Urteil des VG Berlin vom 13.03.2017

VG Berlin: ärztliche behandlung, prüfungsordnung, prüfungsbehörde, rücktritt, unverzüglich, depression, leistungsfähigkeit, abschlussprüfung, sicherheit, beweissicherung

1
2
3
4
Gericht:
VG Berlin 3. Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
3 K 209.10
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 166 VwGO, § 114 ZPO
Feststellung der Prüfungsunfähigkeit
Tenor
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
Gründe
Der Antrag der Klägerin, ihr Prozesskostenhilfe für das vorliegende Klageverfahren zu
bewilligen, mit dem sie die Zulassung zu einer erneuten Wiederholung des praktischen
Teils der Abschlussprüfung für Zahnmedizinische Fachangestellte erstrebt, hat keinen
Erfolg, weil die Klage keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 VwGO i.V.m. §
114 ZPO).
Zwar ist bei dem zur Beurteilung der Erfolgsaussicht anzulegenden Maßstab zu
beachten, dass diese Prüfung nicht dazu dienen soll, die Rechtsverfolgung selbst in das
summarische Verfahren über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe vorzuverlegen.
Insbesondere wenn eine weitere Aufklärung des Sachverhalts ernstlich in Betracht
kommt und sich nicht mit großer Wahrscheinlichkeit prognostizieren lässt, dass diese
Aufklärung zum Nachteil des Mittellosen ausgehen wird, kommt die Bewilligung von
Prozesskostenhilfe in Betracht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. Dezember 2009 - BvR
2733/06 -; Beschluss vom 14. April 2003 - 1 BvR 1998/02 -, jeweils zitiert nach juris).
Diese Voraussetzungen liegen hier jedoch nicht vor. Die mit Bescheid vom 29. Januar
2010 und Widerspruchsbescheid vom 24. März 2010 getroffene Entscheidung der
Beklagten, die nach zwei erfolglosen Versuchen (vgl. Bescheide der Beklagten vom 23.
Januar 2009 und 6. Juli 2009) mit dem am 14. November 2009 absolvierten schriftlichen
Teil und dem am 22. Januar 2010 durchgeführten praktischen (mündlichen) Teil
abermals wiederholte Prüfung wegen mangelhafter Leistungen im praktischen Teil der
Prüfung für endgültig nicht bestanden zu erklären, begegnet keinen durchgreifenden
rechtlichen Bedenken.
Die im Rahmen der praktischen (mündlichen) Prüfung am 22. Januar 2010 von der
Klägerin erbrachten Prüfungsleistungen auf den Gebieten Individuelle Prophylaxe (IP),
Abrechnung der IP-Positionen und Praxisverwaltung wurden von dem dreiköpfigen
Prüfungsausschuss (vgl. § 2 Abs. 1 der Prüfungsordnung für die Durchführung der
Abschlussprüfung und Umschulungsprüfung im Ausbildungsberuf Zahnmedizinische
Fachangestellte/Zahnmedizinischer Fachangestellter der Zahnärztekammer Berlin vom
14. Februar 2006, zuletzt geändert am 10. Oktober 2007, ABl. 2008, S. 495 –
Prüfungsordnung –) übereinstimmend mit mangelhaft bewertet. Damit hatte die Klägerin
die Prüfung auch im zweiten Wiederholungsversuch nicht bestanden, da das Bestehen
der Prüfung nach § 22 Abs. 5 Satz 1 der Prüfungsordnung voraussetzt, dass jeweils im
praktischen und im schriftlichen Teil der Prüfung mindestens ausreichende
Prüfungsleistungen erbracht werden. Einwendungen gegen die Benotung ihrer
Prüfungsleistungen hat die Klägerin nicht erhoben.
Soweit sich die Klägerin darauf beruft, dass sie bei der Prüfung am 22. Januar 2010
prüfungsunfähig gewesen und sie daher von diesem Teil der Prüfung wirksam
zurückgetreten sei, kann sie damit nicht durchdringen. Die Klägerin hatte sich mit
Schreiben vom 6. Juli 2009 zu der - mit dem schriftlichen Teil der Prüfung im November
2009 beginnenden - zweiten Wiederholungsprüfung angemeldet. Nach § 20 Satz 1 der
Prüfungsordnung kann ein Prüfling nach erfolgter Anmeldung rechtzeitig vor Beginn der
Prüfung durch schriftliche Erklärung zurücktreten mit der Folge, dass die Prüfung als
nicht begonnen gilt. Ein Rücktritt nach Beginn der Prüfung setzt einen wichtigen Grund
für den Rücktritt voraus (§ 20 Satz 3 und 4 der Prüfungsordnung). Einen solchen
wichtigen Grund hat die Beklagte zu Recht als nicht gegeben angesehen. Soweit sich die
Klägerin darauf berufen hat, dass sie bereits seit dem 4. Januar 2010 unter einer
mittelschweren Depression gelitten, sich deswegen in ärztliche Behandlung begeben und
dass sie auch am Tag der praktischen Prüfung am 22. Januar 2010 unter den
5
6
dass sie auch am Tag der praktischen Prüfung am 22. Januar 2010 unter den
Auswirkungen dieser Depression gestanden habe, kann sie sich auf eine daraus
hergeleitete Prüfungsunfähigkeit nicht berufen. Nach ihrem Vortrag und ausweislich der
Bescheinigung einer Fachärztin für Allgemeinmedizin vom 24. Februar 2010 hatte sich
die Klägerin in Kenntnis ihrer depressiven Erkrankung und den davon möglicherweise
ausgehenden Beeinträchtigungen entschieden, gleichwohl an der praktischen Prüfung
am 22. Januar 2010 teilzunehmen. Damit nahm sie in Kenntnis möglicher
gesundheitlicher Beeinträchtigungen das Risiko eines Misserfolgs der Prüfung auf sich
(vgl. Niehues, Schul- und Prüfungsrecht, Band 2, Prüfungsrecht, 4. Aufl., Rnr. 138). Hinzu
kommt, dass die Klägerin die ihr bekannte möglicherweise eingeschränkte
Prüfungsfähigkeit nicht unverzüglich offenbarte. Weder zeigte sie vor Beginn der Prüfung
oder auch noch während des Prüfungsverlaufs diesen aus ihrer Sicht bestehenden
Prüfungsmangel an noch offenbarte sie ihn auf die ihr vom Prüfungsausschuss vor
Beginn der Prüfung ausdrücklich gestellte Frage, ob sie sich gesund und prüfungsfähig
fühle, sondern bejahte diese Frage (vgl. Bericht der Prüferin M. Bl. 14 und 15 des
Verwaltungsvorgangs). Damit nahm sie dem Prüfungsausschuss die Möglichkeit, die
Frage der Prüfungsfähigkeit gegebenenfalls weiter aufzuklären und die Prüfung
erforderlichenfalls abzubrechen. Auch lag kein Fall einer für den Prüfungsausschuss
offensichtlichen Prüfungsunfähigkeit der Klägerin vor, der eine ausdrückliche
Rücktrittserklärung entbehrlich gemacht hätte. So wie der Prüfungsverlauf dokumentiert
wurde, sprach nichts für eine krankheitsbedingte Einschränkung der Leistungsfähigkeit
der Klägerin. Die Klägerin versuchte, Einfluss auf die Wahl des Prüfungsthemas zu
nehmen, beteiligte sich - wenn auch mit mangelhaften Fachkenntnissen - an dem
Prüfungsgespräch und wies während der Prüfung wiederholt darauf hin, dass bestimmte
Prüfungsthemen ihr aus ihrer praktischen Ausbildung nicht bekannt seien.
Nach Aktenlage bevollmächtigte die Klägerin erst mehr als einen Monat nach der
Prüfung, am 24. Februar 2010, einen Rechtsanwalt, der am selben Tag Widerspruch
einlegte, ohne aber einen Hinweis auf die später geltend gemachte Prüfungsunfähigkeit
zu geben. Erst mit der am 3. März 2010 bei der Beklagten eingegangenen
Widerspruchsbegründung ließ die Klägerin vortragen, dass ihre Prüfungsleistungen am
22. Januar 2010 wegen Prüfungsunfähigkeit nicht hätten bewertet werden dürfen und ließ
der Beklagten auch erst mit dieser Widerspruchsbegründung den Aufnahmebefund der
Psychiatrie des ...-Krankenhauses in der W.straße über ihre am Prüfungstag erfolgte
stationäre Aufnahme und die ärztliche Bescheinigung der sie ambulant behandelnden
Fachärztin vorlegen. Damit fehlt es an einer unverzüglichen Mitteilung der
Rücktrittsgründe. Das Gebot, eine Prüfungsverhinderung oder Einschränkungen der
Prüfungsfähigkeit unverzüglich zu erklären, folgt aus dem für das Prüfungsrecht
elementaren Grundsatz der Chancengleichheit; denn es muss vermieden werden, dass
einzelne Prüflinge sich den unberechtigten Vorteil eines zusätzlichen Prüfungsversuchs
verschaffen, indem sie gesundheitlich bedingte Verminderungen ihrer Leistungsfähigkeit
zunächst nicht offenbaren, sondern erst nach Bekanntgabe des Prüfungsergebnisses
kundtun (vgl. Niehues, a.a.O.). Ein weiterer Grund für die Pflicht des Prüflings, den
Rücktritt von der Prüfung unverzüglich zu erklären, liegt darin, der Prüfungsbehörde zu
ermöglichen, den wahren Sachverhalt so zeitnah wie möglich genau aufzuklären
(Niehues, a.a.O., Rnr. 140). Ein Prüfling, der durch sein zögerliches Verhalten versucht,
sich die Chance eines zusätzlichen Prüfungsversuchs zu verschaffen oder der dadurch
die Feststellung seiner Prüfungsunfähigkeit behindert, muss sich den Nachteil seiner
möglichen gesundheitlichen Behinderung zurechnen lassen (a.a.O.). Insbesondere die
Tatsache, dass der Prüfungsbehörde eine unverzügliche Beweissicherung über den
Umfang der geltend gemachten Beeinträchtigung ermöglicht werden soll, die mit
zunehmenden Zeitablauf immer schwerer mit der gebotenen Sicherheit zu beurteilen
ist, rechtfertigt es, auch bei einem nachträglichen Prüfungsrücktritt keine geringeren
Anforderungen an die Unverzüglichkeit zu stellen (vgl. Urteil der 12. Kammer des
Verwaltungsgerichts Berlin vom 10. Juni 2010 - VG 12 K 1503.09 -). Dies gilt gerade vor
dem Hintergrund, dass die Beklagte zu Recht darauf hingewiesen hat, dass der
stationäre Aufnahmebefund vom 22. Januar 2010 durchaus kein eindeutiges Bild über
eine an diesem Tag bestehende Prüfungsunfähigkeit liefert; denn der Klägerin wurde u.a.
attestiert, dass ihre Auffassungsfähigkeit ungestört gewesen sei, dass keine
Konzentrationsstörung vorgelegen habe, dass der formale Denkablauf geordnet
gewesen sei, dass kein Anhalt für Wahnerleben, Sinnestäuschungen oder Ich-Störungen
bestanden habe. Damit wird zugleich bestätigt, dass eine offensichtliche
Prüfungsunfähigkeit, die eine entsprechende Erklärung der Klägerin entbehrlich gemacht
hätte, offenbar nicht vorlag.
Schließlich sind auch keinerlei Anhaltspunkte dafür erkennbar, dass die Klägerin die erst
im Nachhinein geltend gemachte Prüfungsunfähigkeit nicht habe erkennen können
(sogenannte unerkannte Prüfungsunfähigkeit) bzw. dass sie deren Bedeutung nicht habe
zutreffend einschätzen können. Dem steht die fachärztliche Bescheinigung vom 24.
zutreffend einschätzen können. Dem steht die fachärztliche Bescheinigung vom 24.
Februar 2010 entgegen, der - wie oben ausgeführt - zu entnehmen ist, dass sich die
Klägerin bereits vor dem Prüfungstermin über mögliche Auswirkungen ihrer Depression
auf die Prüfungsfähigkeit bewusst war. Dabei kommt es nicht darauf an, ob die Klägerin
ihren Zustand begrifflich als Prüfungsunfähigkeit erfasst hatte, sondern allein darauf, ob
sie die Verminderung ihres Leistungsvermögens, über die sie mit der sie behandelnden
Ärztin im Vorfeld der Prüfung gesprochen hatte, wahrgenommen hatte und dies der
Prüfungsbehörde gegenüber hätte zum Ausdruck bringen können.
Datenschutzerklärung Kontakt Impressum