Urteil des VG Berlin vom 13.03.2017

VG Berlin: pass, aufenthalt, visum, norwegen, erfüllung, wiedereinreise, lebensgemeinschaft, abschiebung, hauptsache, staatsangehörigkeit

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Gericht:
VG Berlin 27.
Kammer
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
27 V 1.07
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
§ 123 VwGO, § 28 Abs 1
AufenthG, Art 6 GG, § 3
AufenthG, § 5 Abs 1 AufenthG
Erteilung eines Visums zum Familiennachzug trotz vorheriger
Namenstäuschung
Tenor
Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem
Antragsteller ein Visum zur Familienzusammenführung zu seiner Ehefrau zu erteilen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der
außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, die dieser selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,-- € festgesetzt.
Gründe
Die Berichterstatterin kann über den Rechtsstreit als Einzelrichterin entscheiden, weil die
Kammer ihr die Sache durch Beschluss vom 14. Februar 2007 gemäß § 6 Abs. 1 VwGO
zur Entscheidung übertragen hat.
Der sinngemäße Antrag des 1976 geborenen Antragstellers liberianischer
Staatsangehörigkeit,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihm
ein Visum zum Zwecke der Familienzusammenführung mit seiner im Bundesgebiet
lebenden deutschen Ehefrau zu erteilen,
hat Erfolg.
Der Antragsteller hat einen Anordnungsanspruch mit der für die Vorwegnahme der
Hauptsache erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht (vgl. § 123 Abs.
3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO). Als Ehegatte einer deutschen Staatsangehörigen mit
gewöhnlichem Aufenthalt im Bundesgebiet hat der Antragsteller einen Rechtsanspruch
auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 28 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AufenthG zum
Zwecke der Herstellung der durch Art. 6 GG geschützten ehelichen Lebensgemeinschaft
in Deutschland. Dies setzt neben einer formal wirksam geschlossenen Ehe voraus, dass
beide Eheleute die Absicht haben, das eine eheliche Lebensgemeinschaft ausmachende
dauerhafte, durch enge Verbundenheit und gegenseitigen Beistand geprägte
Zusammenleben herstellen zu wollen (vgl. OVG Berlin, Beschluss vom 28. Mai 2001 –
OVG 8 N 51.01 -). An der beabsichtigten Herstellung einer ehelichen
Lebensgemeinschaft bestehen hier – wie auch die Antragsgegnerin und der Beigeladene
anerkennen – keine berechtigten Zweifel. Deutlichstes Indiz ist, neben dem beachtlichen
Beharrungsvermögen des Antragstellers und seiner Ehefrau im seit Dezember 2004
betriebenen Visaverfahren und den ein hohes Maß an Übereinstimmung zeigenden
Antworten bei der Ehegattenbefragung, ein längerer Aufenthalt der Ehefrau in Ghana mit
ihrem Ehemann im vergangenen Jahr, infolgedessen in Kürze die Geburt des
gemeinsamen Kindes im Bundesgebiet bevorsteht. Den wirksamen Bestand ihrer Ehe
haben die Ehegatten durch die Vorlage der Heiratsurkunde hinreichend belegt. Danach
haben die Eheleute am 25. Oktober 2004 in Norwegen geheiratet. Dass diese Ehe nach
§ 16 des norwegischen Gesetzes Nr. 47 vom 4. Juli 1991 über die Ehe – EheG
(abgedruckt bei Bergmann/Ferid, Internationales Ehe- und Kindschaftsrecht,
„Norwegen“, Stand: 30. September 2004, S. 56) ungültig sein könnte, hat die
Antragsgegnerin weder substantiiert dargelegt noch sind sonst Anhaltspunkte dafür
ersichtlich. Jedenfalls war der Antragsteller – wie sich aus den beigezogenen
Ausländerakten ergibt – im Zeitpunkt der Eheschließung im Besitz eines ihm von der
liberianischen Auslandsvertretung in Bonn im März 2004 ausgestellten Passes (Nr.
OR/0090079-04), einer Geburtsurkunde und einer Ledigkeitserklärung. Im Rahmen der
Abschiebung hielt der Beigeladene diesen Pass für gültig, wofür auch spricht, dass die
Rückführung des Antragstellers am 4. Dezember 2004 nach Monrovia offenbar
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Rückführung des Antragstellers am 4. Dezember 2004 nach Monrovia offenbar
problemlos durchgeführt werden konnte.
Der Anspruch auf Nachzug zu einem deutschen Ehegatten setzt gemäß § 5 Abs. 1
AufenthG in der Regel voraus, dass die Passpflicht nach § 3 AufenthG erfüllt wird. Nach §
3 AufenthG – soweit hier einschlägig – dürfen Ausländer nur in das Bundesgebiet
einreisen, wenn sie einen anerkannten und gültigen Pass besitzen. Dies ist – wie
dargelegt – der Fall. Dass sich der Antragsteller nach seiner Rückkehr in sein Heimatland
von den dortigen Behörden unter Vorlage der ihm in Bonn ausgehändigten
Geburtsurkunde einen neuen Pass (Nr. OR/0099118-04) hat auszustellen lassen, den er
der deutschen Auslandsvertretung in Abidjan im Rahmen seines dort betriebenen
Visaverfahrens zunächst vorgelegt hat, mag verwundern. Hintergrund war wohl die
Absicht des Antragstellers, die aus seinem „alten“ Pass ersichtliche Ausweisung und
Abschiebung, deren Wirkungen inzwischen bis zum 31. Januar 2005 befristet worden
sind, zu verschweigen. Tatsächlich ist er noch im Besitz des ihm von der Vertretung
seines Heimatstaates in der Bundesrepublik Deutschland am 17. März 2004
ausgestellten Reisepasses, wie sich aus den im Visavorgang der Botschaft Abidjan (Bl.
29 ff.) befindlichen Ablichtungen ergibt. Das Vorgehen des Antragstellers mag gegen
seine Glaubwürdigkeit sprechen. Am Vorliegen des objektiven Tatbestandes der Erfüllung
der Passpflicht – durch seinen „alten“ oder seinen „neuen“ Pass – ändert dies jedoch
nichts. Es wäre auch mehr als widersprüchlich und sowohl mit rechtsstaatlichen als auch
mit völkerrechtlichen Grundsätzen kaum zu vereinbaren, wenn deutsche Behörden ein
ausländisches Passdokument zwar für die zwangsweise Rückführung eines Ausländers in
diesen Staat als gültig anerkennen, für den Fall der Wiedereinreise aber als nicht
ausreichend ansehen würden. Auch der Bayerische VGH ist in seinem Beschluss vom 3.
Dezember 2004 – 24 CE 04.3306 – in dem er erkannt hat, der Antragsteller müsse,
wenn er eine Zuzugsgenehmigung zu seinem deutschen Ehegatten erhalten wolle,
ausreisen und zur Wiedereinreise ein Visum beantragen, nicht von solchen
Schwierigkeiten ausgegangen. Er meinte vielmehr, das Visum sei innerhalb einer relativ
kurzen Frist zu erhalten (Ausländerakte II, Bl. 334 ff.).
Die Antragsgegnerin stützt denn auch die Versagung des Visums nicht auf eine
Verletzung der Passpflicht, sondern auf den Tatbestand des § 5 Abs. 1 Nr. 1 a 1. Alt.
AufenthG, wonach die Erteilung eines Aufenthaltstitels in der Regel voraussetzt, dass die
Identität des Ausländers geklärt ist. Gemeint sind damit offenbar nicht Zweifel über die
Staatsangehörigkeit, die in § 5 Abs. 1 Nr. 1a 2. Alt. AufenthG gesondert geregelt und in
jedem Fall durch die Erfüllung der Passpflicht ausgeräumt sind (vgl. Funke-Kaiser, GK-
AufenthG, Stand Januar 2007, § 3 Rn. 14). Die Antragsgegnerin will wohl geltend machen,
dass der Antragsteller, der bei seinem früheren Aufenthalt im Bundesgebiet andere
Personalien und vor allem eine andere Staatsangehörigkeit, nämlich die französische,
angegeben und durch verfälschte Unterlagen belegt sowie in Norwegen einen weiteren
Asylantrag unter wiederum anderem Namen gestellt hat, auch ganz anders heißen und
früher oder später geboren sein könnte. Eine solche bloße Namenstäuschung wäre
jedoch unbeachtlich. Die Identität des Antragstellers ist für die hier maßgebenden
deutschen Behörden geklärt. Aufgrund der durchgeführten erkennungsdienstlichen
Behandlungen steht fest, dass es sich bei dem Antragsteller um dieselbe Person
handelt, die sich zunächst illegal und dann im Rahmen eines Asylverfahrens im
Bundesgebiet aufgehalten hat und die nunmehr aufgrund eines anderen Sachverhalts,
der Ehe mit einer deutschen Staatsangehörigen, die Wiedereinreise begehrt. Für die
früher in Verbindung mit seinem Aufenthalt von ihm verübten Straftaten wurde der
Antragsteller im Übrigen rechtskräftig verurteilt; seine Strafe hat er verbüßt. Die aus
demselben Grund erfolgte Ausweisung und Abschiebung hat er ebenfalls hinter sich
gebracht. Ausländerrechtlich allein maßgeblich ist nunmehr, ob sein Heimatstaat sich zu
ihm bekennt, gleich welchen Namen oder welches Geburtsdatum er tatsächlich haben
mag. Dies ist – wie ausgeführt – durch die Erfüllung der Passpflicht belegt. Vorsorglich sei
die Antragsgegnerin darauf hingewiesen, dass es mit Art. 6 Abs. 1 GG nicht vereinbar
sein dürfte, in Fällen der Familienzusammenführung eine Erteilungsvoraussetzung
lediglich zu bezweifeln, aber selbst den Sachverhalt weder zu ermitteln noch den
Antragstellern Möglichkeiten aufzuzeigen, den für erforderlich gehaltenen Nachweis zu
erbringen.
Hat der Antragsteller nach allem offensichtlich einen Rechtsanspruch auf Erteilung des
begehrten Visums ist es ihm wegen der täglich bevorstehenden Geburt des
gemeinsamen Kindes, der ärztlich attestierten enormen psychischen Belastung seiner
Ehefrau und den damit verbundenen Gefahren für das Kind nicht zuzumuten, die
rechtskräftige Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Effektiver Rechtsschutz
kann vielmehr nur durch die begehrte Anordnung gewährt werden. Ein Anordnungsgrund
ist mithin ebenfalls glaubhaft gemacht.
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Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Die
Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 52 Abs. 2, 53 Abs. 3 Nr. 1 GKG. Wegen der
Vorwegnahme der Hauptsache ist hier der volle Streitwert anzunehmen.
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