Urteil des VG Berlin vom 14.03.2017

VG Berlin: anspruch auf einbürgerung, öffentliches interesse, organisation, recht auf bildung, verdacht, anhänger, sport, anfang, mitgliedschaft, demokratie

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Gericht:
VG Berlin 2. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
2 A 133.07
Dokumenttyp:
Urteil
Quelle:
Normen:
§ 10 Abs 1 RuStAG, § 11 Abs 1
RuStAG, § 8 Abs 1 RuStAG, §
154 Abs 1 VwGO
Klage auf Einbürgerung eines türkischen Staatsangehörigen
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf
Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der
Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages
leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Der im Jahre 1966 geborene Kläger begehrt seine Einbürgerung. Er ist türkischer
Staatsangehöriger. Er ist verheiratet und hat drei Kinder.
Der Kläger reiste im Jahre 1980 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Im Jahre 1996
wurde ihm eine Aufenthaltsberechtigung erteilt.
Im Oktober 1999 beantragte der Kläger seine Einbürgerung. Im Juni 2007 teilte ihm die
Senatsverwaltung für Inneres und Sport vom 2. Februar 2007 mit, er sei nach
Erkenntnissen des Berliner Verfassungsschutzes der Berliner Gliederung der
„Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs e. V.“ (IGMG) zuzurechnen. Bei der IGMG handele
es sich um eine türkisch-islamistische Organisation, die eine Ideologie vertrete, welche
mit wesentlichen rechtsstaatlichen Prinzipien unvereinbar sei.
Mit Schreiben vom 29. Juni 2007 teilte der Kläger hieraufhin u. a. mit, dass er seit 17
Jahren Mitglied der IGMG und seit dem Jahre 1996 Vorstandsmitglied des Berliner
Landesverbandes der IGMG sei. Nunmehr sei er der neue Vorsitzende dieses
Landesverbandes. Seiner Auffassung nach sei sein religiöses Verständnis mit der
freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar. Er sehe auch keinen Widerspruch
zwischen dem Islam und der freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Im Gegenteil,
diese Grundordnung ermögliche freie Religionsausübung, was weltweit keine
Selbstverständlichkeit sei.
Mit Bescheid der Senatsverwaltung für Inneres und Sport vom 7. November 2007 lehnte
der Beklagte den Einbürgerungsantrag des Klägers ab. Zur Begründung führte er im
Wesentlichen an, es bestehe kein Einbürgerungsanspruch nach § 10 Abs. 1 StAG. Denn
die Einbürgerung des Klägers sei ausgeschlossen, da er seit Anfang des Jahres 2007
Vorsitzender des Berliner Landesverbandes der IGMG sei. Es sei nicht erkennbar, dass er
sich persönlich von der Ideologie der Milli-Görüs-Bewegung distanziert habe. Vielmehr
werde das Gegenteil dadurch belegt, dass er in von ihm im Jahre 2007 gehaltenen Reden
die Begriffe „Recht“ und „Glückseligkeit“ verwendet habe, welche in der Milli-Görüs-
Bewegung für den Vorrang des göttlichen vor dem weltlichen Recht bzw. die Errichtung
eines islamistischen Staatswesens stünden.
Auch eine Ermessenseinbürgerung auf der Grundlage von § 8 StAG komme nicht in
Betracht. Ein öffentliches Interesse an der Einbürgerung des Klägers sei schon deshalb
nicht ersichtlich, weil der Ausschlussgrund des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG erfüllt sei.
Mit der am 5. Dezember 2007 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter.
Er ist der Auffassung, die Methode der Tatsachenfeststellung und Beweiswürdigung im
Rahmen eines Einbürgerungsverfahrens sei am Maßstab der Art. 2 Abs. 1 in Verbindung
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Rahmen eines Einbürgerungsverfahrens sei am Maßstab der Art. 2 Abs. 1 in Verbindung
mit Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK zu messen. Durch die Versagung seiner
Einbürgerung aufgrund seiner Mitgliedschaft in der IGMG werde er zudem in seinem
Grundrecht aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG verletzt. Der Beklagte müsse mittels Tatsachen
deshalb zumindest die überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür darlegen, dass er, der
Kläger, durch seine spezifische Einbindung in die Organisationsstrukturen und seine
dementsprechenden Aktivitäten die verfassungsfeindlichen Tendenzen verstärkt,
perpetuiert oder verfassungsrechtlich unangreifbaren Reformen entgegengewirkt habe.
Weiter wendet sich der Kläger unter teilweiser Bezugnahme auf ein von ihm vorgelegtes
Gutachten von Prof. Dr. Sch. gegen die insbesondere auf Berichten der
Verfassungsschutzbehörden beruhende Auffassung des Beklagten, die IGMG sei als
islamisch-extremistische Organisation einzustufen. Der Behauptung, dass die IGMG nur
vorgebe, verfassungskonforme Ziele zu verfolgen, sich tatsächlich aber nicht
vorbehaltlos zur bestehenden Rechts- und Gesellschaftsordnung bekenne, stehe sowohl
die Satzung als auch eine Vielzahl von offiziellen Erklärungen der IGMG entgegen. Der
Vorwurf, sie befürworte die Gewaltanwendung als Mittel zur Durchsetzung ihrer
politischen Ziele, werde gerade nicht erhoben. Die IGMG bestreite aber auch den
Vorwurf, ein Sammelbecken ehemaliger Anhänger der türkischen Wohlfahrts- oder
Tugendpartei bzw. von deren Nachfolgeparteien zu bilden. Zwar treffe es zu, dass es
enge personelle Verbindungen zwischen der IGMG und der islamistischen Bewegung
Erbakans gegeben habe, es gebe jedoch Anhaltspunkte dafür, dass sich diese engen
Bindungen zunehmend auflösten. Für die Gründergeneration der
Vorläuferorganisationen der IGMG gelte, dass starke ideologische und auch emotionale
Bindungen zur islamistischen türkischen Bewegung bestanden; die nachfolgende
Generation könne sich jedoch von den Wertvorstellungen der Vätergeneration nicht
offensiv und ausdrücklich in der gebotenen Weise distanzieren. Die Entwicklung in der
IGMG sei aber offen und es sei insbesondere nicht gerechtfertigt, allein aus den
traditionellen, inzwischen signifikant gelockerten Bindungen an islamistische
Bewegungen in der Türkei zu schließen, dass entgegenstehende Äußerungen nicht
ernsthaft, sondern nur taktisch gemeint seien. Entgegen der Annahme in den
Verfassungsschutzberichten stelle auch die türkische Zeitung "Milli Gazete" nicht das
Sprachrohr der IGMG dar; deren Beiträge könnten ihr nicht zugerechnet werden. Das
gelte ebenso für die Entgleisungen einzelner Funktionäre. Auch der geschichtliche
Entwicklungsprozess der IGMG belege, dass sie sich derzeit in einem solchen offenen
Umbruchprozess befinde und dass gewichtige Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die
frühere, eher islamistische Prägung überwunden werde. Diese Einschätzung werde auch
durch verschiedene Abhandlungen bestätigt.
Sei daher eine zweifelsfreie Annahme, dass die IGMG verfassungsfeindliche
Bestrebungen unterstütze oder verfolge, nicht möglich, so müsse dies erst recht im Fall
eines Anhängers der IGMG gelten. Es komme daher darauf an, im Einzelfall
festzustellen, mit welchem Gewicht die betreffende Person sich für die Durchsetzung
verfassungstreuer Tendenzen einsetze. Dabei sei von besonderer Bedeutung, dass die
Entwicklung der IGMG nicht auf ein Abgleiten in die Verfassungsfeindlichkeit gehe,
sondern umgekehrt die Prognose gerechtfertigt sei, dass die Organisation insgesamt
frühere verfassungsfeindliche Tendenzen überwinden werde. Er, der Kläger, setze sich für
die Überwindung der traditionellen Strukturen und Ziele innerhalb der Organisation und
für eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Entwicklung ein. Allein seine
Funktionärstätigkeit in einer lokalen Gliederung rechtfertige mithin nicht die Annahme, er
verfolge oder unterstütze Bestrebungen, die sich gegen die freiheitlich-demokratische
Grundordnung richteten. Auch gebe es keine speziell in seiner Person liegenden Gründe
für die Annahme, er verfolge oder unterstütze Ziele im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1
StAG.
Soweit er im Verwaltungsverfahren und noch einmal im gerichtlichen Verfahren mit einer
im Juni 2008 abgegebenen Erklärung vorgetragen habe, der IGMG bereits seit 17 Jahren
anzugehören, treffe dies nicht zu. Tatsächlich habe er sich der IGMG erst im Jahre 1996
angeschlossen. Zutreffend sei, dass er schon 1996 Vorstandsmitglied im Berliner
Landesverband gewesen sei. Der Vorstand sei aber damals kein Entscheidungsgremium
gewesen. Man habe auch nichts Besonderes machen müssen, um Vorstandsmitglied zu
werden. Aus dem Gebrauch bestimmter Begriffe in seinen Reden könne nicht auf eine
verfassungsfeindliche Haltung geschlossen werden. Tatsächlich seien insbesondere die
Beachtung und unumkehrbare Gewährung der Menschenwürde und der Religionsfreiheit,
Meinungs- und Pressefreiheit die Stützpfeiler seines Denkens. Nach seinem
Islamverständnis könne jedes Individuum seine Entscheidung freiverantwortlich treffen
und nach dieser Entscheidung leben. Eine Staatsordnung nach den Regeln der Scharia
werde weder von ihm noch der IGMG angestrebt. Weder er selbst noch sein
Landesverband hätten Überschneidungspunkte mit einer demokratie- und
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Landesverband hätten Überschneidungspunkte mit einer demokratie- und
rechtsstaatswidrigen Ideologie. Während seiner Mitgliedschaft und seiner Tätigkeit als
Vorstandsmitglied bzw. Landesvorsitzender seien keinerlei demokratiefeindliche
Äußerungen bzw. Handlungen getätigt worden.
Der Kläger beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides der Senatsverwaltung für
Inneres und Sport vom 7. November 2007 zu verpflichten, ihm eine
Einbürgerungszusicherung zu erteilen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hält an der Ablehnung der von dem Kläger begehrten Einbürgerung im Wesentlichen
aus den Gründen des Bescheides vom 7. November 2007 fest. Ergänzend trägt er u. a.
vor, er könne nicht zu der Einschätzung gelangen, die IGMG stelle in Bezug auf die
freiheitlich-demokratische Grundordnung eine ambivalente Organisation dar oder sie
habe gar eine neue Ausrichtung erfahren und sich von der Ideologie Erbakans getrennt.
Aus der Diskussion zwischen Reformern und Traditionalisten über die zukünftige
Ausrichtung der IGMG seien keine konkreten Reformprojekte bekannt. Ebenso wenig sei
eine ideologische Neuausrichtung der IGMG zu erkennen. Offenbar könnten sich die
Reformer nicht gegen die Traditionalisten in der Organisation durchsetzen. Die enge
Bindung der IGMG an die Milli-Görüs-Bewegung bestehe jedenfalls fort.
Die Kammer hat folgendes Erkenntnismaterial in das Verfahren eingeführt:
Verfassungsschutzbericht - im Folgenden: VB – 2007 des Bundesamtes für
Verfassungsschutz - im Folgenden: Bund – (S. 217-232), VB 2006 (S. 117-126) und 2007
(S. 97-108) des Berliner Verfassungsschutzes, VB Baden-Württemberg 2007 (S. 63-79),
VB 2007 (S. 40-47) und Verfassungsschutzinformationen – im Folgenden: VI - 1. Halbjahr
2008 (S. 4 f.) des Bayrischen Verfassungsschutzes, Hessischer VB 2007 (S. 44-48), VB
2007 des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres, Sport und Integration (S. 37-41),
VB des Landes Nordrhein-Westfalen 2007 (S. 190-199), VB 2007 des Ministeriums des
Innern und für Sport Rheinland-Pfalz (S. 69-72), VB 2007 des Innenministeriums des
Landes Schleswig-Holstein (S. 118-120).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten
wird auf die Streitakte und die Verwaltungsvorgänge verwiesen, die vorgelegen haben
und Gegenstand der mündlichen Verhandlung und Beratung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet. Die Ablehnung der Erteilung einer
Einbürgerungszusicherung für den Kläger ist rechtmäßig und verletzt diesen nicht in
seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO). Der Kläger hat weder einen Anspruch auf die
begehrte Einbürgerungszusicherung, noch auf eine Neubescheidung seines
Einbürgerungsantrages.
I. Rechtsgrundlage für das Begehren des Klägers ist § 38 VwVfG i. V. m. § 1 VwVfG Bln i.
V. m. den Vorschriften des Staatsangehörigkeitsgesetzes vom 22. Juli 1913, in der am
28. August 2007 in Kraft getretenen Fassung, die es durch Art. 5 des Gesetzes zur
Umsetzung aufenthalts- und asylrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union vom 19.
August 2007 (BGBl. I S.1970) – StAG – erhalten hat. Nach § 40c StAG sind die §§ 8 bis
14 und 40c für Einbürgerungsanträge, die – wie der des Klägers – vor dem 30. März 2007
gestellt worden sind, weiter in ihrer vor dem 28. August 2007 geltenden Fassung
anzuwenden, soweit sie günstigere Bestimmungen enthalten.
Nach § 10 Abs. 1 Satz 1 in der für den Kläger – wegen der erst mit Wirkung zum 1.
September 2008 in Kraft getretenen Neuregelung des § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 StAG -
günstigeren Fassung des Gesetzes vom 30. Juli 2004 (BGBl. I S. 1950) – im Folgenden:
StAG a. F. – ist ein Ausländer, der seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen
Aufenthalt im Inland hat und handlungsfähig nach Maßgabe des § 80 des
Aufenthaltsgesetzes oder gesetzlich vertreten ist, auf Antrag einzubürgern, wenn er die
in den Nummern 1 bis 6 der Regelung aufgeführten Voraussetzungen erfüllt; der
Anspruch darf zudem nicht nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ausgeschlossen sein. Letzteres
ist hier jedoch der Fall.
Der Anspruch des Klägers ist gemäß § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ausgeschlossen. Da die vor
dem 28. August 2007 geltende Regelung des Staatsangehörigkeitsgesetzes (§ 11 Satz 1
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dem 28. August 2007 geltende Regelung des Staatsangehörigkeitsgesetzes (§ 11 Satz 1
Nr. 2 StAG a. F.) insofern keine für den Kläger günstigere Regelung enthält – der Wortlaut
von § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG a.F. ist mit dem jetzt geltenden Wortlaut des § 11 Satz 1 Nr.
1 StAG identisch –, ist die nunmehr geltende Regelung zugrunde zu legen.
Nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG besteht ein Anspruch auf Einbürgerung (u. a.) nicht, wenn
tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Einbürgerungsbewerber
Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt hat, die gegen die
freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, es sei denn, der
Einbürgerungsbewerber macht glaubhaft, dass er sich von der früheren Verfolgung oder
Unterstützung derartiger Bestrebungen abgewandt hat.
Hier ist die Annahme gerechtfertigt, dass der Kläger Bestrebungen (hierzu unter 1.)
unterstützt, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Die
Annahme entsprechender Bestrebungen wird begründet durch die langjährige
Funktionärstätigkeit des Klägers für die IGMG bzw. seine aktive Mitgliedschaft in dieser
Organisation. Die Kammer geht dabei davon aus, dass es sich bei der IGMG um eine
Organisation handelt, die nach ihren Wurzeln und ihrer personellen und
organisatorischen Verflechtung mit der türkischen sog. Milli-Görüs-Bewegung so eng
verbunden ist, dass deren - gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung
gerichteten - Ziele auch ihr - und damit dem Kläger - zuzurechnen sind (2.). Neuere
Entwicklungen innerhalb der IGMG, die den in § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG angesprochenen
tatsachengestützten Verdacht ausräumen könnten, sind zwar wahrscheinlich; diese
lassen die IGMG jedoch allenfalls als eine inhomogene oder im Umbruch befindliche
Organisation erscheinen, die sich sowohl nach innen als auch nach außen um einen
dauerhaften Einklang mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bemüht (3.).
Solche Bestrebungen innerhalb der IGMG kommen dem Kläger aber
einbürgerungsrechtlich nicht zugute, weil der Kläger ihnen nicht mit der erforderlichen
Eindeutigkeit zugerechnet werden kann (4.).
1. Bestrebungen setzen nach der heranzuziehenden Begriffsbestimmung des § 4 Abs. 1
Satz 1 BVerfSchG politisch bestimmte, ziel- und zweckgerichtete Verhaltensweisen in
einem oder für einen Personenzusammenschluss voraus (Urteil der Kammer vom 28.
Mai 2002 – VG 2 A 112.00 –). Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem
oder für einen Personenzusammenschluss handeln, sind Bestrebungen im Sinne dieses
Gesetzes, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder aufgrund ihrer
Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut dieses Gesetzes – hier die freiheitliche
demokratische Grundordnung – erheblich zu beschädigen (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 3
BVerfSchG).
Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen
gemäß § 4 Abs. 2 BVerfSchG, das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und
Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden
Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner,
unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, die Bindung der
Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden
Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, das Recht auf Bildung und
Ausübung einer parlamentarischen Opposition, die Ablösbarkeit der Regierung und ihre
Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, die Unabhängigkeit der Gerichte, der
Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft und die im Grundgesetz konkretisierten
Menschenrechte.
Nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ist ein Anspruch auf Einbürgerung bereits dann
ausgeschlossen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der
Ausländer solche Bestrebungen verfolgt oder unterstützt oder verfolgt oder unterstützt
hat. Zum Ausschluss eines Einbürgerungsanspruchs genügt danach der begründete
Verdacht einer solchen Verfolgung oder Unterstützung. Andererseits ist ein Anspruch
nach § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG nur dann ausgeschlossen, wenn das Handeln oder der
Verdacht sich gerade auf ein Verfolgen oder Unterstützen i. S. d. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG
richtet, also die Tat, deren der Ausländer verdächtig ist, für den Fall, dass sich der
Verdacht bestätigt, ein Verfolgen oder Unterstützen i. S. d. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG
darstellt (vgl. BVerwGE 128, 140 <143, Rn. 19>).
2. Die IGMG ist eine Organisation die nach den ins Verfahren eingeführten Erkenntnissen
des Verfassungsschutzes (vgl. zur Verwertbarkeit solcher amtlichen Auskünfte BVerwG,
Urteil vom 7. Juli 2004 - 6 C 17/03 -, NJW 2005, 85; BVerwG, Beschluss vom 9. März 1984
- 9 B 922/81 -, Buchholz 310 § 87 VwGO Nr. 4 m. w. N.) – jedenfalls auch –
verfassungsfeindliche Ziele i. S. v. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG verfolgt. Jedenfalls besteht
hierfür der begründete Verdacht. Die Kammer hält insoweit an ihrer bereits in dem den
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hierfür der begründete Verdacht. Die Kammer hält insoweit an ihrer bereits in dem den
Beteiligten bekannten Urteil vom 21. März 2007 – VG 2 A 79.04 – (juris) geäußerten
Auffassung fest, die derjenigen einer Reihe anderer Verwaltungsgerichte entspricht (s. z.
B. Bay. VGH, Beschlüsse vom 27. August 2004 – 5 ZB 03.1336 – juris – und 8.
November 2004 - 5 ZB 03.1795 – juris; OVG Koblenz, Urteil vom 24. Mai 2005 – 7 A
10953/04. OVG –; VG Stuttgart, Urteil vom 26. Oktober 2005 – 11 K 2083/04 – juris).
Zuletzt ist die Annahme verfassungsfeindlicher Bestrebungen der IGMG vom VGH
Mannheim mit Urteil vom 11. Juni 2008 – 13 S 2613/03 – (juris) bestätigt worden.
Dass die IGMG Bestrebungen der genannten Art verfolgt bzw. diese Annahme
gerechtfertigt ist, ergibt sich aus der Geschichte der IGMG und ihrer (auch personellen)
Verflechtung mit der türkischen Bewegung von Milli Görüs, mit deren
Publikationsorganen und den diese Bewegung tragenden islamistischen Parteien in der
Türkei. Der Verdacht folgt aus dem der IGMG nach ihrer Herkunft, Einbettung und
Positionierung zuzurechnenden Ziel der absoluten Vorherrschaft islamischen
Rechtsverständnisses bzw. des Vorrangs islamischer Ge- oder Verbote – etwa der
Scharia – vor den nach den Grundsätzen des demokratischen Rechtsstaats zustande
gekommenen Rechtsnormen der Bundesrepublik und dem allgemein von Milli Görüs
(global) postulierten Konflikt zwischen der westlichen und der islamischen Welt, der alle
Lebensbereiche umfassen und mit einem Sieg des Islam enden soll. Die Milli-Görüs-
Bewegung verlässt in den genannten Zielen den grundrechtlich durch Art. 4 Abs. 1 oder
Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Raum. Wenn die weltliche Gewalt uneingeschränkt religiös-
weltanschaulichen Geboten unterworfen wird, die ihrerseits verbindliche Vorgaben für die
Gestaltung der Rechtsordnung enthalten, Auslegungsrichtlinien für die Auslegung und
Anwendung staatlicher Rechtsgebote darstellen und im Konfliktfall sogar Vorrang vor
dem staatlichen Gesetz genießen sollen, gefährdet dies die freiheitliche demokratische
Grundordnung, namentlich das Demokratieprinzip, die Existenz und Geltung der
Grundrechte und das Gebot der Bindung an Recht und Gesetz (VGH Mannheim, Urteil
vom 11. Juni 2008 – 13 S 2613/03 – juris, Rn. 46). Dieses Endziel ist wahrscheinlich als
solches inzwischen in der IGMG zwar nicht mehr allein herrschend und sogar in Frage
gestellt (s. dazu unten b), andererseits jedoch noch nicht mit der einbürgerungsrechtlich
erforderlichen Klarheit überwunden.
Im Einzelnen ergibt sich dies aus folgenden Tatsachen, wobei auch auf die Ausführungen
der Kammer im Urteil vom 21. März 2007 (juris, Rn. 40-47) sowie die detaillierte
Darstellung im Urteil des VGH Mannheim vom 11. Juni 2008 (juris) Bezug genommen
wird:
Die 1995 gegründete IGMG hat in der Bundesrepublik Deutschland ca. 27.000
Mitglieder.Der Verein, dessen Europazentrale in K. ansässig ist, gliedert sich in 30
Regionalverbände, darunter 15 innerhalb der Bundesrepublik mit ca. 300 örtlichen
Kultur- und Moscheevereinen.
Die IGMG geht auf türkische religiöse Gemeinden zurück, die Anfang der 70iger Jahre des
letzten Jahrhunderts von türkischen Arbeitsimmigranten gegründet worden waren;
zunächst herrschte ein starker Bezug zur Türkei und zu türkischen Parteien vor, wobei
der Anschluss an dortige islamische Gruppierungen gesucht wurde. Dazu gehörte die im
Jahre 1972 gegründete religiöse Heilspartei (MSP) unter ihrem Führer Necmettin
Erbakan, der Mitte der 70iger Jahre die Parteiprogrammatik „Milli Görüs“ in einem Buch
mit diesem Titel konzipiert hatte. Es ging damals um die Entwicklung der Türkei und ihre
Hinwendung zur islamischen Welt. Nach dem Verbot der MSP in der Türkei (1980)
organisierten sich die Milli-Görüs-Gemeinden in der Türkei mit Unterstützung der MSP-
Nachfolgepartei RP (Refah-Partisi; Wohlfahrtspartei), die ebenfalls von Necmettin
Erbakan geführt wurde. Von 1996 bis Juni 1997 war Erbakan türkischer Ministerpräsident.
Anfang 1998 wurde die RP wegen ihrer Bestrebungen gegen die laizistische
Staatsordnung in der Türkei (Trennung Kirche - Staat) verboten; auch die
Nachfolgepartei Fazilet Partisi (Tugendpartei) wurde aufgelöst (2001). Danach spaltete
sich die Bewegung in die Saadet-Partisi (SP; Glückseligkeitspartei) unter Erbakan
einerseits und die AKP unter der Führung von Erdogan andererseits; die IGMG verblieb
im Lager der SP, die gegenwärtig in der Türkei allerdings praktisch keine politische
Bedeutung mehr hat (Wahlergebnis 2007: unter 3%) und der Erbakan formell auch nicht
mehr angehört. Er gilt allerdings nach wie vor als ihre Führungsfigur (s. zum
Vorstehenden z. B.: VB Bund 2007, 218 ff.; VB Nordrhein-Westfalen 2007, 191, 193)..
Die Milli-Görüs-Bewegung in Deutschland spaltete sich im Jahre 1984. Ein beträchtlicher
Teil der Milli-Görüs-Anhänger schloss sich der Bewegung um den sog. Kalifatstaat (unter
Kaplan) an. Die verbleibenden Erbakan-Anhänger sammelten sich in der im Jahre 1985
gegründeten Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e. V. (AMGT). Zum Aufbau der
Organisation entsandte Erbakan Anhänger und Funktionäre nach Deutschland.
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Organisation entsandte Erbakan Anhänger und Funktionäre nach Deutschland.
Hierdurch entstand eine enge Bindung zwischen der Milli-Görüs-Bewegung in der Türkei
und der AMGT. Ende 1994 und Anfang 1995 wurde die Milli Görüs in Deutschland
organisatorisch neu geordnet. Die AMGT wurde in Europäische Moscheebau- und
Unterstützungsgemeinschaft e.V. (EMUG), ein Bonner Milli-Görüs-Verein in Islamische
Gemeinschaft Milli Görüs e. V. umbenannt. In den neuen Vorständen von EMUG und
IGMG waren dieselben Personen vertreten, die zuvor den Vorstand der AMGT gebildet
hatten. In der Folge verwaltete die EMUG die Immobilien, die IGMG wurde im religiösen,
kulturellen und sozialen Bereich tätig. (s. zum Vorstehenden z. B.: VB Nordrhein-
Westfalen 2007, 193; VB Niedersachsen 2007, 38 f.).
Die Milli-Görüs-Bewegung lehnt die „westliche Demokratie“ und damit auch die
freiheitliche demokratischen Grundordnung ab. Die Ziele der Milli-Görüs-Bewegung
wurden von Erbakan in einer Art Manifest niedergelegt, das er 1991 unter dem Titel „Adil
Düzen“ („Gerechte Ordnung“) veröffentlichte. Die politischen Thesen Erbakans, die auch
mit antisemitischen Stereotypen durchsetzt sind, besagen im Kern, dass jede Epoche
der Menschheitsgeschichte durch den Kampf zweier Zivilisationen beziehungsweise
Ordnungen bestimmt sei, die sich in ihren Grundlagen feindlich entgegenstehen. Auf der
einen Seite gäbe es Ordnungen, die von Menschen entworfen wurden. Sie beruhten auf
der Macht des Stärkeren und führten zu Unrecht, Ausbeutung und vielen weiteren
negativen Erscheinungen. Sie werden von Erbakan als „nichtige Ordnung“ („batil
düzen“) bezeichnet. Auf der anderen Seite stünden die auf göttlicher Offenbarung
gegründeten Ordnungen, die die Wahrheit und das sich daraus ergebende Recht (hak)
zum Wohle der Menschen walten ließen. Das aus dem Koran entlehnte Gegensatzpaar
„Gott/ Wahrheit/ Recht“ („hak“) und „Aberglaube“ („batil“) wird so auf eine politische
Ebene geführt, religiöse Begriffe werden zu politischen umgestaltet. Die „nichtigen“
Ordnungen („batil“) wurden, so die Vorstellung, in der Menschheitsgeschichte immer
wieder von „gerechten“ Ordnungen („hak“) abgelöst. So sei der „guten“ hebräischen
Rechtsordnung die „schlechte“, menschengemachte altgriechische Demokratie gefolgt,
der „guten“ islamischen Zivilisation die „schlechte“ westliche Bürokratie. Ziel der
Bewegung ist es, dieses heute herrschende, als „westliche“, „bürokratische Ordnung“
bezeichnete demokratische System zu überwinden und durch die in „Adil Düzen“
skizzierte „gerechte Ordnung des Friedens und der Verständigung“ zu ersetzen, die auf
dem Islam basieren soll. Dieses Ziel wird zunächst für die Türkei, dann aber auch für die
gesamte Menschheit angestrebt. Um eine „nichtige“ Ordnung zu ersetzen, sei die
Ausrichtung an islamischen Grundsätzen statt an von Menschen geschaffenen und
damit „willkürlichen Regeln“ erforderlich (s. zum Vorstehenden z. B. VB Bund 2007, 218;
VB Nordrhein-Westfalen 2007, 192).
Erbakan hält unverändert an seinen ideologischen Standpunkten fest und prangert nach
wie vor Imperialismus, Rassismus und Zionismus als zerstörerische, gegen das türkische
Volk gerichtete Kräfte an. Das Ziel von Milli Görüs ist danach, wieder eine „Großtürkei“
zu etablieren und das türkische Volk erneut zum Herrn über die Welt zu machen. Dies
verdeutlichen Äußerungen Erbakans bei Wahlkampfauftritten im Vorfeld der türkischen
Parlamentswahlen im Juli 2007. Erbakan geht es nach wie vor um die „Befreiung“
Istanbuls, der islamischen Welt und der Menschheit; Erbakan bezeichnet dies als
„heiligen Krieg“ (s. z. B. VB Bund 2007, 219 f.; VB Berlin 2007, S. 98 f.). Entsprechende –
insbesondere „antiwestliche“ – Äußerungen sind von führenden SP-Funktionären zu
verzeichnen (s. VB Bund 2007, 220; VB Berlin 2007, 100).
Die geschichtliche enge Verbindung zur Milli-Görüs-Bewegung in der Türkei, die bereits in
der Beibehaltung des Begriffs Milli Görüs im Namen der IGMG zum Ausdruck kommt,
wird u. a. in engen und dauerhaften Kontakten deutlich, die nach wie vor zwischen der
IGMG und dieser Bewegung in der Türkei bzw. der von ihr getragenen SP bestehen. Dies
zeigt sich – wie die Verfassungsschutzberichte einheitlich belegen – nicht nur in der
allgemeinen Zielsetzung der IGMG, die Milli-Görüs-Bewegung als solche zu stärken und
zu unterstützen, sondern auch in der Teilnahme hoher Funktionäre der SP an
Veranstaltungen der IGMG und umgekehrt, in dem Inhalt der Redebeiträge von SP-
Funktionären bei Veranstaltungen der IGMG und in der häufigen Zuschaltung von
Erbakan zu IGMG-Veranstaltungen, bei denen für Milli Görüs als Bewegung geworben
wird. Es gehört auch zum „Besuchsprogramm“ von IGMG-Angehörigen, wenn diese sich
in der Türkei aufhalten, Erbakan und/oder Funktionäre der SP aufzusuchen (s. zum
Vorstehenden: VB Baden-Württemberg 2007, 70 f., 75; VB Bayern 2007, 41 f. und VI
Bayern 1. Halbjahr 2008, 5; VB Berlin 2007, 98, 101, 104; VB Bund 2007, 223 f.; VB
Nordrhein-Westfalen 2007, 197; VB Rheinland-Pfalz 2007, 70).
Die Nähe der IGMG zur politischen Bewegung Milli Görüs drückt sich auch in ihren
Anzeigen in der Tageszeitung Milli Gazete aus. Dort sind regelmäßig Kondolenzanzeigen,
Genesungs- oder Glückwünsche und ähnliche Annoncen sowie Ankündigungen und
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Genesungs- oder Glückwünsche und ähnliche Annoncen sowie Ankündigungen und
Verlaufsberichte von regionalen und überregionalen Veranstaltungen der IGMG zu lesen.
Zudem wird innerhalb der IGMG regelmäßig für den Bezug der Milli Gazete geworben
bzw. es der Milli Gazete auf IGMG-Veranstaltungen ermöglicht, für die Zeitung und neue
Abonnenten zu werben (s. Bund 2007, 225; VB Nordrhein-Westfalen 2007, 196). Dies
deutet darauf hin, dass es sich hierbei um das Publikationsorgan handelt, mit dessen
Hilfe die IGMG ihre Anhänger am besten zu erreichen glaubt. Daraus wiederum kann
geschlussfolgert werden, dass die Leserschaft der Milli Gazete mit der Anhängerschaft
der IGMG zumindest in weiten Teilen deckungsgleich ist. Die Milli Gazete ist zwar formal
von der Milli-Görüs-Bewegung bzw. der IGMG unabhängig. Wesentliche Funktion der Milli
Gazete ist es jedoch die Ideologie der Milli Görüs zu transportieren und zu verbreiten. In
Milli Gazete erscheinen Kolumnen, verfasst von Vertretern der Milli-Görüs-Bewegung, die
die Ideologie ausführlich darlegen und die Verdienste Erbakans preisen (s. z. B. VB
Baden-Württemberg 2007, 67; VB Bund 2007, 224 f.). Demnach muss man davon
ausgehen, dass diese Inhalte von der Leserschaft der Milli Gazette und damit von Teilen
der IGMG mitgetragen werden.
3. Die Kammer hält es allerdings nach den eingeführten Erkenntnissen für
wahrscheinlich, dass die IGMG trotz ihrer Verwurzelung in der türkischen Milli-Görüs-
Bewegung und trotz der oben dargestellten personellen und organisatorischen Kontakte
zu Erbakan und zur SP zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht mehr als eine homogene und
– bezogen auf die Frage der Akzeptanz der freiheitlich-demokratischen Grundordnung –
in ihrer Zielrichtung einheitliche Bewegung anzusehen ist, sondern in der IGMG auch
Strömungen zu finden sind, die zwar auch islamisch fundiert, vor § 11 Abs. 1 Nr. 1 StAG
jedoch durchaus unverdächtig sind (vgl. hierzu VGH Mannheim, Urteil vom 11. Juni 2008
– 13 S 2613/03 – juris, Rn. 47 ff.). Hierfür können zum einen Erkenntnisse des Beklagten
angeführt werden. In dessen VB 2007 (S. 97) wird festgestellt, dass reformorientierte
Mitglieder innerhalb der IGMG eine Distanzierung von Necmettin Erbakan sowie eine
Neuausrichtung auf die veränderten Bedürfnisse der Anhänger der zweiten und dritten
Generation in Europa forderten. Dagegen seien die Traditionalisten dem Gründer der
Milli-Görüs-Bewegung weiterhin verbunden. Auch nach Auffassung des
Verfassungsschutzes des Bundes ist die IGMG „kein durchgehend homogener Verband“.
Einige Führungsfunktionäre schienen bemüht zu sein, eine größere Eigenständigkeit der
Organisation gegenüber der türkischen Milli Görüs zu erreichen und sich allmählich vom
strikt islamischen Kurs Erbakans zu lösen. Moderatere und Integrationsbereitschaft
signalisierende Aussagen von Vertretern dieser in Ansätzen erkennbaren Strömung
seien möglicherweise nicht nur aus taktischen Erwägungen für eine skeptische
Öffentlichkeit bestimmt, sondern auch inhaltlich motiviert (VB Bund 2007, 231).
Vorsichtig optimistisch ist die Einschätzung im VB Schleswig-Holstein 2007 (S. 118 f.):
Das Jahr 2007 habe unter dem Zeichen des Abnabelungsprozesses der IGMG von ihrem
geistigen Führer Necmettin Erbakan gestanden. Habe man bisher eine nahezu devote
Ergebenheit eines Großteils der Anhängerschaft der IGMG gegenüber Erbakan
beobachten könnten, so scheine es mittlerweile einen Wandel – zumindest im Bereich
des IGMG-Vorstandes – zu geben. Immer offensichtlicher werde der Machtkampf
innerhalb der IGMG zwischen denen geführt, die am Erbakan-Kurs festhalten wollten, und
denen, die für eine unabhängige Linie einträten. Das interne Ringen um die zukünftige
Richtung lähme auch die Aktivitäten der IGMG. Derzeit sei nicht abzusehen, in welche
Richtung sich die IGMG weiterentwickeln werde.
Zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt der VB Nordrhein-Westfalen 2007 (S. 198 f.):
Trotz der noch immer vorhandenen Anhaltspunkte für den Verdacht einer
extremistischen Bestrebung seien zugleich in der IGMG seit Jahren Tendenzen einer
allmählichen Loslösung von islamistischen Inhalten zu beobachten. Noch in der jüngsten
Vergangenheit hätte Necmettin Erbakan als „Führer der Milli Görüs“ anscheinend einen
erheblichen Einfluss auf die Besetzung wichtiger Führungsfunktionen innerhalb der IGMG
und damit auf ihre politische Ausrichtung gehabt. Ideologisch strikt an Erbakan
orientierte Personen hätten wichtige Funktionen in IGMG-Gremien inne gehabt. Dies
scheine sich nun spürbar geändert, der Einfluss islamistisch ausgerichteter Kräfte in der
IGMG abgenommen zu haben. Als eine deutliche Markierung für die Entwicklung der
IGMG von einem Anhängsel einer extremistischen politischen Bewegung mit religiöser
Verankerung zu einer eigenständigen religiösen Gemeinschaft könne das Symposium
„Begriffe des Chaos – Chaos der Begriffe / Selbst- und Weltwahrnehmungen der
Muslime“ Ende 2007 in Bonn betrachtet werden. Über diese Veranstaltung sei auf dem
neuen IGMG-Portal ausführlich und inhaltsreich informiert worden. In der Milli Gazete
habe diese Veranstaltung dagegen kaum Beachtung gefunden. Auf dem Symposium
habe der Generalsekretär der IGMG in seinem Schlussvortrag ein in seiner Klarheit und
Offenheit bemerkenswertes Bekenntnis abgelegt und Aussagen getroffen, die eigentlich
nur als Absage an überkommene ideologische Vorstellungen bewertet werden könnten.
Zurzeit könne jedoch nicht abschließend beurteilt werden, ob das Zurücktreten
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Zurzeit könne jedoch nicht abschließend beurteilt werden, ob das Zurücktreten
islamistischer Kreise innerhalb der IGMG und die Öffnung in Richtung der demokratischen
Gesellschaftsordnung von Dauer sein werde. Die weitere Entwicklung werde zeigen, ob
die Bekenntnisse zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, die die IGMG
verschiedentlich abgegeben habe, nur Lippenbekenntnisse seien.
4. Trotz der unter 3. dargelegten Anhaltspunkte dafür, dass sich die IGMG in einem
Umbruch befindet, bestehen tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger
Bestrebungen im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG (mindestens) unterstützt.
a) Unterstützen i. S. d. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG ist jede Handlung des Ausländers, die für
Bestrebungen i. S. d. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG objektiv vorteilhaft ist. Allerdings kann nicht
jede Handlung, die sich zufällig als für Bestrebungen i. S. d. § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG
objektiv vorteilhaft erweist, als tatbestandsmäßiges Unterstützen solcher Bestrebungen
verstanden werden. Bereits aus der Wortbedeutung des Unterstützens ergibt sich, dass
nur solche Handlungen ein Unterstützen sind, die eine Person für sie erkennbar und von
ihrem Willen getragen zum Vorteil der genannten Bestrebungen vornimmt (vgl. BVerwGE
128, 140 <143, Rn. 18>, m. w. N.). Feststellungen über die tatsächliche innere
Einstellung des Einbürgerungsbewerbers sind in der Regel nicht erforderlich (VGH
Mannheim, Beschluss vom 29. März 2000 – 13 S 858/98 – juris). Der Verdacht eines
Unterstützens im Sinne des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG rechtfertigt sich regelmäßig bei einer
langjähriger Mitwirkung in einer Organisation in hervorgehobener Stellung im Ortsverein
(so ausdrücklich für die IGMG BVerwG, Beschluss vom 27. Februar 2006 – 5 B 67.05 –
juris; vgl. auch Urteil der Kammer vom 21. März 2007 – VG 2 A 79.04 – juris, Rn. 41; VGH
Mannheim, Urteil vom 11. Juni 2008 – 13 S 2613/03 – juris, Rn. 34, jeweils m. w. N.).
Danach liegt hier ein Unterstützen vor. Denn (bereits) die Funktion des Klägers als
gegenwärtiger Vorsitzender des Landesverbandes Berlin der IGMG sowie seine frühere,
im Jahre 1996 beginnende Funktionärstätigkeit als Vorstandsmitglied des
Landesverbandes Berlin der IGMG stellen tatsächliche Anhaltspunkte für die Annahme
der Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen im Sinn des § 11 Satz 1 Nr. 1
StAG dar. Deshalb muss nicht weiter der Frage nachgegangen werden, ob der Kläger
bereits Mitglied der AMGT war, worauf seine Angaben im Verwaltungsverfahren und seine
Erklärung vom Juni 2008 hindeuten.
b) Die Kammer teilt allerdings die Auffassung des VGH Mannheim (Urteil vom 11. Juni
2008, a. a. O., Rn. 49; s. auch bereits Urteil der Kammer vom 21. März 2007, a. a. O., Rn.
42), wonach es wegen des ambivalenten Charakters der IGMG nicht gewissermaßen
automatisch feststeht, dass bei jedem Mitglied oder Funktionsträger der IGMG
ausreichende Anhaltspunkte für einbürgerungsfeindliche Bestrebungen oder
Unterstützungshandlungen anzunehmen sind. Es kommt bei einer solchen Konstellation
vielmehr zusätzlich (ausnahmsweise) auf die Einstellung des jeweiligen
Einbürgerungsbewerbers als eines Mitglieds oder Funktionärs der IGMG an; es ist zu
entscheiden, ob der einzelne Einbürgerungsbewerber die Organisation gewissermaßen
als Ganzes d.h. einschließlich ihrer einbürgerungshindernden Ziele mitträgt – was
bedeutet, dass sie ihm auch zuzurechnen sind – oder ob in seiner Person ein Verhalten
vorliegt, das nach Intensität, Eindeutigkeit und Nachhaltigkeit einer individuellen
„Abwendung“ im Sinn des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG gleichgestellt werden kann. Dies ist
etwa dann der Fall, wenn sich der Betroffene innerhalb der widerstreitenden Strömungen
einer Gemeinschaft so klar positioniert, dass bei einem individuellen
einbürgerungsschädlichen Verhalten wegen „Abwendung“ im Sinn des § 11 Satz 1 Nr. 1
StAG der bisherige tatsachengestützte Verdacht verfassungsfeindlicher Betätigung oder
Unterstützung entfiele. Ein Mitglied oder einen Funktionär einer Vereinigung, der sich
intern ausreichend deutlich von deren verfassungsfeindlichen Strömungen distanziert,
sie überwinden will und geradezu einen verfassungsfreundlichen Kurs zu seinem Ziel
macht, ist einbürgerungsrechtlich nicht schlechter zu behandeln als ein
Einbürgerungsbewerber, der sich von eigenen früheren verfassungsfeindlichen
Bestrebungen im Sinn des § 11 Satz 1 Nr. 1 StAG abgewandt hat. Dies entspricht auch
der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, wonach es an einem Unterstützen
fehlt, wenn jemand allein einzelne politische, humanitäre oder sonstige Ziele der
Organisation, nicht aber auch die Unterstützung der fraglichen Bestrebungen
befürwortet – und sich hiervon ggf. deutlich distanziert – und lediglich dies in
Wahrnehmung seines Grundrechts auf freie Meinungsäußerung nach außen vertritt (vgl.
BVerwGE 123, 114 <125>).
c) Die Kammer kann hier jedoch keine ausreichend tragfähige Distanzierung des Klägers
von den einbürgerungshindernden Tendenzen innerhalb der IGMG feststellen. Dabei
stellt die Kammer angesichts der Tatsache, dass der Kläger als Vorsitzender eines
Landesverbandes der IGMG eine herausgehobene Position innerhalb der IGMG
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Landesverbandes der IGMG eine herausgehobene Position innerhalb der IGMG
einnimmt, hohe Anforderungen an die Aussagekraft der für eine Distanzierung
sprechenden Tatsachen.
Festzustellen ist allerdings, dass der Kläger in seiner Funktion als Vorsitzender des
Landesverbandes Berlin der IGMG anerkennenswerte und auch von dem Beklagten nicht
bestrittene Anstrengungen unternommen hat, um den Landesverband gegenüber der
mehrheitlich deutschen Gesellschaft zu öffnen bzw. die Tätigkeit des Landesverbandes
transparent zu machen. So wurden auf Veranlassung des Klägers eine Internetseite
eingerichtet und Kontakte zu staatlichen Stellen, etwa der Senatsverwaltung für Inneres
und der Polizei, sowie anderen gesellschaftlich relevanten Gruppen, wie etwa den Kirchen
hergestellt. In dieser Öffnung kann nach Auffassung der Kammer ein durchaus
gewichtiger Anhalt dafür gesehen werden, dass das Handeln des Klägers nicht – im
Sinne der von Erbakan geprägten Zielsetzungen der Milli-Görüs-Bewegung – auf eine
Überwindung der demokratischen bzw. „westlichen“ Ordnung, sondern auf eine
Hinwendung zur deutschen Rechts- und Gesellschaftsordnung gerichtet ist. Besonderes
Gewicht misst die Kammer in diesem Zusammenhang auch den nachgewiesenen
Bemühungen des Klägers bei, einen Kontakt zur jüdischen Gemeinde herzustellen.
Damit nimmt der Kläger gegenüber der antisemitischen Grundhaltung Erbakans und
Teilen der Milli-Görüs-Bewegung eine deutlich distanzierte Position ein.
Trotz dieser Tatsachen kann eine hinreichende Distanzierung des Klägers von den
einbürgerungshindernden Strömungen innerhalb der IGMG aber noch nicht festgestellt
werden. Denn das nachgewiesene Wirken des Klägers betrifft im Wesentlichen die
Außendarstellung bzw. ein nach außen gerichtetes Handeln des Landesverbandes. Um
eine eindeutige Distanzierung zu belegen, ist aber – wie oben ausgeführt –
vorauszusetzen, dass sich der Einbürgerungsbewerber intern ausreichend deutlich von
deren verfassungsfeindlichen Strömungen distanziert. Anderenfalls bleibt regelmäßig
der Verdacht bestehen, es handele sich bei dem nach außen gerichteten Handeln
lediglich um Lippenbekenntnisse bzw. ein taktisches Verhalten, welches lediglich für eine
skeptische Öffentlichkeit bestimmt sei.
Mag das beschriebene Handeln des Klägers auch geeignet sein, nach innen zu wirken,
so hat der Kläger nicht dargelegt, dass er sich bislang nach innen hin klar und eindeutig
von den Positionen Erbakans distanziert hat. Er hat stattdessen in der mündlichen
Verhandlung angegeben, dass Erbakan auch gegenwärtig für ihn eine Rolle spiele. Dieser
sei ein Mensch, den er schätze. Erbakan habe den demokratischen Weg aufgezeigt.
Allerdings habe Erbakan auch Fehler begangen und Sachen gesagt, mit denen er – der
Kläger – nicht einverstanden sei. Eine von den Positionen Erbakans deutlich distanzierte
Position hat der Kläger auch nicht mit seiner Äußerung eingenommen, er distanziere
sich zu 100% von den antisemitischen und antiwestlichen Äußerungen Erbakans
während der letzten türkischen Parlamentswahlen. Denn diese Aussage relativierte der
Kläger sogleich wieder, indem er meinte, ohnehin nicht zu glauben, dass Erbakan seine
Äußerungen ernst meine.
Der Kläger hat auch keinerlei Äußerungen oder Handlungen benannt, mit denen er sich
ausschließlich nach innen hin gegen die einbürgerungshindernden Strömungen innerhalb
der IGMG und für die freiheitliche demokratische Grundordnung positioniert hätte. Auf
die Frage, ob er in Diskussionen oder Gesprächen mit anderen IGMG-Mitgliedern
entsprechende Positionen eingenommen habe, verneinte er dies nicht nur, sondern
behauptete sogar, niemanden zu kennen, der wie Erbakan rede. Nach den unter 2.
dargelegten Erkenntnissen besteht auch kein Grund zu der Annahme, der Kläger könne
tatsächlich keinen Anlass oder Gelegenheit haben, sich mit Anhängern Erbakans über
deren Positionen auseinanderzusetzen, weil es sie in der IGMG nicht gebe. Tatsächlich
hat auch der Kläger in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, es gebe in der IGMG
Personen, die wie Erbakan reden würden, er kenne sie nur nicht.
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass sich der Kläger mit Äußerungen wie der vom 12.
Mai 2007 (VB Berlin 2007, 106), wonach es „die Pflicht der an Gott glaubenden
Menschen sei, mit maximaler Kraft dafür zu arbeiten, dass das Recht [hak] herrsche“,
zwar nicht eindeutig zu Erbakan und dessen Ideologie bekennen mag. Denn solche
Formulierungen müssen nicht ideologisch und damit als extremistisch aufgefasst
werden, sondern es ist ebenso möglich, diese Äußerungen in einem religiösen
Zusammenhang zu verstehen. Sie knüpfen jedoch mit ihrer Terminologie auch an
Passagen der islamistischen Ideologie von „Adil Düzen“, mit der dort verbreiteten
Vorstellung des Kampfes von „Hak“ und „Batil“ und der letztendlichen Überwindung des
„Batil“-Systems durch die „islamische Zivilisation“ an. Sie sind deshalb durchaus
geeignet, von Zuhörern und Lesern als politische Äußerungen verstanden zu werden und
eine Distanzierung des Klägers von Erbakan und dessen Positionen in Frage zu stellen.
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II. Der Kläger kann auch nicht nach § 8 Abs. 1 StAG eingebürgert werden. Dies gilt auch,
wenn man davon ausgeht, dass die vor dem 28. August 2007 geltende Rechtslage für
den Kläger günstiger war, weil § 11 Satz 1 Nr. 2 StAG – anders als nunmehr § 11 Satz 1
Nr. 1 StAG (vgl. die amtliche Begründung, BT-Drs. 16/5065, S. 229) – seinerzeit nur
einem Einbürgerungsanspruch nach § 10 StAG entgegenstand, nicht aber grundsätzlich
an einer Ermessensentscheidung nach § 8 StAG hinderte. Denn das dem Beklagten von
§ 8 Abs. 1 StAG eingeräumte Ermessen ist nicht dahin reduziert, den Kläger
einzubürgern. Auch ist die Ermessensentscheidung des Beklagten, eine Einbürgerung
nach § 8 StAG abzulehnen, nicht zu beanstanden (§ 114 Satz 1 VwGO). Denn die
Erwägung, im Hinblick auf das Vorliegen eines zwingenden Versagungsgrundes nach §
11 Satz 1 Nr. 1 StAG sei ein öffentliches Interesse an der Einbürgerung nicht ersichtlich,
lässt keine Rechtsfehler erkennen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, die Entscheidungen über die
vorläufige Vollstreckbarkeit und die Abwendungsbefugnis beruhen auf § 167 VwGO, § 708
Nr. 11, § 711 Satz 1 und 2 i. V. m. § 709 Satz 2 ZPO.
Die Berufung wird gemäß § 124a Abs. 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen
(tatsächlicher) grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
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