Urteil des VG Berlin vom 14.03.2017

VG Berlin: wissenschaft und forschung, schüler, besuch, wohnung, schulbehörde, zahl, erlass, schulweg, aufteilung, hauptsache

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Gericht:
VG Berlin 9. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
9 L 212.09, VG 9 L
212.09
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 55 SchulG BB, § 17 SchulG BB,
§ 18 SchulG BB
Aufnahmekriterien bei der Aufnahme in die nichtzuständige
Grundschule
Tenor
Der Antragsgegner wird im Wege einstweiliger Anordnung verpflichtet, den Sohn der
Antragstellerin,..., zum Schuljahr 2009/2010 vorläufig als Schüler der Schulanfangsphase
in die W.-v.-H.-Schule aufzunehmen.
Der Antragsgegner trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500.- Euro festgesetzt.
Gründe
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gemäß § 123 Abs. 1 VwGO hat
Erfolg. Die Antragstellerin hat den aus dem Tenor ersichtlichen Anordnungsanspruch
glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).
Wegen des im einstweiligen Anordnungsverfahrens grundsätzlich zu beachtenden
Verbots, die Entscheidung in der Hauptsache vorwegzunehmen, kommt der Erlass der
begehrten einstweiligen Anordnung nur dann in Betracht, wenn mit hoher
Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Antragstellerin mit ihrem Begehren, für ihr
Kind zum Schuljahr 2009/2010 einen Platz in der Schulanfangsphase der W.-v.-H.-Schule
zu erhalten, Erfolg haben wird und ihr durch die Verweisung auf die Hauptsache
unzumutbare und irreparable Nachteile entstehen. Diese Voraussetzungen liegen hier
vor.
Rechtliche Grundlage des Begehrens ist das Schulgesetz vom 26. Januar 2004 (GVBl. S.
26 - SchulG), zuletzt geändert durch Artikel I des Gesetzes vom 2. März 2009 (GVBl. S.
62), in Verbindung mit dem Genehmigungsschreiben der Senatsverwaltung für Bildung,
Wissenschaft und Forschung vom 12. Juni 2008. Nach § 55a Abs. 1 Satz 1 und 2 SchulG
haben die Erziehungsberechtigten ihre schulpflichtigen Kinder an der Grundschule
anzumelden, in deren Einschulungsbereich das Kind wohnt (zuständige Grundschule).
Die Erziehungsberechtigten können nach § 55a Abs. 2 Satz 1 SchulG den Besuch einer
anderen Grundschule unter Darlegung der Gründe beantragen. Dem Antrag ist im
Rahmen der Aufnahmekapazität und nach Maßgabe freier Plätze gemäß den
Organisationsrichtlinien stattzugeben, wenn die in § 55a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis 3 SchulG
genannten Kriterien in abgestufter Rangfolge erfüllt sind. Im Übrigen entscheidet gemäß
§ 55a Abs. 2 Satz 3 SchulG das Los.
Bei der W.-v.-H.-Schule handelt es sich um einen auf der Grundlage des § 17a SchulG
genehmigten Schulversuch „Pilotphase Gemeinschaftsschule“. Sie ist daher eine andere
als die zuständige Grundschule, so dass sich das Aufnahmeverfahren grundsätzlich nach
§ 55a Abs. 2 SchulG in Verbindung mit dem Genehmigungsschreiben richtet (vgl.
Beschluss der Kammer vom 1. August 2006 - VG 9 A 102.06 - und dazu OVG Berlin-
Brandenburg, Beschluss vom 5. September 2006 - 8 S 70.06 -). Dabei kommt es nicht
darauf an, ob eine Schule ausdrücklich als „Grundschule“ bezeichnet wird. Entscheidend
ist vielmehr, dass die jeweilige Schule die Grundschule, d. h. die Schulanfangsphase
(Jahrgangsstufen 1 und 2) und die Jahrgangsstufen 3 bis 6 (vgl. § 20 Abs. 1 Satz 4
SchulG), umfasst, wie dies bei der Gemeinschaftsschule der Fall ist (§ 17a Abs. 4 Satz 1
SchulG). Auch wenn eine Schule darüber hinaus Schüler in höheren Jahrgangsstufen
aufnimmt, ist sie im Sinne der gesetzlichen Regelungen über die Aufnahme von
Schulanfängern in die Schulanfangsphase für diese Schüler als eine Grundschule
anzusehen.
Der Antragsgegner ist von den nach § 55a Abs. 2 Satz 2 SchulG maßgeblichen
Aufnahmekriterien fehlerhaft zum Nachteil der Antragstellerin abgewichen. Das
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Aufnahmekriterien fehlerhaft zum Nachteil der Antragstellerin abgewichen. Das
Genehmigungsschreiben vom 12. Juni 2008 bietet keine hinreichende Rechtsgrundlage
für die bevorzugte Aufnahme von Schulanfängern aus dem Wohnumfeld der Schule. Eine
solche Bevorzugung ist nach der ständigen Rechtsprechung der Berliner
Verwaltungsgerichte bei der Aufnahme in eine nicht zuständige Grundschule rechtswidrig
(vgl. Verwaltungsgericht Berlin, Beschlüsse der früher zuständigen 3. Kammer vom 8.
August 2002 - VG 3 A 585.02 - und 22. August 2003 - VG 3 A 973.03 - und dazu OVG
Berlin, Beschlüsse vom 20. September 2002 - OVG 8 S 224.02 - und 5. Dezember 2003
- OVG 8 S 189.03 -; vgl. auch OVG Berlin Brandenburg, Beschluss vom 20. September
2005 - OVG 8 S 84.05 -; ferner Beschlüsse der Kammer vom 21. Juni 2007 - VG 9 A
74.07 - und vom 22. Juli 2008 - VG 9 A 127.08 -). Die Grundzüge dieser Rechtsprechung
finden auch hier Anwendung.
Im Rahmen eines Schulversuches „Pilotphase Gemeinschaftsschule“ können zwar
gemäß § 17a Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 18 Abs. 1 Satz 2 SchulG Abweichungen von den
Bestimmungen des Schulgesetzes und den auf Grund des Schulgesetzes erlassenen
Rechtsverordnungen erprobt werden, insbesondere von Aufbau und Gliederung des
Schulwesens, den Unterrichtsinhalten, der Unterrichtsorganisation, den
Unterrichtsmethoden, der Form der Lernerfolgsbeurteilung einschließlich des Erwerbs
der Abschlüsse sowie den Formen der Mitwirkung, soweit die Abweichungen zur
Erreichung der Ziele des Schulversuchs erforderlich sind. Die von der Konzeption des
Schulgesetzes abweichende Festlegung eines Vorranges von Schülerinnen und
Schülern, deren Wohnung sich in kurzer Entfernung zur Schule befindet, im
Genehmigungsschreiben vom 12. Juni 2008 ist von dieser Ermächtigungsgrundlage nicht
gedeckt. Das von der zuständigen Schulbehörde auf der Grundlage des
Genehmigungsschreibens durchgeführte Auswahlverfahren verletzt die Antragstellerin
bzw. deren Kind daher in dem Recht aus Art. 20 Abs. 1 i.V.m. Art. 10 Abs. 1 der
Verfassung von Berlin (VvB) auf gleichberechtigten Zugang zu den staatlichen
Bildungseinrichtungen Berlins.
Die Kammer hält es bereits für zweifelhaft, ob § 17a Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 18 Abs. 1
Satz 2 SchulG die Schulaufsichtsbehörde ermächtigt, für diesen Schulversuch eine von
den Vorschriften über die Aufnahme in die Grundschule abweichende Regelung zu
treffen. Zwar enthält § 18 Abs. 1 Satz 2 SchulG, wie die Verwendung des Wortes
„insbesondere“ zeigt, lediglich eine beispielhafte Aufzählung zulässiger Abweichungen
von den Vorschriften des Schulgesetzes. Allerdings kann der systematische
Zusammenhang zu § 18 Abs. 3 SchulG nicht außer Betracht bleiben. Nach § 18 Abs. 3
Satz 1 SchulG wird die für das Schulwesen zuständige Senatsverwaltung ermächtigt,
durch Rechtsverordnung Schulen besonderer pädagogischer Prägung einzurichten, die
von einzelnen Vorschriften des Schulgesetzes oder von auf Grund dieses Gesetzes
erlassenen Rechtsverordnungen abweichen können, soweit es das besondere
pädagogische oder organisatorische Konzept erfordert. Für diese Schulen besonderer
pädagogischer Prägung hat der Gesetzgeber in § 18 Abs. 3 Satz 2 SchulG ausdrücklich
geregelt, dass insbesondere u. a. von den Vorschriften über die Aufnahme in die Schule
abgewichen werden kann. Daraus ergibt sich, dass Aufnahmevorschriften, die bei den
Schulen besonderer pädagogischer Prägung zulässig sind, auch in einem diese
vorbereitenden Schulversuch zu Erprobungszwecken zulässig sein müssen (vgl. OVG
Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 5. September 2006 - 8 S 70.06 -). Der hier
vorliegende Schulversuch ist hingegen nicht auf die Einrichtung einer Schule besonderer
pädagogischer Prägung ausgerichtet. Vielmehr dienen die in der Pilotphase dieses
Schulversuchs gewonnenen Erkenntnisse der Vorbereitung einer möglichen späteren
Umsetzung der Gemeinschaftsschule in der Fläche (AbghDrs. 16/1142, S. 4). Für den
Fall einer positiven Evaluation ist der Schulversuch mithin von vornherein auf eine
flächendeckende Einführung des damit verfolgten pädagogischen und organisatorischen
Konzepts, d. h. auf die Überführung in eine Regelschule gerichtet, für die bezogen auf die
Grundschule die in §§ 54, 55a SchulG normierten Zugangskriterien gelten würden. Mit
dieser Zielrichtung des Schulversuchs dürfte es nicht vereinbar sein, bei dessen
Durchführung von den gesetzlich normierten Zugangskriterien abzuweichen und
individuelle Anforderungen an die Schulanfänger der Gemeinschaftsschule zu stellen.
Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber die Ausgestaltung des Schulversuchs „Pilotphase
Gemeinschaftsschule“ nicht der Verwaltung überlassen, sondern in § 17a SchulG in den
wesentlichen Grundzügen selbst geregelt hat, ohne Abweichungen von den allgemeinen
Zugangskriterien zu normieren. Auch dies widerspricht einem Verständnis der nur
entsprechend anwendbaren Vorschrift des § 18 Abs. 1 Satz 2 SchulG, es der Verwaltung
zu ermöglichen, bei der wesentlichen Frage des Zugangs zum Schulversuch von der
gesetzlichen Konzeption der Aufnahme in die Grundschule abzuweichen.
Dies muss jedoch nicht vertieft werden, denn selbst wenn § 17a Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 18
Abs. 1 Satz 2 SchulG eine Abweichung von den Bestimmungen des Schulgesetzes über
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Abs. 1 Satz 2 SchulG eine Abweichung von den Bestimmungen des Schulgesetzes über
die Aufnahme in die Grundschule zulassen würde, liegt jedenfalls die Voraussetzung,
dass die Abweichung zur Erreichung der Ziele des Schulversuchs erforderlich sein muss,
nicht vor. Das Genehmigungsschreiben enthält insoweit keine Begründung. Das
Erfordernis der Wohnortnähe erklärt sich auch nicht aus den Besonderheiten des
Schulversuchs „Pilotphase Gemeinschaftsschule“. Nach § 17a Abs. 3 SchulG vermitteln
Gemeinschaftsschulen allen Schülerinnen und Schülern eine grundlegende, erweiterte
oder eine vertiefte allgemeine Bildung und ermöglichen ihnen entsprechend ihrer
Leistungen und Neigungen eine Schwerpunktbildung, die sie befähigt, ihren Bildungsweg
an einer Hochschule oder in berufsqualifizierenden Bildungsgängen fortzusetzen. Nach §
17a Abs. 4 Satz 1 SchulG zeichnen sich Gemeinschaftsschulen dadurch aus, dass
individuelles und gemeinsames Lernen und individuelle Förderung von der
Schulanfangsphase bis zur gymnasialen Oberstufe in einer Schule oder in Kooperation
mehrerer Schulen stattfindet. Sie führen zu allen allgemein bildenden Abschlüssen,
soweit der erforderliche Leistungsstand erreicht wird, wobei die Sekundarstufe I sich nicht
in unterschiedliche Bildungsgänge unterteilt (§ 17a Abs. 4 Satz 2 und 3 SchulG). Nach §
17a Abs. 5 SchulG finden in Gemeinschaftsschulen die Regelungen über das
Probehalbjahr sowie abweichend von § 56 Abs. 2 SchulG die Regelungen über die
Bildungsgangempfehlung nach dem Besuch der Primarstufe bei Verbleib in der
Gemeinschaftsschule keine Anwendung (Satz 1). In Gemeinschaftsschulen kann bis
einschließlich Jahrgangsstufe 8 der Lernerfolg der Schülerinnen und Schüler durch
geeignete schriftliche Informationen zur Lern- und Leistungsentwicklung beurteilt
werden, wenn dies im Schulprogramm festgelegt ist (Satz 2). Abweichend von § 59
SchulG finden bis zum Abschluss der Sekundarstufe I Jahrgangsstufenwiederholungen
nur in besonders begründeten Ausnahmefällen statt (Satz 3). Darüber sind zwischen der
Schule und der Schülerin oder dem Schüler beziehungsweise ihren oder seinen
Erziehungsberechtigten Bildungs- und Erziehungsvereinbarungen zu schließen (Satz 4).
Die äußere Fachleistungsdifferenzierung findet als durchgängiges Organisationsprinzip in
Gemeinschaftsschulen keine Anwendung (Satz 5). Bei keiner dieser Besonderheiten des
Schulversuchs „Pilotphase Gemeinschaftsschule“ ergibt sich das sachliche Erfordernis,
von der Öffnung des Schulversuchs für alle Schulanfänger nach Maßgabe der Regelung
in § 55a Abs. 2 SchulG abzuweichen und an Stelle der gesetzlichen Aufnahmekriterien
für zwei Drittel der Plätze allein auf die Lage der Wohnung abzustellen. Davon abgesehen
dürften sich die Besonderheiten der Gemeinschaftsschule erst in den Jahrgangstufen
auswirken, in denen nach der herkömmlichen Gliederung der Schulen eine Aufteilung der
Schüler auf verschiedene Schularten erfolgt. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus
der Begründung zur Einführung des Schulversuchs Gemeinschaftsschule
(Abgeordnetenhaus Berlin, Drucksache 16/1142). Ausgehend von der Feststellung, dass
die Gesellschaft durch die frühe Aufteilung der Kinder auf verschiedene Schulformen und
durch unzureichende individuelle Förderung auf erhebliche Potentiale verzichtet und
jungen Menschen die Chance auf bestmögliche Bildung verwehrt, wird festgehalten, dass
u. a. die Ergebnisse der Bildungs- und Lernforschung und Schulleistungsstudien eine
grundsätzliche Reform des Bildungswesens begründen und eine veränderte
Schulstruktur ein entscheidender Baustein für gerechte Bildungschancen aller Kinder ist
(a.a.O., S. 3). Diese Begründung, nach der die Gemeinschaftsschule jedem Kind
gerechte und bestmögliche Bildungschancen eröffnen soll, verdeutlicht, dass sie
grundsätzlich allen Bewerbern offen stehen soll.
Die in den vorliegenden Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nachgeschobene
Begründung der Senatsverwaltung belegt ebenfalls nicht, dass die Wohnortnähe für die
Ziele des Schulversuchs erforderlich ist. Dass sich die Gemeinschaftsschulen als
„Kiezschulen“ mit einer engen Anbindung an die „Kiezkultur“ verstehen und für die
Zusammenarbeit mit Trägern der örtlichen Jugendarbeit und Jugendhilfe, Sportvereinen,
Musikschulen, kulturellen und gesellschaftlichen Einrichtungen, Werkstätten und
Betrieben öffnen sollen, ist keine Besonderheit dieser Schulform. Vielmehr ist das „Kiez-
Prinzip“ bereits jetzt in § 5 Abs. 1 und 2 SchulG verankert. Danach sollen sich alle
Schulen schon nach der gegenwärtigen gesetzlichen Konzeption gegenüber ihrem
Umfeld öffnen und u. a. mit außerschulischen Einrichtungen, wie z. B. Musikschulen und
Sportvereinen, zusammenarbeiten. Darüber hinaus findet dieses Argument weder in der
gesetzlichen Ausgestaltung der Gemeinschaftsschule noch im Genehmigungsschreiben
oder in dem von der Senatsverwaltung herangezogenen Grundlagenpapier vom 7. Mai
2007 eine hinreichende Stütze. Sie erklärt weiterhin auch nicht, aus welchen Gründen es
dazu in der Pilotprojektphase einer örtlichen Beschränkung bei der Aufnahme bedarf.
Insbesondere erschließt sich nicht, dass die Leitziele des Grundlagenpapiers
„Vorbereitung aller Kinder und Jugendlichen auf die Teilhabe an der demokratischen
Gesellschaft“, „Entwicklung der Schule als demokratischer Lern- und Lebensraum:
Einbeziehung, Anerkennung in und mit der Schule agierender Gruppen sowie der
außerschulischen Partner“ nur bei einer Aufnahme wohnortnaher Schulanfänger
verwirklicht werden können. Die Gemeinschaftsschule ist als Ganztagesschule konzipiert.
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verwirklicht werden können. Die Gemeinschaftsschule ist als Ganztagesschule konzipiert.
Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 GsVO gewährleisten Ganztagsgrundschulen in gebundener
Form bei verlässlichen Öffnungszeiten ab 7.30 Uhr durchgängig rhythmisierte
Unterrichts- und Betreuungszeiten, an denen alle Schülerinnen und Schüler an vier
Tagen der Woche verpflichtend von 8.00 bis 16.00 Uhr teilnehmen. Am Freitag wird
gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 GsVO in der Regel längstens bis 13.30 Uhr unterrichtet, wobei
auch an diesem Wochentag gemäß § 27 Abs. 1 Satz 3 GsVO Förderung und Betreuung
sowie freiwillige schulische Veranstaltungen bis 16.00 Uhr angeboten werden.
Insbesondere die außerunterrichtlichen Betreuungszeiten ermöglichen es den Schülern,
sich ihrem Alter angemessen in den sozialen Einrichtungen der Schulumgebung von der
Schule aus und unabhängig von der Lage ihrer Wohnung zu engagieren. Selbst wenn es
bei der Pflege von Freundschaften außerhalb der Betreuungszeiten in Einzelfällen zu
Schwierigkeiten kommen sollte, wäre auch dies kein sachlicher Grund, den generellen
Vorrang von Kindern aus dem Wohnumfeld der Schule anzuordnen. Ebenso wenig
erschließt sich, dass die Einbindung der Eltern in die Arbeit der Schule von der Lage ihrer
Wohnung abhängen könnte. Insoweit dürfte es nach der Lebenserfahrung eher auf das
jeweilige individuelle Engagement ankommen. Im Übrigen dürften gerade die
Erziehungsberechtigten, die ihre Kinder wegen der Entfernung zur Schule auf dem
Schulweg begleiten müssen, einen regelmäßigeren Kontakt mit dem Schulpersonal
haben, als die Erziehungsberechtigten, deren Kinder den Schulweg alleine zurücklegen
können. Die Kammer konnte daher auch in anderen Fällen keinen sachlichen Grund
erkennen, der das sogenannte „Kiez-Prinzip“ mit dem Auswahlkriterium einer kürzeren
Entfernung zur Schule hätte rechtfertigen können (vgl. Beschluss vom 22. Juli 2008 - VG
9 A 127.08 -). Etwas anderes mag gelten, wenn im Land Berlin ein hinreichendes
Angebot an entsprechenden Schulversuchsschulen existieren würde (vgl. OVG Berlin,
Beschluss vom 20. September 2002 - OVG 8 S 224.02 -). Dies ist jedoch gegenwärtig
nicht der Fall.
Es besteht auch kein Bedarf, die durch das Genehmigungsschreiben begünstigte
Personengruppe besonders zu privilegieren. Die Einschulungsbereiche dieser
Grundschulen werden entsprechend dem Rechtsgedanken aus § 54 Abs. 3 Satz 1
SchulG unter Beachtung altersangemessener Schulwege gebildet. In diese zuständige
Grundschule müssen die Schulanfänger gemäß § 54 Abs. 2 Satz 1 SchulG
aufgenommen werden, es sei denn ihre Aufnahmekapazität ist erschöpft oder die Zahl
der Anmeldungen ist niedriger als für den geordneten Schulbetrieb notwendig. In diesem
Fall kann die zuständige Schulbehörde gemäß § 54 Abs. 3 Satz 1 SchulG eine
schulpflichtige Schülerin oder einen schulpflichtigen Schüler nach Anhörung der
Erziehungsberechtigten einer anderen Schule mit demselben Bildungsgang zuweisen.
Die Teilnahme an einem Schulversuch und der Besuch einer Schule besonderer
pädagogischer Prägung sind hingegen gemäß § 18 Abs. 4 Satz 1 SchulG für die
Schülerinnen und Schüler freiwillig. Sie verfügen über keine Einschulungsbereiche und
stehen für alle Schülerinnen und Schüler im Land Berlin offen, deren
Erziehungsberechtigte von dem Angebot der wohnortnahen zuständigen Grundschule
keinen Gebrauch machen wollen und den Besuch einer Grundschule mit einem
besonderen pädagogischen oder organisatorischen Profil wünschen (vgl. OVG Berlin,
Beschluss vom 20. September 2002 - OVG 8 S 224.02 -). Dementsprechend hat die
Kammer im Beschluss vom 21. Juni 2007 - VG 9 A 74.07 - entschieden, dass die in § 12
Abs. 2 Satz 1 der Verordnung über die Aufnahme in Schulen besonderer pädagogischer
Prägung - AufnahmeVO-SbP - vom 23. März 2006 (GVBl. S. 306) vorgesehene
Aufnahme nach Wohnortnähe in eine Grundschule mit besonderer pädagogischer
Prägung, in der nach den Grundsätzen der Pädagogik von Maria Montessori unterrichtet
wird, mit der Verordnungsermächtigung nicht in Einklang steht.
Hinzu tritt, dass nach dem Genehmigungsschreiben der Senatsverwaltung für Bildung,
Wissenschaft und Forschung vom 12. Juni 2008 zu einem Drittel auch Kinder
aufgenommen werden sollen, deren Wohnung sich nicht in kurzer Entfernung zur Schule
befindet. Hierdurch weicht die Schulaufsichtsbehörde die Kiez-Bindung, so wie sie sie
versteht, selbst auf. Denn wenn der Schulversuch wegen der strikten Bindung an den
„Kiez“ tatsächlich davon abhängen sollte, dass nur die Kinder aus der näheren
Umgebung der Schule aufgenommen werden, wäre nicht nachvollziehbar, aus welchen
Gründen dies bei einem Drittel der aufzunehmenden Kinder keine Rolle spielen soll.
Insbesondere hinsichtlich dieser Gruppe, aber auch für die Kinder aus dem Wohnumfeld
der Schule ist ferner nicht ersichtlich, warum die nach § 55a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und 3
SchulG maßgeblichen Kriterien (Beeinträchtigung gewachsener Bindungen und
wesentliche Erleichterung der Betreuung) nach der Eigenart des Schulversuchs nicht
angewandt werden sollen. Auch insoweit müsste die Abweichung vom Schulgesetz
nachvollziehbar begründet werden (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 5. Dezember 2003 -
OVG 8 S 189.03 -).
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Der Antragsgegner hätte daher das Auswahlverfahren allein auf der Grundlage des § 55a
Abs. 2 Satz 2 SchulG durchführen müssen. Nach dieser Vorschrift ist für die
Entscheidung in abgestufter Rangfolge maßgeblich, ob
1. der Besuch der zuständigen Grundschule längerfristig gewachsene, stark
ausgeprägte persönliche Bindungen zu anderen Kindern, insbesondere zu Geschwistern,
beeinträchtigen würde,
2. die Erziehungsberechtigten ausdrücklich ein bestimmtes Schulprogramm,
ein bestimmtes Fremdsprachenangebot oder eine Ganztagsgrundschule in gebundener
Form oder offener Form oder eine verlässliche Halbtagsgrundschule wünschen oder
3. der Besuch der gewählten Grundschule die Betreuung des Kindes
wesentlich erleichtern würde, insbesondere auf Grund beruflicher Erfordernisse.
Nach Maßgabe freier Plätze können die Erziehungsberechtigten einen Anspruch auf
Einschulung ihres Kindes in die gewünschte Grundschule haben, wenn einer der in § 55a
Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 bis 3 SchulG genannten Gründe vorliegt, die in abgestufter Rangfolge
zu berücksichtigen sind. Letzteres bedeutet, dass gemäß § 55a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1
SchulG vorrangig Geschwisterkinder oder solche Kinder aufzunehmen sind, die
vergleichbare Bindungen zu einem Kind nachweisen können, das die gewählte
Grundschule bereits besucht. Verbleibende freie Plätze sind nach dem Gesetzeswortlaut
nachrangig an diejenigen Kinder zu vergeben, deren Erziehungsberechtigte ihren
Schulwunsch auf die in § 55a Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SchulG genannten Gründe stützen und
gemäß § 55a Abs. 2 Satz 2 Nr. 3 SchulG im letzten Rang an solche Kinder, deren
Betreuung durch den Besuch der gewählten Grundschule erleichtert würde. Soweit sich
Ansprüche gleichrangig gegenüberstehen und die Zahl der freien Plätze nicht ausreicht,
entscheidet nach § 55a Abs. 2 Satz 3 SchulG das Los.
Die Antragstellerin hat mit ihrem Erstwunsch die W.-v.-H.-Schule ausdrücklich wegen des
Schulprogramms, des Fremdsprachenangebots und der Ganztagsbetreuung
ausgewählt. Ihr Kind war daher am Auswahlverfahren zu beteiligen, weil die
Voraussetzungen des § 55a Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SchulG erfüllt sind. Soweit die
Antragstellerin sich darüber hinaus auch auf § 55a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 und 3 SchulG
berufen hat, hat sie in ihrem Antrag weder hinreichend verdeutlich, zu welchem Kind eine
längerfristig gewachsene, stark ausgeprägte persönliche Bindung bestehen soll, noch
erläutert, aus welchem Grund an der gewünschten Schule eine im Vergleich zur
zuständigen Grundschule bessere Betreuungsmöglichkeit bestehen könnte. Insoweit
sind wegen der Besonderheiten des Auswahlverfahrens die Angaben der
Erziehungsberechtigten bei der Antragstellung maßgeblich (vgl. OVG Berlin, Beschluss
vom 4. November 2004 - OVG 8 S 111.04 - und OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss
vom 20. September 2005 - OVG 8 S 84.05 -). Im Antrag hat die Antragstellerin sich allein
auf eine Kita-Gruppe und das soziale Umfeld bezogen und den Wunsch nach einer
Ganztagsbetreuung wiederholt. Dies genügt nicht den Anforderungen an eine plausible
Darlegung der Besonderheiten des Einzelfalls. Das Schulgesetz enthält im Übrigen auch
keine Rechtsgrundlage für die vorrangige Vergabe von Plätzen an einer Wahlgrundschule
an Gruppen von Kindern, die gemeinsam eine vorschulische Einrichtung besucht und
deren Erziehungsberechtigte nunmehr den Besuch einer für keines der Kinder
zuständigen Grundschule beantragt haben (vgl. z.B. Beschluss der Kammer vom 14.
August 2006 - VG 9 A 190.06 -), und eine Ganztagsbetreuung ist bei entsprechendem
Bedarf grundsätzlich an der zuständigen Grundschule gewährleistet (vgl. z.B. Beschluss
der Kammer vom 16. Juli 2007 - VG 9 A 161.07 -).
Der Antragsgegner hat zutreffend erkannt, dass er von den vorhandenen 72
Schulplätzen gemäß § 55a Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 SchulG vier Plätze vorrangig an Kinder
vergeben musste, deren Geschwisterkind bereits die Gemeinschaftsschule in den
Jahrgangstufen einer Grundschule besucht und auch im Schuljahr 2009/2010 noch
besuchen wird. Eine wesentliche Betreuungserleichterung im Sinne des § 55a Abs. 2
Satz 2 Nr. 3 SchulG hat er bei keinem Bewerber angenommen. Auf dieser Grundlage hat
er in der Gruppe der Bewerber, die über die Gründe des § 55a Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SchulG
hinaus keine besonderen Aufnahmegründe geltend machen konnten, rechtswidrig 47
Plätze vorrangig an Bewerber vergeben, deren Wohnungen sich in einem von der
Schulbehörde festgelegten Umkreis um die Grundschule befinden. Damit hat er die
Antragstellerin benachteiligt, deren Kind nur bei dem Losverfahren für die verbleibenden
21 Plätze beteiligt wurde und daher geringere Chancen als bei der Beteiligung an einem
Losverfahren für 68 Plätze hatte. Werden im Rahmen des Auswahlverfahrens Kinder zu
Unrecht bevorrechtigt aufgenommen, so werden dadurch die Rechte der Bewerber
verletzt, die bei einer ordnungsgemäßen Auswahlentscheidung Berücksichtigung
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verletzt, die bei einer ordnungsgemäßen Auswahlentscheidung Berücksichtigung
gefunden hätten. Diese Rechtsverletzung muss die Behörde durch die Aufnahme des zu
Unrecht in der Auswahlentscheidung unterlegenen Bewerbers durch seine Aufnahme in
die begehrte Schule beheben, soweit ihm dies zumutbar ist. Dabei sind die Plätze im
Interesse effektiven Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG an diejenigen Bewerber zu
vergeben, die gegen ihre rechtswidrige Ablehnung rechtzeitig um gerichtlichen
Rechtsschutz nachgesucht haben. Vorliegend ist nicht erkennbar, dass es dem
Antragsgegner unzumutbar wäre, für das Kind der Antragstellerin einen Platz in der
begehrten Schule zu vergeben. Vielmehr sind in drei Lerngruppen jeweils 7 Plätze nicht
besetzt, die der Antragsgegner der Jahrgangsstufe 3 zugeordnet hat. Diese 21 Plätze
können daher ohne organisatorische Schwierigkeiten mit den benachteiligten Bewerbern
besetzt werden.
Der erforderliche Anordnungsgrund folgt daraus, dass das Schuljahr, für welches die
Antragstellerin die Aufnahme ihres Kindes in die W.-v.-H.-Schule begehrt, bereits am 1.
August 2009 beginnt und der Einschulungstag der 5. September 2009 ist. Im Hinblick auf
den durch Zeitablauf drohenden Rechtsverlust kann ihr nicht zugemutet werden den
Ausgang des Hauptsacheverfahrens abzuwarten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Wertfestsetzung folgt aus §§
39 ff, 52 f. GKG.
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