöglichkeiten zu
Grunde zu legen, und es ist zu prüfen, ob die Äußerung in einer oder mehrerer dieser
Deutungsvarianten zu einer rechtswidrigen Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts
führt (BVerfG, a.a.O.).
Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe handelt es sich beim Zeigen von Symbolen und
Fahnen der Hizbollah und von Bildern ihres Generalsekretärs Nasrallah im Kontext einer
Demonstration während des letzten Libanon-Krieges vom 12. Juli bis 14. August 2006
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Demonstration während des letzten Libanon-Krieges vom 12. Juli bis 14. August 2006
um eine Meinungsäußerung, die keinen Straftatbestand erfüllt und die nicht hätte
verboten werden dürfen.
Mit dem Zeigen von Symbolen der Hizbollah und des Bildes ihres Generalsekretärs auf
der Versammlung am 12. August 2006 hätten die Teilnehmer von der Meinungsfreiheit
Gebrauch gemacht. Art. 5 GG schützt die freie Meinungsäußerung nach seinem Wortlaut
nicht nur in Wort und Schrift, sondern auch in Bildern. Dass das Zeigen von
symbolträchtigen Gegenständen und das Rufen von Parolen eine Meinungskundgabe
bedeutet, wird in der Rechtsprechung häufig ohne weitere Prüfung bejaht (BVerfG,
Beschluss vom 1. Juni 2006 – 1 BvR 150/03 – NJW 2006, 3050: „Ruhm und Ehre der
Waffen-SS“; VGH Mannheim, Beschluss vom 15. Juni 2005 – 1 S 2718/04 – NJW 2006,
635: schwarz-weiß-rote-Flagge; VGH München, Beschluss vom 18. Mai 2006 – 24 Cs
06.1290 – juris: Wortfolge „Deutscher Widerstand“). Auch im vorliegenden Fall liegt im
Kontext der Versammlung eindeutig eine Meinungsäußerung vor, die eine
„Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens“ im Rahmen einer geistigen
Auseinandersetzung oder einer sonstigen sozialen Kommunikation zum Inhalt hat (vgl.
Wendt: in von Münch/Kunig (Hrsg.), Kommentar zum GG, 5. Aufl., München 2000, Art. 5
Rn. 8 und 12 jeweils m.w.N.). Die Demonstration am 12. August 2006 richtete sich
während des damals aktuellen Krieges gegen die Rolle Israels und diente der
Unterstützung der libanesischen Seite, insbesondere der Hizbollah. In diesem
Zusammenhang hätte das Zeigen von Symbolen der Hizbollah und des Bildes Nasrallah
eine Parteinahme und Stellungsnahme zu der kriegerischen Auseinandersetzung
bedeutet.
Das vom Beklagten zitierte Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg (vom
29. August 2006 – 1 B 19.05 – juris) bezieht sich dagegen auf einen Sonderfall, bei dem
anlässlich einer Demonstration im Jahre 2002 am Soldatenfriedhof in Halbe zum Thema
„Schickt Schönbohm in die Wüste“ der Wortfolge „Nationaler Widerstand“ die Qualität
einer Meinungsäußerung abgesprochen wurde. Nach den Feststellungen des
Oberverwaltungsgerichts diente die Wortfolge zum damaligen Zeitpunkt allein der
Kennzeichnung einer rechtsradikalen politischen Bewegung im Sinne einer auf sich
selbst bezogenen Definition. Das Verbot dieser Wortfolge habe allein darauf gezielt,
einen Aufmarsch mit paramilitärischen oder sonst wie einschüchternden
Begleitumständen und an den Nationalsozialismus erinnerndem Gepräge zu verhindern.
Das Gericht stellte entscheidend darauf ab, dass die verbotene Wortfolge in keinem
erkennbaren inneren Zusammenhang mit dem Anliegen und dem selbst gewählten
Motto der Versammlung stand. Selbst wenn man diese Differenzierung zwischen
äußerem Gepräge einer Versammlung und inhaltlicher Meinungskundgabe vornimmt, ist
das Zeigen des Symbols der Hizbollah und des Bildes ihres Vorsitzenden auf der
klägerischen Versammlung als Meinungsäußerung einzustufen. Denn es bestand ein
enger innerer Zusammenhang zum Thema der Versammlung. Die Symbole und das Bild
sollten in der Öffentlichkeit eine Sympathiewerbung für die Hizbollah und ihren
Generalsekretär bewirken und nicht lediglich die Teilnehmer in ihrer Selbstdefinition
kennzeichnen, zumal die Versammlung nicht von der Hizbollah, sondern von
Palästinensischen Organisationen in Deutschland und vom Kläger veranstaltet worden
ist.
Allerdings ist die Äußerung, die mit dem Zeigen des Symbols der Hizbollah und des
Bildes ihres Generalsekretärs getätigt worden wäre, mehrdeutig. Der Aussagegehalt von
Symbolen und Bildern ist regelmäßig weniger klar gefasst als der von Wortaussagen und
bedarf deshalb in besonderem Maße der Deutung im verwendeten Kontext. Aus der
Sicht eines verständigen Dritten, der über Kenntnisse der Lage im Libanon und der Rolle
der Hizbollah verfügt, hätten diese Symbole und Bilder im Kontext der Demonstration
während der aktuellen kriegerischen Auseinandersetzung, wie bereits ausgeführt, eine
Parteinahme für eine der Seiten zum Ausdruck gebracht. Dies darf jedoch aus der Sicht
eines verständigen Dritten nicht so verstanden werden, dass damit jedes einzelne Ziel
einer Organisation und jede einzelne Äußerung oder Handlung ihres Führers gebilligt
würde. Es ist vielmehr als fernliegende Deutung einzustufen, dass die
Versammlungsteilnehmer sich damit zugleich mit möglichen früheren Äußerungen
Nasrallahs zur Verneinung des Existenzrechts Israels und zu einer möglichen
Befürwortung von Selbstmordattentaten hätten identifizieren wollen. Eine solche
Deutung, wie sie der Beklagte vorgenommen hat, vernachlässigt den aktuellen Anlass
der Demonstration ebenso wie das Bestreben der Hizbollah, im Libanon als von weiten
Kreisen der Bevölkerung respektierte politische Partei zu agieren. Mit dem Zeigen des
Symbols und des Bildes in Berlin kann auch eine Stellungnahme in dem Sinne
verbunden sein, dass die Hizbollah als legitime Widerstandsorganisation anzusehen und
nicht als terroristische Vereinigung einzustufen sei. Aus Sicht eines unbefangenen
Dritten erscheint ferner denkbar, dass die Versammlungsteilnehmer mit dem Zeigen
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Dritten erscheint ferner denkbar, dass die Versammlungsteilnehmer mit dem Zeigen
des Symbols und des Bildes die hauptsächliche Methode der Kriegsführung der
Hizbollah, das unterschiedslose Abschießen von Raketen auf den Norden Israels und
seine Zivilbevölkerung, sowie das Entführen israelischer Soldaten auf israelischen
Territorium hätten billigen wollen. Eine solche Deutung ist nicht fernliegend, weil diese
Akte und Methoden der Kriegsführung Gegenstand der damaligen politischen
Auseinandersetzung um den Libanonkonflikt waren (vgl. dazu Bundesamt für Migration
und Flüchtlinge, Informationszentrum Asyl und Migration, Libanon, Konflikt zwischen
Hizbollah und Israel, Oktober 2006, zugänglich über juris, in das Verfahren eingeführt).
Der Umstand, dass der Beklagte das Verherrlichen oder Gutheißen von Gewalttaten in
Ziffer Nr. 3 des Bescheides vom 10. August 2006 gesondert verboten hat, zeigt im
Übrigen nach Auffassung der Kammer, dass der Beklagte selbst nicht davon
ausgegangen ist, dass das Zeigen des Symbols der Hizbollah oder des Bildes ihres
Generalsekretärs als solche eindeutig und zwangsläufig mit einer Billigung von
Gewalttaten verbunden ist.
Legt man diese Deutungen zugrunde, ergibt sich keine Strafbarkeit der Äußerungen.
Eine Strafbarkeit nach §§ 129a Abs. 5 Satz 2, 129b StGB wegen Unterstützung einer
ausländischen terroristischen Vereinigung würde voraussetzen, dass um Mitglieder oder
Unterstützer einer ausländischen terroristische Vereinigung geworben wird. Bei
Vereinigungen außerhalb der Mitgliedstaaten der europäischen Union setzt die
Strafverfolgung nach § 129b Abs. 1 Satz 3 StGB eine Ermächtigung des
Bundesministeriums der Justiz voraus. Diese Regelung soll bei Taten, die ihre Wirkung
vorwiegend im Ausland außerhalb der Europäischen Union entfalten, im Hinblick auf die
Bewertung sog. Befreiungsbewegungen eine Verlagerung der Verantwortung auf die
Staatsanwaltschaften und Gerichte verhindern, die einem Sachverhalt, bei dem es auch
um die (außen-) politisch sinnvolle Handhabung der Strafrechtspflege gehen kann, nicht
angemessen wäre (Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drs. 14/8893, S. 8). Im
vorliegenden Fall ist keiner der Beteiligten davon ausgegangen, dass die Hizbollah oder
eine ihrer Unterorganisationen eine ausländische terroristische Vereinigung im Sinne
von § 129b StGB sei. Die Hizbollah findet sich nicht auf den einschlägigen Listen der
Europäischen Union. Es gibt auch keine Ermächtigung des Bundesministeriums der
Justiz zur Verfolgung entsprechender Taten in Bezug auf die Hizbollah für den Einzelfall
oder allgemein für die Verfolgung künftiger Taten. Zwar kommt es für ein präventives
versammlungsrechtliches Handeln entscheidend auf die Strafbarkeit eines Verhaltens
an und nicht auf die Frage, ob eine Verfolgungsermächtigung vorliegt. Angesichts einer
Sachlage, in der bislang keine Maßnahmen der Strafverfolgung wegen des Zeigens des
Symbols der Hizbollah oder des Bildes ihres Generalsekretärs in Deutschland ergriffen
worden sind, sind die Anforderungen an eine Amtsermittlung des Verwaltungsgerichts
(vgl. § 86 Abs. 1 VwGO) aber erheblich reduziert. Das Verwaltungsgericht war jedenfalls
im vorliegenden Kontext nicht verpflichtet, ohne diesbezüglichen substantiierten Vortrag
der Beteiligten gleichsam ins Blaue hinein umfassende Erkenntnisse zum Handeln der
Hizbollah einzuholen und eine strafrechtliche Bewertung ihres Handelns vorzunehmen,
was ohne Einholung externen Sachverstandes nicht möglich gewesen wäre. Die
Hizbollah ist nach den von den Beteiligten vorgelegten und den in das Verfahren
eingeführten Erkenntnismitteln jedenfalls nicht offensichtlich als ausländische
terroristische Vereinigung zu qualifizieren, auch wenn das Gericht dies nicht für jede ihrer
Unterorganisationen auszuschließen vermag. Darüber hinaus erfüllt das bloße Zeigen
des Symbols der Hizbollah oder des Bildes ihres Generalsekretärs im Zusammenhang
mit einer Demonstration anlässlich des Libanonkrieges nicht die Tathandlung des
Werbens von Mitgliedern oder Unterstützern, sondern stellt lediglich eine nicht strafbare
sog. Sympathiewerbung dar (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 54. Aufl. 2007, § 129 Rn. 25).
Es finden sich auch keine Anhaltspunkte dafür, dass im Rahmen der Veranstaltung durch
Zeigen der Symbole der Hizbollah oder des Bildes ihres Generalsekretärs öffentlich zu
Straftaten aufgefordert werden sollte (§ 111 StGB). Nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs (BGHSt 22, 282 – zum gewaltsamen Widerstand der Südtiroler)
setzt der Tatbestand der den öffentlichen Frieden störenden öffentlichen Billigung von
Straftaten (§ 140 Nr. 2 StGB) voraus, dass die zustimmende Kundgebung aus sich
heraus verständlich ist, ohne dass es des Rückschlusses aus außerhalb der Erklärung
liegenden Umständen bedarf. Ferner muss sich die Billigung auf konkrete mit Strafe
bedrohte Handlungen beziehen. Die Billigung von Straftaten schlechthin oder von
gewissen Deliktsarten ohne Beziehung auf ein bestimmtes einzelnes verbrecherisches
Geschehnis genügt nicht (BGH, a.a.O. S. 287). Insoweit stellt die generelle politische
Unterstützung selbst des gewaltsamen „Widerstands“ der Hizbollah gegen Israel und
von Teilen der Bevölkerung in von Israel besetzten Gebieten wie im Westjordanland oder
von Aufständischen wie im Irak – unabhängig von der schwierigen und strittigen
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von Aufständischen wie im Irak – unabhängig von der schwierigen und strittigen
völkerrechtlichen Beurteilung solcher Handlungen – keine Billigung von Straftaten im
Sinne von § 140 Nr. 2 StGB dar. Entsprechendes gilt für die vom Beklagten befürchtete
öffentliche Aufforderung zu Straftaten (§ 111 StGB; vgl. BGHSt 32, 310 – „Tod dem
Klerus“). Eine Anleitung zu Straftaten im Sinne von § 130a StGB würde voraussetzen,
dass Kenntnisse vermittelt würden, wie und auf welche Weise Straftaten begangen
werden können. Einen solchen Inhalt haben weder das Symbol der Hizbollah noch das
Bild ihres Vorsitzenden.
Erst recht kann das Zeigen des Symbols der Hizbollah und des Bildes ihres
Generalsekretärs nicht als Aufforderung zum Völkermord (§ 6 VStGB) oder zu
Verbrechen gegen die Menschlichkeit (§ 7 VStGB) verstanden werden. Selbst wenn man
davon ausgeht, dass die Hizbollah und ihr Generalsekretär Israel die völkerrechtliche
Anerkennung bestreiten, so ist im Zeigen des Symbols oder des Bildes keine
Aufforderung zu sehen, die israelische Zivilbevölkerung systematisch auszurotten. Es ist
darin auch nicht die Aufforderung enthalten, im Rahmen eines ausgedehnten oder
systematischen Angriffs gegen eine Zivilbevölkerung die israelische Bevölkerung zu
vertreiben.
Entgegen der Auffassung des Beklagten ergibt sich auch keine andere Einschätzung
aufgrund der oben zitierten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur
Behandlung mehrdeutiger Aussagen bei zivilrechtlichen Unterlassungsansprüchen.
Diese lässt sich auf das präventive versammlungsrechtliche Handeln der Polizei nicht
übertragen. Sie bezieht sich auf eine Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und
allgemeinem Persönlichkeitsrecht und hält die Obliegenheit zur Klarstellung
mehrdeutiger Äußerungen für die Zukunft für zumutbar, weil damit keine
Einschüchterungswirkung für den sich Äußernden verbunden sei. Hier geht es dagegen
um die Prognose, ob durch Meinungsäußerungen während einer Versammlung
Straftaten begangen werden. Soweit bei mehrdeutigen Äußerungen keine Strafbarkeit
anzunehmen ist, kann die präventive Zielrichtung des versammlungsbehördlichen
Handelns nicht zu einer Ausdehnung der Eingriffsbefugnisse führen, indem im Vorhinein
Äußerungen unterbunden werden dürften, die sich im Nachhinein als nicht strafbar
herausstellen. Würde bei jedem Zeigen eines Symbols oder einer Fahne zugleich eine
ausdrückliche Klarstellung verlangt, dass dies nicht die Billigung jeglicher Handlung,
insbesondere von Straftaten des Staates oder der Organisation bedeutet, so würde dies
zu einer massiven Beschränkung der Meinungsfreiheit führen.
Ein Verbot der Symbole der Hizbollah und des Bildes von Nasrallah kann auch nicht auf
eine Gefährdung der öffentlichen Ordnung gestützt werden. Zwar können sich Schranken
der Meinungsfreiheit aus kollidierenden Grundrechten und damit aus der Verfassung
selbst ergeben. Die öffentliche Ordnung ist aber keine derartige Grundrechtsschranke
(BVerfGE 111, 149). Soweit verfassungsunmittelbare Schranken von Grundrechten
anzuerkennen sind, ermöglichen sie zwar Freiheitsbeschränkungen; ihre Konkretisierung
aber unterliegt dem Vorbehalt des Gesetzes. Sie bedürfen daher einer gesetzlichen
Grundlage, für die die Generalklausel der öffentlichen Ordnung nicht ausreicht.
Zwar hat die Kammer in einer früheren Entscheidung (Urteil vom 25. Oktober 2006 – VG
1 A 288.06) zu Demonstrationen von Ausländern erwogen, ob die gesetzliche Wertung
des § 47 AufenthG (früher § 37 AuslG) bei der Auslegung des § 15 VersammlG
herangezogen werden kann. Die ausländerrechtlichen Vorschriften erlauben es, die
politische Betätigung von Ausländern in Deutschland zu beschränken, insbesondere um
das friedliche Zusammenleben von Deutschen und Ausländern zu schützen und um die
öffentliche Befürwortung von Gewaltanwendung als Mittel zur Durchsetzung politischer,
religiöser oder sonstiger Belange zu unterbinden. Diese Vorschrift gilt aber nicht für
Deutsche. Vor dem Hintergrund der oben zitierten Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts ist nach Auffassung des Gerichts eine Berücksichtigung des
Schutzgutes des § 47 AufenthG im Rahmen der öffentlichen Ordnung im Sinne von § 15
VersammlG zur Beschränkung der Zulässigkeit von Meinungsäußerungen ohne
gesetzliche Grundlage nicht zulässig. Die Kammer hat darüber hinaus bereits in einer
früheren Entscheidung (Beschluss vom 10. März 2000 – VG 1 A 81.00 – Marsch von
Neonazis durch das Brandenburger Tor) festgestellt, dass der Umstand, dass das
Ansehen der Bundesrepublik Deutschland im Ausland Schaden nehmen könnte, keine
Einschränkung der Versammlungsfreiheit und der Meinungsfreiheit zu rechtfertigen
vermag.
Die Berufung des Beklagten auf das völkerrechtliche Interventionsverbot und des Klägers
auf das Neutralitätsgebot überdehnen die Reichweite völkerrechtlicher Regelungen. Das
Interventionsverbot verbietet dem Staat ein gewaltsames, nicht von der UNO gedecktes
Eingreifen in die Belange anderer Länder sowie die unzulässige Ausübung insbesondere
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Eingreifen in die Belange anderer Länder sowie die unzulässige Ausübung insbesondere
wirtschaftlichen Zwangs. Eine Pflicht zum Verbot friedlicher Versammlungen, die für
einen der an einem Krieg Beteiligten Partei ergreift, folgt daraus nicht. Das
völkerrechtliche Neutralitätsverbot verbietet umgekehrt nicht ein Einschreiten des
Staates gegen Symbole einer an einer kriegerischen Auseinandersetzung beteiligten
nichtstaatlichen Organisation, wenn deren Unterstützung nach innerstaatlichem Recht
nach den oben zitierten Vorschriften strafbar wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, der Ausspruch über die
vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 167 VwGO in Verb. mit §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
Beschluss
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe
Gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 116 ZPO setzt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe an
inländische juristische Personen voraus, dass die Kosten weder von ihr noch von den am
Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten aufgebracht werden können.
Nach Angaben des Klägers hat der Verein noch 50 zahlende Mitglieder mit einem
Jahresbeitrag von 30 Euro und verfügt über Mittel in Höhe von 1.861,12 Euro. Bei
geschätzten Prozesskosten erster Instanz von ca. 1.500 Euro ließen sich diese Kosten
durch eine einmalige Umlage unter den Mitgliedern in Höhe eines zusätzlichen
Jahresbeitrages finanzieren. Es wäre auch möglich, nicht zahlende Mitglieder an ihre
Zahlungspflicht zu erinnern. Insofern geht das Gericht davon aus, dass die erforderlichen
Mittel von den Mitgliedern des Vereins aufgebracht werden können.
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