Urteil des VG Berlin vom 19.07.2006

VG Berlin: elterliche gewalt, eltern, getrennt leben, einweisung in eine anstalt, begriff, besondere härte, verfassungskonforme auslegung, vollstreckbares urteil, elterliche sorge

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Gericht:
VG Berlin 7. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
7 V 46.06
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
Art 6 GG, § 6 Abs 4 AufenthG, §
22 Abs 3 AufenthG, § 32 Abs 3
AufenthG, § 1626 BGB
Antrag auf Erteilung eines Visums zum Zwecke des
Familiennachzugs
Tenor
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides der Botschaft der Bundesrepublik
Deutschland Lima vom 19. Juli 2006 verpflichtet, dem Kläger ein Visum zum Zwecke des
Familiennachzuges zu erteilen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen
Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des
aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweiligen Vollstreckungsbetrages
leistet.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über ein Visum zum Kindernachzug.
Der am 09. März 1990 geborene Kläger ist peruanischer Staatsangehöriger. Seine
Mutter reiste im Jahr 1995 nach Deutschland ein und verfügt über eine unbefristete
Aufenthaltserlaubnis, die als Niederlassungserlaubnis fortgilt. Der Vater des Klägers lebt
in Peru, die Eltern waren nicht miteinander verheiratet.
Mit Beschluss des Familiengerichts C. in Peru vom 24. Oktober 2005 wurde die Reise des
Klägers zu seiner in Mainz lebenden Mutter, gestützt auf ein Urteil vom 21. September
2005, genehmigt. Am 25. November 2005 schlossen die Eltern des Klägers vor dem
Staatsanwalt für Familienangelegenheiten eine Schlichtungsvereinbarung, die gemäß
Art. 713 der Zivilprozessordnung Peru als vollstreckbares Urteil gilt. In dieser
Schlichtungsvereinbarung wurde unter 1. bestimmt, dass das elterliche
Personensorgerecht und die Obhut des Klägers der Mutter übertragen und von ihr
ausgeübt wird, welche für die integrale Pflege sowie für die Bestimmung seines
Wohnsitzes beauftragt sein wird. In der spanischen Fassung des Vergleichs heißt es
wörtlich „T.“.
Der Kläger beantragte vor Vollendung des 16. Lebensjahres am 08. Februar 2006 ein
Visum zum Zwecke des Familiennachzuges zu seiner in Deutschland lebenden Mutter.
Die Beigeladene lehnte die Erteilung der Zustimmung mit Schreiben vom 16. Mai 2006
mit der Begründung ab, dass der Kläger kein Deutsch spreche und nicht davon
ausgegangen werden könne, dass er sich problemlos in die Lebensumstände
Deutschlands einleben könne. Die Beklagte lehnte die Erteilung des Visums mit
Bescheid der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland Lima vom 19. Juni 2006 ab. Zur
Begründung machte sie geltend, dass die Eltern des Klägers lediglich die Obhut („C.“
oder „T.“ genannt) übertragen hätten, nach peruanischem Recht das Sorgerecht als
sogenanntes „Patria potestad“ von beiden Eltern ausgeübt wird und nur in Fällen
extremer Gefährdung des Kindeswohls einem Elternteil entzogen werden könne.
Mit der am 17. August 2006 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Zur Begründung macht er geltend, dass die Voraussetzungen für einen Familiennachzug
nach § 32 Abs. 3 des Aufenthaltsgesetzes - AufenthG - vorlägen. Die Mutter des Klägers
habe aufgrund der Schlichtungsvereinbarung das alleinige Personensorgerecht. Im
Übrigen sei auch der Lebensunterhalt des Klägers sowohl zum Zeitpunkt der
Antragstellung als auch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung aufgrund des
Einkommens der Mutter des Klägers gesichert.
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Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides der Botschaft der Bundesrepublik
Deutschland Lima vom 19. Juli 2006 zu verpflichten, dem Kläger ein Visum zum Zwecke
des Familiennachzuges zu erteilen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Die Beklagte hält an ihrer Auffassung fest, dass nach peruanischem Recht die Tenencia
y Custodia lediglich eine Obhut, insbesondere auch das Aufenthaltsbestimmungsrecht
beinhalte, nicht jedoch das Personensorgerecht, das als „Patria potestad“ nur in
Ausnahmefällen auf ein Elternteil übertragen werde. Hierzu bezieht sich die Beklagte auf
ein Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 16. Februar 2007 (VG 4 V 40.05). Im
Übrigen lägen die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 AufenthG nicht vor, weil keinerlei
Anhaltspunkte für eine besondere Härte dargetan oder ersichtlich seien.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Verpflichtungsklage hat Erfolg. Der Bescheid der Botschaft der
Bundesrepublik Deutschland Lima vom 19. Juli 2006 ist rechtswidrig und verletzt den
Kläger dadurch in seinen Rechten. Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung eines
Visums zum Kindernachzug (§ 113 Abs. 5 VwGO).
Nach § 6 Abs. 4 AufenthG ist für längerfristige Aufenthalte ein Visum für das
Bundesgebiet (nationales Visum) erforderlich, das vor der Einreise erteilt wird. Die
Erteilung richtet sich nach den für die Aufenthaltserlaubnis geltenden Vorschriften. Nach
§ 32 Abs. 3 AufenthG ist dem minderjährigen ledigen Kind eines Ausländers, welches das
16. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, wenn
beide Eltern oder der allein personensorgeberechtigte Elternteil Aufenthaltserlaubnis,
Niederlassungserlaubnis oder Erlaubnis zum Daueraufenthalt-EG, besitzen.
Nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg (Urteil vom
25. April 2007 - OVG 12 B 2.05 - m.w.N.) ist im Hinblick auf die gesetzliche Zielsetzung,
Kindern unter 16 Jahren die Herstellung der Familieneinheit im Bundesgebiet zu
ermöglichen, anders als bei den sonstigen Erteilungsvoraussetzungen nicht auf den
Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung, sondern auf den Zeitpunkt der
Antragstellung abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Kläger das 16. Lebensjahr
noch nicht vollendet.
Die Mutter des Klägers ist im Besitz einer unbefristeten Aufenthaltserlaubnis.
Sie ist nach Auffassung des erkennenden Gerichts auch allein personensorgeberechtigt
im Sinne von § 22 Abs. 3 AufenthG. Mangels einer eigenständigen abweichenden
Definition im Aufenthaltsgesetz ist für den Begriff der Personensorgeberechtigung auf §
1626 Abs. 1 Satz 2 BGB abzustellen. Danach umfasst die elterliche Sorge die Sorge für
die Person des Kindes (Personensorge) und das Vermögen des Kindes
(Vermögenssorge). Der Gesetzgeber hat, soweit nicht beide Elternteile bereits im Besitz
einer Aufenthaltserlaubnis, Niederlassungserlaubnis oder Erlaubnis zum
Daueraufenthalt-EG sind, in § 32 Abs. 3 AufenthG nur auf den Begriff der Personensorge,
nicht aber auf den Begriff der Vermögenssorge abgestellt. Nach § 1631 Abs. 1 BGB
umfasst die Personensorge insbesondere die Pflicht und das Recht, das Kind zu pflegen,
zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen Aufenthalt zu bestimmen. Sie umfasst ferner
nach § 1632 BGB das Recht, die Herausgabe des Kindes von jedem zu verlangen, der es
den Eltern oder einem Elternteil widerrechtlich vorenthält und nach § 1632 Abs. 2 BGB
auch das Recht, den Umgang des Kindes mit Wirkung für und gegen jeden Dritten zu
bestimmen. Der Personensorge ist damit - wie schon der Wortlaut nahe legt - nicht
abschließend beschrieben. Im Grundsatz umfasst die Personensorge alle persönlichen
Angelegenheiten des Kindes einschließlich seiner gesetzlichen Vertretung in
persönlichen Angelegenheiten (vgl. Friedrichsen in Palandt, BGB § 1626 Nr. 12, Peschel-
Gutzeit in Staudinger, BGB § 1626 Rdziff. 57 ff.; Strätz in Soergel in BGB, § 1631 Rdnr. 2
m.w.N.).
Nach dem Wortlaut muss der im Bundesgebiet lebende Elternteil allein
personensorgeberechtigt sein, d.h. dass die Befugnisse aus dem Personensorgerecht
ausschließlich von ihm und nicht gemeinsam von beiden Eltern ausgeübt und
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ausschließlich von ihm und nicht gemeinsam von beiden Eltern ausgeübt und
beansprucht werden können. Nach dem Sinn und Zweck der Regelung soll der
Kindernachzug nur dann erleichtert werden, wenn im Heimatland kein sorgeberechtigter
Elternteil mehr zur Ausübung der Personensorge berechtigt ist. Die
Personensorgeberechtigung beinhaltet nämlich regelmäßig auch die Verpflichtung, sich
um sein minderjähriges Kind zu kümmern und in Bezug auf seine persönlichen
Angelegenheiten ihn gesetzlich vertreten zu können. Eine verfassungskonforme
Auslegung bestätigt dieses Ergebnis. Nach Art. 6 des Grundgesetzes ist es die Aufgabe
des Staates, Ehe und Familie zu schützen. Mit dem Recht auf Kindernachzug nach § 32
Abs. 3 AufenthG hat der Gesetzgeber dieser Verpflichtung Rechnung getragen, indem er
dem schutzbedürftigen Kind bis zur Vollendung des 16. Lebensjahres ermöglicht, dem
allein personensorgeberechtigten Elternteil nachzuziehen, um dort die Personensorge zu
erfahren. Es liegt nämlich auf der Hand, dass wesentliche Teile der Personensorge -
nämlich das Recht, das Kind zu pflegen, zu erziehen, zu beaufsichtigen und seinen
Aufenthalt zu bestimmen - vom Ausland aus nur schwer oder gar nicht wahrgenommen
werden können.
Nach Art. 21 EGBGB unterliegt das Rechtsverhältnis zwischen einem Kind und seinen
Eltern dem Recht des Staates, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
Damit ist die Personensorge nach dem Recht des Staates des gewöhnlichen Aufenthalts
zu beurteilen. Dabei sind ausländische Sorgerechtsentscheidungen grundsätzlich
anzuerkennen, soweit die Anerkennung nicht ausdrücklich nach § 16 a FGG
ausgeschlossen ist (vgl. Bälz, Ausländerrecht und internationales Familienrecht in ZAR
1999, S. 37, S. 38). Maßgeblich ist also, ob nach der im Ausland geltenden
Sorgerechtsentscheidung oder -vereinbarung eine Regelung über das
Personensorgerecht getroffen worden ist, die dem nach deutschen Maßstäben alleinigen
Personensorgerecht entspricht. Dabei ist allerdings eine Auslegung heranzuziehen, die
der ausländischen Sorgerechtsentscheidung am ehesten zugrunde liegt, weil der in der
ausländischen Entscheidung maßgebende Wille inhaltlich nicht in Frage zu stellen ist.
Es kann hier dahinstehen, ob im Rahmen einer an Art. 6 GG orientierten und an der mit
der Regelung beabsichtigten Zielsetzung gebotenen Auslegung ein alleiniges
Personensorgerecht auch dann angenommen werden muss, wenn nach der
ausländischen Sorgerechtsentscheidung nur unwesentliche Teile des
Personensorgerechts bei dem im Ausland lebenden Elternteil verbleiben. Hierfür spricht
im Übrigen, dass der Gesetzgeber nicht auf den Begriff der elterlichen Sorge als
umfassenden Begriff sondern speziell auf den Begriff der Personensorge abgestellt hat,
sodass selbst ein gemeinsames Vermögenssorgerecht einem Nachzug nicht
entgegenstünde. Einer rechtsvergleichenden Betrachtungsweise der familienrechtlichen
Regelungen sind von vornherein Grenzen gezogen, weil die Rechtsordnungen auf
bestimmte Traditionen und Wertvorstellungen aufbauen und häufig Unterschiede
aufweisen werden. Es spricht jedenfalls nach Auffassung des Gerichts viel dafür, dass die
wesentlichen Kernbereiche des nach deutschem Familienrecht geltenden
Personensorgerechts, nämlich das Recht zur Pflege, Erziehung und Aufsicht, die
gesetzliche Vertretung in persönlichen Angelegenheiten und das
Aufenthaltsbestimmungsrecht ausschließlich von dem in Deutschland lebenden
Elternteil - gegebenenfalls auch gegen den Willen des im Ausland lebenden Elternteils -
wahrgenommen werden können. Zur Personensorgeberechtigung gehört auch die
gerichtliche Geltendmachung eines Visums.
Nach peruanischem Recht umfasst die elterliche Gewalt die Sorge für die Person und
das Vermögen des Kindes. Sie steht bei ehelichen Kindern beiden Eltern gemeinsamen
zu, bei nichtehelichen Kindern wird die elterliche Gewalt mit der Anerkennung erlangt und
bei Anerkennung durch beide Elternteile vom Familienrichter geregelt (Art. 421 CC) [vgl.
Bergmann Ferid, Internationales Ehe- und Familienrecht, Peru, S. 30]. Nach Art. 421
Satz 2 des Zivilgesetzbuches (CC) bestimmt der Jugendrichter, wem die elterliche
Gewalt zusteht, wenn beide Eltern das nichteheliche Kind anerkannt haben, wobei auf
das Alter und Geschlecht des Kindes, auf den Umstand, ob die Eltern zusammen oder
getrennt leben und in jedem Fall auf die Interessen des Minderjährigen abzustellen ist.
Statt des Jugendrichters ist seit 1997 der Familienrichter für diese Entscheidung
zuständig. Nach Art. 422 CC haben die Eltern das Recht mit den Kindern, die nicht unter
ihrer elterlichen Gewalt stehen, die nach den Umständen angezeigten persönlichen
Beziehungen aufrecht zu erhalten. In Art. 418 CC wird ähnlich wie in § 1626 Abs. 1 BGB
bei dem Recht und der Pflicht der elterlichen Gewalt Zwischen der Sorge für die Person
und für das Vermögen des minderjährigen Kindes unterschieden. Die Pflichten und
Rechte der Eltern werden dann weiter in Art. 423 CC beschrieben. Danach haben die
Eltern für den Unterhalt und die Erziehung zu sorgen, das Erziehungsverfahren der
Kinder und ihre Berufsausbildung gemäß ihrer Begabung und ihrer Anlagen zu leiten, die
Kinder mäßig zu bestrafen und wenn das nicht reicht, sich an die Gerichtsbehörde zu
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Kinder mäßig zu bestrafen und wenn das nicht reicht, sich an die Gerichtsbehörde zu
wenden und die Einweisung in eine Anstalt zu beantragen, die der Resozialisierung von
Minderjährigen gewidmet ist, die Dienste ihrer Kinder zu nutzen, wobei auf ihr Alter und
ihre Eigenart abzustellen ist, und ohne ihre Erziehung zu beeinträchtigen, die Kinder um
sich zu haben und sie von dem Ort wegzuholen, wo sie ohne ihr Einverständnis sein
mögen, wobei sie sich an die Behörde wenden können, falls es notwendig ist, die Kinder
in den Handlungen des bürgerlichen Lebens zu vertreten, das Vermögen ihrer Kinder zu
verwalten und den Nutzen aus dem Vermögen ihrer Kinder zu ziehen.
Die Vorschriften werden durch das Kinder- und Jugendgesetzbuch vom 02. August 2000
(Bergmann-Ferid, a.a.O. S. 74, 77) ergänzt. Im Dritten Buch Titel I Kapitel I wird die
elterliche Gewalt durch entsprechende Pflichten und Rechte der Eltern beschrieben. In
Kapitel II ist dann das Sorgerecht für das Kind und den Jugendlichen näher bestimmt.
Nach Art. 81 dieses Gesetzes wird das Sorgerecht für die Kinder und Jugendlichen im
gegenseitigen Einverständnis zwischen ihnen und unter Berücksichtigung der Meinung
des Kindes und des Jugendlichen geregelt, wenn die Eltern faktisch getrennt leben. Wenn
eine Übereinstimmung nicht vorliegt oder falls diese sich für die Kinder/Jugendlichen als
nachteilig erweist, entscheidet der Fachrichter über das Sorgerecht und erlässt die zu
seiner Befolgung notwendigen Maßnahmen. In Art. 82 bis 87 sind weitere Vorschriften
über die Änderung des Sorgerechts und das gerichtliche Verfahren, Abwägungsgründe,
Übertragung auf einen Dritten und das vorläufige Sorgerecht näher bestimmt. In der
Fußnote 6 zum Sorgerecht heißt es bei Bergmann-Ferid: „Mit dem Sorgerecht
(Tenencia) wird die Ausübung der elterlichen Gewalt übertragen“.
Nach diesen Maßstäben spricht alles dafür, dass mit dem vor dem Staatsanwalt für
Familienangelegenheiten geschlossenen Vergleich vom 22. November 2005 das
Personensorgerecht auf die Mutter des Klägers übertragen worden ist.
In der von dem Kläger eingereichten offiziellen Übersetzung heißt es insoweit
ausdrücklich, dass das elterliche „Personensorgerecht und die Obhut“ des Klägers auf
die Mutter übertragen wird. Der in der Originalversion verwendete Begriff Tenencia y
Custodia lässt sich auch im juristischen Sprachgebrauch nicht als bloße vorübergehende
Obhutnahme verstehen. So wird der Begriff „Custodia“ üblicherweise auch als
Personensorgerecht oder Sorgerecht verwendet (vgl. Langenscheidt, Handbuch
Spanisch-Deutsch, Deutsch-Spanisch 2006, juristisch: „Sorgerecht“; Pons,
Studienausgabe Spanisch 2007 „Personensorgerecht“). Es wird als juristische Autorität
verstanden, welcher Elternteil bei der Trennung oder Scheidung das Recht zur Ausübung
der Personensorge erhält. Das Recht zur Ausübung lässt sich jedoch nicht vom Recht
selbst trennen. Nach § 81 Satz 2 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes entscheidet der
Fachrichter über das Sorgerecht. Wenn nach Art. 421 Satz 2 CC der Familienrichter bei
Anerkennung des nichtehelichen Kindes durch beide Eltern entscheiden kann, wem die
elterliche Gewalt zusteht, ist nicht ersichtlich, warum diese Entscheidungsbefugnis bei
Trennung der Eltern des nichtehelichen Kindes nicht mehr beim Familienrichter liegen
sollte.
Demgegenüber wird der von der Beklagten verwendete Begriff „Patria potestad“ in den
genannten Wörterbüchern allgemein als „Sorgerecht“ oder als „elterliche Gewalt“, also
als Oberbegriff bezeichnet. Dafür, dass die Tenencia y Custodia lediglich eine Art
untergeordnete Obhutsregelung ohne rechtsverbindlichen Charakter bei
fortbestehendem gemeinsamem Personensorgerecht beinhaltet, findet sich in den
peruanischen Gesetzen keine Stütze. Dagegen spricht schon, dass es sich um eine
gerichtliche Vergleichregelung handelt, die einem vollstreckbarem Urteil gleichsteht und
das Personensorgerecht rechtsverbindlich bestimmt. Dafür, dass es sich lediglich um
eine gerichtliche Regelung unterhalb des Personensorgerechts handelt, spricht nichts.
Selbst wenn in Art. 461 bis 471 CC, ergänzt durch die Bestimmungen in Art. 75 bis 80
des Kinder- und Jugendgesetzbuches, das Entfallen, der Verlust, die Entziehung und die
Beschränkung sowie das Ruhen der elterlichen Gewalt bestimmt sind, schließt dies nicht
aus, dass das alleinigen Personensorgerecht bei Trennung oder Scheidung auf ein
Elternteil übertragen werden kann. Das Nebeneinander beider Regelungen, nämlich
einerseits die Befugnis des Familienrichters, bei Trennung, Scheidung oder bei
nichtehelichen Kindern zu entscheiden, wer das Personensorgerecht erhält und
andererseits die Befugnis, das Recht der elterlichen Gewalt zu entziehen, entsprechen
im Wesentlichen auch den in Deutschland bestehenden Regelungen über die Ausübung
des Sorgerechts (vgl. § 1626 a BGB) und den gerichtlichen Maßnahmen bei Gefährdung
des Kindeswohles (vgl. § 1666 BGB). Diese Auffassung hat auch die aus Peru
stammende Mutter des Klägers in der mündlichen Verhandlung bestätigt, indem sie den
Begriff der „patria potestad“ als Entzug oder Beschränkung der elterlichen Sorge wegen
der Gefährdung des Kindes erläutert hat.
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Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin vom 16. Februar 2007 (VG 4 V 40.05)
überzeugt nicht. Sie ist im Wesentlichen darauf gestützt, dass die Beklagte nach
Einschaltung eines peruanischen Vertrauensanwaltes unwidersprochen dargelegt habe,
dass die „Tenencia“ nur vorübergehender Natur sei, wichtige Entscheidungen, wie das
Aufenthaltsbestimmungsrecht und die rechtliche Vertretung, jedoch nicht alleine
ausgeübt werden könnten. Eine rechtliche Grundlage dieser Auffassung wird nicht
genannt. Insbesondere zeigt auch der Vergleich zwischen § 81 des Kinder- und
Jugendgesetzes und § 1687 Abs. 1 Satz 2 BGB die von der 4. Kammer genannte
Parallele nicht auf. Nach § 1687 Abs. 1 Satz 2 BGB hat der Elternteil, bei dem sich das
Kind nach Einwilligung des anderen Elternteils oder aufgrund einer gerichtlichen
Entscheidung gewöhnlich aufhält, die Befugnis zur alleinigen Entscheidung in
Angelegenheiten des täglichen Lebens bei gemeinsamem Sorgerecht. § 81 des Kinder-
und Jugendgesetzes regelt aber schon nach dem Wortlaut nicht allein die Befugnis des
Fachrichters darüber, wo sich das Kind gewöhnlich aufhält, sondern ausdrücklich die
Befugnis über das Sorgerecht selbst. Im Übrigen hätte es nach § 81 bzw. § 1687 Abs. 1
Satz 2 BGB einer gerichtlichen Entscheidung nicht bedurft, weil die Einwilligung des
Vaters ohnehin vorgelegen hat. Es wäre geradezu unwahrscheinlich, dass ein
peruanischer Staatsanwalt einen Vergleich über das Personensorgerecht aufnimmt, der
sogar einem vollstreckbarem Urteil gleichsteht, wenn hierfür kein Rechtschutzbedürfnis
bestanden hätte.
Schließlich ist auch der Umstand, dass trotz des alleinigen Personensorgerechts eine
Reisegenehmigung durch den Familienrichter erforderlich ist, kein Beleg dafür, dass
entgegen dem Wortlaut das Personensorgerecht nicht auf die Mutter übertragen ist.
Denn nach Art. 111 des Kinder- und Jugendgesetzbuches vom 02. August 2000 bedarf
selbst der Inhaber des Sorge- und Umgangsrechts für eine Auslandsreise des Kindes die
Zustimmung des anderen Elternteils oder der gerichtlichen Genehmigung (vgl. Fußnote
10 zu Art. 111 in Bergmann-Ferid, a.a.O. S. 79). Der Vorbehalt zum
Aufenthaltsbestimmungsrecht steht der Ausübung des alleinigen Personensorgerechts
nur solange entgegen, bis eine gerichtliche Genehmigung vorliegt. Diese ist hier durch
das Familiengericht vom 24. Oktober 2005 erteilt worden. Die Genehmigung beinhaltet
insoweit auch die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts an die Mutter. Mit der
Begründung des gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland wäre nämlich das deutsche
Familienrecht anzuwenden, sodass der Vorbehalt nicht mehr bestehen würde und das
Aufenthaltsbestimmungsrecht allein bei der Mutter läge.
Die weiteren Voraussetzungen für die Erteilung des Visums liegen vor, insbesondere war
und ist der Lebensunterhalt des Klägers sowohl bei der Antragstellung vor Vollendung
des 16. Lebensjahres als auch zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung gesichert
(vgl. OVG, a.a.O., S. 6). Die Mutter des Klägers hat glaubhaft erklärt und durch
entsprechende Unterlagen belegt, dass sie über ausreichende Einkünfte aus ihrer
gewerblichen Tätigkeit aber auch aus dem Beschäftigungsverhältnis bei der
Versicherungsagentur bezieht, um zu gewährleisten, dass der Kläger seinen
Lebensunterhalt einschließlich ausreichenden Krankenversicherungsschutzes ohne
Inanspruchnahme öffentlicher Mittel bestreiten kann (§ 2 Abs. 2 AufenthG). Dem sind die
Beklagte oder die zum Termin geladene Beigeladene nicht entgegen getreten. Das
Gericht hatte daher keinen Anlass, weitere Nachweise zu fordern, weil die Sicherung des
Lebensunterhalts unstreitig war.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und 162 Abs. 3 VwGO. Da die
Beigeladene keinen Antrag gestellt hat, entsprach es der Billigkeit, ihre
außergerichtlichen Kosten nicht der unterlegenen Partei aufzuerlegen.
Die übrigen Nebenentscheidungen beruhen § 167 Abs. 1 und 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr.
11, 709 Satz 2 und 711 ZPO.
Die Berufung war nicht zuzulassen, weil ein Zulassungsgrund nicht vorlag (§ 124 a Abs. 1
VwGO).
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